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«Unser tägliches Brot gib uns heute» (Unser Vater, Teil 5)

«Unser tägliches Brot gib uns heute» – die Zeile aus dem Vaterunser ist so schlicht wie tiefgründig. Auf den ersten Blick scheint sie eine einfache Bitte um Nahrung zu sein. Doch Theolog:innen diskutieren seit Jahrhunderten darüber, was genau mit dem «Brot» gemeint ist:

Geht es um die wörtliche Versorgung mit Lebensmitteln? Oder steckt dahinter eine symbolische Ebene, die von geistiger Nahrung bis hin zu menschlichen Beziehungen reicht?

Geht es um das, was unseren Körper am Laufen erhält, oder was unsere Seele nährt?

Körperliche Grundbedürfnisse sind Gott wichtig

Ich bin der Meinung, dass es hier um die ganz einfachen Grundbedürfnisse geht: Essen, schlafen, physische und psychische Gesundheit.

Zwar sind Theologie und Philosophie oft etwas abgehoben, aber die biblischen Geschichten zeigen, dass die alltäglichen menschlichen Sorgen und Probleme Gott wichtig sind.

Etwa in den Evangelien, den Geschichten mit und um Jesus: Oft geht es um Menschen, die krank sind oder Hunger leiden. Jesus heilt sie und sorgt dafür, dass Menschen zu essen haben. Etwa bei der berühmten «Speisung der 5000», oder in der Geschichte nach der Auferstehung, als Jesus seinen Jünger:innen am See Genezareth ein einfaches Frühstück bereitet (Johannes 21).

Im Alten Testament gibt es beispielsweise die Geschichte des ausgebrannten Propheten Elia, wo Gott Raben schickt, um ihm Nahrung zu bringen (1. Könige 17).

Oder im gleichen Kapitel eine ganz märchenhafte Geschichte, bei der der Öl- und Mehlkrug einer armen Witwe niemals leer wird.

Auch die Geschichte mit dem Manna in der Wüste (2. Mose/Exodus 16) ist ein Beispiel dafür, wie Gott Menschen versorgt: Das Volk Israel erhielt täglich genau so viel Nahrung, wie es brauchte – nicht mehr und nicht weniger. Diese Geschichte unterstreicht das Vertrauen auf Gottes Versorgung im Hier und Jetzt.

Interessante Wortwahl…

Im griechischen Grundtext wird an dieser Stelle im Unser-Vater-Gebet ein besonderes Wort für «täglich» verwendet: «epiousion». Es kommt nur an dieser Stelle vor und in keinem anderen griechischen Text der Antike.

Die genaue Bedeutung dieses Wortes ist unklar («Brot für morgen»? «tägliches Brot»?), aber es scheint um das Unmittelbare zu gehen, um das, was heute nötig ist. Dazu passt die Geschichte mit dem Manna, die den jüdischen Zuhörer:innen von Jesus gut bekannt war.

Ebenfalls heisst es bei Lukas und Matthäus leicht unterschiedlich: «…gib uns jeden Tag» (Lukas 11), «…gib uns heute» (Matthäus 6). (Zu den Unterschieden bei der Überlieferung des Unser-Vater-Gebets in den beiden Evangelien siehe die erste Folge dieser Blog/Podcast-Serie).

Vertrauen – und ein grosses Fragezeichen

Die Bitte um das tägliche Brot drückt aus, dass wir mit Gott über alle Sorgen sprechen sollen, und seien sie scheinbar noch so banal.

Das Alltägliche ist Gott wichtig.

Beim Beten drücke ich Vertrauen zu Gott aus. Dass ich glaube, dass Gott mehr Möglichkeiten erkennt als ich, und sich um mich kümmert.

Gleichzeitig habe ich hier auch ein grosses Fragezeichen: Denn natürlich ist diese Bitte keine Bestellung, die dann automatisch erfüllt wird. Sonst gäbe es keinen Hunger mehr auf der Welt.

Zu vertrauen, dass Gott mich versorgt, und gleichzeitig in den Nachrichten zu lesen, dass im Sudan oder in Gaza Kinder verhungern, macht mich ratlos.

Sich auch um andere kümmern und teilen

Hier kommt noch ein anderer Aspekt ins Spiel: Wenn ich darum bitte, genug zum Leben zu haben, muss ich mich auch fragen, wo ich selbst zur Versorgung anderer beitragen muss.

Die Ungerechtigkeit, die wir in der Welt sehen – Menschen, die hungern oder sonst leiden – ruft zur Solidarität auf.

