Less noise – more conversation.

Special: «Toxic Theology» – Wenn theologische Überzeugungen toxisch wirken…

Das Ausgeglaubt-Special zum Thema «Toxic Church» hat viele Reaktionen und Rückfragen ausgelöst – eine der häufigsten Bitten von euch war, das Thema toxischer Verhältnisse in Kirchen nicht nur strukturell und organisatorisch, sondern auch theologisch zu durchdenken: Gibt es auch so etwas wie eine «Toxic Theology», die mit toxischen Kirchensystemen korreliert? Gibt es theologische Überzeugungen und Lehrinhalte, die besonders anfällig darauf sind, toxische Verhältnisse zu fördern oder von toxischen Leitern instrumentalisiert zu werden? Und dann auch: Gibt es gesunde, heilsame theologische Überzeugungen, der Ausbildung toxischer Verhältnisse vorbeugen?

Manuel und Stephan gehen noch einmal von den verschiedenen Dokumentationen zur Hillsong Church aus und diskutieren Manuels Erfahrungen mit problematischen Lehren in pfingstlich-charismatischen Gemeinden. Im Blick auf die Frage, was denn Alternativen zu performativ-popkulturellen Kirchen wie Hillsong sein könnten, werden sie sich nicht einig – beide sind mit dem Thema aber ganz offensichtlich noch nicht fertig…

Hier noch die drei Merkmale toxischer Theologie, welche Manuel zum Ausgangspunkt der Diskussion vorbringt:

  • Theologie wirkt toxisch, wenn sie dich dazu führt, deinen eigenen Gefühlen strategisch zu misstrauen.
  • Theologie wirkt toxisch, wenn sie dich lehrt, deinem Verstand zu misstrauen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu verdächtigen.
  • Theologie wirkt toxisch, wenn sie dir beibringt, geistlichen Autoritäten kompromisslos zu folgen.

20 Kommentare zu „Special: «Toxic Theology» – Wenn theologische Überzeugungen toxisch wirken…“

  1. Alex aus Cloppenburg

    Ihr Lieben habt euch zum Ende des Podcasts sinngemäß die Frage gestellt: warum überhaupt noch Kirche und Gemeinschaft mit anderen Gläubigen?

    Wenn ich daran glaube, dass es über dieses Leben hinaus „mehr“, d.h. etwas Besseres gibt, meinetwegen einen „Ort“, an dem ich mit mir selber und mit anderen in besonderer Weise verbunden bin. Irgendeine Utopie halt.

    Als Christ warte ich nicht darauf, dass ich irgendwann „in den Himmel“ komme, sondern ich suche diesen besagten Ort schon jetzt. Und den kann ich aus meiner Sicht nur dort finden, wo ich zusammen mit anderen Menschen dieses „mehr“ (meinetwegen Gott) erleben kann.

    Ohne dass man richtig Bock auf den „Himmel“ hat, wird einen auch nichts in die Gemeinde ziehen. Ihr redet manchmal so, als hättet ihr nicht so richtig Bock auf Gott. So kommt es mir zumindest manchmal vor.

    1. Danke lieber Alex für die Rückmeldung!

      Und dochdoch, ich hab schon Bock auf den Himmel, ganz besonders wenn man ihn so versteht, dass er nicht erst anfängt, wenn dieses Leben vorbei ist… Die Frage, welche soziologische, institutionelle, ästhetische Gestalt die Gemeinschaften der «himmlisch-Verbundenen» annimmt, ist damit aber noch nicht geklärt – und das hat uns umgetrieben, auch auf dem Hintergrund unserer reformierten Identität.

      1. Alex aus Cloppenburg

        Eine Gemeinde kann nur die „soziologische, institutionelle und ästhetische Gestalt“ annehmen, die die jeweilige Kultur gerade hergibt.

        So zynisch es auch klingen mag: mehr als Hillsong ist derzeit vielleicht gar nicht drin.

