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 Lesedauer: 8 Minuten

Teure Gnade

1 – Postevangelikalismus: Eine Hinführung

Jeder kritischen Auseinandersetzung mit der evangelikalen Bewegung sollte natürlich eine Frage vorausgehen: Warum sind die Evangelikalen überhaupt so groß und wichtig geworden?

Warum handelt es sich heute um die weltweit zweitgrößte christliche Strömung nach dem Katholizismus? Denn das hätte sich vor 50-60 Jahren niemand vorstellen können.

Nach dem 2. Vatikanischen Konzil und der kulturellen Modernisierung in vielen protestantischen Kirchen waren die meisten sicher: Überleben kann nur eine Christenheit, die sich für die Moderne öffnet, die das aufgeklärte Wahrheitsbewusstsein der Neuzeit respektiert und eine politisch-gesellschaftliche Kraft für eine bessere Welt wird. Welche Zukunft sollten da schon Grüppchen haben, denen Evangelisation und Mission über alles geht, die im Zweifelsfall lieber der Bibel glauben als der historischen Forschung und sich radikal der sexuellen Liberalisierung der 1960er Jahre verweigern? Aber entgegen allen Erwartungen ist keine religiöse Bewegung im letzten halben Jahrhundert dynamischer gewachsen als diese. Wie konnte das passieren?

1. Affirmation

Was ist denn das Erfolgsgeheimnis der Evangelikalen Bewegungen? Aller unübersehbaren Vielfalt zum Trotz sollte man nicht übersehen, dass es so etwas wie ein Zentrum gibt. In aller Kürze formuliert mit dem Song „The Heart of Worship“: „It’s all about you, Jesus.“

Evangelikale Frömmigkeit lebt aus einer Liebesgeschichte der besonderen Art.

Jesus ist für Evangelikale nicht nur Religionsstifter, Lehrer oder Vorbild. Wenn sie „Jesus lebt“ sagen, bekennen sie sich zu dem, von dem sie sich geliebt und angenommen wissen.

Klicks und Aufrufe lügen nicht. Gerade die großen Hits der evangelikalen Lobpreismusik wie zuletzt z.B. „You Say“ von Lauren Daigle leben von dieser radikalen Zusage: „You say I am loved when I can’t feel a thing / You say I am strong when I think I am weak.” Weltweit gibt es eine ungeheure Nachfrage nach einer solchen Botschaft, bedingungslos geliebt zu sein.

Nun könnte man sagen: aber ist das nicht heute zentrales Ziel jeder halbwegs lebensfreundlichen Erziehung? Wie könnte etwas mehr Mainstream sein als eine Kultur der Selbstannahme? Haben sich nicht schon Unzählige zu Gloria Gaynors „I am what I am“ das lebensnotwendige Maß an Selbstakzeptanz ins Rückgrat eingetanzt? Oder es sich mit Christina Aguileras „I am beautiful“ in die Seele gesungen?

Ja, gewiss, es fehlt nicht an guten Ratschlägen, sich selbst anzunehmen und zu lieben. Und doch sind es weltweit viele, die gleichermaßen zu viele Zweifel haben an ihrer Liebenswürdigkeit wie an ihrer Liebesfähigkeit – auch sich selbst gegenüber. Offenbar sehnen sie sich nach einer Liebe, die aus dem Unendlichen kommt und für alle Ewigkeit gilt.

„Gott liebt dich“ ist noch einmal etwas anderes als „Ich bin okay, Du bist 0kay“.

Diese Botschaft ist unabhängig vom Auf und Ab menschlicher Stimmungen. So mancher mag dir sagen, dass Du wertvoll bist; aber kennt er dich wirklich? Du magst es dir selbst sagen; aber glaubst du dir, gerade wenn es drauf ankommt? Vielleicht kannst du dir das selbst so wenig einreden, wie du dich selbst kitzeln, in Ekstase oder sonst wie aus dem Häuschen bringen kannst.

Aufrecht stehen, aufrecht gehen funktioniert vor allem bei Windstille im Sonnenschein. In den Stürmen des Lebens suchen Menschen Halt im Unerschütterlichen.

Aber – ist das nicht die Botschaft, um die es im Christentum insgesamt geht? Geht es nicht in jedem Konfirmationsunterricht bzw. in der Firmungsvorbereitung um die Einsicht, dass Gott Liebe ist? Was ist denn das Besondere am evangelikalen Angebot? Es ist wohl ihre Prägnanz. Evangelikale Frömmigkeit ist nicht dezent. Sie ist laut und grell mit ihrer Zuspitzung: JESUS LIEBT DICH. Sie bietet kein „You are accepted“ – aber frag nicht von wem.

