Dein digitales Lagerfeuer
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Kamala und Lot, seine Frau und Donald

Mansfield ist eine Kleinstadt in Ohio. Sie ist rot wie die Krawatte Donald J. Trumps und wählt auch mehrheitlich so. Bekannt ist Mansfield für sein Gefängnis, weil dort «Die Verurteilten» von Frank Darabont gedreht wurde und weil es ein unter Evangelikalen beliebtes Wachsfigurenmuseum hat: Den Bible Walk.

Hier könne man durch das Wort Gottes hindurchlaufen, wirbt Direktorin Julia Mott-Hardin. Besucher:innen können an Salomo vorbeilaufen, der ein Baby zu spalten droht, und an Maria und Josef an der Krippe vorbei. Irgendwo unter weißen Strahlern steht eine berühmte Figur, die man ohnehin nur als Statue kennt: Lots Frau. Die, die sich umdreht und zurück auf Sodom und Gomorra blickt und zur Salzsäule erstarrt.

Vielleicht hat gestern noch ein bibelfester Familienvater seinem Vierjährigen stolz 1. Mose 19 rezitiert und Lots Treue gelobt und mit mahnendem Finger auf die versteinerte Zweiflerin gezeigt. Und abends dann vor dem Fernseher mit einer roten MAGA-Cappy auf dem Kopf die erste Debatte zwischen Donald Trump und Kamala Harris verfolgt.

Und vermutlich übersieht er, dass die Geschichte von Lot und seiner Frau eine Allegorie auf die politischen Visionen in den USA ist. Nur ist hier Lot eine Schwarze Frau und das Maskottchen der Evangelikalen die Salzsäule.

Harris führt und Trump folgt

Das Duell, da sind sich beide Seiten ausnahmsweise einig, kennt eine klare Gewinnerin. Selbst Fox News, ein Sender, der verlässlich für Trump die Fahne schwingt, kommt nicht umhin, einzuräumen:

«Kamala Harris came away … this is one of the strongest performances I have seen.»
-Josh Kraushaar (The Fox News Rundown)

Auf der anderen Seite bilanziert Susan B. Glaser im New Yorker schlicht:

«Donald Trump had a really, really bad debate.»

Das bringt es auf den Punkt.

Harris brachte Trump aus der Fassung, in dem sie ihn mit Kommentaren über die Größe seiner öffentlichen Auftritte ärgerte und schaute ihm dann dabei zu, wie er begann, sich wie ein Kreisel um sich selbst zu drehen und immer wahnwitzigere Thesen um sich zu schleudern, die ihren Höhepunkt darin fanden, dass er Migrant:innen unterstellte, sie entführten Katzen und Hunde, um sie zu essen und Demokrat:innen wären dafür, Babys auch nach der Geburt noch «abzutreiben».

Dabei handelt es sich um einen Tatbestand, den man auch in den USA Mord nennt, und der von keiner Politikerin und keinem Politiker irgendeiner Partei befürwortet wird. Was die Moderatorin Linsey Davis auch korrekterweise herausstellte.

Trump entgleitet das Duell und Harris lächelt, schüttelt den Kopf und fragt Millionen Menschen vor dem Bildschirm:

«Habt Ihr den Eindruck, dass dieser Mann in der Lage ist, das Amt zu bekleiden?»

Das will nicht heissen, dass Harris ohne Fehl und Tadel ist. Die erste Frage beantwortet sie nicht. Unter ihrer Vize-Präsidentinnenschaft spielte sich der katastrophale Abzug aus Afghanistan ab und sie schaffte es nicht, eine überzeugende Idee für das Ende der humanitären Katastrophe im Gaza-Streifen zu skizzieren.

Doch all das konnte Trump nicht für sich nutzen, zu sehr war er damit beschäftigt, sich um sich selbst zu drehen. Im Vorfeld kokettierte er, dass er eine Vorbereitung für Harris im Grunde nicht nötig habe. Und so versteinerte er vor den Augen der Zuschauer:innen. Nicht derart körperlich sichtbar wie sein letzter Kontrahent Joe Biden vor wenigen Wochen, aber in seinen Gedanken.

Immer wieder machte er den Eindruck, er debattiere mit Joe Biden, worauf Kamala Harris ihn erinnerte:

«First of all, it’s important to remind the former president: You’re not running against Joe Biden. You’re running against me.»

Nur um zu ergänzen, dass sie weder Biden noch Trump sei, sondern ein neues Kapitel amerikanischer Politik verkörpere.