        Trotzdem ist Hillsong bzw. vergleichbare Strömungen in vielen Bereichen ein „Fortschritt“ gegenüber den traditionellen Kirchen. Und für Christen eine Riesenchance, gesellschaftlich weiterhin einigermaßen relevant zu bleiben. Die vielen Skandale gehören zu dieser „Evolution“ dazu.

  2. Manfred Reichelt

    Eine toxische Theologie ist eine Theologie, die das Himmelreich ins Jenseits verlegt, also eine Theologie, die behauptet, wenn wir sterben, werden wir „ewig beim Herrn“ sein.

    Dabei sagt doch das Vaterunser ausdrücklich. „Dein Reich komme [wohin? Natürlich in unsere Herzen, auf die Erde]“ und „Dein Wille geschehen [wie er im Himmel ganz selbstverständlich geschieht] …also auch auf Erden.“ Oder: „Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Luk. 17,21 – Ich bin froh, das begriffen zu haben und in mir so immer mehr das Himmelreich sich verwirklichen konnte, das auch eine immer bessere Außenwirkung hat: https://manfredreichelt.wordpress.com/2018/01/03/erloest-leben/

  3. Hallo,

    ich habe den Podcast nicht gehoert. Mir fallen Gegenbeispiele fuer Eure drei postulierten Merkmale ein:

    a) „Theologie wirkt toxisch, wenn sie dich dazu führt, deinen eigenen Gefühlen strategisch zu misstrauen.“

    Die meisten von uns kennen „eigene Gefuehle“, denen man auch strategisch misstrauen sollte (Bsp: bei Drogen/Alkoholsucht, Verlangen nach sexueller Befriedigung ausserhalb der Ehe, Verlangen durch Unwahrheit Vorteile zu erlangen oder Peinlichkeiten zu vermeiden, Verlangen sich etwas zu nehmen, was einem nicht gehoert. Kurz: die Spannung zwischen was will das „Fleisch“ und was will der „Geist“.
    Die Bibel nennt das „Selbstbeherrschung“, leider heutzutage nicht mehr soo populaer? Heute ist oft „ich will was mir gefaellt, sofort und kostenlos“ dran?

    b) „Theologie wirkt toxisch, wenn sie dich lehrt, deinem Verstand zu misstrauen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu verdächtigen.“

    Aha, warum faellt mir da sofort Corona ein? mit einseitigen „wissenschaftlichen Erkenntnissen“ von wenigen, regierungsnahen Koryphaeen? Waehrend unbequeme „wissenschaftliche Erkenntnisse“ gecancelt wurden?
    So wie ihr es formuliert, waere mein eigener Verstand prinzipiell die hoechste Instanz und nicht die Moeglichkeit, dass es Gott ist – mit absoluten Wahrheiten?
    Wo ist enthalten, dass ich mich irren kann und auch „wissenschaftl. Erkenntnisse“ vorlaeufig sein koennen?

    c) „Theologie wirkt toxisch, wenn sie dir beibringt, geistlichen Autoritäten kompromisslos zu folgen.“

    Prinzipiell wuerde ich zur Zustimmung neigen. Ausnahme: Mit dieser Haltung haette Jesus nie Juenger/Nachfolger rekrutieren koennen, oder? Es haette nur Nikodemusse/reiche Juenglinge gegeben?! Wie ist das heute? Gibts das nicht auch noch?

    Auch hier scheint mir ein offener Rahmen (statt a-c): „Folge dem, was Jesus Christus dir in deiner persoenl. Beziehung sagt, wenn es im Einklang mit der Bibel steht und ggfs im Einklang deiner geistlichen Vorbilder, die du hoeher (oder kompetent) achtest“
    wesentlich umfassender und allgemeingueltiger?

    Oder was meint Ihr?

    LG Joerg

    1. Danke Joerg für deine Gedanken – die meisten deiner Einwände werden im Podcast berücksichtigt. Deine Reformulierung von c) ist mir dann wieder zu individualistisch (ich und mein Jesus und meine Bibel…). Liebe Grüsse! Manuel

  4. Liebe beide,

    herzlichen Dank für diese starke Episode!

