Ich bin als Kind oft den Uferweg entlanggelaufen, rund um einen langgezogenen Naturteich. Ich liebte den gewundenen Pfad auf einem aufgeschütteten Damm. Der Weg führte über weichen Lehmboden, durch einen Dschungel aus Weiden und Büschen.
An einer Wegbiegung begegnete mir, ich war damals vielleicht zehn oder elf Jahre alt, plötzlich eine Schlange. Ich kann nicht sagen, ob es eine giftige oder eine harmlose Art war.
Ich glaube, wir waren beide gleichermassen geschockt über unsere zufällige Begegnung.
Die Schlange bäumte sich inmitten des Weges vor mir auf. Sie ragte mir fast bis zur Brust. Das Tier züngelte und zischte böse in meine Richtung:
Zzzzz, Zzzzz, Zzzzz.
Ich war allein unterwegs und blieb wie gebannt vor ihr stehen.
Die Schlange starrte mich aus schmalen Pupillen giftig an und wirkte entschlossen, mir augenblicklich ins Gesicht zu springen und sich dort festzubeissen.
Ich fühlte mich von ihr wie hypnotisiert. Dass der «hypnotische Blick» der Schlangen ein Mythos ist, wusste ich damals nicht. Er rührt von einer Fehlinterpretation des starren Ausdrucks her; der wiederum dem Umstand geschuldet ist, dass Reptilien keine beweglichen Augenlider haben.
Die Herrin des Teiches
Nach der ersten Schockstarre löste ich mich langsam aus ihrem Bannkreis und trat Schritt um Schritt den Rückzug an, ohne den Blick von ihren aggressiv funkelnden Augen zu lösen.
Mir war klar, jähe Bewegungen waren in dieser Lage nicht ratsam.
Die Schlange betrachtete den Weg und Karpfenteich offensichtlich als ihr angestammtes Revier. Sie vereidigte ihr Territorium zornig wie ein Schlossbesitzer, der sich über Eindringlinge ärgert; Leute, die Schilder mit der Aufschrift «Privatbesitz» oder «No Trespassing!» übersehen oder übergehen.
Dabei war es doch unser Teich.
Beim Anblick der Schlange war in mir augenblicklich eine Urangst hochgeschnellt, als wäre da ein geerbtes Erfahrungswissen um die Gefahr eines Schlangenbisses oder des Gewürgtwerdens.
Das Tier jagte mir aber nicht nur Furcht ein, sondern auch Ehrfurcht: weil es in seinem Zorn – oder in seiner Angst – so stolz und erhaben wirkte.
Vertreibung aus dem Paradies
In vielen Mythologien taucht die Schlange als heiliges Tier auf, sogar als Schöpferfigur. Dass sie sich häutet und dadurch periodisch erneuert, wurde als Hinweis auf Transformationsprozesse und ewiges Leben gedeutet. Dies schimmert auch durch die biblische Genesis-Erzählung hindurch.
Dort verführt die Schlange das Urelternpaar dazu, vom verbotenen Baum des Lebens zu essen, um ewig zu leben. Die Menschen werden daraufhin aus dem Paradies vertrieben, wie ich auch.
Wirklich aufgeatmet habe ich erst in zehn Metern Entfernung. Danach bin ich nie wieder traumverloren um den Karpfenteich gelaufen. Was einst vertraut war, wirkte nun befremdlich. Vor allem an Wegbiegungen war ich vorsichtig.
Ich rechnete immer damit, der gebieterischen Herrin des Teiches zu begegnen.
In Erinnerung geblieben ist mir der stolze Zorn des schuppigen Geschöpfes, und dass es seine Angst vor mir besser verbergen konnte als ich meine vor ihm.
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Bild von Artur Pawlak auf Pixabay
1 Gedanke zu „Wildwechsel: Schlange“
Vertreibung aus dem Paradies – Dort verführt die Schlange das Urelternpaar dazu, vom verbotenen Baum des Lebens zu essen, um ewig zu leben. Die Menschen werden daraufhin aus dem Paradies vertrieben.
die schlange ist adam angewachsen. ohne die gegenwart evas hätte sie aber nicht sich aufzurichten und zu reden begonnen. verführung ist teamwork. wenn wir zu den katzen zurückblicken: haben sie es miteinander, werden sie wie gebannt bewegungslos. das kann auch bei den menschen vorkommen. aber ich meine jetzt nicht, wenn der giftbiss im unübertragenen sinn droht. für die gnosis ist die schlange symbol eines noch anderen erkennens.”tatsächlich”, habe ich vor jahren mal gedacht. liebende erkennen einander teil um teil, bis ein anderes erkennen das vorangehende beendet. ein gleichnis für erleuchtung. (1kor 13.8-13)