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Die Köpfe der Ahnen – Zur Heimkehr der Benin-Bronzen

Trophäenjäger

Am gewaltsamen Eindringen britischer Kolonialtruppen 1897 in Benin City, ihrem Morden und Brandschatzen und der illegalen Aneignung tausender Gegenstände besteht kein Zweifel.

Westliche Museen und Sammler konnten es seinerzeit kaum erwarten, über den Londoner Kunsthandel und andere Quellen an die Kriegsbeute zu gelangen, die sogenannten Benin-Bronzen: Gedenktafeln und Köpfe von Königinnen und Königen aus gegossener Bronze aus dem ehemaligen Königreich Benin; heute auf nigerianischem Boden und nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Nation.

Museumsleute lieferten sich damals ein aus heutiger Sicht beschämendes Wettrennen um die besten Kriegstrophäen.

Bildnachweis: Königliche Gilde der Bronzegiesser (Igun Eronmwon), Uhunmwu Elao, Gedenkkopf von Oba Osemwende, Nigeria, Königtum Benin, Edo, nach 1848, Gelbguss, RAF 601, Geschenk Eduard von der Heydt, Foto: Rainer Wolfsberger

Zum kolonialen und ethnologischen Narrativ gehörte die Überzeugung, dass «Naturvölker» im Zuge der Modernisierung ohnedies dem Untergang geweiht seien. Die sogenannte «Rettungsanthropologie» ist die Erzählung, dass ethnologische Museen die edlen Retter und Bewahrer der Gegenstände ausgestorbener und überwundener Kulturen sind. Noch vor wenigen Jahren konnte man in Museen auf diese fragwürdige Selbstlegitimation stossen.

Inzwischen hat sich das Klima komplett verändert. Heute wäre es umgekehrt komisch, würde ein Museum weiterhin auf den «Besitz» von Raubkunst und Gegenständen aus geplünderten Schreinen und Altären pochen.

Institutionen bemühen sich heute um eine geordnete Rückführung bei grösstmöglicher Gesichtswahrung.

 

Dialog mit Benin

In Deutschland sind Restitutionen (Rückgaben) von Benin-Bronzen bereits erfolgt. In der Schweiz werden sie von acht Museen im Zuge der vom Bund finanzierten Benin Initiative Schweiz (BIS) seit einer Weile vorbereitet.

Ende August wird im Museum Rietberg in Zürich die Ausstellung «Im Dialog mit Benin. Kunst, Kolonialismus und Restitution» im Rahmen von BIS eröffnet.

In diesem Kontext ist mit der Ankündigung von Rückgaben zu rechnen.

Bereits im Vorjahr wurden aber auch Zweifel an dem Vorgehen laut, u.a. in einem Gastbeitrag einer Schweizer Publizistin und Ethnologin in der NZZ. In den kommenden Wochen dürften Debatten rund um die Herausgabe von Kunstobjekten aus Museen neu aufflammen.

Der NZZ-Beitrag skandalisierte die geplante Rückgabe von Bronzen aus Schweizer Museen an den Oba (König) von Benin. Die Autorin forderte stattdessen eine Entschädigung von Nachfahren versklavter Menschen. Ein richtiger und wichtiger Hinweis.

Wieso aber nicht das eine tun und das anderen nicht lassen?

Das Innere des Königshofes in Benin City nach der Zerstörung 1897, mit Captain C. H. P. Carter, F. P. Hill und unbekannt (von links), Nigeria, Benin City, 1897, Pitt Rivers Museum, University of Oxford, 1998.208.15.11

«Als hätte eine fremde Armee Potsdam geplündert»

Welches Ausmass die Palastplünderung Ende des 19. Jahrhunderts in Benin City hatte, veranschaulichte der Museumsethnologe und Jurist Jonathan Fine mit einem Vergleich: «Als hätte eine fremde Armee Potsdam geplündert.» Fine hat die Afrika-Präsentation im Berliner Humboldt Forum mit eingerichtet.

Restitutionsgegner indes stossen sich daran, dass Schätze aus öffentlichen Institutionen in private Hände einer Herrscherfamilie zurückgelangen, die nicht nur im Sklavengeschäft mitgemischt, sondern sich auch sakraler Menschenopfer schuldig gemacht habe.

