Dein digitales Lagerfeuer
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«Und führe uns nicht in Versuchung» (Unser Vater, Teil 7)

Das «Unser Vater» ist ein Gebet voller Vertrauen und Hoffnung. Doch dann kommt dieser eine Satz, der sich sperrig anfühlt: «Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen». Ein Satz, der Fragen aufwirft.

Führt Gott Menschen etwa aktiv in Versuchung? «Nein», sagen die meisten Theolog:innen. Papst Franziskus hat sogar erlaubt, an dieser Stelle auch zu beten: «Überlasse uns nicht der Versuchung.» Daraufhin wurden in der Schweiz auch die französische und italienischsprachige Version abgeändert.

Das ist etwas passiver und sprachlich sogar etwas genauer: Direkt übersetzt lautet der griechische Grundtext nämlich «lass uns nicht eintreten in die Versuchung».

Doch was genau ist eigentlich mit «Versuchung» gemeint?

Die einzige Negativ-Bitte im «Unser Vater»

Die Versuchungs-Bitte ist die einzige im «Unser Vater», die negativ formuliert ist. Sie scheint in Spannung zu den anderen Bitten zu stehen, die Gott als liebevollen Versorger und Beistand zeigen.

«Dem Gefährlichen, Bösen ist hier ein Raum gegeben, der in den ersten vier Bitten nicht vorhanden war.»

(Quelle: Wibilex-Artikel zum Unser Vater)

Under anderem deshalb nehmen auch manche Theolog:innen an, dass diese Bitte später hinzugefügt wurde, obwohl sie sowohl in der Matthäus- als auch in der Lukasversion des «Unser Vater» enthalten ist. Weitere Gründe für diese Annahme ist das «und» am Anfang sowie der Nachsatz («sondern erlöse uns von dem Bösen»).

Die Vorstellung, dass Gott Menschen absichtlich in Versuchung führt, um sie zu testen, ist theologisch umstritten.

Die meisten biblischen Texte zeigen eher das Gegenteil: Gott sucht mit Menschen eine vertrauensvolle Beziehung. Gott ist der «gute Hirte», der Menschen führt – aber nicht in Versuchung, sondern «zu frischen Quellen», wie es im Psalm 23 heisst.

Glaubensprüfungen in der Bibel

Einige Passagen in der Bibel deuten jedoch auf Prüfungen hin, die Gott zumindest zulässt: Hiob wird von schweren Schicksalsschlägen getroffen (Versucher ist der Satan, Gott erlaubt es ihm). Abraham soll seinen Sohn opfern (das wird tatsächlich als Treueprüfung durch Gott erzählt). Und Jesus selbst wird in der Wüste vom Teufel versucht.

Möglich ist, dass manche Ereignisse im Leben von den Menschen als so überwältigend wahrgenommen wurden, dass sie einer höheren Macht zugeschrieben werden mussten – also entweder Gott oder, im Sinne einer «Aufgabenteilung», einer dunklen Macht.

Doch in all diesen Geschichten geht es nicht darum, dass Gott Menschen in eine Falle lockt, damit sie scheitern. Sondern darum, dass der Glaube sich bewährt und die eigene Berufung geschärft wird.

Gott als Beschützer oder als Versucher?

Landläufig wird Versuchung als moralisches Fehlverhalten verstanden. Schokolade, obwohl man auf die Linie achten möchte. Ein Flirt, obwohl man in einer Partnerschaft ist. Die Gelegenheit zum diskreten Betrug oder Diebstahl, die sich bietet.

Die Bitte «führe uns nicht in Versuchung» bedeutet hier, dass man um Hilfe bittet, dem treu zu bleiben, was einem eigentlich wichtig ist. Oft ist es dann so, dass einem beim Beten ganz konkret vor Augen tritt, worum es gehen könnte.

«[Das Wort] sticht uns an unserer empfindlichsten Stelle», wie Gerhard Ebeling schreibt. [1]

Doch moralische Schuld, «Sünden», ist im christlichen Gottesverständnis etwas, wogegen man zwar ankämpfen sollte («Heiligung»), was Gott jedoch bereits mit einberechnet und überwunden hat.