Dies ist nicht die primäre Aussage der Bitte – dort geht es nämlich zuerst um das eigene Vertrauen zu Gott. Doch die Sorge um andere ist davon nicht loszulösen.

Brot als Symbol menschlicher Würde

Rowan Williams, ehemaliger Erzbischof von Canterbury, beschreibt diese Spannung zwischen Vertrauen und Verantwortung in seinem Buch «Being Disciples» (2016, Kap. 3: «Forgiveness») treffend. Er erkennt im Brot ein Symbol für menschliche Würde.

Die Bitte um Nahrung, um die Versorgung körperlicher Grundbedürfnisse, ist ein Ausdruck des Menschseins. Und dieses an sich, das reine Dasein als Mensch, enthält eine gottgegebene Würde.

Körperlichkeit und Abhängigkeit ist nichts, wofür man sich schämen müsste, sondern von Gott geschaffene Menschlichkeit.

Wir bitten um Versorgung, weil wir uns von Gott geliebt wissen, und uns diese Liebe Würde gibt. Daraus erwächst auch unsere Verantwortung, die Würde anderer Menschen anzuerkennen. Weil wir diese nicht immer erfüllen, so Williams, folgt gleich danach als nächste Bitte die um Vergebung.

Vertrauen, teilen, handeln

Die Zeile «Unser tägliches Brot gib uns heute» erinnert deshalb auch daran, dass wir Menschen miteinander verbunden sind. Niemand lebt für sich allein. Wir sind aufeinander angewiesen und sorgen füreinander. Gleichzeitig dürfen wir uns darauf verlassen, dass Gott um unsere Bedürfnisse weiss.

Dieses Vertrauen zu leben, ist eine tägliche Übung – genau wie das Teilen und Handeln.

In dieser einfachen, tiefen Bitte des Vaterunsers verbinden sich Himmel und Erde, Gott uns Mensch, schreibt Gerhard Ebeling. Sie erinnert uns daran, dass unsere Würde – und die aller Menschen – nicht verdient werden muss. Sie ist ein Geschenk Gottes, das uns trägt.

 

Das bekannteste christliche Gebet: «Unser Vater» oder «Vaterunser». In dieser Staffel von «Unter freiem Himmel» gehen wir es Zeile für Zeile durch: Was steht da genau, was sind unterschiedliche Interpretationen und was bedeutet es für uns, heute? Am 28. Januar erscheint der nächste Blogpost in dieser Reihe, parallel zur Podcastfolge und zum Video, zur nächsten Zeile des Gebets: «Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern».

Am Ende der dazugehörigen Folge des Podcasts «Unter freiem Himmel» kannst du die jeweilige Zeile des Gebets mit einem poetischen Text von Janna Horstmann noch einmal anders auf dich wirken lassen (Link zum Podcast ganz oben, Meditation am Ende der Folge). 

Disclaimer: Dieser Blogartikel wurde mit Unterstützung von ChatGPT auf Basis des Podcast-Transkripts erstellt. Die Autorin hat den KI-Entwurf eingehend überarbeitet und ergänzt.

Alle Beiträge zu «Unser Vater»

4 Gedanken zu „«Unser tägliches Brot gib uns heute» (Unser Vater, Teil 5)“

  1. Auch 2025 gibt es frisches Brot. Die Schweiz ist ein Brot Paradies auf Erden. Brot in allen Variationen und Sorten, bei jeder Gelegenheit. Ja, ich bin sehr verwöhnt. Frisches Brot ist ein Geschenk des Himmels – meine Liebe zu GOTT läuft auch über frisches Brot. Ein Leben ohne Brot könnte ich mir nicht vorstellen. Schliesslich gilt «Liebe geht durch den Magen». Mit Brot und Schoggi könnte ich den Weltuntergang nicht überleben aber zumindest versüssen, wir werden sehen… 🙂

    Gottes Liebe hat uns Leben geschenkt. Brot gehört auch dazu, wie sollten wir überleben? Brot ist also auch ein Symbol für sein Geschenk des Lebens. Nur haben nicht alle Menschen ihr tägliches Brot!

    David Steindl-Rast schon etwas vertiefter zum aktuellen Thema:
    «Unser täglich Brot gib uns heute» steht für alles, was wir von dir erhoffen, erbitten und erwarten. Wir erhoffen es, weil wir in jeder Hinsicht davon abhängig sind. Wir erbitten es, weil uns bewusst ist, dass alle menschliche Mühe nicht ausreicht, um das Lebensnotwendige zu verschaffen. Wir dürfen es aber auch voll Vertrauen erwarten, weil wir dich als unsren «Vater» kennen – als das uns allen gemeinsame Du im Herzgrund des Seins.