Sie lässt es nicht beruhen auf einer vagen Gläubigkeit, dass da einer mit mir geht, oder dass da irgendjemand auf mich aufpasst und hoffentlich alles gut wird, wie man es hier und da einmal geflüstert bekommt. Evangelikale Frömmigkeit lebt aus einem großen Ja, einer radikalen Affirmation, einer unbedingten Annahme des Menschen. Und sie formuliert diese Affirmation so prägnant und anschaulich wie möglich. Sie ist eindeutig und klar, weil sie mit einer einprägsamen Story arbeitet, der Jesus-Geschichte. Sie ist konkret, weil sie von seinem Namen handelt, seinem Leiden, ja seinem Blut.

Es ist eine Say-my-Name-Frömmigkeit voller starker Bilder. Darum weckt sie große Gefühle, Ergriffenheit und Begeisterung.

2. Selbsttranszendenz

Nun könnte man sagen: Also ist es den Evangelikalen (nicht selten entgegen ihrem Selbstverständnis) gelungen, den christlichen Glauben in eine Gestalt zu übersetzen, die perfekt in ein emotional-therapeutisches Kulturklima passt. In gewisser Weise ja. Ihnen gelingt eine Inkulturation des Evangeliums in ein Zeitalter der Authentizität. Sie praktizieren, was andere lehren. Das Interessante an der evangelikalen Frömmigkeit ist nun aber dies, dass sie einerseits 100% passt zu einer narzisstischen Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Annahme – und andererseits diese Einstellung zugleich radikal aufhebt.

Evangelikale Lieder, Predigten etc. schaffen es immer wieder, in wenigen Minuten von „Du bist Gott unendlich wichtig“ umzuschalten auf „Gott allein ist wichtig“. Er tut nicht nur alles für dich. Er befreit dich auch davon, ständig um dich selbst zu kreisen. Nichts ist typischer für evangelikale Frömmigkeit der letzten Jahrzehnte, als der Lobpreis Gottes: Die Anbetung Gottes als König und Herr, Freund und Vater, als der Heilige und Ewige, Schöpfer und Erlöser.

Ja, das Licht seiner Liebe macht dein Leben hell; aber natürlich nur da, wo du dich auf eine kopernikanische Wende deines Lebens einlässt.

Er ist die Sonne, das Zentrum deines Universums – und dein Platz ist eine Umlaufbahn. Er ist der Mittelpunkt in deinem Leben und in deinem Herzen, in deiner Schwäche und in deiner Stärke. Evangelikale Frömmigkeit ist nicht nur eine Erfahrung des Angenommenseins; sie ist auch eine Bewegung der Dezentrierung, der Selbsttranszendenz.

Die Erfahrung des Heiligen wurde in der Moderne weitgehend verflüchtigt – oder in die Sakralisierung des Menschen transformiert. Das gilt auch für nicht wenige Gestalten des aufgeklärten Protestantismus. Evangelikale Frömmigkeit tickt anders. Vielleicht hat sie nicht den Begriff des Heiligen als mysterium tremendum et fascinans. Aber viele kennen das Gefühl.

Evangelikalismus ist eine Frömmigkeit der teuren Gnade.

Sie will keine Provinz in deinem Gemüte sein, sondern die Mitte von allem. Es ist die Party mit dem teuersten Eintrittsgeld: Weil sie alles bietet, kostet sie dich alles. Und gerade das macht die Feiernden gewiss, dass sie das wert ist.

Na klar, der Evangelikalismus besteht heute aus vielen Strömungen. Bei manchen ist vom soeben Beschriebenen höchstens noch die halbe Botschaft zu finden, eine selbstische Religion, die sich allen anderen überlegen fühlt, oder moralistische Frömmigkeit voller Selbstverneinung. Aber bei gar nicht so wenigen gelingt es nun doch noch, diese Kombination von radikaler Erfüllung menschlicher Sehnsucht und einem Lebensstil der Hingabe. Wenn es gut läuft, trifft evangelikale Frömmigkeit diese Balance. Dann ist es eine Religion der menschlichen Entscheidung für den Gott, der sich für den Menschen entschieden hat. Im Evangelikalismus wirst du nicht nur der Liebe Gottes vergewissert, du wirst auch auf einen Weg der Liebe zu Gott versetzt. Handelt nicht das „Höre Israel!“ (Dtn 6,4ff.) genau davon?

