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Himmlisches Zeugs: Aschenbrödel in den Alpen

Einsam und zerknautscht liegen sie manchmal am Strassenrand, wie Abfall: verlorene Schuhe. Sie sind etwas eklig, aber irgendwie auch mysteriös, denn: Wie kann man bloss einen einzelnen Schuh verlieren, ausser, man heisst Aschenbrödel?

Tanzschuhe aus Glas wären mir herzlich egal. Ich bin auch nicht süchtig nach Sneakers wie mein RefLab-Kollege Manuel Schmid. Und High Heels besitze ich zwar einige, ziehe sie aber äusserst selten an. Stattdessen sind meine Lieblingsschuhe gute, stabile Wanderschuhe.

Besser gesagt, sie waren es, bis ich einen davon verloren habe.

Eine Liebesgeschichte mit tragischem Ende

Vom ersten Moment an hatte ich sie geliebt. Sie waren unglaublich bequem und unkompliziert. Mit ihnen habe ich Hunderte von Kilometern zurückgelegt: vom Sihlsee an den Vierwaldstättersee, von Flüelen nach Flims, von Rapperswil bis zum Gotthardpass. Meine Wanderschuhe bedeuteten Freiheit, Unbeschwertheit, Mut und Sicherheit. Nur ein einziges Mal hatte ich darin eine Blase, als ich nach einem Bad in der Maggia mit noch etwas nassen Zehen weitergewandert bin.

Neben dem grossen Trekkingrucksack waren meine Wanderschuhe mein emotional wertvollster Besitz.

Ihr dunkelbraunes Leder und das klassische Design gefielen mir wunderbar, und jedes Jahr setzte ich mich an einem Nachmittag auf der Terrasse damit in die Sonne und pflegte die Schuhe hingebungsvoll mit Reinigungs- und Imprägniercrèmes.

Eines schönen Spätsommermorgens in den Dolomiten fehlte plötzlich einer der beiden Schuhe. Auf dem Parkplatz vor einem Klettersteig schlüpfte ich aus den Flipflops und wollte in die Wanderschuhe wechseln. Doch einer blieb unauffindbar, auch nachdem das ganze Road-Trip-Inventar des Autos – Zelt, Schlafsäcke, Essen, Jacken, Klettersachen – ausgeräumt war.

„Ich verliere doch nicht einfach einen Schuh“, dachte ich.

Doch nach einer Stunde Autofahrt über geschlängelte Passstrassen mit Suche erst am Übernachtungsort, dann am Picknickplatz des vergangenen Tages, musste ich resignieren. Vermutlich war der Schuh unbemerkt aus der offenen Seitentür gepurzelt, als ich bei einem Zwischenhalt eine Wasserflasche rausholte.

Neue Schuhe, neues Glück?

Ich vergoss ein paar Tränen über den vergeudeten Tag und den verlorenen Schuh. Und da man für Outdoorferien in den Bergen nun mal Wanderschuhe braucht, führte mich mein Weg kurz vor Mittag des gleichen Tages in eines der vielen Sportgeschäfte von Canazei. Dort kaufte ich ein Paar der selben Marke – leider in Schwarz statt Braun – und entsorgte schweren Herzens den verbliebenen Lieblingsschuh.

Die neuen Schuhe knotete ich sofort an den Schnürsenkeln zusammen. Das tue ich jetzt immer, wenn ich sie nicht trage. Sogar, wenn ich sie nur in den Schrank stelle.

Sie waren schnell eingelaufen und genauso bequem wie die alten. Problemlos schaffte ich mit ihnen ein paar Tage später eine 25-km-Wanderung um die berühmten „Drei Zinnen“. Doch die innige emotionale Bindung, die ich zum Vorgängermodell hatte, fehlt.

Vielleicht braucht es dazu noch ein paar Hundert Kilometer.

 

Das Foto zu diesem Artikel entstand auf dem Urnerboden, während einer fünftägigen Solo-Wanderung von Flüelen nach Flims. 

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