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Geschenke und Schuldbegleichungsmittel

Der Onlinehandel wirbt mit „Geschenkideen“ (tiefer Preis – rascher Versand), dem „perfekten Geschenk“, bietet Kauf auf Rechnung an und zeigt mir „Weihnachtsgeschenke mit Wert“ (mit sozialem Nutzen). Die Supermärkte erfinden eigene Weihnachtskreaturen und Geschichten: Nevi, das letzte Schneemonster – „Magie entsteht, wenn wir füreinander da sind. Coop – für mich und dich.“,  Beat, der Weihnachtsengel-Papa „Tragen wir Sorge zueinander. Migros – Einfach gut leben.“, Kai Karotte „Geniesse Weihnachten besonders. Auch in diesem Jahr. Mit Aldi“.

Tauschwirtschaft

Ich habe aber kein Problem damit. Ich liebe die Coca Cola X-mas-Trucks, die Weihnachtsdeko in den Geschäften und das ungebrochene Verhältnis zu Kitsch in der Weihnachtswerbung. Das ist alles viel sinnlicher als „Black Friday“ und weniger nervig als die Fitnessstudio-Werbungen nach Silvester. Kurzum:

Mein Problem ist nicht der Kapitalismus, sondern die Tauschwirtschaft.

Die Tauschwirtschaft macht Weihnachten zu einem Beziehungstest für Menschen und einem sicheren Geschäft für den Handel. Als Kind war ich davon ausgenommen und gleichzeitig begünstigt: Ich erhielt sehr viele Geschenke und konnte meinen Paten, Grosseltern und Eltern genau das schenken, was ich wollte. Die Erwartungen waren gering. Heute muss der Geschenke-Einkauf so sorgfältig geplant, wie eine schwierige Bergtour und von diplomatischen Rahmenverhandlungen begleitet werden, die einen unmittelbar an den Nahen Osten erinnern.

Vertragsverhältnisse über Kinder

Kinder, die noch nicht einmal schreiben und knapp sprechen können, fabrizieren mit Hilfe von Katalog-Stickern Geschenklisten, die ihre Eltern dann mit den Budgets derjenigen koordinieren, die durch Verwandtschaft, Patenschaft oder auch nur durch Freundschaft mit ihnen zu Verpflichteten geworden sind. Für grössere Wünsche kumulieren sie die Obligationen mehrerer Schuldner*innen. In solchen Fällen bestellen sie das „Geschenk“ oft selbst und stellen Rechnung.

Daneben gibt es weitere Schuldner, mit denen aber eine losere Vertragsbeziehung besteht: Sie sind moralisch verpflichtet etwas zu schenken, müssen sich dabei aber nicht an einem bestimmten Wunschkatalog orientieren. Man kennt das von Hochzeiten: Es sind die Überraschungseier, die einen kein Geld schenken und auch nicht aus der mühsam angelegten Geschenkliste auswählen, sondern irgend etwas mitbringen. Manchmal wird das fantastisch. Oft kommt es in die Geschenktruhe, aus der man ähnliche Verpflichtungsverhältnisse bedient. Mitglieder aus der Gruppe von freien Schuldnern können leicht in die Gruppe der spezifisch Verpflichteten abdriften. Zum Beispiel, indem sie sich fahrlässig offen nach den Geschenkwünschen erkundigen.

Erwachsen heisst nicht vernünftig

Auch erwachsene Menschen können miteinander in solche Tauschverpflichtungen geraten. Sie orientieren sich dann meistens am Geschenk, das sie letztes Jahr von ihrem Freund, ihrer Partnerin, ihrem Arbeitskollegen oder ihrer Liebhaberin erhalten haben. Jährlich retten auf diese Weise Freundschaftsverhältnisse den Büchermarkt, Partnerschaften die Gastronomie (Gutscheine), Sex-Toy- oder  Uhren-Industrie, Arbeitskolleg*innen den Spirituosen- und Handcreme-Markt. (Affären pausieren an Weihnachten, ausser sie sind innerfamiliär. Aber klar: Es geht um Unterwäsche, Blumen und Hotelübernachtungen. Und kurz vor Ende auch um Pralinen.)

Erwachsene denken sich untereinander auch ökonomisch risikoärmere Varianten aus: Das Wichteln. Statt der Schwägerin, dem Bruder, den Eltern, Tanten und Onkeln allen etwas zu schenken, wird jedem einzeln ein*e Empfänger*in und Beschenker*in zugewiesen. Die Geschenke werden dadurch nicht origineller, aber die Ausgaben pro Kopf sinken. Allerdings auch die Erwartungen und die Freude, wenn man merkt, dass es ausgerechnet Onkel Ralf ist, der einen als einziger beschenkt.

Back to the Roots

„Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen, für alles andere gibt es Master Card.“ Dieser geniale Slogan ist nur zur Hälfte wahr. Er gaukelt vor, dass nur das Ereignis, das Beziehungshafte nicht käuflich sei. Das Geschenk wird aber nicht durch seine Käuflichkeit entwertet. Ein gekauftes Geschenk kann genau so gut sein, wie ein selbstfabriziertes. (Es ist in Wahrheit meistens besser!) Das Geschenk wird durch die Beziehungsform des Tauschhandelns, die Mentalität der Pflichterfüllung und den Anspruch der zu Beschenkenden zu einem Schuldbegleichungsmittel.

Die drei Weisen aus dem Morgenland haben dem Christkind nicht Gold, Weihrauch und Myrrhe gebracht, weil es besonders praktisch war oder sich die Eltern das gewünscht hatten. Sie haben das gebracht, was ihre Beziehung treffend ausdrückt: Es hat ihnen viel bedeutet, es war ihnen von grossem Wert, dass das Kind geboren wurde. Der Neugeborene ist für sie ein König.

Geschenke kann man kaufen. Sie werden dadurch zu Geschenken, dass sie eine Beziehung ausdrücken, bereichern und festigen. Für alles andere gibt es das Obligationenrecht.

Photo by Edgar Soto on Unsplash

 

2 Kommentare zu „Geschenke und Schuldbegleichungsmittel“

  1. Danke für den Beitrag. Ich bin auch nicht für die Tauschvariante. Wir üben siet ein paar Jahren die“Risikoärmere Wichtelvariante“ und sind vollends glücklich damit. Die Spannung ist jedesmal gross, wer einem etwas schent. Bis jetzt hatten die Geschenke auch Bezhiehungscharakter.

  2. Mir fehlt an der Analyse zu den Weihnachtsgeschenken ein wesentlicher Sachverhalt, nämlich, dass das „Ereignis Bethlehem“ der Nullpunkt unseres Kalenders ist.
    In Konsequenz dieser Lücke empfinde ich es noch bekloppter als die beklagenswerte Kommerzialisierung per Geschenke-Karussell, dass in unseren aufgeklärten Kreisen eine Woche später das neue Jahr mit Krach und Feuerwerks-Spektakel willkommen geheißen wird.

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