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 Lesedauer: 3 Minuten

Planet A: Die Klimakolumne. Ein Beichtstuhl auf Rädern

In den Beichtstuhl gezerrt

Als Pfarrerin erlebe ich es nur selten, dass mir jemand seine Sünden beichten möchte. Als klimabewusste Person hingegen werde ich ständig ungefragt in den Beichtstuhl gezerrt.

Im Bus treffe ich einen Bekannten, der mir begeistert von seinen Ferien in New York erzählt. Schnell möchte ich zu einem anderen Thema übergehen, doch seine hängenden Schultern verraten mir, dass ich zu spät bin. Er hat sich bereits in den Beichtstuhl gesetzt. Schuldbewusst blickt er zu Boden und runzelt die Stirn: «Ja, ich weiss, fliegen ist nicht so toll fürs Klima…»

Er wartet. Das ausstehende «Aber» hängt in der Luft. Offenbar hofft er, dass ich es ausspreche. «Aber manchmal braucht es einfach einen Tapetenwechsel.» «Aber die Flugbegleiter:innen müssen ja auch von etwas leben.» Aber ich schweige. Die Pause dehnt sich immer weiter aus. Die Augenbrauen meines Bekannten bewegen sich erwartungsvoll nach oben und verlangen von mir, sein schlechtes Gewissens zum Schweigen zu bringen: «Sprich mich doch wenigstens von meiner Sünde frei, wenn du mir schon keine Ausrede lieferst!»

Soll ich ihn freisprechen?

Gegen meinen Willen wurde ich zur Richterin über seine Taten. Wie soll ich diese Macht nutzen? Ich könnte mit pastoraler Feierlichkeit sagen: «Um Vergebung zu erhalten, musst du dreimal zum Klimastreik und zehnmal den Demospruch ‹Unsere Zukunft› runterbeten.» Doch dafür fühle ich mich zu reformiert. Wie wäre es mit einem schulterzuckenden: «Du wirst selbst die Konsequenzen spüren, wenn du auf einem zerstörten Planeten versuchst zu überleben.» Doch dafür glaube ich zu wenig ans Karma.

Ich könnte ihn auch einfach von seiner Schuld befreien mit einem «Ego te absolvo» – lateinisch für «shit happens»: Wir alle sind nur fehlbare Menschen und darauf angewiesen, dass uns jemand vergibt. Doch wer bin ich, um Flugsünden zu vergeben? Diese Autorität liegt bei den Pakistaner:innen, die gerade zwischen den Trümmern ihrer überschwemmten Häuser stehen.

Unser Planet braucht keine Zeigefinger

Mir fällt ein, was Jesus einst sagte, als ihm eine wütende Meute den richterlichen Hammer in die Hand drückte und er über eine Ehebrecherin urteilen sollte. Wenn Jesus jemanden freigesprochen hat, dann hat diese Person meist ihr Verhalten gebessert. Das ist es, was unser Planet braucht! Keine Zeigefinger und Richterhämmer, sondern veränderte Herzen.

Ich räuspere mich und sage: «Ich verurteile dich nicht. Geh und sündige hinfort nicht mehr.» [1] Blaue Augen schauen mich verwirrt an. Ich meine mich zu erinnern, dass mein Bekannter keine blauen Augen hatte. Ebenso hatte er weniger Falten und trug keinen roten Lippenstift. «Wie bitte?» fragt die ältere Dame, die neben mir sitzt. Offenbar hat mein Bekannter die Stille nicht länger ausgehalten und ist ausgestiegen. Ich stammle eine Entschuldigung. «Keine Ursache», antwortet die Dame freundlich. «Wenn wir uns schon so nett unterhalten – könnten Sie mir später helfen, meinen Koffer aus dem Bus zu tragen? Wissen Sie, ich fliege nach Kapstadt in die Ferien.»

[1] Johannes 8, 11

Grafik: Rodja Galli

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