    Während die erste Hälfte mit Manus Berichten über eine mir unbekannte Welt in mir am ehesten noch ein gewisses Schaudern hervorrief, machten mich Stephans sehr persönliche Gedanken in der zweiten Hälfte doch auch sehr betroffen, nicht zuletzt, da ich mit vielem mitgehen könnte.

    Ein Grund für den Zustand der Kirche und die offenen Fragen ihrer Zukunft mag darin liegen, dass gerade im Protestantismus die Theologie übermässig vereinfacht und teilweise pervertiert wurde. Im heutigen Kirchenleben wird nicht einmal ansatzweise versucht, ein Gottesbild zu vermitteln, das philosophisch robust ist und auch kritische Denker zu überzeugen vermag.

    Ein tiefes Verständnis für metaphysische Wahrheiten, die gerade im Frühchristentum zum absoluten Selbstverständnis gehörten, ist meines Erachtens ein notwendiges Fundament, um dem Christentum als Kirche eine Zukunft zu ermöglichen.

  5. Danke für die Podcasts! Ich finde sie immer super, und mag das Format, wo ihr quasi aktuelle Dinge kommentiert (seien das nun Podcasts oder Bücher).
    Habt ihr vor, ein „Ausgeglaubt“ zu „the Secrets of Hillsong“ zu machen? Fände ich sehr spannend – ich war selbst am Hillsong College, habe grundsätzlich gute Erfahrungen gemacht, aber auch dort schon Dinge gesehen (wie die blinde Loyalität zu den Leitern), die ich nicht in Ordnung fand. Ausserdem kenne ich einige der Studenten, die in der Doku vorkamen!
    Und Manu: Solche Leute, die mit einem mega Eifer, zu dienen aus dem College zurückkommen, sollten ja eigentlich der feuchte Traum jedes Pastors sein, oder?

  6. Hallo zusammen: wie immer spannend! Die postulierten Merkmale einer Sekte von Georg Schmid wären hier auch hilfreich- die decken sich mit euren Beobachtungen weitgehend!
    Wenn es einen kritischen liberalen Flügel gibt, eine Meinungs- und Glaubensvielfalt herrscht und man gegenüber der Gesellschaft bzw dem Staat Rechenschaft ablegen muss, sollte das vermieden werden- siehe die ref. Landeskirche😁

  7. Nachtrag: Stephan, ich bin voll bei Dir! Deshalb gibt’s für mich als Lösung nur die Landeskirche: hier können wir mit Menschen und für Menschen gemeinsam im Namen von Jesus Christus unterwegs sein- das reicht doch, oder? Und dann gibt’s eure Kirchgemeinde halt irgendwann nicht mehr- so what: jetzt gerade gibt’s sie und es gibt Menschen die sie wollen und brauchen! Das gleiche gilt für die Landeskirche: hier gibts genug zu tun und genug Menschen, die sie wollen und brachen! Let’s go!

  8. Hi, ihr beiden!

    Das mir das nochmal passiert, hätte ich jetzt nicht gedacht, aber ich war richtig, richtig betroffen, als Stephan sagte, dass ihm gar kein „Why“ mehr einfällt, um sich zu treffen und Christsein gemeinsam zu leben. Aber vielleicht hast du nur das „Perfomance-Gedöns“ gemeint, Stephan?

    Ganz ohne Austausch mit anderen, vielleicht auch klein und nicht perfomativ, da würde für mich schon sehr viel fehlen, und ich glaube, den meisten anderen Leuten auch.

    Wobei ich es persönlich auch so kenne, dass ich lange Zeiten alleine mit Gott super zurechtkam und mein Glauben sich von den Zeiten davor (innerhalb des Evangelikalismus) erstmal erholen musste. Ich hatte auch kein Bedürfnis, nach der christlichen Gemeinschaft, die ich so kannte. Und ehrlich gesagt auch nicht, nach liberaler Theologie. Überhaupt nach nichts, was mir erklärte, wie man „richtig glaubt“. Und das tolle Zusammengehörigkeitsgefühl, das ich immer mochte, konnte ich auch nicht mehr ausstehen, weil … genau wie ihr gesagt hat, es werden wunderbare Lieder gesungen und im gleichen Moment werden Leute rausgemobbt oder rausgeschmissen oder „von Diensten freigestellt“, nur weil sie Fragen haben, oder zu einer andern Meinung in einem Teilbereich gekommen sind.