Das Risiko des Unglaubens

Deshalb bedeutet Versuchung noch etwas anderes: eine Herausforderung, die möglicherweise das Vertrauen in Gott von Grund auf infrage stellt. Eine Lebenssituation, die bewirken kann, dass man sich alleine gelassen fühlt, die das «Risiko des Unglaubens» enthält.

Der/die Beter:in «erfleht von Gott, den Glauben nicht schutzlos dem Zweifel auszuliefern»[2]

Die Stellen, wo im Neuen Testament über Versuchung gesprochen wird, sollen Mut machen – denn die Angesprochenen sind schon mittendrin.

«Gott wird nicht zulassen, dass ihr über das Erträgliche versucht werdet.» (1. Korinther 10,13) Prüfungen stärken die Ausdauer und führen zu Hoffnung (Römer 5; Jakobus 1,2).

Glaubenskrise: «Lass mich nicht allein, Gott»

Gott ist in diesen Situationen nicht Gegenspieler, sondern Bewahrer. Die Bitte um Verschonung könnte also auch in folgende Worte verpackt werden:

«Lass mich bitte nicht allein, Gott.»

Martin Luther schrieb, man solle «von Gott zu Gott fliehen». Vom unverständlichen Gott hin zum in Jesus Christus Mensch gewordenen Gott, der menschliche Ängste und Wünsche kennt.

Mich persönlich stellt diese Vorstellung von einer «dunklen Seite Gottes» nicht zufrieden. Da halte ich mich lieber an Karl Barth, der sagte, Gott habe zum Bösen (das er das «Nichtige» nennt) einzig und allein die Beziehung, dass er es nicht wolle.

Das Böse oder der Teufel?

«Sondern erlöse uns von dem Bösen»: Der zweite Teil der Bitte steht in engem Zusammenhang mit dem ersten.

Theolog:innen sind sich ziemlich einig, dass die Grundform hier nicht «der», sondern «das» Böse ist. So steht hier auch nicht «Satan» oder «Teufel» im griechischen Grundtext wie an anderen Stellen des Neuen Testaments, sondern tatsächlich «das Böse».

Dieses wird hier also explizit nicht personifiziert, sondern als Gesamtheit von möglichen Situationen verstanden, die Menschen von Gott wegziehen.

Die griechische Formulierung dieses Satzes lässt sich auch übersetzen mit: «Zieh uns zu dir heran, weg vom Bösen.»

Das Bild ist stark: Es geht nicht nur um Schutz vor negativen Einflüssen, sondern um eine Bewegung auf Gott zu. Doch nicht ich fliehe zu Gott, sondern Gott zieht mich zu sich heran.

Gott hält aus

Solche Gebete um Schutz sind urmenschlich: Das Gebet um Bewahrung auf einer langen Reise etwa.

Und doch gehört Schlimmes zum Leben dazu.

Menschen werden krank und sterben, Dinge gehen schief, man wird verletzt und enttäuscht.

Diese Bitte im «Unser Vater» erinnert an die Situation am Lebensende von Jesus, wo er betete: «Abba, Vater, alles ist dir möglich. Lass diesen Kelch an mir vorübergehen! Doch nicht, was ich will, geschehe, sondern was du willst.» (Markus 14,36 und Parallelstellen)

An Gott zu glauben bedeutet nicht, dass das Leben einfacher wird. Manchmal wird durch Herausforderungen das Vertrauen an Gott infrage gestellt, und darum geht es in diesem Gebet.

Letztlich drückt diese Zeile des «Unser Vater» eine existenzielle Sehnsucht aus: die Sehnsucht danach, dass Gott da ist, wenn es schwer wird. Dass Gott hilft, den Glauben nicht zu verlieren. Dass Gott Zweifel und Klagen hört und aushält.

Die Theologin Magdalene Frettlöh nennt diese Bitte deswegen einen «Ort der Klage» (Quelle: FAMA 4/17). Vielleicht kann sie genau das sein: ein Schrei nach Halt, nach Bewahrung, nach Gnade.

Ein Gebet, das nicht sagt: «Mach mein Leben leicht», sondern: «Lass mich bitte nicht alleine, Gott.»

