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 Lesedauer: 9 Minuten

Die Evangelikalen und das apokalyptische Weltbild

1. Verschwörungsglaube

Evangelikale lieben die ganze Bibel, auch da, wo sie zeitgenössischen Menschen fremd erscheint. Sie schätzen nicht zuletzt auch die apokalyptischen Texte der Heiligen Schrift, vor allem Bücher wie Daniel und die Offenbarung des Johannes mit ihren Bildern endzeitlicher Drangsale. Ja: diese Texte sind unverzichtbarer Bestandteil des christlichen Glaubens. Denn dieser Strang biblischer Theologie betont die Realität des Bösen in der Welt; und Gottes endzeitlichen Sieg über alle Mächte der Ausbeutung und Gewalt. Apokalyptische Weltwahrnehmung gehört zum christlichen Glauben ebenso wie messianische Hoffnung.

Und manchmal gibt es Strömungen, in denen ein apokalyptischer Pessimismus die ganze Weltwahrnehmung bestimmt.

Dieses Phänomen gibt es innerhalb wie außerhalb der Christenheit. Und es kann sehr gefährlich werden.

Nicht wenige kennen Varianten folgender Ideen:

  • Die Geschicke der Welt werden von einer kleinen Macht- und Geldelite gesteuert. Diese Geheimgesellschaft besitzt das große Geld und übt längst die Kontrolle über die wichtigsten Zentren der Politik, der Finanzen und der Bildung aus. Und diese Macht nutzt sie schamlos aus.
  • Alle traditionellen moralischen Werte werden durch die Förderung schrankenloser Freiheit destabilisiert. Mit Hilfe der wichtigsten Bildungsinstitutionen und der modernen Massenmedien wird der christliche Glaube lächerlich gemacht. Zwischen den Völkern wird Zwietracht gesät.
  • Dahinter steckt ein perfider Plan. Letztlich arbeitet diese Elite daran, weltweite Verunsicherung und Chaos zu schüren, bis sich die Völker der Welt nach einer neuen Ordnung der Welt sehnen, einem Welteinheitsstaat, der für Sicherheit und Frieden sorgen kann. Dann wird die verschworene Elite einen der ihren zum Weltherrscher machen, dem sich alle Welt unterwerfen muss.

So kann man die Protokolle der Weisen von Zion (1903) zusammenfassen, einer perfiden Fälschung, die einer vermeintlichen Gruppe jüdischer Freimaurer das Streben nach Weltherrschaft unterstellt. Verschwörungserzählungen wie QAnon arbeiten bis heute mit den gleichen Mustern; manchmal mit expliziter antisemitischer Botschaft, manchmal wie eben QAnon mit allen klassischen Bestandteilen antisemitischer Narrative, nur ohne ausdrückliche Nennung von Juden.

Die allermeisten Evangelikalen haben sich vom Antisemitismus früherer Generationen abgewandt. Nicht selten sind sie sogar besonders treue Unterstützer des Staates Israel. Um so tragischer ist es, dass es in den USA keine religiöse Gruppe gibt, in der QAnon so viel Zustimmung gewann wie weiße Evangelikale.[1]

Im deutschsprachigen Umfeld gibt es das nach allem, was wir wissen, bei weitem nicht in vergleichbarem Ausmaß. Und doch gibt es in Europa zumindest ansatzweise eine gewisse Anfälligkeit, wie man im Kontext der Corona-Pandemie sehen konnte. So ist es bemerkenswert, dass die Deutsche Evangelische Allianz, als sie vor einigen Wochen antisemitische Erscheinungen der Gegenwart kritisierte, folgende Mahnung für angebracht hielt:

«In den vergangenen Monaten seit Beginn der Pandemie wurden eine Reihe von Verschwörungstheorien verbreitet, die alte und weit verbreitete Stereotype einer jüdischen Weltverschwörung aufgegriffen haben. Diese aberwitzigen Mythen stellen nicht selten die geistige Grundlage für Antisemitismus dar. Wir fordern Christen auf, der Verbreitung solcher Inhalte entschieden entgegenzutreten.»[2]

Was haben Christen mit solchen Verschwörungserzählungen zu tun? Faktisch gibt es in der evangelikalen Welt ein Genre, an das man sich unwillkürlich erinnert fühlt angesichts alter und neuer Formen von Verschwörungsdenken: Endzeitliteratur.

2. Endzeitliteratur

Nun wäre es ungerecht, einfach die Entsprechung von evangelikaler Endzeitliteratur und einem antisemitischem Hasswerk wie den Protokollen der Weisen von Zion zu behaupten. Nichtsdestotrotz gibt es Parallelen, die stärker als bislang reflektiert und diskutiert werden müssten. Vor allem im 19. und das 20. Jahrhundert entstanden viele christlich-apokalyptische Zeitdeutungen, die in evangelikalen Kreisen ziemlichen Anklang fanden.[3] Endzeitliteratur ist in der evangelikalen Öffentlichkeit nichts Randständiges. Hal Lindsays Buch «Alter Planet Erde wohn?» war mit einer Weltauflage von 30 Millionen Exemplare eines der erfolgreichsten Sachbücher nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt. Wohl kaum ein evangelikales Buch wurde in den 1970er und 80er Jahren so viel gelesen wie dieses.