MAGA vs. We’re not going back

Schon bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als designierte Kandidatin der Demokratischen Partei fand Kamala Harris ihren Wahlslogan: We are not going back! Wir drehen nicht um! Es ist die Antithese zu Trumps Slogan: Make America great again.

Eine Rückkehr in eine vage Zeit, in der die Welt noch von starken Männern regiert wurde, als man seinen Rassismus noch offen zur Schau stellen durfte und als Frauen noch hinter dem Herd standen und sich auf das Kinderkriegen und -erziehen beschränkten.

Das ist keine Rhetorik. Das ist der offen einsehbare Plan von Project 2025, mit dem Trumps Weggefährten eine ultra-konservative Präsidentialautokratie auf den Weg bringen wollen.

In dieser Debatte ging es um zwei unterschiedliche Visionen. Eine, die nach vorne gerichtet ist, ein neues Kapitel aufschlagen möchte und die Rechte von Gewerkschaften, mittelständische Unternehmen und Kleinfamilien stärken möchte. Und auf der anderen Seite eine, deren Versprechen darin besteht, reichen Günstlingen Trumps Steuererleichterungen zu verschaffen und die NATO zu unterminieren.

Das zeigt sich auch in der Rhetorik. Keinesfalls kann man beiden Seiten vorwerfen, das Klima zu vergiften. Harris bleibt trotz aller Entgleisungen ihres Kontrahenten sachlich und zugewandt, während Trump immer wieder versucht, sie verbal zu erniedrigen.

Dahin will sie nicht zurück. In eine Rhetorik der Angst, der Abwertung und Unanständigkeit. Nichts daran ist great und war es auch nie. Das kann keine Vision von gelingender Politik sein.

Ein neues Land oder zurück in die Dunkelheit

Als ich das erste Mal die Geschichte von Lot und seiner Frau gehört habe, habe ich sie nicht verstanden. Lot flieht vor seinen Verfolgern aus Sodom und Gomorra und die Engel, die die Städte auslöschen, gebieten ihm und seiner Familie nur, sich nicht umzublicken. Schmucklos heißt es da:

Lots Frau aber, hinter ihm, blickte zurück und wurde zu einer Salzsäule.

Die Geschichte schien mir unnötig grausam und verdorben. Alle Beteiligten waren mir fremd. Heute verstehe ich, glaube ich, was sie erzählen soll. Auch sie ist eine Allegorie: Sie erzählt von der Verlockung, zurückzublicken und den Folgen dieser Umkehr.

Lots Frau blickt zurück auf Sodom und Gomorra, wo die Bewohner Fremde hassen und Vergewaltigungsfantasien hegen. Statt ins Ungewisse, in eine offene Zukunft zu fliehen, kehrt sie sich um und versteinert.

Jean Calvin sieht darin vor allem eine Strafe Gottes für ihren Ungehorsam. Ich lese die Geschichte heute als ein Bild für mangelnde Zuversicht und Kleingeistigkeit. Der Blick zurück verhaftet, bleibt in der Vergangenheit, womit der Impuls, Dinge zu verändern, wortwörtlich versteinert.

Lots Frau schaut lieber zurück in die Dunkelheit der Menschenverachtung als den Blick auf die Verheissung einer neuen Zukunft zu richten. Vielleicht schaute sie sich auch aus Mitgefühl um. Auch diese Lesart darf man haben.

Der rückwärtsgewandte Blick Trumps zeugt nicht von Mitgefühl, sondern von Selbstbezüglichkeit.
Trump blickt nur zurück in die Flammen, die er selbst geschürt hat, als er Frauen das Recht über ihren Körper nahm und Autokraten das grüne Licht für ihre Invasionskriege gab. Und er verkauft diese Dunkelheit als Zukunft und die Flammen als Leuchtfeuer.

Kamala Harris hat sich nicht versuchen lassen, allzu lange in den Erinnerungen vermeintlich besserer Zeiten zu schwelgen und sich in Trumps Fantastereien zu verlieren. Sie beschwört die USA, nicht zurückzugehen, sondern einen Neuanfang zu wagen. Als Tochter der Civil-Rights-Bewegung trägt sie einen ihrer Slogans weiter:

«Darkness cannot overcome darkness. Only light can.»
– Martin Luther King Jr.

Oder wie es ihr designierter Vize Tim Walz pointiert ausdrückte:

«Thank you for bringing back the joy.»

Foto: created by canva

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