In dieser Folge geht es um ein riesiges Thema. Zum Glück habe ich meine liebe Kollegin Johanna Di Blasi dazu eingeladen, die sich hier richtig auskennt. Wir beiden beschäftigen uns seit einiger Zeit, ganz unabgesprochen und von verschiedenen Seiten, mit den Themen Kolonialismus, Postkolonialismus, Geschichte der christlichen Mission. Das ist ein weites, umkämpftes, aber auch sehr interessantes Feld.
Aufarbeitung der Kolonialgeschichte
Viel ist in den vergangenen Jahren in Bewegung geraten. Will man sich annähern, hilft es, sich mit einem exemplarischen Beispiel von Aufarbeitung der Kolonialgeschichte genauer zu beschäftigen: den Rückgaben von Raubgut.
Das können Kult- und Kunstwerke sein, aber auch „human remains“, also menschliche Gebeine. Davon gab und gibt es erschreckend viele in deutschen Museen und Forschungsdepots. Einige kamen nach dem Genozid an den Herero und Nama nach Deutschland, andere im Zuge sogenannter «rassenkundlicher» Forschungen. Das ist ein besonders abstossendes Beispiel von Rassismus.
Alte Konflikte wachrufen
Am Beispiel der Rückgabe von «human remains» oder «ancestral remains» von Deutschland nach Namibia aber zeigt sich, wie kompliziert es werden kann. Denn anders als verabredet, wurden diese Gebeine nicht beigesetzt. Die unterschiedlichen Gruppen in Namibia konnten sich nämlich nicht darüber verständigen, wo und wie dies geschehen sollte.
Hier, wie auch bei drei anderen Rückgaben an Namibia, zeigte sich, dass eine Restitution allein die Schuld- und Konfliktgeschichte keineswegs beendet, sondern im «Empfängerland» alte Konflikte neu wachrufen kann.
Gelungene Beispiele
Aber es gibt auch gelungene Beispiele von Restitutionen. Neue Begegnungen werden möglich und münden in echte Partnerschaften. Neue Modelle der Besitzübertragung oder des geteilten Besitzes werden ausprobiert.
Für die ethnologischen Museen in Deutschland und ausserhalb ist das eine große Chance, ebenso für die kleineren und doch sehr interessanten Missionsmuseen. Denn die Aufarbeitung des Kolonialismus ist auch eine wichtige Aufgabe für die europäische Christenheit heute. War ihre Mission doch immer auch mit der militärischen und wirtschaftlichen Dominanz Europas verbunden.
Zum Hören und Lesen
- Hörenswerte aktuelle Webinar-Reihe «Mission – Colonialism Revisted», Basel 21
- Podcast «Empire»
- Bernhard Maier: «Die Bekehrung der Welt. Eine Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit», 2021
- Linda Ratschiller/Karolin Wetjen (Hg.), «Verflochtene Mission. Perspektiven auf eine neue Missionsgeschichte», 2018
In der Schweiz widmen sich gerade eine Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen dem Thema koloniale Verstrickungen
- Landesmuseum Zürich, «kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz», bis 19. Januar; erstmals wird ein umfassender Überblick über die Problemlage gegeben
- Museum Rietberg Zürich, «Im Dialog mit Benin. Kunst, Kolonialismus und Restitution», bis 16. Februar 2025; zu den Benin-Bronzen
- ETH Zürich, thematische Führung: «Koloniale Spuren – Sammlungen im Kontext. Wo Naturwissenschaft und Kolonialismus aufeinandertreffen: extract-Ausstellung zur Rolle der ETH, bis 13. Juli
- Völkerkundemuseum Universität Zürich, «Benin verpflichtet. Wie mit geraubten Königsschätzen umgehen?», bis 14. September
- Musée d’ethnographie des Genève, «Remembering. Geneva in the Colonial World», bis 5. Januar 2025
Weiterführende Quellen
- Draussen mit Claussen, «Koloniale Erbstücke – bei uns zu Hause», Podcast mit Nicola Kuhn, 2024
- Johann Hinrich Claussen, «Kirchen sind zur Rückgabe von Kulturgütern bereit», evangelisch.de, 2019
- Johanna Di Blasi, «Die Köpfe der Ahnen», Blogbeitrag von Johanna Di Blasi 2024 bei RefLab
- Johanna Di Blasi: «Das Humboldt Lab. Museumsexperimente zwischen postkolonialer Revision und szenografischer Wende», transcript (=Edition Museum), 2019