Die Gründung des Staates Israel (1948) und erst recht die Eroberung Jerusalems (1967) sorgten bei Lindsay wie bei vielen anderen für eine endzeitliche Hochspannung. Er war sich wie viele andere sicher, dass es sich dabei um weltgeschichtliche Ereignisse von endzeitlicher Tragweite handelte. In dieser Generation noch sei mit der Wiederkunft Jesu zu rechnen. Zuvor werde Gott die wahrhaft Gläubigen aus dieser Welt entrücken. Dann käme es zur Durchsetzung eines antichristlichen Weltreichs, das eine erbarmungslose Tyrannei über die ganze Welt errichten werde, bevor Christus nach schweren Zorngerichten endgültig sein Reich errichten würde.

Folgende Zeichen einer nahenden Weltherrschaft des Antichristen hielt Lindsay für offensichtlich:

  1. Das erfolgreiche Streben des Kommunismus nach der Weltherrschaft
  2. Die damit im Zusammenhang gesehene Kulturrevolution der 1960er Jahre mit der Auflösung aller Moral
  3. Die zunehmende politische Ohnmacht und Niedergang der Christenheit und vor allem der christlichen USA
  4. Die Einigung Europas und sein Aufstieg als bestimmende antichristliche Weltmacht der Zukunft
  5. Der zunehmende antichristliche Einfluss der säkularen Medien, des Bildungssektors und der Künste insgesamt
  6. Die Errichtung globaler Organisationen (UNO etc.), die der Weltherrschaft des Antichristen zuarbeiten
  7. Die weltweite Vereinigung der vom wahren Glauben abgefallen Kirchen und schließlich aller großen Religionen zu einem Welteinheitskirche – als spiritueller Basis der antichristlichen Herrschaft

Die biblische Prophetie galt als so eindeutig, dass das Buch schon regelrechte Karten von den endzeitlichen Kriegen gegen Israel verzeichnete, das von den antichristlichen Mächten bestürmt werden würde.

Spätestens durch die Zeitenwende 1989-91 waren die meisten Prophezeiungen von der endzeitlichen Bedeutung des Kommunismus und der vermuteten Weltentwicklung widerlegt.[4] Aber ab einem bestimmten Punkt ist ideologisches Denken wohl durch keine Wirklichkeit mehr zu beeindrucken. Die Endzeitliteratur boomte weiter. In den 1990er Jahren erschien die Romanreihe «Left Behind» (Deutsch: Finale) von Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins. In romanhafter Form wurde die Endzeiterwartung ausführlich entfaltet; nur ohne kommunistische Weltherrschaft. Allein in den USA verkauften sich diese Bücher über 50 Millionen Mal. Eine Zeitlang war dies die meistverkaufte Romanreihe der neueren Literaturgeschichte, die inzwischen nur von einer Reihe übertroffen wurde: Von Harry Potter. Kein Wunder, dass das Institute for the Study of American Evangelicals der renommierten evangelikalen Hochschule Wheaton Tim LaHaye im Jahr 2001 zum bedeutendsten und einflussreichsten Evangelikalen der Gegenwart erklärte.[5]

Apokalyptische Literatur ist in der evangelikalen Welt kein Randphänomen.

Wie sieht es heute aus, wo sämtliche einstmaligen Gewissheiten hinfällig sind, dass mit der Staatengründung Israels 1948 die letzten 40 bzw. maximal 70 Jahre der Menschheit begonnen haben? Sicherlich ist es heute vielen Evangelikalen peinlich, was sie einst für bare Münze genommen haben. Und natürlich: Große Teile der US-Evangelikalen haben diese Spekulationen nie ernstgenommen. In Europa gilt dies sicherlich für die große Mehrheit.

Der Glaube an konkrete Weissagungen ist sicher zurückgegangen. Aber das hintergründige Muster dieser Zukunftserwartungen ist nach wie vor wirksam. Die Warnung vor der Errichtung einer «neuen Weltordnung», das hintergründige Strippenziehen der Globalisten, der Kulturbolschewisten bzw. -marxisten – solche Verschwörungsmythen finden immer wieder hier oder da Anklang, wie die Corona-Pandemie zeitweise deutlich gemacht hat. Deutlich wurde dies zuletzt im berüchtigten Gebet, das der QAnon Schamane bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 im Sitzungssaal sprach: «Thank you for allowing us to get rid of the communists, the globalists, and the traitors within our government.»[6]

Was sind die Merkmale einer apokalyptisch gefärbten Weltsicht?

