Es gibt zwei Dinge, die ich nicht habe: ein Pokerface (für diesen Artikel irrelevant) und einen grünen Daumen. Ich liebe die Natur, ich liebe Blumen, aber unter meiner Fürsorge gedeihen Pflanzen nicht. Die einzige, die länger als ein paar Monate bei mir halbwegs überlebt hat, hatte einen Wasserstandsanzeiger. Dass ich inzwischen trotzdem in einem recht grünen Zuhause lebe, ist meinem Partner zu verdanken.
Zu einer unserer Pflanzen habe ich jedoch eine besondere Beziehung aufgebaut. Sie heisst «Calathea». Das klingt wie der Name einer Göttin. Ihre Blätter sind etwa so gross wie ein A4-Blatt, oben satt dunkelgrün und auf der Unterseite bordeauxrot. Sie haben einen feinen Flaum und fühlen sich wunderbar zart und weich an, wenn man darüberstreicht. Ich nenne die Calathea deshalb auch liebevoll «meine Kuschelpflanze».
Das Versagen
An einem Sommermorgen wollte ich ihr etwas Wellness schenken und besprühte ihre Blätter mit Wasser. Dafür stellte ich sie auf den Balkon, damit das Wasser nicht auf den Wohnzimmerboden tropfte. Leider vergass ich sie dort. Als mein Partner sie zwei Stunden später entdeckte, hatten ihre Blätter Brandwunden. Die Wassertropfen hatten wie Brenngläser gewirkt, als die Sonnenstrahlen unseren Balkon erreichten.
Ich war erschüttert, der Schmerz ging bis ins Herz. Durch meine Nachlässigkeit hatte die Pflanze jetzt braune, dürre Flecken. Ich wollte es ungeschehen machen, aber es war nicht möglich.
«Das Gegenteil von gut ist gut gemeint», lautet ein Sprichwort, und genau so fühlte es sich an.
Da hatte ich einmal etwas für unsere Pflanzen tun wollen, und das Resultat war fatal. Ich wusste, jedes Mal, wenn ich die Calathea jetzt anschauen würde, würde ich die Narben sehen. Ein sichtbares Zeichen für mein Versagen. Ihre Schönheit war beeinträchtigt, sie war verletzt – durch meine Schuld, weil ich meine Verantwortung für sie nicht wahrgenommen habe.
Die Vergebung
Das ist nun einige Monate her. Ich glaube, inzwischen hat sie mir verziehen. Die Narben sind immer noch sichtbar. Aber sie hat so viele neue Blätter gemacht, dass sie nicht mehr auffallen. Die Pflanze strotzt vor Kraft.
Kürzlich habe ich übrigens herausgefunden, dass die Calathea eine «Gebetspflanze» ist. Im Internet steht, der Name käme daher, dass ihre Blätter aussehen wie betende Hände, wenn sie sie abends mit den Spitzen nach oben aufstellt. Das habe ich noch nie beobachtet, vielleicht macht sie das nur in ihrem ursprünglichen Zuhause im Regenwald.
Ich glaube deswegen, dass der Name damit zu tun hat, dass sie ihre Blattoberseiten immer zum Licht dreht: Die Arme mit nach oben gestreckten Händen seitlich des Körpers anzuwinkeln, ist eine der ältesten Gebetshaltungen («Orantenhaltung»).
Die Calathea ist eine grüne Königin, in ein immerwährendes Gebet vertieft.
Und dieses richtet sie nicht an mich – ich wäre, das wissen wir beide, eine enttäuschende Göttin, Schöpferin, Lebenserhalterin. Zwar erhält die Pflanze von mir (manchmal) Wasser, Streicheleinheiten und ab und zu Komplimente für ihre Schönheit, aber die Lebensenergie bezieht sie von woanders. Zum Glück.
Das Versprechen
Jetzt im Winter scheint die Sonne flacher in unsere Wohnung. Und obwohl die Calathea ihre Blätter gerne zur Sonne richtet, ist das direkte Sonnenlicht für sie schon wieder fast zu viel. Ihre Blätter machen an den Rändern kleine Wellen, als ob sie ihre Oberlippe verächtlich kräuseln würde. Ich werde nun für sie einen neuen, schattigeren Platz in der Wohnung suchen. Nicht, dass sie wegen mir nochmals leiden muss.
Foto: David Clode/Unsplash