Die Gegenwart Gottes kann spürbar sein in innerem Frieden, aber auch durch Mitmenschen, die einen wie Engel tragen. (Zum Artikel: «Ich spüre Gott nicht»)

Was denkst du?

Was bedeutet dieser Satz für dich? Schreib es in die Kommentare!

 

Mit Janna Horstmanns poetischem Text im zweiten Teil der Podcastfolge zu diesem Artikel (siehe Box ganz oben, ab Minute 17) kannst du diese Zeile noch meditativ auf dich wirken lassen. Hier geht’s zur schriftlichen Version: «Wie erlösungsbedürftig bin ich?».

Das bekannteste christliche Gebet: «Unser Vater» oder «Vaterunser». In dieser Staffel von «Unter freiem Himmel» gehen wir es Zeile für Zeile durch: Was steht da genau, was sind unterschiedliche Interpretationen und was bedeutet es für uns, heute? Am 25. Februar erscheint der nächste Blogpost in dieser Reihe, parallel zur Podcastfolge und zum Video. Thema ist der Abschluss des Gebets.

 

Literatur zum Unser Vater (Auswahl): 

[1] Gerhard Ebeling, Vom Gebet: Predigten über das Unser Vater, Tübingen 1963 (in Bibliotheken oder antiquarisch)

[2] EKS (Hrsg.), Rede und Antwort stehen. Glauben nach dem Unser Vater, Zürich 2014

Artikel WiBiLex zum Unser Vater

FAMA 2017/4 «Unser Vater» (PDF)

Ganz neu gibt es auch einen «Worthaus»-Vortrag zum Unser Vater im Lukasevangelium.

Alle Beiträge zu «Unser Vater»

9 Gedanken zu „«Und führe uns nicht in Versuchung» (Unser Vater, Teil 7)“

  1. Liebe Evelyn, ein berührender Text. Danke.

    Es gibt da diverse Resonanzen, die anklingen: Für was steht Gott? Für was Jesus? Und für was der heilige Geist? Dazu finde ich den Film und das Buch „Ein Wochenende mit Gott“ interessant. Wie sieht das die Theologie?

    Bedeutender auch im Austausch zwischen religiösen und weltlichen Quellen zB zum Resilienzparadox (s. mein letzter Linkedin Post) finde ich die Anpassung zu «Überlasse uns nicht der Versuchung.»: In meiner Erfahrung mit Leid und dem Forschen in allen Haltungen und Schriften zu was Geist im Machen ausmacht und wo das eine und das andere Heimat hat, ist diese Anpassung bedeutend. Hier ein paar Fragen zurück:
    1. Wie lerne ich, du, wir alle mit Leid umgehen und es annehmen?
    2. Was ist für mich Versuchung in diesem Kontext?
    3. Wo lebt das göttliche in unserem Universum?
    4. Wozu halten religiöse Schriften an der Personifizierung göttlichen Rollen fest?
    5. An welcher Stelle ist eine die Einladung zu finden dieses innere Gefängnis zu verlassen und ein freies UND verantwortendes Leben mit den SELBST (Gefühle & Körper) anzunehmen, um dem göttlichen näher zu kommen?

    Tiefe Fragen. Dss füllt wohl gleich ein paar Redaktionssitzungen oder Podcasts.
    Auf bald.

    Antworten
    • Lieber Remo, danke für die Ergänzungen und Fragen. Viele davon habe ich in anderen Videos auch schon angeschnitten, viele behandelt auch Leela bei “Holy Embodied”. Manche werden offen bleiben. Liebe Grüsse!

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  2. Da heißt es “Die einzige Negativ-Bitte im «Unser Vater» . . . (es geht um nicht-in-Versuchung-führen)

    Ich sehe im gesamten VATERUNSER keine einzige Bitte, sondern Weisungen im Sinne von Anweisung und/oder sogar Befehl, “das alles” nun zu erledigen.

    So jedenfalls die kirchen-christliche Praxis.

    Antworten
    • Sprachlich stehen dort im Griechischen tatsächlich meist Imperative, wobei der Aorist Imperativ auch eine Bitte mit Nachdruck signalisieren kann. Theologisch wird hier immer von “Bitten” gesprochen. Aus dem neutestamentlichen Kontext wird sehr deutlich, dass der Mensch an Gott ganz sicher keine Weisungen oder Befehle zu richten hat: Gott wird immer als Autoritätsperson dargestellt (Vater, Weinbauer, König, Herr).