3. Merkmale des Apokalyptischen

a) Feinddenken

Evangelikale reden vom Bösen, und das mit Gründen, denn es ist eine Realität. Auch Jesus von Nazareth redet von Feinden; Und gibt sogleich ein klares Gebot, mit welcher Haltung man dem Feind gegenüberzutreten habe. Im apokalyptischen Denken ist die Haltung zum Feind nicht die erbarmende Liebe, sondern eine Mischung aus Angst und Wut. Mit Gegnern und Kontrahenten kann man sich streiten. Man kann in der Auseinandersetzung mit ihnen lernen, bei Bedarf zu Kompromissen finden, die nur dann gut sind, wenn sie allen weh tun. Im Feinddenken gibt es nichts dergleichen. Die apokalyptische Sprache ist voller Feindseligkeit. Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen gelten als gesteuert von mächtigen Lobby-Gruppen (LGBT-Lobby, Genderisten, Kulturmarxisten etc.).

Zusammenhänge verstehen scheint identisch zu sein mit: den Schuldigen zu kennen.

b) Dualistisches Denken

Komplexe politische Fragen werden nach Möglichkeit heruntergebrochen auf einfache Alternativen. Auch da, wo man nicht mehr an die konkreten Inhalte apokalyptischer Weltdeutung glaubt, z.B. nicht ernsthaft mit der bevorstehenden Errichtung einer neuen Weltordnung im antichristlichen Geist rechnet, bleibt man von einem Gegendenken bestimmt.

Zur Gesellschaft, dem Zeitgeist und dem Mainstream sieht man sich grundsätzlich im Gegensatz. Bei vielen Fragen gilt: Schwarz oder Weiß, wir oder die, Zeitgeist oder Gottesgeist.

c) Isolationismus

Alles Fremde und Neue ist prinzipiell erst einmal verdächtig. Es gibt keine grundsätzliche Bereitschaft, auf die Wahrheitsfähigkeit und das Wohlwollen der Mitmenschen zu setzen. Wer für Dialog und Überwindung von Feindbildern spricht, macht sich verdächtig. Die eigene Gruppe ist stark von einer Unterscheidung von Drinnen und Draußen bestimmt. Abgrenzung vom Zeitgeist gilt als grundsätzlich richtig. Alle wichtigen Fragen werden nur noch in den eigenen Kreisen diskutiert; wenn überhaupt.

d) Zukunftsskepsis

Der Staat und noch stärker internationale Organisationen werden mit Misstrauen und Skepsis gesehen. Man hält zwar an grundsätzlicher Unterordnung unter staatliche Verordnungen fest. Aber man rechnet zunehmend mit totalitärem Machtmissbrauch der Führungselite. Ein von solcher Weltsicht geprägtes politisches Engagement verfolgt keine Ziele mehr einer positiven Gesellschaftsentwicklung. Apokalyptischer Politik geht es nicht um sozialen Zusammenhalt, Integration und Interessenausgleich. Apokalyptische Politik denkt von der Verhinderung vermeintlicher Gefahren her. Sie will Gefahren abwenden (z.B. den Sumpf des tiefen Staates trockenlegen) und Bedrohungen ausschließen (z.B. mit Mauern).

4. Evangelikale Spannungen

Für manche evangelikale Strömungen ist die endzeitliche Bedrohung der zentrale Deutungsrahmen für alle aktuellen Ereignisse. Geschichtlich muss man wissen: Eine solche Weltsicht gehört keineswegs zum Wesen evangelikaler bzw. pietistischer Bewegungen.

  • Die frühen Evangelikalen des 18. und des 19. Jahrhunderts vertraten wie die klassischen Pietisten des 17. und 18. Jahrhunderts eine «Hoffnung besserer Zeiten» (Spener) und setzten sich für soziale Reformen der ganzen Gesellschaft ein.
  • Viele Evangelikale bzw. Pietisten verzichten ganz darauf, dem Weltlauf eine eindeutige Richtung des permanenten Fortschritts oder Niedergangs zu unterstellen, sondern wollen schlicht Glaubenszeugnis und Weltverantwortung betreiben ohne dogmatische Ausdeutung der jeweiligen Zeichen der Zeit.

Gerade in dieser Frage haben innerevangelikale Gegensätze in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Der Umgang mit dieser Spannung wird eine wichtige Rolle in der weiteren Entwicklung der Evangelikalen spielen.

 

Anmerkungen

[1] Laut dem Flaggschiff evangelikaler Publizistik Christianity Today halten 27 % der weißen Evangelikalen den Verschwörungsglauben von QAnon für völlig bzw. überwiegend zuverlässig. Vgl. https://www.christianitytoday.com/news/2021/february/white-evangelicals-qanon-election-conspiracy-trump-aei.html.

[2] https://www.ead.de/mai-1/15052021-stellungnahme-zu-antisemitischen-vorkommnissen-und-einseitiger-israelkritik/ Schon im November 2020 distanzierte sich die DEA ausdrücklich von Verschwörungstheorien und rief Christen dazu auf, solchen Tendenzen zu widerstehen. Vgl. https://www.ead.de/fileadmin/DEA_Allgemein/Stellungnahmen/2020-11-07_Erklaerung_zur_Corona-Krise.pdf.

[3] Als Gesamtüberblick siehe Matthew Avery Sutton (2014): American Apocalypse. A History of Modern Evangelicalism. Havard College.

