Dein digitales Lagerfeuer
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Jetzt beten sie also wieder für Trump …

Jetzt beten sie also wieder für Trump. Irgendwie haben wir uns daran gewöhnt, dass in den USA evangelikale und pfingstkirchliche Christ:innen zum harten Kern der Trump-Wählerschaft gehören. Als wäre das selbstverständlich. Obwohl doch alle um seine moralischen Charakterschwächen wissen. Seine Skandale. Seine Betrügereien. Seine Egomanie.

Alle wissen, dass sich Trump nie als gläubiger Mensch verstanden hat. Als strenggläubiger schon gar nicht.

Aber er ist gegen die Abtreibung! Ja, aber 1999 hatte er sich noch als «very pro-choice» bezeichnet.

Bei anderen, gerade bei moralisch integrierteren Politiker:innen ist man bei der leisesten Verfehlung empört. Bei Trump machen ihn seine Schwächen zu einem von uns: Trump sei halt auch nur ein Mensch.

Nur ein Mensch

Wirklich eigenartig ist aber etwas anderes: Sie beten auch in Europa für Trump. Und zwar nicht etwa nur Evangelikale. Auch in strenggläubigen, streng praktizierenden, katholischen Milieus beten sie für ihn. Ich kenne solche Kreise in der Region, aus der ich komme: Kärnten, ein katholisch geprägtes Land, wie man sagt.

Wie ist das möglich, das erzkatholische Kreise für einen solchen Politiker beten?

Vor Jahren kursierten in den gleichen katholischen Kreise QAnon-Verschwörungsmythen aus den USA. Auch da war Trump der Held, und zwar gegen den tiefen Staat und gegen alles beherrschende «Archonten». Eine deutsche Bekannte war in denselben Bannkreis geraten. Sie war längere Zeit eine fundamentalistische Muslima gewesen, übergetreten aus einer radikal säkularen und liberalen Familie.

Sie war noch immer eine Muslima, als sie in Trump einen Helden sah. Seine gegen Muslime gerichteten Massnahmen hatte er da längst vollzogen.

Wie kommt es zu Übereinstimmungen zwischen Milieus, die kaum etwas miteinander zu tun haben. Ja, die sich wechselseitig gewiss den Glauben absprechen würden. Und wie kommt es, dass sie sich ausgerechnet hinter einem ganz offensichtlich irreligiösen Menschen vereinen? Einem Menschen, der offensichtlich nur so tut, als ob ihm der Glaube etwas bedeute. Und der sich nicht einmal besonders bemüht, zu verhüllen, dass er blufft.

Stromern in sozialmedialen Untiefen

Eine erste Erklärung für die schier magische Angleichung der Gebetsanliegen über Kontinente, Konfessionen und Religionen hinweg mag in den neuen medialen Bedingungen liegen: Unterschiedliche Gruppierungen stromern in den selben sozialmedialen Untiefen. In Social Media beziehen sie alternative Fakten von alternativen Experten:innen. Und nicht nur Junge, sondern auch viele Ältere sind Smartphone-bewaffnet.

Für rechte Ideologen sind Gläubige Low Hanging Fruit. Sie sind anscheinend leicht manipulierbar.

Und manche Gläubige vertreten eine Gebetsauffassung, die ihrerseits manipulative Züge hat: Wenn etwa gesagt wird, man bete darum, dass Gott den Anführern in der Welt die Weisheit verleihe, die richtigen Entscheidungen zu treffen; die Beter:innen aber letztendlich selbst am besten zu wissen meinen, was die richtige Politik ist.

Antiliberal, sicherlich. Aber noch treffender ist die Bezeichnung, die bereits vor 40 Jahren häufig verwendet wurde: «fundamentalistisch». Fundamentalismus hat nämlich mit der Erfahrung von Entwurzelung zu tun, mit Sorge vor Identitäts- und Selbstverlust und mit Angst vor Fremden und «Überfremdung».