    Aber trotzdem, die Vorstellung, dass es gar kein „Why“ für Gemeinschaften/ Gemeinden mehr gibt, kann ich überhaupt nicht teilen. Da würde neben dem Schrott auch sehr viel Gutes fehlen: Gute Meinungen, echte Freunde, die sich halt auch für Glaubensthemen interessieren, natürlich auch jede Menge grausige Meinungen und schlechte Vorbilder, aus denen man ja auch was lernen kann, Mindestens ein gewisser Grad an Vielfalt, die Bibel und Gott und Jesus zu verstehen. Dann sind da noch die Gegenentwürfe… die würden ja auch wegfallen – die ganze Auseinandersetzung eben.
    Alles zusammen halte ich schon für elementar, und ohne Austausch miteinander, glaube ich, hätte ich das nicht allein aus Büchern lernen können.

    Ich finde die gelebte Präsenz wichtig für Leute, die mit Gott noch nichts zu tun haben, und glaube, die allermeisten davon, lesen eben hauptsächlich diese „Bibel“, also das gelebte Leben der Gläubigen – kaum mal ein theologisches Buch.

    Würde all das, was es jetzt halt gibt, ohne was neues, jetzt komplett wegfallen, würde vermutlich das christliche Leben/ Zeugnis verschwinden.

    Das andere ist, für diejenigen, die gern etwas gemeinsam machen, wäre es traurig…nicht jeder hat das Zeug zum Einsiedler-Christ.

    Also, ich wüsste schon 2 Whys: die Leute, die Gott noch nicht kennen, und die Leute, bei denen Austausch und gemeinsame Erlebnisse dazugehören.

    Ich seh das Problem nicht mal darin, dass es Gruppen gibt, die mal eine Schieflage haben, und viel Wert auf Perfomance legen, sondern toxisch wirds, weil der Glaube nicht als eigenes Zuhören, Ausprobieren, Umsetzen verstanden wird, sondern immerzu in eine feste Form gegossen werden soll, mit vorgegebenem Lebensstil und Meinungen.
    Eine Gemeinde ist nicht frommer als eine Krippe, sie trägt, wenn es gut läuft, das Reich Gottes in sich. Das heißt aber nicht, dass die Krippe das einzig wahre war. Sie war einfach nur ein temporäres „Gefäß“ – und genau so seh ich Gemeinden/ Gemeinschaften. Sie sollen etwas Schutz und Halt geben, für eine gewisse Zeit… vielleicht 300 Jahre oder auch nur mal 3 Jahre oder als Event 3 Stunden. Alles andere ist Größenwahn. Trotzdem ist die Krippe in sich was wert – aber halt nicht diese Überhöhung, dass sie deckungsgleich mit dem Reich Gottes wäre.

    Und da finde ich Potential, sehr toxisch zu sein.

    – die eigene Art zu glauben, also die Gemeindetheologie, ist die einzig wahre Art, Jesus zu erkennen und Christ zu sein.
    – von andersdenkenden Leuten darf und kann man nichts lernen, denn wir haben den Geist Gottes, und die nicht.
    – Es ist keine Entwickung vorgesehen, zumindest wird sie auf eine gewünschte Richtung eingegrenzt (und zwar ziemlich eng). Bibeltreu ist das leider gar nicht, obwohl die Bibeltreue so hoch gehängt wird. Nachfolger, zumindest laut Bibel stellen blöde Fragen, lernen, sind immer mal wieder super unreif, machen grobe Fehler und in den ganzen Evangelien ist das der Normalfall. Ein Carl Lenz würde meiner Meinung nach nicht rausgeschmissen werden, sondern Jesus würde sich mit ihm vermutlich ganz lang und liebevoll unterhalten und ihm einen Weg zeigen.

