Dein digitales Lagerfeuer
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Gott ist nicht im Sturm

Über den Propheten Elia könnte man leicht einen dieser brutalen Netflix-Filme oder Serien machen, wie «300» oder «The Punisher». Ich sehe Jason Momoa vor mir in einer Lederrüstung, mit Kampfspuren, wie er gnadenlos Scharen von Menschen abmetzelt.

Der Prophet Elia war nämlich überhaupt keine Jesus-mässige Friedensfigur. Einmal hat er zum Beispiel 450 andere Propheten abgeschlachtet (es steht wirklich «schlachten» im hebräischen Grundtext).

Ein Prophet in der Depression

Danach wurde er selber gejagt und floh, bis er völlig am Ende war. An einem Flussufer liess er sich nieder, geplagt von Selbstzweifeln und Erschöpfung. Elia sagte zu Gott, er wolle nur noch sterben. (Manche Theolog:innen deuten diese Stelle als alttestamentliche Erfahrung von Burnout oder Depression.)

Als Antwort schickte Gott jemanden, der Elia erst einmal etwas zu essen und zu trinken brachte. Danach machte sich der Prophet wieder auf den Weg und versteckte sich in einer Höhle.

Dort fragte Gott ihn, was denn eigentlich passiert sei. Als Elia es ihm erzählte, sagte Gott, er wolle ihn persönlich treffen. Elia begann zu warten.

Zuerst kam ein gewaltiger Sturm, als nächstes ein Erdbeben, danach fing alles an zu brennen – aber Gott war immer noch nicht erschienen.

Dann wurde es ganz, ganz still, Elia merkte: Jetzt ist Gott da.

Ein sehr poetischer Ausdruck steht da in der Bibel. Den Ausdruck kann man schwer übersetzen, eine Möglichkeit lautet: «der Klang einer feinen Stille». Am besten gefällt mir die Variante von Buber-Rosenzweig: «eine Stimme verschwebenden Schweigens».

Gott fragt: Was ist passiert?

Ich stelle mir vor, wie plötzlich alles ganz, ganz still war. Kein Wind, kein Vogelgezwitscher, einfach still – wie in einem schalldichten Raum. Oder wie wenn es frisch geschneit hat und über allem so ein Watte-Teppich liegt.

In der Stille fragte Gott Elia noch einmal: Was ist passiert? Warum bist du hier? Und Elia erzählte noch einmal genau dasselbe wie beim ersten Mal. Dann sagte ihm Gott, wen er als seinen Nachfolger ernennen solle. Elia wird von Gott quasi pensioniert.

Ein stiller Moment. Was ist passiert? Warum bist du hier?

Das passt zum bevorstehenden Jahresende. In den nächsten Wochen reflektieren viele, was gewesen ist, und blicken aus ins neue Jahr.

Weihnachten als Stärkung und als Pause

Vermutlich sind wir alle ziemlich müde und am Ende, auch wenn unser Leben kein Netflix-Action-Film ist und wir keine Rächerprophet:innen. Und vielleicht geht es dir sogar auch so, dass du nicht genau weisst, wie es in bestimmten Lebensbereichen weitergehen soll. Und dass du eigentlich nicht mehr so weitermöchtest wie bisher.

Gott hat Elia zuerst mal mit Essen und Trinken versorgt. Auch an Weihnachten wird ja immer ziemlich viel gegessen und getrunken. Vielleicht können wir das wirklich zuerst einmal als Stärkung nehmen. Aber auch sonst: Gut zu uns schauen und uns gegenseitig umsorgen, als Boten und Botinnen von Gott.

Und dann einfach mal warten. Den Sturm und das Feuer an uns vorbeiziehen lassen, und abwarten, ob irgendwann alles plötzlich ruhig ist. Ein paar Sekunden lang, ein paar Minuten oder sogar ein paar Stunden.

Ich wünschte mir manchmal, dass Gott in diesen Momenten wirklich etwas sagt. Ich habe auch schon erlebt, so eine innere Stimme, die sehr klar war. Manchmal bleibt es aber auch einfach ruhig – eine ohrenbetäubende Stille.

Ich wünsche dir zum Ende des Jahres, falls du das suchst, dass du Gott fragen hörst: Was ist passiert? Warum bist du hier, wo jetzt bist du?

Ich wünsche dir, dass du dann erzählen kannst, dich gehört fühlst und in dem Moment, in dem alles still ist, vielleicht sogar einen neuen Fokus findest.

Die Geschichte in der Buber-Rosenzweig-Bibelübersetzung 

2 Gedanken zu „Gott ist nicht im Sturm“

  1. Liebe Evelyne
    Ich bin spät dran mit einem Kommentar…
    Das ist eine meiner Lieblingsstellen in der Bibel. Ich weiss nicht warum. Auf mich wirkt die Szene trotz ihres Schreckens gnädig: Da verausgabt sich Elia in seiner sehr heroischen = männlichen Art und fällt doch gleich anschließend in tiefe Depression. Hat er vielleicht bemerkt, wie vergeblich das alles ist? Es beruhigt mich, wie offenbar gnädig hier Gott agiert: Wartend, empfangend, behutsam. Naja. Vielleicht geht auch meine Phantasie hier mit mir durch. Wie würdest Du den Furor Elias einordnen? Was ist aus Deiner Sicht die Essenz dieses Teils der Geschichte? Viele Grüße Andreas

    Antworten
    • Lieber Andreas, danke für den Kommentar! Aus heutiger Sicht würde ich von religiösem Fanatismus sprechen, aber das ist keine saubere Exegese. Dafür fehlt mir momentan die Zeit, obwohl das sehr spannend wäre… Ich habe mich bei der Exegese fürs Video auf die Stelle nach dem Furor beschränkt. Liebe Grüsse, Evelyne

      Antworten

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