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Himmlisches Zeugs: Suppenschöpfer. Ein Geschenk für einen Mann, der schon alles besitzt.

Wir planten eine Reise nach Taipeh. Unsere taiwanesische Freundin wollte uns unter anderem in Kontakt mit Herrn Wang bringen, einem reichen Verleger mit Unternehmenssitz im Zentrum der taiwanesischen Hauptstadt. Herr Wang war gerade dabei, mit einem Millionenbudget aus eigener Tasche ein Kulturzentrum aufzubauen: mit Galerien, Café, Künstlerateliers und Proberäumen für Musiker. Zu unseren Reisevorbereitungen gehörte daher die Suche nach einem passenden Geschenk für den Mäzen.

Aber was schenkt man einem Mann, der schon alles besitzt? Käme ein Buch infrage? Nippes sicher nicht. Ein lokales Handwerksobjekt vielleicht, aber uns kam nichts Rechtes in den Sinn. Während wir ratlos waren, überlegte unsere asiatische Freundin zielstrebig. «Asiaten schätzen praktische Dinge», sagte sie schliesslich, «ein passendes Geschenk für Herrn Wang wäre ein Suppenschöpfer.»

«Eine Suppenkelle?», fragten wir geschockt. Wollte uns unsere Freundin auf den Arm nehmen? Eine Suppenkelle sei doch ein ziemlich banales Ding, fast eine Beleidigung.

«Aber nein», entgegnete unsere Freundin mit Bestimmtheit. «Ein schön geformtes, hochwertiges Küchenutensil eines Markenherstellers ist ein Objekt, dass nicht nur Herrn Wang, sondern noch seine Kinder und Erben freuen würde. Zumal die Wangs leidenschaftlich gern kochten.» In Ermangelung einer besseren Idee blieb es beim Küchenutensil.

Lieber Hackebeil als Nippes

Die Verkäuferin im Markengeschäft wunderte sich nicht über unsere Geschenkidee. Sie gab aber zu bedenken, dass die asiatische Kundschaft insbesondere auch Markenmesser aus Edelstahl schätze. Gerade auch grosse Hackmesser, sagte sie und zeigte auf ein eindrucksvolles Sortiment polierter Kochbeile an der Wand. Schon beim Anblick der Beile fürchtet man um seine Finger.

Um auch günstigere Produkte anbieten zu können, seien manche Markenhersteller zu Kombinationen europäischer und chinesischer Bestandteile übergegangen. Man könne es an den Fugen erkennen. Asiatische Kunden hätten ein geschultes Auge dafür. Sie seien darauf erpicht, Objekte aus 100 Prozent europäischer Produktion zu erhalten. Das günstigere Sortiment kam für uns also nicht infrage.

Nach kurzer Überlegung schien uns ein freundlicher Suppenschöpfer doch besser geeignet als ein scharfes und symbolisch womöglich missverständliches Messergeschenk. Ins Gepäck für den Langstreckenflug wanderte also ein originalverpackter Suppenschöpfer. Als der Tag unseres Treffens mit Herrn Wang anbrach, waren wir immer noch nicht vom Suppenschöpfer überzeugt.

Der Mäzen führte uns durch seinen Verlag, den hauseigenen Buchladen und das integrierte Restaurant, wo er uns zum Essen einlud. Er war zurückhaltend freundlich, aber aufgeschlossen. Er erzählte, dass sein Sohn demnächst ein Praktikum in der Schweiz bei einem traditionellen Uhrenhersteller antreten werde. Den Millionärssohn begeisterte Präzisionshandarbeit mehr als die Aussicht auf Übernahme des Familienunternehmens. Herr Wang wirkte besorgt beim Gedanken an seinen Nachfolger.

Über den Dächern von Taipeh

Die Tour endete schliesslich auf dem Dach des Verlagshauses, wo sich unser Gastgeber wieder entspannte. Das Dach war überraschenderweise als Garten gestaltet und Herr Wang genoss unser Staunen über ein Teehaus, dass in der Mitte des Gartens stand und das der Unternehmer selbst designt hatte. Nun sei der Moment der Geschenkübergabe, bedeutete uns unsere Freundin.

Wir zogen mit mulmigem Gefühl den Suppenschöpfer hervor. Herr Wang machte keine Luftsprünge, aber es zeigte sich ein feines Lächeln in seinem Gesicht. Wir hatten immerhin keine Peinlichkeit begangen.

Wir sassen noch eine Weile mit dem Millionär in dem von ihm entworfenen Teehaus mit Blick über die Dächer von Taipeh und lobten die Schlichtheit des Baus. Wir bemerkten, dass Herr Wang in dem beengten Gebäude ganz in seinem Element war: ein Selfmademan und einflussreicher Bürger, der sich den Luxus eines bäuerlich-schlichten Teehauses inmitten der Metropole leistete.

Schönheit liege nach seinem Empfinden in vollkommener Schlichtheit, erklärte Herr Wang, während er grünen Tee für uns nach einfacher chinesischer Art aufgoss.

Der süss-herbe Duft der Teeblätter, den wir in winzigen Schälchen genossen, füllte den Raum. Mit den Porzellanschälchen teilte unsere Suppenkelle die elementar gerundete Hohlform, die einer gewölbten Hand nachempfunden ist und etwas genuin Menschliches an sich hat.

Foto von Mike von Pexels.

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