Es war einmal ein Rabbi, ein jüdischer Lehrer. Seine Schüler wollten nicht, dass er weiterhin schwere Lasten tragen muss, also gingen sie und kauften ihm einen Esel.
Als sie mit dem Esel zurückkamen, sahen sie, dass dieser eine Schnur mit einer Perle um den Hals trug. Sie freuten sich, denn die Perle war so wertvoll, dass der Rabbi nie mehr Geld verdienen müsste, wenn er sie verkaufen würde. Doch der Rabbi sagte, sie sollten die Perle dem Mann zurückbringen, von dem sie den Esel gekauft hatten.
Ehrlichkeit war dem Rabbi wichtiger als Reichtum, und er wollte, dass die Menschen das erkannten.
Aber nicht, weil er selbst gut dastehen wollte: Der Rabbi wollte, dass der Mann, der den Esel verkauft hatte – ein Mann, der selbst kein Jude war – erstaunt darüber wäre, dass Gott Menschen dazu bringt, so ehrlich zu sein, weil sie ihn verehren.
Jüdischer Kontext ist zentral
Die Geschichte steht im Talmud als Erklärung dafür, was es bedeutet, den Namen Gottes zu heiligen.
«Geheiligt werde dein Name» – dieser Satz steht auch im Vaterunser. Für Christ:innen mag er ein wenig rätselhaft sein, aber im Judentum ist er von zentraler Bedeutung: «Kiddusch Ha’schem», die Heiligung des Namens Gottes, ist ein wichtiger Bestandteil der jüdischen Ethik.
Und im jüdischen Kaddisch-Gebet heisst es ganz ähnlich wie im Unser-Vater-Gebet: «Geheiligt werde sein grosser Name». Dieses Gebet ist etwas älter als das Vaterunser und bis heute eines der wichtigsten Gebete des Judentums.
«Heilig» heisst «anders»
Etwas Heiliges steht im Gegensatz zum Profanen, zum Alltag, zum Üblichen.
Die Kernbedeutung von «heilig» ist also «anders».
Gott ist heilig, Gott ist anders als wir Menschen. Und in der Bibel heisst es, weil Gott heilig ist, sollen auch diejenigen, die an ihn glauben, heilig sein.
Der Rabbiner in der Geschichte wollte, dass die Menschen erkennen, dass er sich aufgrund seines Glaubens an Gott anders verhielt, als man es normalerweise tun würde. Viele hätten bei dieser Perle gesagt: «Selbst schuld, ich behalte sie.»
Gottes Namen zu heiligen bedeutet also, am eigenen Verhalten erkennbar zu machen, wie Gott ist. Wie anders – aber vor allem, wie gut, liebevoll, vertrauenswürdig.
Was heisst das konkret?
Im Vaterunser die Zeile zu beten «geheiligt werde dein Name» drückt aus, dies im eigenen Leben umsetzen zu wollen.
Ein Knackpunkt: In der Realität ist das nicht immer so.
Christ:innen verhalten sich lieblos und unehrlich zu Mitmenschen (da braucht es dann das «vergib uns unsere Schuld»…). Umgekehrt gibt es agnostische und atheistische Personen, die enorm liebevoll zu anderen sind.
Hier schwingt noch ein weiterer Aspekt dessen mit, was «geheiligt werde dein Name» bedeutet.
Nämlich, im Alltag zu erkennen, wo die Liebe Gottes, die Kraft Gottes überall am Werk ist, und das zu benennen.
In der Bibel steht: «Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, ist in Gott und Gott in ihm (oder ihr).» Überall, wo diese Kraft des Guten, Wahren und Schönen spürbar ist, ist Gott am Wirken. Dass wir das sehen, darauf hinweisen und sagen, dass wir darin Gottes Wesen erkennen – auch das ist Teil der Heiligung des Namens Gottes.
Zur jüdischen Herkunft des «Unser Vaters» ist dieser Artikel in der «Jüdischen Allgemeinen» lesenswert.
Im Podcast «Unter freiem Himmel», zu dem dieser Artikel gehört, kannst du diese Zeile des Gebets mit einem poetischen Text von Janna Horstmann noch einmal anders auf dich wirken lassen (Link zum Podcast ganz oben auf dieser Seite, Meditation ab Minute 12).
Das bekannteste christliche Gebet: «Unser Vater» oder «Vaterunser». In dieser Staffel von «Unter freiem Himmel» gehen wir es Zeile für Zeile durch: Was steht da genau, was sind unterschiedliche Interpretationen und was bedeutet es für uns, heute? Am 12. November erscheint der nächste Blogpost in dieser Reihe, parallel zur Podcastfolge und zum Video, zur nächsten Zeile des Gebets: «Dein Reich komme».
1 Gedanke zu „«Geheiligt werde dein Name» (Unser Vater, Teil 2)“
Das Christentum bietet eine grosse Auswahl von Namen für GOTT: Mutter, Vater, Allmächtiger, Schöpfer oder Heiliger Geist, etwas verwirrend und werde so vom Wesentlichen abgelenkt. GOTT ist für mich einfach LIEBE.