[4] Eine wichtige innerevangelikale Aufarbeitung dieser Irrtümer findet sich in dem Buch: Franz Stuhlhofer (1992): «Das Ende naht». Die Irrtümer der Endzeitspezialisten. Gießen: Brunnen Verlag.

[5] Vgl. https://www.wnd.com/2001/06/9474/.

[6] Vgl. den ganzen Text des Gebets: https://sola.network/article/how-to-and-how-not-to-pray-country-leaders.

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28 Kommentare zu „Die Evangelikalen und das apokalyptische Weltbild“

  1. Danke für die Zusammenstellung!
    Das hat ja gerade Hochkonjunktur. Leider sehen sich Evangelikale aktuell in ihrer Weltsicht bestätigt, wenn sie derartige Erzählungen auch von Nicht-Christen wahrnehmen.
    Ich kenne aus meinem Umfeld die Ansicht, dass die EKD die Hure Babylon sei und Ökumene vom Teufel. Und die Grünen sowieso. Irgendwie wird das biblisch begründet. Auch das mit der Welteinheitsregierung/Welteinheitskirche. Leider bin ich keine Offenbarungsspezialistin. Wie ist das denn mit der biblischen Begründung dieser Motive/Erzählungen? Gibt es da tatsächlich Anhaltspunkte, v.a. für die Sorge vor einer teuflischen Welteinheitsregierung? Oder werden da einfach munter Dinge an die biblischen Texte herangetragen, die in dieser Form überhaupt nicht in den Texten vorkommen?
    Ich freue mich auf Infos darüber!

    1. Manfred Reichelt

      Liebe Katharina, eine Welteinheitsregierung versucht man vor allem aus 2. Thess. 2:3-4 abzuleiten: „Lasset euch niemand verführen in keinerlei Weise; denn er kommt nicht, es sei denn, dass zuvor der Abfall komme und offenbart werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der da ist der Widersacher und sich überhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, also daß er sich setzt in den Tempel Gottes als ein Gott und gibt sich aus, er sei Gott.“

      Man übersieht dabei, das hier der Typus Mensch gemeint ist, der voll in der irdischen Realität aufgeht und alles Übersinnliche leugnet.

      1. Danke Manfred! Naja, ich finde das schon arg weit hergeholt. Und vor allem so gar nicht wörtlich genommen (die Begriffe Welteinheitskirche oder -regierung kommen da ja überhaupt nicht vor).

        1. Eine sehr große Rolle spielt auch Offenbarung 13. Das wurde und wird von vielen Prämillenianisten und Dispensationalisten so ausgelegt, dass es zu einer teuflisch gesteuerten antichristlichen Weltherrschaft mit totalitärer Macht kommen werde; und dass es nun die technologischen Voraussetzungen gebe, so etwas umzusetzen. „Neue Weltordnung“ und „Great Reset“ sind entsprechende Codewörter, die man damit assoziiert. Vgl. nur diesen Vers: „Und es macht, dass sie allesamt, die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Sklaven, sich ein Zeichen machen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn 17 und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens.“ (Offb 13,16-17)

          1. Dankeschön! Ah, daher wohl auch die Furcht vor dem bargeldlosen Bezahlen. Naja, aber eigentlich könnten alle Bibelwörtlichnehmende doch recht entspannt sein, denn es gibt ja bis dato keinen Code auf der rechten Hand oder der Stirn, den weltweit alle zum Bezahlen nutzen müssen 😉
            Monopole sind natürlich auch aus nicht-christlichen Gründen nicht zu begrüßen. Aber ich wette, auch unter den Endzeitchristen gibt es noch etliche, die bei amazon bestellen, bei facebook registriert sind, google nutzen usw. Ich habe eher den Verdacht: Solange es zum eigenen Vorteil/bequem ist, wird nicht kritisiert und gewarnt. Nur dann, wenn es der eigenen Weltanschauung/Meinung/Stimmungslage/dem eigenen Wohlstand und Komfort zuwider läuft.

      2. Für mich hört sich das mit dem sich in den Tempel setzen und so tun als sei man Gott an wie ein antiker Gottkönig oder etwas Ähnliches. Ich meine, die biblischen Texte sind ja geschrieben, als das römische Reich extrem mächtig war und die waren ja auch nicht grade zimperlich. Daher wundert es mich gar nicht. dass die Autoren keine Namen genannt haben, obwohl sicher den Lesern klar war, wer gemeint war. (Also ich sag das mal mit meinen eigenen Worten: „Im Moment ist die Welt eben noch nicht perfekt, schon alleine, weil wir immer noch diesen römischen Kaiser am Hals haben, der von sich denkt, er sei Gott und er könne schalten und walten, wie er will. Aber der wird auch noch dafür zur Verantwortung gezogen werden und alle werden sehen, was das in Wirklichkeit für ein armes Würstchen ist.“)

  2. Ich bin als Kind in einer streng pietistischen, von Endzeitglaube geprägten Familie und Gemeinde im Siegerland aufgewachsen und habe all das, was Thorsten in seinem Artikel beschreibt, quasi am eigenen Leib erfahren. Noch heute leide ich unter den Nachwirkungen des apokalyptischen Weltbildes, welches mir damals vermittelt wurde. Es ist ja schön und gut, dass diesbezüglich im evangelikalen Bereich inzwischen ein Umdenken und Umlenken stattfindet. Was ich mir aber wünschen würde, wäre auch eine umfassende Aufarbeitung des geistlichen und psychischen Missbrauchs, der damals betrieben wurde, insbesondere gegenüber Kindern. Dies würde bestimmt dabei helfen, in der Zukunft etwas wehrhafter gegenüber solchen Strömungen zu sein.