Übertriebene Wokeness, so die Suggestion in dem erwähnten NZZ-Artikel, drohe in übereilte und «naive» Herausgabe von Museumsschätzen zu münden.

In Museen wurde der Oba von Benin über viele Jahre hinweg mit einem anderen Argumentationsschema konfrontiert: Er sei kein offizieller Vertreter aus Nigeria und könne somit keine gültigen Ansuchen auf Herausgabe der Gegenstände seiner Ahnen anmelden, hiess es.

Fortdauerende Arroganz

Ein Argument, mit dem auch Vertreter:innen anderer indigener Völker, etwa Native Americans, die längste Zeit abgewiesen wurden. Man orientierte sich an kolonialen Grenzziehungen und ignorierte das Fortbestehen von Völkern, deren heutiger Siedlungs- und Kulturraum mit offiziellen Staatsgebilden oft nicht identisch ist.

Ich erinnere mich an ein Gespräch, dass ich 2016 mit einem Kunstkurator aus Kamerun führte, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung. Der heutige Leiter des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin erklärte mir damals:

«Der Oba von Benin läuft seit Jahren herum und klopft in Europa an Museumstüren, um seine Bronzen zurückzubekommen.»

Er möchte sie zurück in seinen Palast in Benin-City bringen. Man könne also nicht sagen, sie hätten in Afrika keinen angemessenen Ort. Aber man lasse den Oba überall kalt abblitzen. Für den Kurator aus Afrika war dieses Verhalten europäischer Museumsverantwortlicher «Ausdruck purer westlicher Arroganz».

Bildnachweis: Jonathan Adagogo Green, Postkarte von Oba Ovonramwen an Bord der Yacht HM Ivy auf dem Weg ins Exil, Nigeria, Benin City, 1897, 2020.617, Ankauf mit Mitteln des Rietberg-Kreises © Museum Rietberg. Später waren es die Briten, die das Königreich in Benin wieder installierten.

«Fetischpriester» und «Hexer»

Symbolische Wiedergutmachung erschöpft sich nicht in einmaligen Akten der Übergabe geraubter Kunst, wie sie jetzt in der Schweiz bevorstehen, und festtäglichen Bekundungen von Reue. Sie schliesst auch eine Aufarbeitung von Herablassung, Rassismus und «epistemischer Gewalt» ein.

Bis heute hält sich, gerade auch in manchen christlichen Milieus, die hartnäckige Überzeugung einer prinzipiell höherstehenden Kultur- und Religionsstufe anzugehören. Einer Stufe, in der insbesondere Gewalt überwunden sei und das Gebot der Liebe herrsche; obwohl die Kirchengeschichte dies nicht stützt.

Dass im vorkolonialen Königreich Benin, wie in anderen traditionellen Kulturen nicht nur Afrikas, sondern der Welt, eine Praxis sakraler Menschenopfer bestand, kann da nur tiefste Abscheu wecken.

Attribute aus der missionarischen Semantik wie «Fetischzauber» und «Hexerei» stellen sich quasi automatisch ein.

In die (protestantische) Polemik gegenüber «Fetischpriestern» spielten übrigens in Kulturkampfzeiten auch anti-katholische Spitzen hinein (siehe H. Böhme «Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne).

Bildnachweis: Ahnenaltar eines Oba mit Ritualobjekten aus Messing, Elfenbein, Holz und Stein, Nigeria, Benin City, 1954, Foto: Elsy Leuzinger, Fotoarchiv © Museum Rietberg

Bitte um Verzeihung!

Zwar wurden hinsichtlich des in der Kolonialzeit und Missionierungshochphase zugefügten Leids gelegentlich «Versöhnungsgottesdienste» abgehalten. Teilweise bereits in den 1970ern, etwa durch die Rheinische Mission in Namibia. Koloniale und rassistische Mindsets aber tradierten sich weiter.

Vor der Versöhnung kommt die Verzeihung – und diese kann nur von der Opferseite ausgehen. Wenn die Bitte um Verzeihung fehlt, bleibt es bei rein symbolischen Akten.