Fundamentalismus erwächst aus Entwurzelung

Aus fundamentalistischer Sicht sind nicht-fundamentalistische Christ:innen nicht nur lau, sondern keine wahren Christen. Fundamentalisten verstehen sich als Protagonist:innen in Endkämpfen, bei denen es um alles oder nichts geht.

Wurzeln und Fundamente werden im Fundamentalismus besonders betont, gerade weil sie unsicher oder verloren gegangen sind.

Fundamentalismus hat der Philosoph und Medientheoretiker Boris Groys am Beispiel des islamistischen Fundamentalismus als ein Phänomen beschrieben, das gerade nicht klassisch-konservativ ist. Fundamentalismus bedient sich neuester Medien und bewahrt nicht Tradition, sondern erfindet Tradition.

Fundamentalismus ist ein radikal modernes Phänomen und zugleich – darin liegt eine Eigenart fundamentalistischer Ideologie – gegen Moderne gerichtet.

In seinem Buch «Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen» – argumentierte der französische Soziologe Olivier Roy, dass moderne religiöse Bewegungen zunehmend entwurzelt seien. Sie seien von ihren kulturellen, sozialen und historischen Kontexten getrennt. Diese Entwurzelung führe dazu, dass Religionen in einem globalisierten Kontext neu interpretiert und oft radikalisiert würden.

Ein neuer Fundamentalismus

In einer globalisierten Welt entstünden fundamentalistische Bewegungen, indem sie sich von traditionellen kulturellen und religiösen Praktiken lösen und eine puritanische, universelle und textbasierte Form der Religion annehmen.

Diese Bewegungen beanspruchen eine Rückkehr zu den «reinen» Wurzeln der Religion. Sie entfernen sich aber gleichzeitig von bestehenden Traditionen.

Wieso aber himmeln tief Gläubige und zugleich tief entwurzelte Menschen ausgerechnet Trump an? Einen Menschen, der sich ganz offensichtlich an keinerlei moralische, kulturelle und auch an keine religiösen Werte gebunden fühlt und der nur so tut, als sei ihm Gott wichtig?

Ein tieferer Grund dafür, dass sich neue Fundamentalist:innen einer Figur wie Trump nahe fühlen, könnte darin liegen: Er greift Fundamentalismus nicht an und verkörpert zugleich dessen Bodenlosigkeit.

 

RefLab-Beiträge zu den US-Wahlen:

Nach der Trump-Wiederwahl fragt Evelyne Baumberger: Sind wir auf halbem Weg nach «Handmaid’s Tale»?

Johanna Di Blasi stellt fest, dass Donald Trumps politischer Weg dem Schema der «Heldenreise» folgt.

Wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer von fundamentalistischen Christ:innen zu Trumps Unterstützung instrumentalisiert wurde, analysiert Thorsten Dietz.

Jonas Simmerlein findet biblische Parallelen im TV-Duell Harris/Trump

Warum unterstützen Christ:innen in den USA Trump? von Jonas Simmerlein

Biden vs. Trump, ganz früh im Wahlkampf: «Chronologie eines Wahlkampfs im freien Fall» von Jonas Simmerlein

Zum ikonischen Bild des Trump-Attentats schreibt Kunstkritikerin Johanna Di Blasi

 

Foto von Chris Liverani auf Unsplash

Weitere Beiträge zum Themenfeld des religiösen Fundamentalismus und zu Donald Trump auf RefLab (Auswahl): «Wie geht Fundamentalismus», «Warum können wir uns auf die Wahrheit nicht einigen?».

 

7 Gedanken zu „Jetzt beten sie also wieder für Trump …“

  1. Danke für diesen schönen und zeitigen Artikel, Johanna.
    Habe ich sehr gerne gelesen. Gerade der Hinweis auf die katholische Seite ist sehr spannend und selten erwähnt.
    Was ich noch ganz wichtig finde: Nicht alle Evangelikalen sind Trumpwähler:innen. Eine der wichtigsten Bastionen der Demokraten sind tatsächlich die Black Churches.
    Stark vereinfacht könnte man sagen, evangelikal-charismatische Weiße und Latinos wählen Trump, Schwarze wählen statistisch meist Biden jetzt vermutlich Harris.