    1. keine umfassende Aufarbeitung aber vielleicht eine kleine Unterstützung darin, eigene Verletzungen zu erkennen und zu sehen, dass man damit nicht alleine ist:
      hossa-talk.de

    2. Das kann ich nur unterstreichen. Davon träume ich auch , dass jede freikirchliche Gruppe, jeder Prediger, Autor usw. der einmal solche Dinge als „Gottes Wort“ verbreitet hat, auch öffentlich Verantwortung übernimmt und das Leid der Opfer (auch meins : Jugend in Depressionen und Angstzuständen zu verbringen ) anerkennt.
      „Wir sind heute ja nicht mehr so“ zu sagen, reicht nicht. In den 70-80ern waren aber fast alle Freikirchen so, und es wäre gut, das aufzuarbeiten.

    3. Hallo Mitchmax,
      Du sprichst mir aus der Seele. Danke. Mir erging es ganz ähnlich, nicht weit von Dir entfernt. Über den seelischen Missbrauch, genannt Bekehrung, welche Ziel des Lebens war, wird kaum gesprochen. Dabei sind viele Tausend Kinder, gerade in dieser Gegend, damit konfrontiert worden.
      Wie es heute ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich mich vor 50 Jahren schon aus diesen Kreisen feenhafte. Weißt du da mehr?

  3. Alex aus Cloppenburg

    Als echter Fan Boy von T. Dietz finde ich, dass eins unbedingt ergänzt werden muss, nämlich dass auch in vermeintlich „seriösen evangelikalen Kreisen“ sehr gerne die Endzeit thematisiert wird. Es gibt viele Beispiele dazu. Eins davon ist Stefan Holthaus, Rektor der evangelikalen FTH Gießen, der in seinem letzten FTH Podcast meinte, es würde in den Kirchen zu wenig über die Endzeit gesprochen werden.
    Lieber Thorsten, wenn es nur die Roger Liebis dieser Welt wären, die als Endzeitpropheten auftreten würden, wäre das Problem der apokalyptischen Verschwörer nicht zu dramatisch.
    Das Problem sind vor allem vieler deiner „Kollegen“ in Basel und Gießen, von den Lehrern an Bibelschulen ganz zu schweigen. Dort wird fleißig gegen den so genannten Zeitgeist und die Freiheiten der modernen Gesellschaft gehetzt. Und genau damit der Nährboden für die zeitgenössischen Apokalyptiker bereitet.

    1. An jeder theologischen Hochschule sollte es im Fach Dogmatik den Bereich Eschatologie („Lehre von den letzten Dingen“) geben. In diesem Teilbereich wird dann unter anderem auch über verschiedene endzeitliche Modelle geredet, von denen es ein Spektrum von pessimistischeren hin zu optimistischeren gibt. So auch an der FTH Gießen, wo ich als Gastdozent einige Jahre lang diesen Bereich unterrichtet habe. Eine undifferenzierte Aussage, es werde hier „gegen den so genannten Zeitgeist und die Freiheiten der modernen Gesellschaft gehetzt“, ist hochgradig daneben.

        1. Dem muss ich allerdings zustimmen. Gerade wegen der Auswüchse sollte es doch eine Beschäftigung mit diesen Themen geben um nicht irgendjemand aufzusitzen. Da sagt die Aussage von Holthaus doch noch gar nichts über die Inhalte.
          Und ich sehe zumindest die Gefahr, dass wir als berechtigte Gegenreaktion auf die oben beschriebenen Bücher etc. dann heute an vielen Stellen ins andere Extrem fallen und gar nicht mehr drüber nachdenken und sprechen. Was dann wieder dazu führt, dass die Leute denen nachlaufen, die auf scheinbar „spektakuläre“ Weise Szenarien entwickeln.

      1. Alex aus Cloppenburg

        @ Andreas Hahn:
        Das Wort „gehetzt“ ist zu stark. Ich nehme es daher zurück.
        Dass an der FTH Gießen unterschiedliche endzeitliche Modelle gelehrt werden, ist erfreulich. Und wenn Thorsten Dietz selber sagt, dass man in dem Punkt mehr differenzieren muss, lass ich mich gerne belehren.
        Ich spreche halt mit Leuten, die an den entsprechenden Hochschulen studiert haben, lese und höre entsprechende Beiträge der dort lehrenden Dozenten und kriege leider nicht so viel Positives und Konstruktives zum Thema „Endzeit“ mit.