Wo aber ist außerhalb evangelikaler Frömmigkeit noch die innige Liebe zu Gott ein großes Thema, genauso wie die Rede von der Liebe zu Jesus oder der Liebe zur Bibel?

Die große Affirmation weckt große Begeisterung. Darum klingt Lobpreismusik wie eine Endlosschleife auf Gott umgeleiteter Liebeslieder. Evangelikale würden sagen: So ähnlich, aber eigentlich ist es umgekehrt. Begeisterung, Liebe, Ergriffenheit werden in der Neuzeit auf dies und das und jenes umgeleitet – und wir wollen den lieben, ehren und feiern, der es in aller Ewigkeit wert ist.

3. Commitment

Ist es das? Ja, verbunden mit einer letzten Wendung: diese große Selbsttranszendenz ist die Triebkraft hinter dem sogenannten Aktivismus der Evangelikalen, die in der Standarddefinition von David Bebbington eine so wichtige Rolle spielt. Statt Aktivismus sagt man wohl besser Commitment: Denn es geht um Identifikation, Hingabe, Einsatz- und auch Opferbereitschaft für die erkannte Wahrheit. Das macht Evangelikale für Außenstehende nicht immer sympathisch. Dass sie gefühlt mehr mitteilen als zuhören wollen, kann leicht als aufdringlich empfunden werden, wenn nicht als nervig, penetrant. Und manchmal mag es auch Sehnsucht wecken nach einer Lebenseinstellung, in der du immer eine Mission hast, stets im Auftrag des Herrn unterwegs bist, weil du das Licht gesehen hast (Blues Brothers!). Das mögen nicht alle sympathisch finden – aber es ist erfolgreich.

Evangelikale lieben Sätze wie „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst“.

Ja, sie schätzen keine wohltemperierte Frömmigkeit, sie haben keine Geduld mit allem, was lau ist. Michael Herbst hat das in einer sehr lesenswerten Beschreibung der Evangelikalen einmal so formuliert: „Die Frucht dieser robusten Alltäglichkeit und personalen Intensität ist ein verbindliches Engagement, eine starke Verlässlichkeit, Sensibilität für Nöte anderer, Opferbereitschaft, aber auch der Wille, andere zu überzeugen und zu gewinnen.“ (Michael Herbst, Was meinen wir eigentlich, wenn wir »evangelikal« sagen? Deutsches Pfarrerblatt 8/2017, 432ff.) Evangelikale Frömmigkeit ist ein Leben mit Vision (Rick Warren).

Aber: wie konnte eine solche Bewegung so stark Teil der politischen Auseinandersetzungen werden? Fortsetzung folgt…

Thorsten Dietz widmet sich in dieser RefLab-Serie dem Thema Postevangelikalismus und der Krise des Evangelikalen. Er behandelt  Schlüsselfragen wie: Ist Evangelikalismus eine gegenkulturelle Bewegung – oder religiöser Ausdruck postmoderner Bedürfnislagen? Welche Zukunft hat die Politisierung evangelikaler Gruppen? Und ist das relevant, um unsere Gesellschaft zu verstehen? Bereits erschienen ist der Beitrag Postevangelikalismus: Eine Hinführung.

Alle Beiträge zu «Postevangelikale»

12 Kommentare zu „Teure Gnade“

  1. Vielen Dank, Thorsten Dietz für diesen wie immer interessanten und tief blickenden Artikel.
    Fragen rund um die in evangelikalen Kreisen vertretene Ethik gerade im Bezug auf die Sexualität und das Rollenbild der Geschlechter finde ich hier ebenfalls erwähnenswert… Wie ein gottgefälliges Leben auszusehen hat, scheint hier völlig klar zu sein…
    Auch die Frage rund um den „Prosperity Gospel“ wäre wohl auch noch zu überlegen.

    Zudem mache ich folgende Erfahrungen:
    Diese Gruppierung machen ein hoch professionelles Marketing gezielt auf definierte Zielgruppen hin: z.B. junge Frauen zwischen 15 und 25.
    Ein „Erfolgsgeheimnis“ sind hier wohl auch die klaren und einfach Aussagen eben zur Ethik und Lebensführung, die die Komplexität der Welt auf ein zum Teil einfaches Schwarz und Weiss, Richtig oder Falsch und so lebst du „Gott gefällig“ herunter bricht: alles sehr „kundenfreundlich“ und nicht so klobig und schwer wie unser klassischer Protestantismus in der Landeskirche (Siehe hier einer unseren alten Werbeslogans: selber denken- wir Reformierten- nicht immer einfach!)