    Also, ich würde jetzt wirklich hoffen, dass es kirchlicherweise irgendwie weitergeht, nicht nur jeder für sich und auch nicht nur in Bubbles oder Freundeskreisen, sondern offen für alle, auch die Nichtreligiösen und Nicht Vorgebildeten. Dazu brauchts irgendwelche Treffen, denk ich.

    Auf jeden Fall aber wünschte ich mir mehr offene Ränder. Und die Möglichkeit, mehr in der Mitte zu sein und dann wieder mehr am Rand, oder auch „Out of the Box“. Und mehr Gelassenheit und Ehrlichkeit mit eigenen Entwicklungen. Und mehr Vertrauen in einen Heiligen Geist, der ja in Menschen wirkt, und Austausch darüber. Darauf will ich nicht verzichten.

    Und wenn so super Begabungen da sind, auch nicht gleich einen gnadenlosen Erwartungsdruck (die Kehrseite von bedingungsloser Unterordnung ) auf diese Leute legen, dass die es jetzt richten sollen und dann letztlich zu einsamen Übermenschen werden.
    Ich würde jetzt noch das letzte Hossa-Talk Gespräch „Vom Paulus zum Saulus“ empfehlen, da geht es auch um eine superschöne Glaubensentwicklung von jemand, der lange Zeit ein gefeierter „Vorzeigechrist“ war und sich erstmal wieder „detoxen“ musste. Was dabei rauskam ist etwas sehr schönes und heilsames.

    So… bin gespannt auf weitere Diskussionen :).

    1. Toller Input. Die Punkte welche du aufgeführt hast im Bezug auf die potentielle Toxizität finde ich treffend. Mit dem Besprechen des Themas hier auf Reflab entsteht aber Raum um sich diesen Strukturen bewusst zu werden und sich zu verbessern.

      Es wäre schade, wenn es die Möglichkeit des persönlichen und sozialen Austausches in einem kirchlichem Rahmen nicht mehr geben würde…

      Die Herausforderung ist einfach wie das auf einer für alle gesunden und bereichernden Ebene gestaltet werden kann.

      1. Danke lieber Simon für die Rückmeldung – und ja, diese Themen müssen in den Gemeinden offen besprochen und diskutiert werden, da liebt viel Potenzial für Verbesserung, und auch Glaubwürdigkeit…

  9. Ich danke euch für den wertvollen Austausch! Es hat mich „getschuddert“ bei den Ausführungen von Manu über die Person die steberbend im Spital lag und der Tod keinen Raum und das Leiden keine Akzeptanz und Sprache fand.

    Ich habe ein paar Gedanken (aus der Sicht eines Betroffenen und für ein „nicht explizit“ Spirituelles Publikum zum Thema „Akzeptanz von Schmerz und Krankheit“ in einem Video für einen Patientenanlass festegehalten. Das mag die eine oder andere Interessieren.

    https://ooo.mmhmm.app/z_EDOKGVJm32kWG7i8zVdk

  10. Ihr Beiden. Das war für mich die spannendste Episode. Danke für eure Ehrlichkeit und Offenheit. Super, denn so kommen wir voran. Ich kann die Spannungen bei euch Beiden so sehr nachvollziehen, weil ich wie Stephan argumentiere aber aus Manuels Richtung komme. Super, denn es zeigt genau, wo wir als Christenheit gerade bewusstseinstechnisch stehen und neu konstruieren dürfen. Liebe Grüße aus Hamburg.

  11. Danke auch von mir für diese so wichtige, öffentliche Diskussion. Mit einem sehr ehrlichen „open end“. Denn ich glaube, im Aushalten der derzeitigen „Nichtlösung“ liegt im Grunde der Weg. Mich berührt euer Ringen um Antworten. Euer Mut, all diese Fragen offen darzulegen. Die Ernsthaftigkeit dahinter, nach gangbaren neuen Wegen zu suchen.