    2. In Gießen und Basel gibt es inzwischen ein breites Spektrum von eschatologischen Vorstellungen, das kann man nicht homogen in einer bestimmten Ecke verorten. Für „Bibelschulen“ gilt das ähnlich. Klar: Eine gewisse Endzeitfaszination war in diesem Bereich sehr stark, vor allem in den 1970er und 80er Jahren, mit Auswirkungen bis heute. Faktisch aber hat sich in diesem Bereich die Lehrweise deutlich ausdifferenziert.
      Und: Es gibt eine unterschwellige Vulgärapokalyptik, die nicht mehr dem „Fahrplan“ von Lindsay und Co. folgt, aber die Aspekte meines vierten Abschnittes realisiert. Ein Beispiel ist die Trump/Kyros-Phantasie.
      Zusätzlich gibt es heute eine ein Übergangsfeld von ultrakonservativ-christlicher Weltskepsis – und neurechter Verschwörungsphantasie, der man schnell auf der Spur kommt, wenn man „Great Reset“, „neue Weltordnung“ etc. googlet. Genau davon aber grenzen sich zunehmend auch Evangelikale Trägergruppen ab.

    3. Ich finde auch, dass man „Ross und Reiter“ benennen sollte. Das fehlt mir in dem Artikel von Dietz Danke für den Hinweis.

  4. @Alex aus Cloppenburg: Zwei Fragen hätte ich dann doch zu Ihrem Kommentar:

    (1) Sollte man nicht zwischen einer „Thematisierung der Endzeit“ und der Endzeitversessenheit am Ende des letzten Jahrhunderts unterscheiden? Wenn z.B. Stephan Holthaus im Podcast vor einer totalen Vernachlässigung der biblischen Aussagen zur Endzeit rät und sich dabei gleichzeitig – so ähnlich wie Thorsten hier im Artikel – von den unguten Auswüchsen am Ende des letzten Jahrhunderts distanziert, dann sollte man das m.E. doch etwas differenzierter betrachten und nicht den Eindruck erwecken, als ob die Thematisierung von biblischen Endzeitaussagen einen per se auf die Stufe von „apokalyptischen Verschwörern“ stelle.

    (2) Woher wissen Sie denn genau, was die Lehrer an Bibelschulen in Bezug auf die Endzeit unterrichten? Und damit meine ich: Woher wissen Sie, was HEUTE an diesen Ausbildungsstätten unterrichtet wird? Vermutlich bin ich näher an diesem Kontext als Sie und ich stelle immer wieder fest, dass auch hier Differenzierung nötig ist. Was Ende des letzten Jahrhunderts mit einem gewissen Schwerpunkt unterrichtet wurde, ist es nicht mehr unbedingt heute.

    Just saying 😉

    1. Alex aus Cloppenburg

      @STS

      Zu 1)
      “Thematisierung der Endzeit” und der Endzeitversessenheit gilt es in der Tat zu unterscheiden. Auch stelle ich die Thematisierung von biblischen Endzeitaussagen nicht per se auf eine Stufe mit “apokalyptischen Verschwörern”. Leider haben aus meiner Sicht die meisten medial verfügbaren christlichen Inhalte zum Thema Endzeit Züge von Verschwörungstheorien. Wenn ich da schlecht informiert bin, dann ist das natürlich mein Problem. Aber lange suchen muss man trotzdem, um diese Ausdifferenzierung zu finden.

      Zu 2)
      Natürlich kann und will ich nicht pauschal von „den Bibelschulen“ sprechen. Aber meine Meinung stützt sich nun mal auf viele Begegnungen mit Menschen, die an unterschiedlichsten Bibelschulen lehrten oder lernten – eine differenzierte Betrachtung der endzeitlichen Aussagen habe ich bisher bei keinem feststellen können. Auch auch das kann man natürlich als mein ganz persönliches Problem betrachten. 🙂

      1. Ich schlage mal folgende Differenzierungen vor:
        – In den USA ist der Höhepunkt solcher Endzeitfahrpläne unter den weißen Evangelikalen überschritten. Aber ziemlich viele haben die Grundhaltung beibehalten, die ich in Kap. 4. beschreibe. Der Trump-Kyros-Komplex ist nicht zu verstehen ohne diesen religiösen Hintergrund. Es gibt aber auch einige Evangelikale, die das gerade kritisch hinterfragen. Gruppierungen wie Willow und Saddleback schon länger.
        – In Deutschland gibt es einen ultraevangelikalen Flügel, der nach wie vor von solchen klassischen Verschwörungserzählungen bestimmt ist. Bis zur Gegenwart gibt es erfolgreiche fromme Verschwörungsvideos zu „Neue Weltordnung“, „Great Reset“. Dies findet sich heute aber überwiegend außerhalb der klassischen Freikirchen, Gemeinschaften oder dem Bereich der Dt. Ev. Allianz in unabhängigen Gruppierungen. Aber von einer 6stelligen Größe dieses Bereichs sollte man ausgehen.
        – Im klassischen Feld haben sich die meisten vom dogmatischen Endzeitdenken verabschiedet. Siehe z.B. die Studie Eckhart Schnabel, Das Neue Testament und die Endzeit (2013). Der Gießener Neutestamentler Prof. Dr. Armin Baum sagt dazu: „Das beste Endzeitbuch, das ich kenne. Wer die vielen bunten Endzeitfantasien der Christenheit und seine eigenen Endzeitvorstellungen einem biblischen Fakten-Check unterziehen will, sollte dieses Buch lesen. Dann kann er auf die meisten anderen Endzeitbücher verzichten.“
        Teilweise gibt es schon noch starke Nachklänge an grundsätzlicher Zeitgeistskepsis etc.
        – Zunehmend gibt es auch Neuansätze „evangelikaler“ bzw. missionaler Eschatologie, die stärker auf Hoffnung, Weltverantwortung und diakonisches Zeugnis setzen. Ein Beispiel wären die 12 Thesen zur Missionaren Eschatologie vom IGW.