  2. Danke für die Rückmeldung! Ethik generell und Rollenbilder der Geschlechter werden sicher noch mal vorkommen. Das ist ja erst der zweite Teil einer Serie…

  3. Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.

    Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament…

    Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; … Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, … Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. Die Kirche dieser Gnadenlehre ist durch sie schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes.

    Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.

    Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muß.
    Teuer ist sie, … weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; … weil sie dem Menschen das Leben kostet, … ihm so das Leben erst schenkt, … sie die Sünde verdammt, … den Sünder rechtfertigt.
    Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, … sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat – „ihr seid teuer erkauft“ -, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist. … weil Gott sein Sohn nicht zu teuer war für unser Leben, sondern ihn für uns hingab. Teure Gnade ist Menschwerdung Gottes.

    Teure Gnade ist Gnade als das Heiligtum Gottes, das vor der Welt behütet werden muß, … nicht vor die Hunde geworfen werden darf, sie ist darum Gnade als lebendiges Wort, Wort Gottes, das er selbst spricht, wie es ihm gefällt. Es trifft uns als gnädiger Ruf in die Nachfolge Jesu, es kommt als vergebendes Wort zu dem geängstigten Geist und dem zerschlagenen Herzen. Teuer ist die Gnade, weil sie den Menschen unter das Joch der Nachfolge Jesu Christi zwingt, Gnade ist es, daß Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“

    Dietrich Bonhoeffer
    Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werkausgabe, DBW 4, S. 29 – 31

    1. Hier stimmen wieder die Begriffe nicht. Die Anliegen Tom’s sind ehrwürdig, aber mit Gnade, billig oder teuer kann man sie unmöglich fassen. Hört mal, ihr Bonhoeffer Nachbeter: Gnade ist entweder gratis, oder sie ist keine Gnade. Teuer ist die Gnade allein für den, der dafür am Kreuz starb. Billige Gnade gibt es nicht, wenn Gnade uns etwas kostet, ist es nicht Gnade. A Dieu.

  4. Betont ein neokonservatistischer Evangelikalismus eine Ich-Bezogenheit?

    Die „Kopernikanische Wende“ hat zunächst beleuchtet: Der Mensch an sich, für sich allein, selbst, ist eben NICHT, wie es Ptolemäus mutmaßt, das Zentrum, sein alleiniges „egozentrisches“ Zentrum.

    Kants „Transzendentalphilosophie“ ist gewissermaßen eine weitere Wende, spiralförmig lernend auf dem Zeitstrahl der Geschichte:

    Er geht davon aus: Es gibt apriori allgemeingültige unwiderlegbare „Wahrheit“…. des einzelnen Menschen, die allen Menschen, mehr oder weniger variabel, unterliegt, auferliegt. Es gibt somit diese „Wahrheit“, Realitäten, die universell sind.

    Kant: Unreflektiert können wir Wirk-lich-keit, die real existente „Wahreit“, aus UNSERER Wahrnehmung bzw. Nichtwahrnehmung heraus nicht erkennen.

    Nun sinniere ich: Was könnte diese komplexe oder ganz simple apriori-Wahrheit sein?

    Am Säugling scheint es mir offenbar. Nach drei Tagen ohne Nahrung in vielerlei Gestalt ist er tot.
    Direkt nach der Geburt: Er schreit, macht SICH bemerkbar, hungert am ersten Tag.
    Er wird sein ganzes Leben seinen Hunger zeigen. Schreit bemerkbar. Er braucht – Gemeinschaft.

    Selbst-Transzendenz

    ….ist definiert durch den Umstand, daß der Mensch erst dann ganz Mensch wird, wenn er aus sich heraustritt und in der Hingabe an eine Sache oder an einen Menschen aufgeht.

    Begegnung, Miteinander, Gemeinschaft, Geben und Nehmen, Angesicht in Angesicht. Über alle Mauern.

    Gegenwahrheit: Allein Haben statt gemeinsam Sein. Einsam. Hinter eigenen Mauern.

  5. Fazit: Der fundamentalistisch-neukonservatistische amerikanische Evangelikalismus ist ein Vorbild für einen selbstbezogenen radikal-religioiden Egoismus. Die Demokraten können es vielleich ein wenig abmildern. America the beautiful bleibt eher noch zunehmend und jetzt erst recht in deren Köpfen. Es ist eine Frage der Zeit, wann und wie intensiv uns diese Welle über’s Haus schwappt.

