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«Denn dein ist das Reich…» (Unser Vater, Teil 8)

Das Vaterunser ist wohl das bekannteste Gebet der Welt. Doch die Zeilen, mit denen wir es heute beenden, stammen nicht auf dem ursprünglichen Bibeltext.

Stattdessen endet das Gebet bei Jesus mit «Erlöse uns von dem Bösen» (Matthäus 6) oder sogar noch früher bei Lukas 11: Da ist schon nach «Führe uns nicht in Versuchung» Schluss.

Und dann? Kein feierlicher Abschluss, kein Amen, einfach weiter im Text.

Und schon gar kein «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.»

Woher kommt der Schluss des Vaterunsers?

Damals war es üblich, Gebete mit einem Lobpreis Gottes abzuschliessen. Das war die gängige jüdische Praxis für Gemeindegebete.

Theologisch nennt man das eine «Doxologie» – von Griechisch «doxa», was Herrlichkeit bedeutet, und «lego», sprechen. Also «von der Herrlichkeit (Gottes) sprechen».

Die älteste bekannte Version des Schlusses, den wir heute beten, stammt aus der sogenannten «Didache», einer frühchristlichen Schrift aus dem ersten Jahrhundert.

Aber dieser Schluss wurde nicht frei hinzugedichtet.

Er stammt fast wortwörtlich aus 1. Chronik 29,11, also aus dem Alten Testament:

«Dein, JHWH, ist die Grösse und die Macht und die Herrlichkeit und der Ruhm und die Hoheit. Denn alles im Himmel und auf Erden ist dein. Dein, JHWH, ist das Reich, und du bist der, der erhaben ist über alles als Haupt.»

Die frühen Christ:innen haben diesen Vers aufgegriffen und als würdigen Abschluss für das Gebet von Jesus empfunden.

Kein blosses Anhängsel, sondern der Schlüssel

Manchmal wirkt der Schluss des «Unser Vater»-Gebets wie ein Anhängsel. In der Kirche wird er oft mechanisch heruntergeleiert, als wäre er nicht mehr als eine höfliche Grussformel oder eine Verzierung zum Schluss.

Doch das verkennt die Bedeutung dieser Zeilen.

Es ist nicht nur ein feierlicher Abschluss – die Worte geben dem Gebet seinen Rahmen.

Es beginnt mit «Unser Vater» – einer intimen, vertrauensvollen Anrede. Und am Ende wird noch einmal betont, wer dieser Gott ist: Er ist derjenige, dem das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit gehören.

Das kleine Wort «denn» zu Beginn dieser Zeile macht es deutlich: Man betet, weil Gott es würdig ist, angebetet zu werden. Weil Gott vertrauenswürdig ist und mehr überblickt als ich als Mensch. Weil Gott die Realität ist, in der die betenden Personen geborgen sind.

Herrlichkeit, Macht – und der Bruch mit der Dominanz

Die Begriffe «Herrlichkeit» und «Macht» rufen Bilder von Königen mit prächtigen Gewändern und funkelnden Kronen hervor. Lange Zeit wurde Gott in genau diesem Bild verehrt.

Doch diese Begriffe können auch problematisch sein – sie stehen auch für Dominanz, und Macht kann missbraucht werden.

Manche modernen Übersetzungen ersetzen sie deshalb mit «Zärtlichkeit» oder «Fülle».

Aber ist das nötig?

Ich finde, nicht, denn die Bibel selbst bricht mit dem herkömmlichen Machtverständnis. Der «König» der Christ:innen ist Jesus: Als er vor seinem Tod gefoltert wurde, wurde er von den Soldaten spöttisch als «König der Juden» gegrüsst.

Ein Schild wurde ans Kreuz genagelt, auf dem dasselbe stand. Auf vielen Gemälden und Darstellungen in Kirchen sieht man dieses Schild mit der Abkürzung «I. N. R. I.» für die lateinischen Worte «Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum».

Eine spöttische Geste. Ein König nach den üblichen Massstäben hätte eine Armee, die ihn verteidigt. Doch Jesus war anders. Er regierte nicht durch Gewalt, sondern durch Liebe und Hingabe.

Wer Gott ist, zeigt auch, wer ich bin

Genau dieser Kontrast entfaltet bis heute die grössere Wirkung, als es jede andere Form von Macht und Dominanz könnte.

Die ersten Christ:innen beteten einen König an, der seine Macht gerade darin zeigte, dass er sich für andere hingab. Indem er dies freiwillig und aus Liebe tat.

Die Herrlichkeit, die im «Unser Vater» bekannt wird, ist die Kraft dieser Liebe, die sogar den Tod überwindet und neues Leben ermöglicht.

Deshalb ist das Ende des «Unser Vater»-Gebets so bedeutend. Es erinnert daran, wer Gott ist.

Damit macht es auch klar, wer die Personen, die beten, im Verhältnis zu ihm sind: Menschen, nicht Gott. Wenn die Macht und Kraft in Ewigkeit bei Gott ist, dann ist sie nicht bei mir.