  5. Dr. Michael Blume

    Vielen Dank für den hervorragenden Blogpost, der ja auch viele neuere Begriffe wie „Verschwörungsmythen“ präzise anwendet. Klasse!

    Möchte noch ergänzend anmerken, dass ich in Karl Poppers „Offene Gesellschaft“ den sehr hilfreichen Begriff des „Historizismus“ gefunden habe. Gemeint ist die Konstruktion eines vermeintlichen Weltenplanes, aber eben nicht nur unter Religiösen, sondern auch unter Esoterikerinnen und Marxisten. Mir hilft das gerade sehr, religiöse und weltanschauliche Bewegungen besser zu vergleichen und besser zu verstehen… 💁‍♂️📚✅

    1. Vielen Dank! Der Verzicht auf den Begriff der Verschwörungstheorie leuchtet mir auch sehr ein. Poppers „Offene Gesellschaft“ bleibt gleichwohl sehr inspirierend, stimmt! Sein Konzept des Historizismus ist gerade in seiner Anwendung auf faschistische wie dogmatisch-marxistische Formen geschlossener und exklusiver Narrative bis heute sehr erhellend. Leider nicht nur im Blick auf diese beiden Erscheinungen.

  6. Ich schlage vor, in der ganzen Debatte einen historisch-kritischen Blick in die Bibel zu werfen und sie beim Wort zu nehmen – so kann hoffentlich nicht nur eine Diskussion über die christlichen Verschwörungstheoretiker:innen sondern mit ihnen geführt werden:
    – Apokalypse bedeutet „aufdecken“, also das Gegenteil von dem, was populär als apokalyptisch verstanden wird
    – die oben zitierten Bibelstellen beschreiben zunächst einmal eine für die Autoren aktuelle Gegenwartserfahrung, geprägt vom römischen Weltreich, in der Christ:innen verfolgt waren.
    – die Zukunft wird dabei als heilvoll beschrieben, also gerade nicht schwarzgemalt, sondern hoffnungsvoll. Und sie gilt der ganzen Welt, nicht nur einem kleinen Häuflein …
    ohne solches Hintergrundwissen wird das Bibellesen willkürlich.

    1. Alex aus Cloppenburg

      @ Angela:
      Mit einem historisch-kritischen Blick auf die Aussagen Bibel kommt man christlichen Verschwörungstheoretiker:innen aus meiner Sicht nicht bei, weil man sofort eine andere Debatte hätte und zwar eine über das jeweilige Bibelverständnis.
      Diese Gruppen „nehmen die Bibel auch beim Wort“. Neben den heilvollen Zusagen für die Zukunft gibt es schließlich bibelbücherübergreifend auch weniger heilvolle Perspektiven – je nach dem, auf welcher Seite der Mensch steht.
      Es steht und fällt alles mit dem Bibelverständnis!

      1. Hallo!

        „Weniger heilvolle Perspektiven“ gibt es auch ohne Apokalyptik: 1. Joh 3, 14: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind; denn wir lieben die Brüder. Wer nicht liebt, der bleibt im Tod.“

        > Es steht und fällt alles mit dem Bibelverständnis!
        Sobald du inhaltlich-theologische Kritik an Aussagen der Bibel zulä´ßt und nicht nur an Interpretationen oder Fehlübersetzungen von Aussagen der Bibel, ist es mit dem Bibelverständnis ganz einfach: Du nimmst einfach den wichtigsten Satz der Bibel „Gott ist Liebe“ (1. Joh 4, 16) als Kanon im Kanon im Kanon und abrogierst damit alle Bibelstellen, die in Kontrast stehen zu Gottes Liebe. Oder zumindestens zu deiner Vorstellung von Gottes Liebe. Dann kannst du dir Soteriologie und Endzeitvorstellungen eigenständig, kreativ und phantasievoll so gestalten, wie es deiner Gefühlslage entspricht. 🙂

        Alles Gute!

  7. Man fühlt sich ein bisschen wie auf einer Zeitreise durch die eigene Jugend, wenn man das liest… Kenne ich alles aus persönlicher Begegnung, allerdings habe ich (glaube ich) keinen großen Schaden davongetragen, da ich mir das alles zwar angehört habe, aber es persönlich nie als so wichtig empfunden habe… Nichtsdestotrotz zwei unwissenschaftliche Anmerkungen aus meiner subjektiven Perspektive.