      Ich halte Ihre Interpretation deswegen für falsch und auch nicht aus der theologisch-kirchlichen Praxis fundiert. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

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  3. «Ich bin der Versuchung erlegen» führt im besten Fall zu «Erlöse uns von dem Bösen» – Wir sind in der Regel «Schönwetter-Christen»… 🙂 Nur nicht anecken, nicht auffällig benehmen und keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wenn wir uns wirklich ändern wollen/müssen geht das nicht mehr, wir müssen uns dieser starken Herausforderung stellen. Im Umgang mit Menschen, Tieren und Natur, wo beginnt das Böse? Was heute gut ist, kann morgen schon böse enden. Auch wenn die «Zehn Gebote» klar sind, wie sieht es in der Realität aus? Gibt es Spielraum, eine «Fluchtzone», in die wir mit unserer Scheinheiligkeit doch noch «abtauchen» können? Nun, was ist überhaupt Böse? Eine verzwickte Situation!

    Wer entscheidet was Böse ist? Die Gesellschaft? Welche Gesellschaft? GOTT? Welcher «Gott»? Religion? Welche Religion? Was sind unsere ethischen und moralischen Begrenzungen? Wie bewältigen wir diese Herausforderungen im Alltag? Wir müssen neue Wege beschreiten, so führt nur Vergeben zur Erlösung. Welcher Weg? Fragen, Fragen, nichts als Fragen!

    Ich halte mich wieder an David Steindl-Rast, er rät im „Das Vaterunser“: «Lass uns nicht in Versuchung fallen» ist eine neue und weit treffendere Übersetzung, als «Führe uns nicht in Versuchung». Deine Führung ist es ja, die uns heraushilft aus gefährlichen Lagen, in die wir uns selber hineinverirren. Versuchungen sind Lebenslagen, die drohen, uns wie Glatteis zu Fall zu bringen. Wir stürzen, weil wir keinen festen Stand haben – nicht in uns selbst gefestigt sind. Auch bei dieser Bitte ist dein Vatername entscheidend. Jesus Christus hat uns gelehrt, dich, unergründliches Geheimnis, unser grosses Du, als Vater zu erkennen. Daher wissen wir auch, wer wir selber sind – deine Kinder. Dieses Bewusstsein genügt schon, unsren Schritt zu festigen. Da musst du gar nicht erst «eingreifen». Dass wir uns der Würde unsrer Gotteskindschaft bewusst sind, lässt uns aufrecht stehen. Stärke mich in diesem Bewusstsein, wenn Versuchung es bedroht. Amen.

    «Versuchung» erlebe ich meist als Druck von aussen, dem mein innerer Anpassungsdrang entgegenkommt: Ich will kein Aufsehen erregen, will nicht als Eigenbrötler gelten, auch wenn das bedeutet, meine moralische Messlatte etwas abzusenken. Damit gebe ich aber einem Gruppendruck nach, der es in sich hat, rasch zum Gruppenzwang anzuwachsen. Dem kommt dann auch noch meine eigene Bereitschaft entgegen, es mir leicht zu machen: So machen’s ja alle, sage ich mir, warum also nicht auch ich? Und schon ist die Messlatte überhaupt verschwunden oder richtiger ausgedrückt: Die öffentliche Meinung wird jetzt zur Messlatte. Ethik aber ist in Menschenwürde verankert und muss sich keinem Druck von aussen beugen. Sie hat ihre eigene Stimme und kann der öffentlichen Meinung widersprechen. Dazu gib du mir Selbstbewusstsein und Mut, wenn Korruption sich so verbreitet, dass sie kaum mehr als solche erkennbar ist. Amen.