Ein Grossteil der heutigen Angehörigen des Volkes der Edo (auch Bini genannt) gehört dem Christentum an. Jüngere Generationen suchen nach positiven Bezügen zur inkriminierten kulturellen Vergangenheit und Religion, oftmals in Verbindung mit einer tief verinnerlichten christlichen Ethik.

Junge Afrikaner:innen versuchen ihre eigene Ethnologie zu schreiben und sich von Zuschreibungen weisser Männer zu befreien.

An Kritikfähigkeit gegenüber der eigenen Tradition ermangelt es nicht. Ich habe das 2013 in Ghana bei einem Workshop selbst erlebt.

Dichtung und Wahrheit

Die zeitweilige Beninische Handlangerschaft beim transatlantischen Sklavenhandel der Europäer ist historisch belegt. Über das Ausmass und die Bedeutung für den Reichtum der Könige aber variieren Angaben.

Menschenopferungen im alten Benin sind ebenfalls eine historisch belegte Tatsache. Im ehemaligen Königreich existierte die «Totenfolge», d.h. Angehörige, auch Leibdiener, mussten einem verstorbenen Herrscher ins Grab folgen. Ausserdem wurden bei gewissen Festen oder in Krisensituationen Gefangene geopfert.

Unter dem kolonialen Druck scheinen Rituale zugenommen zu haben. Die Massenopferungen der 1890er-Jahre, schreibt der Afrikaforscher James D. Graham, seien ironischerweise mitbedingt gewesen durch britische Pläne, «Benin’s human sacrifices» zu stoppen.

Der Kampf gegen rituelle Menschenopfer konnte bei kolonialen «Strafaktionen», der Niederschlagung antikolonialer Rebellion, auch vorgeschützt werden.

Gürtelmaske, Werkstatt des Hofes von Benin, Nigeria, Königtum Benin, Edo, 17./18. Jh., Messing, Eisen, 21 × 12,8 × 5,2 cm, Museum Rietberg, Inv.-Nr. 2011.9, Ankauf mit Mitteln von Regula Brunner-Vontobel © Museum Rietberg, Foto: Rainer Wolfsberger

Ahnen- und Königskult

Schilderungen, dass es bei den «N-Königen» von Benin besonders übel zugegangen sei und Benin City in Bluträuschen und Dekadenz versank, entstammen aber Übertreibungen der kolonialen Reise- und Schauerliteratur. Darauf wurde bereits im 19. Jahrhundert hingewiesen.

Europäische Reisende, die das vorkoloniale Benin City zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert besuchten, waren überrascht von der Schönheit und Geschäftigkeit der Stadt und der Freundlichkeit ihrer Bewohner.

Reisende verglichen den Ort mit London und Amsterdam.

In einer zentralen Strasse, der Igun Street, wurden (und werden) Bronzeplastiken angefertigt. Einstmals exklusiv für den Herrscherpalast. Der Königspalast in Benin City war übervoll mit bronzenen Reliefplatten mit geschichtlichen und mythischen Darstellungen sowie Gedenkköpfen verstorbener Könige und Königinnen.

Herrscherkult ist auch uns im heutigen Europa nicht ganz fremd.

Man denke an die Inthronisierungsfeier von King Charles III. Auch das britische Königshaus mischte in Sklaven- und Plantagengeschäften mit.

Der seinerzeit amtierende Oba von Benin war im Zuge der Plünderung und Zerstörung von Benin City ins Exil gedrängt worden. Später waren es die Briten, die in Benin wieder die Monarchie einführten.

Die Augen öffnen

Die Oba sind auch spirituelle Oberhäupter ihres Volkes. Die heute weltberühmten Bronzeköpfe hatten ihren Platz innerhalb des Ahnen- und Königskultes.

Wie in anderen spiritistischen Religionen Afrikas existiert auch in der Religion der Edo die Vorstellung einer Parallelität von irdischer Welt und einer Sphäre übernatürlicher Wesen, die auf erstere einwirken. Hier eine Balance zu stiften und Spannungen in Familien und Gesellschaften abzubauen, ist Aufgabe der Priesterinnen und Priester von Religionen, die mit dem Begriff «schamanisch» nur unzureichend beschreibbar sind.

Um nicht Menschen zu opfern, werden Ziegen genommen. Wer sich keine Ziege leisten kann, greift zu einem Huhn.