    Der Begriff „toxisch“, so modern er auch ist, darf wohl sehr genau untersucht werden. Wann genau wird etwas toxisch? Welche Strukturen begünstigen geistlichen oder sonstigen Missbrauch? Welches Gedankengut oder welche Lehre schadet am Ende Menschen bzw. ist in sich toxisch? Warum brauchen ausgerechnet Christen, aber auch andere Gläubige regelrecht so ein Gut-Böse-Denken, welches so verbreitet ist besonders in fundamentalistischen Kreisen? Warum gibt genau dies offenbar so vielen Menschen Halt und Orientierung? Warum scheint es so vielen völlig egal, dass ihrem Glauben nach die Mehrheit der Menschen in der Vernichtung oder Hölle landet? Und ja, das ist in der Tat ziemlich unerträglich.

    Für mich persönlich ist derzeit der Weg, es auszuhalten, mal keiner Gemeinde im klassischen Sinn anzugehören. Sondern eine innere geistige Gemeinschaft zu suchen, mit Menschen, die den Mut haben, all diese unsäglichen Strukturen zu hinterfragen. Und ich bin sehr dankbar über solche Podcasts, Vorträge und Webseiten anderer Christen. Veranstaltungen, auf denen Austausch möglich ist und sich kleine Gemeinschaften bilden. Und doch schätze ich ebenso den Weg anderer, innerhalb von Gemeinde oder Kirche an Veränderungen zu arbeiten.

    Da gibt es wohl kein falsch oder richtig. Nur eine eigene Entscheidung. Lernen aus der Geschichte dürfen wir alle. Und da gilt es sehr vorsichtig zu sein, neue kirchliche Strukturen aufzubauen. Sie scheitern, wie wir mehr als genug sehen, immer wieder, am „Bodenpersonal“ Gottes. Vielleicht gut so. Vielleicht hält genau das uns in der notwendigen Demut.

    Vielleicht fängt ein neuer Weg damit an, sich eben dieser eigenen Unzulänglichkeit immer wieder bewusst zu sein.
    Sehr ehrlich bei sich selbst anzufangen. Dem Aufarbeiten der eigenen Geschichte. Mir scheint, dass dem noch immer viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Erst einmal geht es Gott doch um jeden einzelnen. Wenn es um Befreiung und Erlösung geht, dann fängt das bei mir selbst an. Wenn ich diese wirklich erfahre, dann ehrlich, kann ich keinen anderen mehr woanders sehen, als genau da, wo ich bin. In der Liebe Gottes.

    Da haben ja grade wir als Christen alleine schon mit dem Gebot der Liebe, mit dem Auftrag zu vergeben, oder der Feindesliebe genug zu tun. Naja, das meinte wohl Jesus Christus, wenn er sagte, der Weg zum Himmelreich ist nicht grade bequem;). Und ich bin ebenso der Meinung, der Himmel ist nicht irgendwo, die Vertröstung auf irgendwann, sondern will schon auch hier auf die Erde kommen…“Wie im Himmel, so auf Erden“.

    Schön für mich ist es zu sehen, nicht alleine zu sein, mit den gleichen Fragen, wie ihr sie stellt. Und vielleicht entsteht alleine dadurch auch schon eine Art neue „Kirche“. Ohne äußere Strukturen, sondern die geprägt ist von Christen mit brennendem Herzen für Gott und dem unermüdlichen Ringen nach mehr Weite, der Wahrheit und der Liebe. Nehmen wir das Hohelied der Liebe als Meßlatte dafür, müssen wir uns alle eingestehen, dass unser Wissen sowieso nur bruchstückhaft bleiben wird. Das Ringen darum ist wohl das Einzige, was uns bleibt.

    Ohne Frage jedoch beinhaltet es das schmerzhafte Bewusstwerden und Aufdecken all der bestehenden missbräuchlichen Strukturen. Nicht um Stehenzubleiben in Anklage oder Verurteilung. Sondern um einen Raum zu schaffen, in dem all diese ehrlichen Fragen erlaubt sind. Ohne dem Schaffen neuer Abhängigkeiten, oder dem Aufbau neuer „Gurus“ am Christenhimmel oder vermeintlich DER neuen Kirche. Wenn alleine das gelingt, und dafür trägt jeder einzelne die Verantwortung, sind wir sicherlich schon ein Stück weiter.
    Schön, dass ihr genau das tut. Denn darin, wie auch in den Kommentaren hier ist überall ein Stückchen zu finden von möglichen Antworten. Ohne gleich DIE Antwort parat zu haben.