  6. Klasse beschrieben! Danke!
    Die „Endlosschleife der auf Gott umgeleitete Liebeslieder“ trifft es sehr gut. Es ist die große Sehnsucht nach Liebe und Annahme, die hier im göttlichen Gegenüber gefunden wird. So schön das ist, ist es zugleich die Sollbruchstelle. Es ist wie bei einer ausgedehnten Verliebtseinsphase. Irgendwann will sich die Liebe weiter entwickeln. Und hier fehlt nach meiner Einschätzung das Gegengewicht: Gott als überpersönliche Kraft, Urgrund – oder wie immer wir es nennen wollen. Ich habe schon oft erlebt, dass diese leidenschaftlichen Christen im Krisenfall entweder weggefallen, oder in einer dauerhaften Verdrängung weitergelaufen sind. Ein Thema, dass mich sehr beschäftigt: wie kann die persönliche und transzendente Dimension gut zusammenkommen.

  7. «Die  große Sehnsucht nach Liebe und Annahme, die hier im göttlichen Gegenüber gefunden wird », ist keine Erfindung der Evangelikalen, sondern zeigt sich schon bei den Wüstenvätern, den mittelalterlichen Mystikern, im schwäbischen Pietismus u.v.m. Damit steht der Evangelikalismus in einer reichen Tradition, vielleicht ohne es wirklich zu wissen. Ein Blick in die Geschichte zeigt zudem, dass eine starke Innerlichkeit meist auch eine attraktive Äußerlichkeit hatte, die sich in diakonischem Handeln ausdrückte, z.B. Klosterleben, Raiffeisenbanken, Franckesche Anstalten, Herrenhut…

    1. Ja, ich hoffe auch, dass noch viele Evangelikale den reichen Schatz der christlichen Mystik entdecken werden; verbunden mit der Wendung nach außen und zum Nächsten, die in der Tat bei vielen Mystikerinnen wie z.B. Teresa von Avila zu finden ist.
      Typisch evangelikal ist der neuzeitliche Horizont der Frage nach Liebe, eine Sehnsucht nach Bestätigung im Kontext von Selbstwertthemen, Anerkennung als Individuum, Befreiung zu authentischem Selbstsein etc. Diese Dimension gibt es weder bei Evagrius Ponticus noch Benedikt von Nursia, weder bei Meister Eckhart noch bei Johannes vom Kreuz; und all das ist auch Luther und Calvin noch völlig fremd. Evangelikalismus ist eine geistliche Bewegung im Zeitalter der Authentizität. Und gerade gegenüber damit verbundenen Einseitigkeiten könnte die klassische Tradition der Mystik eine wertvolle Hilfe sein.

  8. Nicht vergessen – ein wichtiger, wenn nicht sogar der entscheidende Faktor beim „dynamischen Wachstum“ und Verbreiten des Evangeliums ist – wenn wir dem Zeugnis der ersten Christen glauben – die reale und übersinnliche Kraft des Heiligen Geistes. Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass dies das wahre „Erfolgsgeheimnis“ für jede christliche Bewegung ist, und somit auch für die Evangelikalen in den letzten Jahrzehnten. Die im Text genannten drei Lebenseinstellungen (Affirmation, Selbsttranszendenz, Commitment) wären somit weniger plan- und (nach)machbare Strategie, sondern stattdessen vielmehr Geschenke, die sich im Vertrauen auf einen allmächtigen Gott ergeben.

  9. Könnte mir vielleicht mal jemand mit einfachen Worten bitte erklären, was Bonhoeffer mit „teurer Gnade“ meint und welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollen ?
    Ist das heilsentscheidend und muss man daraus eine Art „Werksgerechtigkeit“ ableiten, wie es vereinzelte Freikirchler meinen ?
    Ist die Gnade teuer aus Sicht des Menschen, indem er sie sich buchstäblich alles kosten lassen muss, um ihrer teilhaftig werden zu dürfen ?
    Oder ist sie teuer aus der Sicht Gottes, weil er sich selber am Kreuz der ultimativen Demütigung ausgesetzt hat ?
    Welche Deutung des Kreuzes hatte Bonhoeffer ?
    Hing er der Sühnopfertheologie an oder war er so modern, dass er es als reinen „Unfall“ ansah und Jesus Christus dadurch „viktimisiert“ wurde ?
    Danke im Voraus, falls jemand was dazu schreiben mag !

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