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    • Danke Jonas für diese wichtige Ergänzung, die Lager sind in sich vielfältig. Auf katholischer Seite betrifft es v.a. das rechtskatholische Lager, das im Netz ausserordentlich aktiv ist. Eine typische Zuspitzung: “Kamala Harris – die anti-katholische Kandidatin der Abtreibungslobby”, eine aktuelle Schlagzeile von kath.net. Mich beunruhigt und betrübt die Entwicklung schon lange und auch sehr persönlich. Es treibt wirklich Keile in Familien. 🙁

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  2. Passender Beitrag zurzeit.
    Katholische und freikirchliche Fundamentalisten sind sich nicht nur in Sachen “Trump” einig. Machtstrukturen, Vertuschungs- und Machterhaltungsvorgehensweise, patriarchische Vorherrschaft und ein sehr rückwärtsgewandtes Welt- und Bibelverständnis einen beide Gruppierungen.

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      • Liebe Johanna
        Dein Artikel ist auf der einen Seite interessant und „süffig“ zu lesen. Zugleich ist er aus meiner Sicht aber auch heuchlerisch, polemisch, arrogant und nicht besonders hilfreich.
        Ich bin voll mit dir, es ist für mich ein Rätsel weshalb tief Gläubige einen Menschen wie Donald Trump anhimmeln können. Donald Trump ist für mich ein Beispiel, das Macht das Potenzial hat, aus einem kleinen A.. ein richtig grosses A… zu machen.
        Aber diese Frage muss man sich ehrlicherweise nicht nur bei Trump stellen, da gibt es noch viele andere Figuren, bei denen das gleiche vorkommt. Da könnte man zum Beispiel den Donald einfach mit Greta ersetzen. Auch da ist es mir ein Rätsel, wie eine Person, die immer wieder mit antisemitischen Ausfällen auffällt, die mehrheitlich Hass verbreitet, auch von christlichen Kreisen schon fast als Heilige verehrt wird. Ich glaube, auf Reflab war mal von Märtyrerin der heutigen Zeit die Rede. Ich würde dir jetzt einfach mal unterstellen, dass du da mit zwei verschieden Ellen misst. Ich habe einfach mal aus Interesse in deinem Artikel Donald mit Greta ersetzt, ist also nicht weniger stimmig…
        Ganz pragmatisch könnte man jetzt sagen: Hauptsache, die Menschen unterhalten sich mit Gott, auch wenn nur die Figur Trump der Grund ist. Ich für mich habe da null Angst, dass sich da Gott durch die grosse Anzahl Katholiken und Evangelikale erpressen lassen wird. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Mensch Schaden nimmt, wenn er mit Gott spricht, auch wenn nur über Donald oder Greta ist.
        Was mich an deinem Artikel aber wirklich stört, ist wie du andersdenkende schubladisierst. Du verwendest den Begriff Fundamentalisten und schickst gleich noch eine eigene, nicht sehr schmeichelhafte, Definition hinterher. Mit dieser Definition würde sich nie jemand selbst bezeichnen. Dieser Begriff eignet sich eigentlich nur als Kampfbegriff um andere als rückständig, entwurzelt, rückwärtsgewandt abzustempeln. Das ist aus meiner Sicht armselig.

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        • Dass das Thema spaltet, belegt auch dieser Kommentar. Der Invektive auffährt: heuchlerisch, armselig, antisemitisch … etc. Die Frage wäre ja wohl, gerade auch aus christlicher Sicht: Wo ist das Versöhnende? Wie können wir gemeinsam weitergehen, gerade auch in Bezug auf die anschwellende Klimakatastrophe.

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