    «Versuchung» in all ihren Formen stellt letztlich unsre Ehrfurcht auf die Probe. Es geht dabei immer um Ehrfurcht vor dir, du Grosses Geheimnis, denn dich ehrt ja unsere ehrfürchtige Scheu vor der Würde deiner Gegenwart in allem, was es gibt. Der Würde unsres Gegenübers werden wir uns umso klarer bewusst, je klarer wir uns unsrer eigenen Würde als deine Kinder bewusst werden, sooft also, als wir dich bewusst «Vater» nennen. Die Welt im Lichte deiner Vaterliebe zu sehen, heisst zugleich, uns ein Bild zu machen von deinem Welthaushalt in seiner Fülle der Freude und des Friedens. Erst im Gegensatz zu diesem Bild einer heilen Welt wird uns bewusst, wie entstellt eine Welt ist, die keine Ehrfurcht kennt. Diese entstellte Welt nicht zu hinterfragen, das ist der Anfang aller Versuchung. Schenke mir Ehrfurcht und Mut, alle Ehrfurchtslosigkeit zu hinterfragen. Amen.

    «Das Böse?» Da sollte ich zuerst wohl hinterfragen, was ich überhaupt böse nenne, bevor ich ein so schwerwiegendes Wort leichtfertig ausspreche. Was kann es bedeuten? Wenn du, Urgrund des Seins, gut bist: Wo kommt dann das Böse her? Wie sollte Böses überhaupt sein können, wenn das Sein selbst ein hohes Gut ist? Alles, was ist, ist gut! Dem Bösen fehlt es also an Sein. Wenn ich krank bin, sage ich: «Mir fehlt etwas!» So ähnlich fehlt auch dem Bösen etwas. Aber was ist das, dieses Fehlende? Es mag zu vereinfacht klingen, wenn ich sage, dem Bösen fehlt das «Ja der Liebe», doch in diesem Mangel liegt die höchste Gefahr. Wo Liebe fehlt, kann selbst ein Kuss zum Bösen werden, zum Treuebruch, zum Verrat am Freund, zum Mord. Lass mich also das Böse ernst nehmen, aber ohne Angst davor zu haben. Amen.

    «Das Böse» missverstehe ich wohl auch deshalb so häufig, weil ich es zu sehr auf mich selbst bezogen auffasse. Und doch kommt das Wort «ich» im Vaterunser kein einziges Mal vor! Schon die beiden ersten Worte – «Vater unser» – wollen uns ja bewusstmachen, dass wir hier verbunden mit der weltweiten Gemeinschaft aller Kinder Gottes beten. Es geht in diesem Gebet um unser Brot, unsre Schuld und um das Böse, von dem wir dich bitten, uns zu erlösen. Das Böse ist niemals Privatsache. Wir sprechen heute vom systemischen Bösen, von jenem grenzenlosen Unheil, das zwar keiner von uns direkt anstrebt, für das wir aber alle gemeinsam verantwortlich sind. Nicht Böswilligkeit bringt es über uns, sondern Gedankenlosigkeit und mangelndes Mitgefühl. Wecke uns auf! Mach uns mitfühlen. Amen.

    «Erlöse uns» zu allererst von der passiven Erwartung, dass du «von oben her» erlösend eingreifen wirst, ohne dass wir die erlösende Kraft anwenden müssten, die du in unser Herz gelegt hast. Lass uns auch erkennen, worin diese Kraft besteht. Wenn das Böse eine Gegenmacht des Guten wäre, dann müssten wir es bekämpfen, um es zu besiegen. In Wirklichkeit aber ist das Böse das Noch-Nicht-Gute. Wenn wir das im Auge behalten, dann werden wir die Kraft, Böses zu überwinden, ganz anders verstehen. Das Noch-Nicht-Gute verlangt von uns Geduld, richtungsweisende Betreuung und liebevolle Ermutigung, damit es zum Guten heranwachsen kann. Genau das schenkt ja auch eine Mutter dem noch nicht guten Kind. Mit Mutteraugen also lass mich auf das Böse schauen und es durch deine Mutterliebe erlösen, die durch mich hindurchfliessen will. Amen.

    «Erlöse uns» auch durch die Kraft gerechten Zornes, den wir im Herzen fühlen können, wenn wir den Bösen gegenüberstehen. Entrüstung kann unsre Einsatzbereitschaft auslösen und zur Erlösung beitragen. Wir können Zorn nutzbar machen, indem er uns Geduld und zähe Verbissenheit verleiht. So heiss muss mein Zorn brennen, dass er alle Schlacken von Hass und Ungeduld wegschmilzt. Frei von Gleichgültigkeit, aber auch von Ungeduld lass mich vor keiner Mühe zurückschrecken. Amen.