Ich habe nicht alles unter Kontrolle, und dies bewusst abzugeben und loszulassen, ist gut.

Das Amen am Ende bekräftigt das Gesagte: Es bedeutet «So sei es.»

 

Das bekannteste christliche Gebet: «Unser Vater» oder «Vaterunser». In dieser Staffel von «Unter freiem Himmel» gehen wir es Zeile für Zeile durch: Was steht da genau, was sind unterschiedliche Interpretationen und was bedeutet es für uns, heute? Alle bereits erschienenen Beiträge sind unten verlinkt.

Alle Beiträge zu «Unser Vater»

1 Gedanke zu „«Denn dein ist das Reich…» (Unser Vater, Teil 8)“

  1. Sorry, wenn ich meinen Senf – seit Beginn des Podcasts – dazugebe, aber es hat mich einfach gepackt. Ich musste einfach meine Gedanken einbringen. Ich schrieb am 3.10.2024: «Ich habe das „Das Vaterunser“ – ein Gebet für alle -, bei David Steindl-Rast neu entdeckt, es hat mein Herz berührt, früher war es einfach ein Gebet auf meinem Lebensweg als Christ.» Diese Kraft! Ich bin überwältigt, gefordert und überfordert – von einfach bis anspruchsvoll – was das Vaterunser hergibt, unglaublich! Nun, ich habe mich auf das Gebet eingelassen und muss es jetzt auch selber ausbaden… 🙂 So sei es!

    Und beende folglich das Vaterunser mit David Steindl-Rast: «Amen» mit diesem einen Wort fasse ich noch einmal zusammen, was schon jeder einzelne Satz im Vaterunser ausdrücken will: mein Vertrauen auf deine grenzenlose Vertrauenswürdigkeit. Als «unser Vater» bist du ja das Urbild unerschütterlicher «Festigkeit». Festigkeit – das ist die Wurzelbedeutung des hebräischen Wortes «Amen». Aus dieser Wortwurzel entspringt auch dein mystischer Name «Wahrheit» sowie das Wort für «glauben» – ein Glauben, das weit mehr bedeutet als ein Für-wahr-Halten von irgendwelchen Sätzen, es drückt nämlich ein Sich-Verlassen aus, das Sich-Verlassen auf deine Verlässlichkeit. Um das zu erfahren, gibt es keinen anderen Weg als das Vertrauen, denn aus logischen Folgerungen allein kann ich deine Zulässigkeit nicht erschliessen.

    Ich kann deine Verlässlichkeit aber unwiderlegbar erfahren als deine Gegenwart in meiner eigenen Lebendigkeit, du Grosses Geheimnis des Lebens. Schon jeder Atemzug beweist mir, dass ich zuverlässig getragen werde von einer mir unbegreiflichen Lebenskraft. Das Leben selbst in seiner ganzen Entfaltung sagt immer wieder «Ja!» zu all seinen Formen in ihrem Werden und Vergehen. Aus diesem Ja alles Seienden kann ich ein kosmisches Amen heraushören als Antwort auf dein Ja zum Sein. Und dieses Ja darf ich auch selber immer wieder mit meinem ganzen Dasein sagen: Amen.

    «Amen» ist nicht bloss der liturgische Schlusspunkt nach einem Gebet, es ist vielmehr ein Versprechen, uns tatkräftig für das einzusetzen, worum wir beten. Amen heisst: «So soll es sein!» – Auftakt also für mein eigenes Tun. Aber ist es denn mein eigenes Tun? Es ist dein Lebensatem, Vater, der mein Beten und mein Tun befeuert. Was in jeder Vaterunserbitte brennt, das ist dein Heiliger Geist. In ihm, deinem Heiligen Geist, atme und bete ich: Amen.

    «Amen» verbindet mich, sooft ich es betend ausspreche, mit allen meinen Brüdern und Schwestern. Was Amen ausdrücken will, ist radikales Vertrauen auf die tiefste Vertrauenswürdigkeit des Seins. Vertrauen ist – ganz unabhängig von dieser oder jener religiösen Tradition – die Grundhaltung jedes geglückten Menschenlebens. Darum verbinde ich mich ganz bewusst mit allen deinen Kindern in dieser Welt, wenn ich meine persönlichen Betrachtungen über dieses Gebet zu unserem gemeinsamen Vater feierlich schliesse mit Amen.

    «Amen» im vollen Sinn, verstanden, bedeutet, sich auf das Abenteuer der Begegnung mit dem grossen Geheimnis einzulassen. Ein Bild dafür ist: «Ich lasse mich in Gottes Hände fallen.» Es geht aber nicht nur um ein Sich-fallen-Lassen. Jede der sieben Bitten des Vaterunsers wird erst durch ein Geben und Nehmen zwischen Gott und Mensch erfüllt. Wir werden zu einer Gottesbeziehung eingeladen, die uns Menschen nicht herunterdrückt und kleinmacht, sondern zu Mitwirkenden Gottes erhebt. Amen.

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