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 Lesedauer: 4 Minuten

Himmlisches Zeugs: Heilig’s Blechle

Seit Jahren – wie viele sind es eigentlich? – passiert um den ersten Augusttag herum nichts anderes als ungefähr das: Ich radle runter ins Dorf zu unseren Freunden, Petra und Christoph. Die haben uns schon viel Gutes getan. Aber nun leuchten ihre Augen noch mal heller mit jener diebischen Freude, die ganz undiebisch nichts für sich behält. Schlüsselübergabe! Spätestens ab hier kann ich mein aufgeregtes Kribbeln nicht mehr verbergen.

Ein Vor-Freude-Platzen, auf das es nur eine Antwort geben kann: Platz nehmen und mit Pedalgefühl vier Zylinder starten, die durch zwei Doppelvergaser zwei Liter Hubraum einatmen.

Ich sitze in einem Alfa Romeo Spider, einem der letzten der Fastback-Reihe. Baujahr: 1981. Und ich werde jetzt die Frau abholen, mit der ich das Glück einer abenteuerlichen Liebe teile. Kirchenamtliche Erstzulassung: 1. August 1997.

Glücksmobil

Glückserfahrungen lassen sich nicht herbeimobilisieren, egal, welches Auto man dazu startet. Aber jedes Mal, wirklich jedes Mal, seitdem wir es tun, staune ich am Ende des Tages über den Spider und spreche verdutzt:

«Heilig’s Blechle, mit dir kann man sich anscheinend doch das Glück erfahren!»

Denn genau so erleben wir es, als eine verzückende Ausfahrt in die Glückseligkeit. Wohl auch deshalb, weil der Wagen an sich so schön ist – nur schon die Farbe: «avorio» (Elfenbein). Pininfarina-Designer Franco Martinengo hat der Karosserie Anfang der 60er eine Linie gegeben, deren Eleganz auf mehr oder weniger alle abfärbt, die einsteigen. Als der Schauspieler und Amateurrennfahrer Steve McQueen 1966 eines der ersten US-Exemplare getestet hatte, meinte er: «It is a very forgiving car. Very pretty, too.»

Fahrvergnügen und Ästhetik, ein Flair, das nach der Selbstauskunft mancher Besitzer noch auf dem Weg zum Zahnarzt durch Haut und Haar wehen kann.

Automobilgewordene Sehnsucht

Zum Mythos wurde der Spider auch durch seine zahlreichen Filmauftritte, allen voran «Die Reifeprüfung» (1967). Man sieht den jungen Dustin Hoffman am Steuer, hat «Mrs. Robinson», den Welthit von Simon und Garfunkel, in den Ohren und düst durch die Hügel auf die Oakland Bay Bridge in San Francisco. Nun habe ich, ehrlich gesagt, noch nie an Dustin Hoffman gedacht, wenn wir im Alfa durch das Markgräflerland fahren. Eher erinnert mich meine Frau neben mir an Grace Kelly, obwohl die in einem Sunbeam Alpine «Über den Dächern von Nizza» fuhr. Dennoch verbindet mich der Spider ein wenig mit der verwegenen Freiheit, der wehenden Leichtigkeit und der verspielten Lebensfreude derer, die ihn im Film fahren.

Vielleicht erst mal als mobilgewordene Sehnsucht nach dem Überschüssigen, das aus meinem Leben mehr macht als Überleben und Existieren.

Ein italienisch gefertigtes Verheissen, das sich zu erfüllen beginnt, wenn ich die Türe zuziehe.

Wer durchfährt hier eigentlich wen?

Wer Spider fährt, steigt in eine unmittelbarere Weltbeziehung ein. Die puristisch anmutende Ausstattung zwingt ein wenig dazu. Kein Schnickschnack, kaum Elektronik, von Servolenkung und ABS ganz zu schweigen. Alle Sinne stehen hier auf hellwach, vor allem, wenn der nächste Gang Zwischengashilfe braucht. Ich spüre das Auto, die Strasse – und dann die Welt, durch die wir fahren.

Denn unser Glücksmobil ist offen, nach allen Seiten und gen oben. Wohin es geht? Das schauen wir mal und folgen dem Blau des Himmels und der Seele … eine zauberhafte Lenkhilfe.

Unterwegs fühlen wir uns wie geleitet von einer Weltschönheitskarte, die in keinem Navigationssystem einzuprogrammieren wäre.

Wo uns ein Plätzchen anspricht, verweilen wir, breiten vielleicht die Decke aus, halten die aufsteigenden Sektperlen gegen das Sonnenlicht und schlummern einfach weg. Die Küchendüfte fliegen vorbei, kulinarische Gegenwinde, die uns sanft in alle (un)möglichen Restaurants bremsen. Und immer wieder italienische Gelati. Wenn ich vorm Eiscafé parke, mag ich gar nicht abschliessen. Es wäre dem neugierigen Respekt, den die Menschen hier dem Spider zollen, gar nicht angemessen.

Überhaupt, die Menschen in den anderen Autos, auf den Velos und am Strassenrand. Sie lächeln herüber mit Daumen hoch, winken uns entgegen, ja, Wildfremde sprechen oder rufen ins Auto: «Oh, wie schön!» Woher dieses neidlose, wohlwollende Mitfreuen? Nimmt der Alfa auch die anderen für ein paar Momente mit auf einen imaginären Sehnsuchtsausflug?

So fährt uns dieses Cabrio nicht nur in einer besonderen Weise durch die Welt, in ihm durchfährt die Welt auch uns. Eine beglückende Verbundenheit, die auch den Raum zwischen Fahrer- und Beifahrersitz verzückt.

Allem zum Trotz, was es sonst noch über das Leben zu sagen gibt: So, wie es jetzt ist, ist es gut … voll Klang, Licht, Luft und Liebe. Blech auf Gummi kann selig machen.

Photo by Aleks Marinkovic on Unsplash

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1 Kommentar zu „Himmlisches Zeugs: Heilig’s Blechle“

  1. Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, Herr Loos. In Zeiten, in denen es fast schon als Sünde gilt, ein benzinbetriebenes Fahrzeug zu lenken, geschweige denn, es so liebevoll zu besingen, braucht das Veröffentlichen eines solchen Textes bestimmt etwas an Mut. Umso mehr: Danke viel mal.
    Sie sprechen bzw. schreiben mir aus der Seele, sucht mich doch beim Anblicken und Lenken klassischer Fahrzeuge ein nicht geringes Glücksgefühl heim. Die ehrliche und zum Teil auch anspruchsvolle Technik meldet unverzüglich Strassenbeschaffenheit und Seitenwind zurück und erfordert gleichzeitig etwas an Gefühl für Drehzahlen, Newtonmeter, Kurvenradien, Bremswege. Computergesteuerte Assisstenzsysteme hingegen filtern beinahe jeden direkten Kontakt zur Wirklichkeit weg. Sogar die Atemluft, die man serviert bekommt, ist schadstoffgefiltert und geruchsangereichert – von Nadelholz bis Lavendel liegt alles drin. Mensch wird mithilfe von Algorithmen und Sensoren zur reinen Fortbewegungsware. Die Umgebung, ihre Kräfte, Gefahren, Einwirkungen, Schönheiten eliminiert. Die Vernunft gewinnt, die Sicherheit auch. Aber hat man davon gelebt?

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