    Das Bild des Vaters will ja die Liebe zum Ausdruck bringen, mit der du, Unergründliches Geheimnis, den Welthaushalt ordnest und aufrechterhältst, so wie der römische «pater familias» seinen Haushalt in Ordnung hält, den Haustieren ihr Futter und allen Angehörigen das tägliche Brot gibt zur rechten Zeit. Lass uns das Bewusstsein unsrer Abhängigkeit von den Geschenken des Lebens niemals verlieren, sondern vielmehr dankbar feiern. Amen.

    «Unser täglich Brot» bewusst und dankbar aus der spendenfreudig geöffneten Hand des Lebens zu empfangen, das erst füllt unser Herz so recht mit Freude über das uns Geschenkte – ganz im Gegensatz zu der stumpfen Gleichgültigkeit, mit der wir es so oft gedankenlos und wie selbstverständlich in Besitz nehmen.

    Aus einem buddhistischen Tischgebet: «Unzählige Mühen schenkten uns diese Gaben, wir sollten bedenken, wie sie zu uns kommen.» Unsere Nahrungsindustrie hat leider auch ihre Schattenseiten. Wenn wir ausdrücklich um «unser tägliches Brot» beten, dann geht es um nicht mehr und nicht weniger als um das, was wir wirklich benötigen. Das steht aber in einem starken Gegensatz zum «Haben-Wollen», das nie genug bekommt.

    Das ist wohl auch der Grund, warum Jesus Christus uns lehrt, um das zu bitten, was du uns ja längst geschenkt hast und uns immer schenkst, auch wenn wir gar nicht darum beten. Mach du mir immer mehr bewusst, dass alles Geschenk ist und dass der Sinn des Lebens in der Lebensfreude besteht, die zeigt, dass wir uns über dieses Geschenk aufrichtig freuen. Amen.

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  2. Die Diskussion um das weltumspannende VATERUNSER blended aus, dass die sogenannten sieben Bitten keineswegs als Bitte formuliert sind, sondern als Befehle.

    Eine andere Lüge lautet, dass dieses Gebet “so” von Jesus stammt. Die Wahrheit ist, dass Matthäus es “so” aufgeschrieben hat.

    Aufgrund meiner privaten Überzeugung, die ich meinem persönlichen Kontakt mit dem Schöpfer verdanke, ist das Gebet besser zu sprechen mit diesen Sätzen:

    Lieber himmlischer Vater auf Erden!
    Ja, du bist hier, teilst dich mit im Menschen-Wort!
    Du teilst dich aus durch die Hand von Menschen, verteilst Dich in unsere Hände und Herzen!
    Du bist in uns, zwischen uns!
    Du verbindest uns miteinander über alle Verschiedenheiten hinweg, verbindest zu Schwestern und Brüdern, ungeachtet jeder Nationalität, Hautfarbe, Sprache, Glaube, Kultur, Geschlecht.
    Ungeachtet jeden Alters und jeglicher Stellung!
    Du bist unser gemeinsames lebendiges Dasein, trotz und gerade in aller Verschiedenheit oder auch Angst voreinander, wie z.B. Hund und Katze oder sogar Mann und Frau.
    Du spiegelst dich, gebrochen wie das Brot, dass du selbst bist, in jedem Menschen.
    Du bist unsere Mitte – über alle Grenzen hinweg!
    Du bist wir und wir sind du.
    Ich staune und ich danke!
    Du öffnest mich mehr und mehr für die Vielfalt deiner Einheit. Du machst weit meinen Blick und warm und mutig mein Herz, damit ich dich im Hier und Jetzt der Gegenwart treffe, Dich erkenne und anerkenne, dass du mir meinen Sinn gibst für PRIMA KLIMA, nicht nur meteorologisch, sondern gegenüber allen MITGESCHÖPFEN. AMEN

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  3. Danke… Diese Serie ist soo ein Soulfood, auch wenn es zu Recht diesesmal um die körperlichen Bedürfnisse geht. Es wärmt auch meine Seele, auf einen Gott zu vertrauen, der weiß, was Menschen brauchen, und das gibt wieder ganz viel Kraft. Auch wenn Fragen offen bleiben, wenn man die Welt anschaut. Aber dass Zweifel nicht zur Verzweiflung wird, dafür lohnt es sich, das Vertrauen auf viele Arten zu ernähren, und euer Podcast ist dafür ganz ganz toll! ❤️
    Liebe Grüße

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