    «Erlöse uns» durch deine erlösende Liebe, die durch uns hindurchfliessen will und uns dabei selber erlöst von Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit. Bei diesen negativen Bezeichnungen schwingt schon von Anfang an das Bewusstsein mit, dass uns etwas fehlt. Und was fehlt, ist letztlich Liebe – unser gelebtes Ja zur Zugehörigkeit. Dieses Ja heisst: «Ich bin für dich da.» Das will gesagt werden – nicht immer mit Worten, stets aber klar und hilfsbereit-, denn sonst «fehlt etwas», ja das Wichtigste. Und dadurch entsteht das Böse. Es geht weit öfter auf kleine Unterlassungen zurück als auf echte Böswilligkeit. Obwohl es so klein beginnt, kann es aber unabsehbar weite Kreise ziehen, an Kraft gewinnen und furchtbare Zerstörung anrichten. Doch auch die kleinste Aufmerksamkeit wirkt schon weiter und weiter – heilend und erlösend. Mach mich aufmerksam für die kleinen Anfänge von beidem: vom Bösen und von der Erlösung. Amen.

    Allein schon die Anrufung «Vater unser» betend ausgesprochen, bezeugt unsre geschwisterliche Verbundenheit und ist ein Schritt auf ihre Verwirklichung hin. Jesus Christus ist uns zum Erlöser geworden, indem er bis in den Tod auf die Macht der Liebe vertraut hat. Mit diesem Geschenk erlösenden Vertrauens segne auch mich. Amen.
    Bei der Erlösung kommt es letztlich nur auf die LIEBE an!»

    Auch die Schuld muss erlöst werden – durch «Erlöse uns von dem Bösen» – Schuld(gefühle) begleitet uns durchs Leben. Aus Schuld muss ich mich selber (er)lösen. Nur, kann ich mir verzeihen, kann ich mir vergeben? Mit Gottes Gnade wird es gelingen. Wetten… 🙂

    Die Philosophen des Vedanta lehren: «Wir müssen inmitten aller Schwierigkeiten unsere Göttlichkeit verteidigen. Es ist sehr schwer, aber durch ständige Übung können wir die Schwierigkeiten überwinden. Wir müssen lernen, dass uns nichts wiederfährt, wenn wir uns nicht dafür empfänglich gemacht haben. Wir erhalten nur, was uns gebührt. Lassen Sie uns unseren Stolz aufgeben und begreifen, dass Leid niemals unverdient kommt. Es gibt keine unverdienten Schläge. Es gibt kein Übel, dem ich nicht mit eigener Hand den Weg bereitet habe. Das müssen wir erkennen. Das wird uns ernüchtern. Gleichzeitig kommt mit dieser Analyse Hoffnung auf, und sie lautet: Die äussere Welt kann ich zwar nicht beherrschen, aber was in mir ist, meine eigene Welt, ist unter meiner Kontrolle. Von Kindheit an versuchen wir, die Schuld auf etwas ausserhalb von uns zu schieben. Wir weisen ständig andere Leute zurecht, aber nicht uns selbst. Wir erhalten nur, was wir verdienen. Dies ist die erste Lektion, die wir lernen müssen: Sei entschlossen, nichts ausserhalb zu verwünschen, die Schuld nicht auf andere zu schieben, sondern sei ein Mann (gilt auch für Frauen :-), erhebe dich und suche die Schuld bei dir selbst! Du wirst finden, dass es stimmt. Besinne dich auf dich selbst!»

    Swami Vivekananda hat uns einen Weg gezeigt. Wenn wir uns in schlechte Gedanken wie Gier, Eifersucht, Wut oder Hass verlieren, haben wir alles verloren und finden uns auf Feld eins zurückversetzt! «Alle wollen die Welt verändern, aber keiner sich selbst.» hatte schon Tolstoi erkannt – Sorry, wir können die Welt nicht verändern. Zuerst müssen wir uns ändern, so hart es auch ist. Packen wir`s an!

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