David Steindl-Rast bringt es auf den Punkt:
«Dein Name?» Dürfen wir es wirklich wagen, dich zu benennen? Hiesse das nicht, dich unserem Weltbild einzuordnen – dich, der jeden Rahmen sprengt? Wir begreifen die Welt, indem wir Dingen Namen geben. Wir nehmen Merkmale als Anhaltspunkte. Das Kind nennt den Hund «Wauwau». Wir nennen den einen Vogel Uhu, den anderen Kuckuck.
Erste Anhaltspunkte verschaffen uns Zugriff auf alles, was wir benennen. Wenigstens zum Teil können wir es so in den Griff bekommen. Wie unsinnig aber, dies an dir zu versuchen. Wie könnte ich es wagen, dich durch einen Namen ans Licht begrifflicher Klarheit zerren zu wollen, «du Dunkelheit, aus der ich stamme»? Begegne mir doch weiterhin in Dunkel deiner Unbegreiflichkeit und im Schweigen meiner Ergriffenheit. Amen.
«Dein Name», du unaussprechliches Geheimnis, muss von selbst aufsteigen aus jener Tiefe, in der wir schweigend vor dir stehen und deine Unbenennbarkeit eingestehen. Kein Name kann dich fassen. Diese Einsicht sollte mitschwingen bei jedem Namen, den wir dir geben, sodass wir ihn im Aussprechen schon wieder verneinen. Auch Vater darf ich dich nur nennen, solange ich dies nicht vergesse. Dein Vatername war ja die Frucht schweigenden Betens, zu dem Jesus sich immer wieder in die Einsamkeit zurückzog. Auch ich will dir nur aus dem Schweigen heraus den Namen Vater geben – und ihn sogleich wieder ausklingen lassen in die abgründige Stille deiner heiligen Gegenwart. Dies gehört gewiss zu dem, was es bedeutet deinen Namen «zu heiligen». Nur mit tiefer Ehrfurcht also will ich es wagen, dich Vater zu nennen, du Namenloser. Amen.
«Heiligen» kann vielerlei bedeuten, wenn es sich auf deinen Namen bezieht. Zunächst ist es wohl notwendig, jeden deiner Namen, den wir aussprechen, gleich wieder zurückzunehmen, um deinen unaussprechlichen Namen zu «heiligen».
Es wird mir aber langsam auch klar, dass das eigentliche «Heiligen» deines Namens das Tun sein muss, das sich aus dem Benennen ergibt. Wenn ich dich unsren Vater nenne, dann anerkenne ich zugleich alle deine Kinder als meine Geschwister. Das genügt aber nicht. Ich muss sie auch als solche behandeln. Mein Tun soll mehr und mehr meinem Beten entsprechen. Amen.
«Heiligen» können wir deinen Namen nur durch liebendes Tun. Im Vaterunser geht es ja um deinen Namen als «Abba», als geradezu mütterlich liebender Vater. Wenn ich es wage, dich so zu nennen, du unfassliches Geheimnis, dann überschreite ich damit die Schwelle zu einem geheiligte Bereich. Ich erkenne das All als einen durch deine LIEBE geheiligten Weltraum, «du Vater der Welten».
Dich Vater nennen heisst, dich LIEBE nennen. Ein Heiligtum deiner Liebe ist dieses Universum, in dem ich vor dich hintreten darf. Du bist das liebevolle «Ja», das jedem Wesen sein Dasein schenkt – auch mir. In Dankbarkeit soll auch mein ganzes Leben zu einem «Ja» werden, zur grenzenlosen Bejahung meiner Zugehörigkeit zu dir und – deinetwegen – zu allem, was es gibt, weil es dein ist. Amen.
«Heiligen» kann nur liebende Tatkraft deinen Namen, da du ja die LIEBE selber bist. Aber meine Liebe ist lau. wo soll ich beginnen?
… …
Zu deiner Familie gehören aber alle – ja, auch Waffenhändler und Menschenhändler. Auch sie muss ich, um deinen Namen zu heiligen, lieben lernen. Wir gehören zusammen als Geschwister. Im Bewusstsein unserer Gemeinschaft will ich das «Ja» der Liebe auch zu ihnen sprechen, das «Ja» der Feindesliebe. Auch sie waren einmal Kinder und bleiben es innerlich lebenslang. Ihren Zielen jedoch will ich mich mit aller Kraft wiedersetzen. Auch das gehört zum Heiligen deines Namens. Ich will es mutig und einfallsreich tun. Amen.
Starke Worte! Auch im zweiten Teil steckt eine unglaubliche (Spreng)kraft! Jetzt geht`s ans Eingemachte, nichts für Warmduscher. David Steindl-Rast verlangt vollen Einsatz für die Gerechtigkeit, wir können uns nicht mehr verstecken, wir müssen Farbe bekennen.
Vom passiven zum aktiven Christen. Diese Verantwortung konnte ich bis heute an die Kirche oder meinen Guru delegieren, damit ist es vorbei, wenn ich den Weg im Geiste Jesus Christus wähle.