    Erstens vermute ich, dass man so fasziniert war von der Thematik, hatte auch damit zu tun, dass der Glaube dadurch so real wurde. Man glaube sonst eher Dinge, die mal passiert waren und dass das heute auch was mit mir zu tun haben soll, aber das ist ja nicht so richtig greifbar. Wenn man nun aktuelle Weltgeschehnisse deuten kann und die mit der eigenen biblischen Sichtweise zusammenbringt, erkennt man – wow, es ist alles „echt“! Man sehnt sich nach etwas sichtbarem. Und die üblichen wir-sind-die-einzigen-die-verstehen-was-wirklich-vor-sich-geht-Effekte die bei Verschwörungsmythen sowieso auftreten, gab es gratis dazu.

    Einige Kommentare haben darauf hingewiesen, dass durch solche apokalyptischen Verkündigungen psychischer Schaden entstanden ist. Ich musste dabei an den bekannten Song von Larry Norman denken, „I wish we‘d all been ready“. Das, was nämlich mindestens verunsichert hat war die Sache mit der Entrückung. Da sie jederzeit stattfinden konnte, musste man auch jederzeit „bereit“ sein, sonst blieb man nämlich allein (alle „echten“ Gläubigen wären ja weg) auf der Erde zurück und im schlimmsten Fall würde genau dann die große Trübsal einsetzen. Wenn also irgendwas in genau dem Moment in deinem Leben nicht klar sein sollte, tja. Und davor hatte man wirklich Angst. Ich habe einst als Kind auf die Rückkehr meiner Eltern gewartet, es wurde später, und ich machte mir Sorgen, dass alle entrückt waren und nur ich war irgendwie zurückgeblieben.
    Was ich damit sagen will: Die ganze Sache diente auch dem Druckaufbau der Gemeindeschäfchen, unabhängig vom Großen Ganzen.

  8. Hallo,

    vielen Dank für die Beschreibung des Phänomens!
    Habe das Ganze auch in einer Gemeinde im Siegerland (scheint dort tatsächlich irgendwie auf nährhaften Boden zu stoßen) mitbekommen. Was mich immer wieder verwundert hat ist die Bereitwilligkeit, die absurdesten, an den Haaren herbeigezogenen apokalyptischen Deutungen des Zeitgeschehens in Verbindung mit Bibelstellen ohne wenn und aber hinzunehmen. Ich als etwas Außenstehender habe mir regelmäßig an den Kopf fassen müssen und gedacht, dass das jetzt doch wohl nicht euer ernst sein kann. Aber gerade von diesen apokalyptischen Predigten waren viele (meines Erachtens kluge, im Leben stehende Menschen) besonders begeistert. Interessanterweise hat sich nie jemand gewundert, wenn die apokalyptische Deutung nicht eingetreten ist.
    Ich glaube letztlich, dass dieser apokalyptische Rahmen vielen Leuten tatsächlich eine (zugegeben etwas seltsame) Art von Sicherheit gibt. Das Zeitgeschehen kann wunderbar kategorisiert werden und die komplizierte Wirklichkeit wird etwas leichter. Für mich war das niemals ein Rahmen, in dem ich leben konnte. Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass vielleicht vor allem sensiblere Leute, wenn sie über Jahre in dieser Atmosphäre “wohnen“, ernsthafte psychische Probleme davontragen können.

  9. Aus meiner Sicht greift der Text nicht tief genug. Apokalyptisches Denken kann auf zwei verschiedene Weisen kritisiert werden:
    1. Die in der Offenbarung und anderen Büchern der Bibel angekündigte Endzeit wird irgendwann kommen. Allerdings weiß niemand, wann das sein wird. Alle menschlichen Versuche, das Datum zu bestimmen, nannten immer einen Zeitraum in der jeweils nahen Zukunft und waren totale Irrtümer. Daher sollte man derartige Spekulationen sein lassen. Vielleicht kommt die Endzeit erst in 500 Millionen Jahren.
    2. Die historisch-kritische Methode hat gezeigt: Die apokalyptischen Bücher der Bibel waren keine echten Zukunftsvorhersagen, sondern in Wirklichkeit politische und sozialkritische Kommentare zur jeweiligen Gegenwart inkl. Wunschdenken des schnellen Eingreifen Gottes. Auch Jesus aus Nazareth war schon ein Endzeit-Spinner mit Naherwartung, der sich mit dem, der der Aussehen eines Menschen hat, aus dem Buch Daniel identifiziert und die Endzeit als Kommen des Reiches Gottes verkündet hat. Leider hat es nicht geklappt. Einige Jahrzehnte später kam es zur ersten zeitlichen Anpassung der Naherwartung im Buch der Offenbarung. Das wurde aber auch nix. Da apokalyptisches Denken aber von Anfang an essentieller Bestandteil der christlichen Lehre ist, wird sie immer wieder hochkommen, es sei denn, das Christentum geht unter.
    Möchte jemand eine der beiden Varianten kritisieren oder eine dritte Möglichkeit vorschlagen?

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