    Letztendlich dürfen wir Gott vertrauen. ER hat auch all unser Ringen in seinen Händen. Und ER wirkt und bewirkt so Manches, was uns derzeit unmöglich erscheint. Auf alle Fälle kommt vieles an Licht. Und das ist gut so.

  12. Wenn man die Antwort auf eine wichtige Frage versucht zuende zu denken, wie ihr das jedes mal macht, muss man sich oft genug damit zufrieden geben, dass man auf viele Fragen keine logische Antwort finden kann, wenn man ehrlich unterwegs ist.

    Ist der Glaube an Gott – bzw. Religion überhaupt- nicht gerade auch dafür da, mit schwer beantwortbaren, aber wichtigen Fragen trotzdem umgehen und miteinander leben zu können?
    Wollen und können Gott bzw. Religion nicht auch erst dann ins Spiel gebracht werden, wenn man etwas gründlich zuende gedacht hat?

    Auch ich habe das Feuer religiöser Begeisterung in meiner Kindheit und auch noch im jungen Erwachsenenalter erlebt und sehne mich immer noch heimlich danach zurück, vielleicht wie du Manu, weil ich vielleicht erst dadurch eine lebeswichtige Selbstbestätigung bekommen konnte, was ich von meiner Familie und auch sonst nirgendwoher bekommen konnte, um dann so mit schwierigen Lebenssituationen und Entwicklungen zurechtzukommen.
    An meinen Kindern, die agnostisch unterwegs sind, muss ich aber feststellen, dass das ein jeder Mensch sehr wahrscheinlich doch nicht so braucht, wenn man Menschen um sich hat, die an einen glauben und für einen da sind.
    Das ist das eine.

    Das andere ist die Frage, wie geht es mit dem lieben Gott und dem Glauben an ihn dann weiter, wenn es keine Institution mehr gibt, die ihn weiterträgt, die für dich Stefan, wie auch für mich irgendwie abhandengekommen ist und irgendwie überflüssig geworden zu sein scheint.

    ER war und ist für mich auch ein entscheidender Impulsgeber, meiner ethischen Verantwortung im Leben und Beruf bestmöglich gerecht zu werden, und ER ist für mich ein unverzichtbarer Impulsgeber zur Barmherzigkeit.
    ER ist für mich auch eine entscheidend wichtige Kraft, die Menschen zu einem gedeihlichen inneren Zusammenhalt über Unterschiede und Interessen hinweg verhelfen kann, auf die zu verzichten, es mir sehr schwerfallen würde, weil man auch ohne intellektuelle Verrenkungen mit IHM etwas anfangen und ein Miteinander gestalten kann, was ich immer noch meine.

    Ich bin als praktizierender Arzt bewusst fürsorglich – vielleicht darf ich jetzt auch einmal sagen – bewusst diakonisch unterwegs. Natürlich bekomme ich Geld dafür. Aber man kann das so und so machen, ohne jetzt ein Feuerwerk des Eigenlobs über mir hochgehen lassen zu wollen- vielleicht stimmt das auch gar nicht, für wie barmherzig ich mich in meiner Berufsausübung halte!

    Als Arzt zu „missionieren“ geht natürlich gar nicht! Missionieren in der Weise, Menschen zu Gott bringen oder gar Gotteskinder aus ihnen zu machen, geht erst Recht nicht und ist außerdem übergriffig gegen Gott!
    In den Gesprächen mit meinen Patienten geht es um alles mögliche und, wenn es sich ergibt, auch um Gott und Religion. Dabei ist mir schon mancher Kronleuchter aufgegangen und das, was manche Patienten dazu sagen, tut mir selber auch immer wieder gut.
    Ob diese Art der Verkündigung der “guten Botschaft“ reicht, damit es weiterhin „Gott gibt“?
    Ich weiß das nicht immer und bin mit mir darüber schon ein bisschen arg unzufrieden geworden.