So beschreibt es Eric de Rosny in seinem Erfahrungsbericht «Die Augen meiner Ziege». Der französische Jesuit liess sich Mitte des vergangenen Jahrhunderts in westafrikanische Kulte einweihen und schrieb respektvoll über die «therapeutischen Religionen» Afrikas.

Was Initiation («Die Augen geöffnet bekommen») bedeutet, erfuhr de Rosny bei seiner Einweihung in die Kulte als verinnerlichtes Wissen um die Gewalt, die unter der zivilisatorischen Firnis schlummert und die gesellschaftliche Ordnung bedroht.

Sigmund Freud hätte es nicht anders ausgedrückt.

Heilen der Wunden der Vergangenheit

Als Prozedere bei Restitutionen und Repatriierungen – der Herausgabe Tausender menschlicher Gebeine aus Laboren der Rassenforscher; darunter viele Opfer anitkolonialer Kriege, auch Häuptlinge – haben sich Aushandlungsprozesse herauskristallisiert. In solche Prozesse werden neben Regierungsvertreter:innen auch Akteur:innen aus den Zivilgesellschaften der betroffenen Herkunftsländer eingebunden: Künstler:innen, Aktivist:innen und Vertreter:innen traditioneller Religionen.

Der Ansatz folgt einer «relationalen Ethik», bei der Beziehungsaufbau und wechselseitige Verständigung zentral sind.

So hält es auch die Schweizer Benin Initiative. Die Bemühung ist, wie bei der NS-Raubkunst, «gerechte und faire» Lösungen zu finden. Und überdies auf eine neue Stufe zu gelangen, wo ein künftiger respekt- und vertrauensvoller Austausch möglich wird.

Wie im Fall der NS-Raubkunst wird auch bei kolonialer Raubkunst bislang auf Diplomatie und proaktives Handeln der Museen gesetzt. Juristisch bindende und international geltende Regelungen werden vermieden: wohl auch, um weiterreichenden Ansprüchen nicht das Tor zu öffnen.

Als Emmanuel Macron vor einigen Jahren an der Universität von Ouagadougou in Burkina Faso überraschend den Weg für Restitutionen freimachte («un retour du patrimoine africain à l’Afrique»), beschränkte sich dies auf Kulturguttransfer und sparte das Thema der Reparationen aus, etwa für astronomische Mengen angeeigneter Rohstoffe.

Studioportrait von William D. Webster, Ende der 1890er Jahre, The Trustees oft he British Museum, London, ID 01355139001, Fotograf*in unbekannt

Die Mär vom rückständigen Afrika

Wenn Museen vor mehr als hundert Jahren in Benin City erbeutete Schätze und Ahnenköpfe herausgeben, ist dies ein überfälliger Akt.

Endlich erhalten Menschen in Afrika, die vergeblich auf ein europäisches oder amerikanisches Visa warten müssen, Gelegenheit, sich mit ihrem Erbe vertraut zu machen.

Gerade die Bronzen aus Benin strafen das Märchen vom vermeintlich rückständigen Afrika Lügen. Kunsthistoriker:innen des 19. Jahrhunderts waren von dem Fund deswegen so gebannt, weil sie begriffen: Hier wird das kultur-evolutionäre Schema durchkreuzt.

Nach diesem Schema besetzen Kulturen Afrikas die Position des «Primitiven» und «Kulturlosen».

In Benin City aber wurde die antike Technik des Bronzegusses vermutlich schon seit Jahrhunderten in Vollendung gepflegt, als diese im Europa der Renaissance gerade erst wiederentdeckt wurde.

Die Ausstellung «Im Dialog mit Benin. Kunst, Kolonialismus und Resitution» im Museum Ruitberg läuft von 23. August 2024 bis 16. Februar 2025. Sie beleuchtet die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Sammlungen aus kolonialem Kontext. Gezeigt werden etwa vierzig Kunstwerke aus Benin und benachbarten Kunstregionen sowie Objektbiografien, die den Kunsthandel und die Rezeption der Werke thematisieren.

Bildnachweis für Startseite: Omoregie Osakpolor, Eingang zur Igun Street als Hommage an die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Benin, Nigeria, Benin City, 2024, hergestellt im Auftrag des Museums Rietberg

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