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Himmlisches Zeugs: Regenschirme

Natürlich war mein erster Regenschirm sehr viel mehr als ein Regenschirm. Es war eine Auszeichnung, ein Adelsattribut. Ich wurde für gross genug erachtet, um einen eigenen Regenschirm zu tragen. Mit meinem kirschroten Kinderschirm lief ich feierlich hinter meiner Mutter her.

Das Aufspannen des Regenschirms erschien mir als ein hoch bedeutsamer, fast heiliger Akt. Wie sich mittels des Verschiebens eines Knaufs ein Geflecht aus Metallstäben auseinander- und der Schirm aufspannte, war für mich als Kind ein zu komplexer Vorgang, als dass ich ihn hätte begreifen können.

Natürlich liess ich es mir nicht nehmen, den Schirm öfter hintereinander zu entfalten und zusammenzulegen, als für seine sensible Mechanik günstig war.

Es ist nicht so, dass ich unbedingt einen eigenen Schirm gebraucht hätte. Regen machte mir nichts aus, im Gegenteil: Ich war, wie man so schön sagt, «nicht aus Zucker» und lief liebend gern in den strömenden Regen hinaus, vor allem im Sommer, und hüpfte in Pfützen. Aber der Schirm führte mich ein Stück weit in die Erwachsenenwelt ein und das war auch anziehend.

Rituale des Erwachsenwerdens

Ich übte das Ritual des energischen Schirmausschüttelns vor dem Betreten des Hauses, damit möglichst wenig Regentropfen hängen bleiben. Der Schirm blieb aufgespannt im Vorzimmer, um zu trocknen. Manchmal vergass ich es und liess den nassen Schirm unbedacht in einer Ecke gammeln.

Wenn ich mit dem Regenschirm unterwegs war, gefiel mir die Verwandlung der Welt. Durch den roten Stoff fiel das Licht wie durch einen Filter und verwandelte den Raum unterhalb des Schirms in eine warme Lichtglocke. Es war ein neues, wunderbares Gefühl mit einem lichtvollen, beweglichen Zelt durch die Welt zu wandeln.

Mein Blick als Kind war oft nach oben gerichtet, auf das Schirmdach, auf das Prasseln und Spritzen der Regentropfen. Interessant war es, vom Schirm beschirmt zu werden und abgeschirmt vom Wetter dieses nah, aber nicht hautnah zu erleben. Später habe ich mir einen geradeaus schauenden Blick angewöhnt.

Gut beschirmt

Seit meiner Kinderzeit habe ich viele Regenschirme getragen. Ich kann mich kaum noch an einzelne erinnern. Es gab Phasen, da waren meine Schirme schwarz oder grau, dann wieder bunt, gestreift oder getigert. Ich hatte auch schwere Omaschirme mit Horngriffen, die man in geschlossenem Zustand wie Spazierstöcke trägt, aber der sogenannte Knirps für die Handtasche ist mir lieber.

Nach mehreren Hitzesommern sind Regenschirme für mich nostalgische Objekte geworden. Sie erzählen von ausbleibendem Regen.

Als ein sogenannter «Jetstream» einen Sommer lang ein Dauerhochdruckgebiet über Europa praktisch an den Himmel nagelte, gewöhnte ich mir ab, automatisch einen Regenschirm in die Handtasche zu stecken.

Ein Bekannter aus dem Mittleren Osten erzählte, für ihn sei in Regenschirmen die Sehnsucht nach Europa eingeschlossen. Regen in London, Regen in Paris, das habe er in unzähligen Filmen gesehen, bevor er nach Europa gekommen sei. Inzwischen lebt er seit Jahren in Frankreich und ist Regenschirmsammler, ja Schirmfetischist, weil die Objekte für ihn mit einer imaginären Qualität belegt sind, die keine Realität einzuholen vermag.

Ein geblümter Regenschirm

Überraschend viele Regenschirme haben sich im Laufe der Jahre von mir getrennt. Sie haben die Angewohnheit, mich eine Weile zu begleiten, wie zugelaufene Tiere, und sich dann wieder zu absentieren. Wie Lebensabschnittspartner.

Ein Kinderbuch, das ich bis heute aufgehoben habe, handelte von einem geblümten Regenschirm. Eine alte Dame mit grauem Haar und Knotenfrisur beugt sich zu einem kleinen Mädchen herab und schenkt ihm den geblümten Regenschirm. Das Mädchen ist überglücklich und erlebt viele Abenteuer.

Am Schluss des kleinen Büchleins ist das Mädchen eine alte Dame geworden und schenkt den geblümten Regenschirm einem kleinen Mädchen. Die Bildergeschichte hat mich als Kind nachdenklich gemacht. Es liegen nur wenige Seiten zwischen Kindheit und Altsein. Der herrlich geblümte Regenschirm aber bleibt immer derselbe. Irgendwie tröstlich.

 

Photo by Janine Robinson on Unsplash

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