    Ich persönlich habe aber keine andere Möglichkeit mehr „meinen Glauben“ an Gott als so zu leben und zu verkündigen- nein weiterzusagen.
    Ich habe auch keine Gemeinschaft mehr, weil ich durch verschiedene üble Erfahrungen mein Vertrauen in christliche Institutionen völlig kaputt gegangen ist. Das resultiert aus ähnlichen Erfahrungen, die ich für mein Glaubensleben machen musste und euren Analysen entsprechen: autoritäre Hierarchie von Gott gegebener Amtsträger, Problematisieren von Verstand und Gefühlen durch die Inhaber göttlicher Wahrheiten und wegen einer mit Opportunismus gepaarten hochmütigen Frömmigkeit von in meiner ehemaligen Gemeinde und Gemeinschaft Maßgeblichen und der diese kirchliche Gemeinschaft irgendwie bestimmenden Familien.

    Aber nun ganz alleine, nur mit meinem Gottvertrauen meinen Glauben leben und mein Leben mit Gott nur noch mit mir selber ausmachen, was ich nun schon seit 5 Jahre versuche, fällt mir doch schwerer als ich mir das anfangs gedacht habe und ist wahrscheinlich auch nicht richtig.
    Wollte Jesus uns Menschen nicht zusammenbringen und versammeln? Hat er nicht vor dem Zerstreuen gewarnt?
    Deswegen höre ich euch so gerne zu.

    Aber euch scheint es ähnlich und nicht viel besser als mir zu gehen?

    Danke für eure Analysen und euer Verständnis, sie haben trotzdem gutgetan!

    Liebe Grüße Erich

  13. Übrigens, sola dosis facit venenum! Soll Paracelsius einmal gesagt haben. Die Dosis macht also das Gift! Oder auf das Thema bezogen, Einseitigkeit, vom einen zu viel und vom andern zu wenig, fehlende Gegengewichte usw. macht etwas toxisch. Das war ja eine Quintessenz eurer Schlussfolgerungen!

    1. Mit dieser Podcastfolge schließt sich der Kreis. Es klingt kurios, aber 1991, also vor mehr als 30 Jahren hielt Roman Siewert, ehemals auch Präses des Bundes freikirchlicher Pfingstgemeinden eine Predigtreihe mit ähnlichen Themen. Ich war dabei, habe das Ausmaß des Gesagten aber erst Jahrzehnte später begriffen. Er wendet sich gegen eine Einseitigkeit (@Erich Bärlin!) bei der Jesus immer nur der Sieger ist. Dieser Triumphalismus sieht Gefühle, Verstand und Erfahrungen positiv – aber nur, wenn die Gedanken „gefangen genommen“ werden (unbeachtlich des Kontextes 2. Korintherbrief 10). Zweifel, Ängste und alles Negative dürfen nicht sein. Sie müssen weggebetet werden, hier muss wiederstanden werden, man darf es nicht aussprechen, man muss an der Berufung und an den Verheißungen festhalten. Das geht nur durch Verdrängung, die die Realität des Lebens nicht akzeptieren will – und vielleicht früher oder später daran scheitern wird. Oder man geht mit diesem aus meiner Sicht falschen Glauben ins Grab. Mich macht es traurig, weil ich den Eindruck habe, dass die Rufer in der Wüste wenig Gehör finden. Ist der Generation Lobpreis das Wohlgefühl wichtiger als eine heilsame Theologie, ein wirklich tragfähiger Glaube?

      1. Lieber Thorsten, vielen herzlichen Dank für deine ermutigende und nachdenkliche Rückmeldung und deine eigenen Gedanken aus pfingstlicher Perspektive!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox

RefLab-Newsletter
Podcasts, Blogs und Videos, alle 2 Wochen
Blog-Updates
nur Blogartikel, alle 2 bis 3 Tage