Anfang Juli zerbrach eine langjährige Beziehung. Da der damalige Freund und ich geplant hatten, dass wir im Sommer zusammenziehen würden, musste ich nicht nur mit einem gebrochenen Herzen klarkommen, sondern auch mit einer leeren Wohnung.
Mit knapp 28 und einer Katze dachte ich, dass es echt nicht mehr schlimmer kommen konnte und ich kurz vor einem Crazy-Cat-Lady-Debakel stand. Aber nach neun Jahren WG und sieben verschiedenen Mitbewohner:innen-Konstellationen mochte ich nicht in eine WG ziehen, nur um physisch nicht alleine zu sein. Und das Alleinewohnen hatte den oberflächlichen, aber sehr schönen Vorteil, dass ich die Wohnung einrichten durfte, wie ich wollte.
IKEA-Lösung
In meinem Freund:innenkreis gibt es den Witz, dass sich die Zukunft eines Paares daran entscheidet, ob es gemeinsam ein Ikea-Möbel aufbauen kann. Welche grössere Feuertaufe, um mein Single-Sein zu manifestieren gab es also, als alleine zu Ikea zu fahren und alleine einen neuen Bürotisch zusammenzubauen? Was würde es über meine Zukunft sagen, wenn ich es schaffen würde?
Die Theorie klang grossartig.
Ich umging die Bettenabteilung mit den kuschelnden Pärchen und meisterte es, die Plant-Balls im Restaurant alleine zu geniessen. Bis ich in der Möbelhalle stand und 22kg Tisch alleine mit dem ÖV hätte transportieren sollte.
Ich habe keinen Führerschein, unsere Familie hat noch nie ein Auto besessen und meine Muskeln reichten alleine definitiv nicht aus. Mein Bruder hatte keine Lust zu helfen, und eine Freundin, die in der Nähe wohnte, erreichte ich nicht.
Rollende Lösung
Also musste ich das Ding alleine Nachhause kriegen. Ich fragte einen Mitarbeiter, welche Möglichkeiten es gäbe. Eine Lieferung nach Hause koste 50 Franken, das lohne sich bei dem Tisch nicht, meinte er. Innerlich sah ich den feministischen Single-Akt zerfliessen. Aber der Mitarbeiter war noch nicht fertig. „Ich würde Ihnen raten“, fuhr er fort, „dass Sie sich dort vorne ein kleines Lastenwägeli kaufen.“ Er deutete auf den Bereich rechts vor der Kasse. „Damit gehen Sie zum Kundenschalter, lassen sich Packband geben, befestigen die Schachteln am Wägeli und fahren so nach Hause.“
Klar erstand ich das Lastenwägeli für 11.95 Franken. Ich brachte den Tisch nach Hause und baute ihn mit einem Glas Rotwein auf.
Doch überraschenderweise war es nicht der Akt des Tischaufbauens, der mir einen Selbstbewusstseins-Boost gab: Es war das Erlebnis, den Tisch alleine mit dem Lastenwägeli nach Hause gezogen zu haben.
Banale Lösung
Von aussen sieht das Lastenwägeli nicht nach viel aus. Dürftig zusammengeschweisste, blau angesprühte Metallstangen, das gelbe IKEA-Logo in der Mitte. Elegant kurvt man damit nicht durch die Gegend. Eine Federung fehlt und beladen zieht man es am besten geradeaus, ohne allzu viele Höhendifferenzen zu überbrücken.
Der einzige Luxus besteht in einem Metallstück, das einen Abstand zwischen den Kisten und dem Ziehgriff schafft, sodass man problemlos grosse Kartonschachteln transportieren kann.
Aber es funktioniert. Funktioniert sogar sehr gut.
In den Folgewochen holte ich eine Siebträgerkaffeemaschine und eine Espressomühle in einem Dorf im Rheintal ab, weitere Ikea-Besuche folgten. Ich hievte das Wägeli über Bordstein- und Buskanten, zog es durch Bahnhof und Regen.
Ausschliesslich Männer konnten kaum mit ansehen, wenn ich als Frau alleine grössere Kisten transportierte.
Sie wollten helfen oder fragten: „Haben Sie keinen Partner?“ Ich wusste nicht, ob ich ihre Hilfsbereitschaft herzig finden oder mich ärgern sollte, weil sie nicht glaubten, dass Frauen das alleine hinbekamen.
Starke Lösung
Das Lastenwägeli zeigte doch gerade, dass ich es schaffte. Es nährte in mir den Glauben, dass ich nicht nur schwere Kisten von A nach B transportieren konnte, sondern das Leben souverän bewältigte – und das alleine.
Auch wenn es so etwas Banales war wie meine Inneneinrichtung, die ich gestaltete, war es für mich Sinnbild und Erinnerung, dass ich mein Leben in die Hand nahm, stark war und nichts mich unterkriegen konnte. Keine Bordsteinkante, keine Trennung. Schritt für Schritt.
Daher musste ich lächeln, als ich kürzlich in der Tram sass und eine junge Frau alleine mit einem blauen IKEA-Lastenwägeli zur Haltestelle laufen sah. Keine Ahnung, wohin sie ging. Ob sie alleine unterwegs war oder Freundinnen treffen würde. Ob sie in einer WG, mit ihrer Freundin oder einem Ehemann zusammenlebte. Was sie mit dem Lastenwägeli transportieren würde. Aber es war schön zu wissen, dass ich nicht alleine war.