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 Lesedauer: 8 Minuten

Begeistert sein – die neue Zukunftskompetenz

 
Überblick über diese Blogserie
  1. Der Untergang naht – Zeit für freigespielte Hoffnung
  2. Rückspiel: Der Untergang naht – Zeit für freigespielte Hoffnung
  3. Selig sind die Sehnsüchtigen
  4. Rückspiel: Selig sind die Sehnsüchtigen
  5. Spielerisch leben – allen Ernstes
  6. Rückspiel: Spielerisch leben – allen Ernstes
  7. Die kreative Trinität – Heiliger Geist, Zeitgeist und ich
  8. Rückspiel: Die kreative Trinität – Heiliger Geist, Zeitgeist und ich
  9. Begeistert sein – Die Freude am Wandel

 

Begeistert sein – Die Freude am Wandel

Begeistert sein! Welch zukunftsweisende Impulse verbergen sich hinter diesem grandiosen Gefühl von berauscht und euphorisch sein?

Dem Ausdruck nach sind wir begeistert, wenn ein Geist uns ergreift und dann auch noch in Hochstimmung versetzt.

Begeistert sein ist jenes Hochgefühl, das den Zwischenraum von magisch und real, möglich und unmöglich, von entrückt und gewahr sein markiert.

Wer begeistert ist, steht mit dem Gefühl des Staunens im Bunde. Wir staunen über das, was uns be-geistert, und erkennen darin Freude, Lebendigkeit und eine Chance auf mehr davon. Be-geistert zu sein versetzt unseren Geist in eine höhere Schwingung, und in dieser Höhe können wir – für einen kurzen Augenblick lang – nicht mehr zweifeln. Wir befinden uns auf der Frequenz der emotionalen Gewissheit und sind für einen Moment befreit von der Frequenz der ewigen Bedenken.

Wenn wir be-geistert sind, ist unser Geist manchmal ergriffen von einem neuen, noch unbekannten Ja, das mehr Kraft entfaltet als alle alteingesessenen Neins. Wie von Geisterhand öffnet sich dem eigenen Geist ein verheißungsvoller Horizont für ein großes Gefühl, eine Vision, eine innovative Lösung oder auch für ein ganz neues Leben. Begeisterung kann für einen Moment die Sicht darauf freigeben, was sein könnte. Der Geist, der uns be-geistert, lüftet dann kurz den gewohnten Schleier, um das Potenzial des Werdens preiszugeben. Begeistert sein ist das Aufblitzen von wünschenswerter Zukunft.

Egal, was uns be-geistert, eine Idee, eine Begegnung oder ein Geschmack, in dem Moment dürfen wir uns auserwählt fühlen, sind wir doch «Geist» begegnet und er – oder soll ich sagen «sie»? – uns.

Damit haben wir so etwas wie eine mystische Erfahrung gemacht, die uns inspiriert und anregt, ja uns ermächtigt, über ein gewohntes Maß hinaus zu fühlen und wahrzunehmen. Und ist das nicht eigentlich die vornehmste Aufgabe von Geisterfahrung? Bleibt die Frage, wer oder was be-geistert uns da eigentlich?

Big Magic

Der kulturell lang gehegte Glaube daran, dass be-geistert sein eine rein irdische Angelegenheit wäre, bröckelt gerade im Zeitgeist. Die US-amerikanische Schriftstellerin Elisabeth Gilbert hat mit Ihrem Bestseller «Big Magic» ein Millionen- Publikum dafür gewinnen können, sich der Frage zu stellen, ob das geistige Phänomen der Inspiration nicht von einer unsichtbaren Macht außerhalb von uns erfolgt.

Ihrer These nach haben Ideen ein geistliches Eigenleben und sie be-geistern uns, damit wir sie schöpferisch in der Welt manifestieren. Was wie ein Märchen klingt, wird von namhaften Künstlern aus der ganzen Welt bestätigt. Sie beschreiben, wie sie plötzlich von einer Inspiration buchstäblich be-geistert werden und alles stehen und liegen lassen müssen, um die hinein gepurzelte Eingebung festzuhalten. Sonst zieht sie nämlich weiter und ist verloren.

Der amerikanische Sänger Leonard Cohen hat sich sogar einen Dialog mit den Geistern angewöhnt, die ihn be-geistern wollen. Fährt er gerade im Auto und fühlt die Inspiration anklopfen, bittet er sie, noch damit zu warten, bis er Zugriff auf Papier und Bleistift hat. Oder der gute Geist möge doch gleich zu einem anderen Künstler weiterziehen.

Ich selbst kenne den Moment, in dem ich unter der berühmten Dusche stehe und eine Erkenntnis geistert plötzlich in meinen Kopf herum, sehr präsent und auch sehr flüchtig. Oft renne ich dann tropfnass zum Schreibtisch, um den Geistesblitz noch schnell in einer Notiz zu bannen.

Welche Kräfte sind da am Wirken, bei mir und all den anderen schöpferischen Menschen, die ergriffen werden von etwas, das unvermittelt durch sie hindurch in die Welt kommen möchte? Und was passiert mit einer Kultur, in der allem Anschein nach die Bereitschaft wächst, über das Mysterium einer geistgeleiteten Eingebung staunen zu wollen? Wie kommt es, dass die These von Big Magic jetzt, in diesem Zeitgeist so viel Resonanz erfährt?

Sind wir bereit, wieder an Geist zu glauben?

Folgt man dem Zeitgeist-Sog, dann offenbart sich gerade eine kollektive Sehnsucht nach Geisterfahrung. Berichten zufolge wird innerhalb der angesagten Themen wie Spiritualität und Meditation auch darüber gestaunt, wie erstaunlich es ist, sich mit Geist zu verbinden.

Die Zeitgeist-Teilnehmer*innen erfahren hier gerade in allen erdenklichen Formen und Farben eine Renaissance von Begeistert sein. Sie sind erfreut von der Erfahrung, im Verbund mit Geist ihre Perspektive auf die Welt zu verändern und an sich selbst Heilung und Wachstum zu erleben. Was sie wiederum zu neuen und heilsamen Projekten für die Welt inspiriert.

Kann es sein, dass gerade der Individualismus im Wandlungsmysterium des Zeitgeistes dazu geführt hat, dass wir uns persönlich wieder öffnen für geistliche Impulse?

Die gegenwärtige Abkehr von Institutionen, gepaart mit dem kollektiven Wagnis, sich auf das Abenteuer Individualität einzulassen, hat die Sehnsucht nach einem übersinnlichen Beistand, der uns den Weg zur Ganzheit weist, erhöht.

Der kollektive Sog, die eigene Individualität von höherer Ebene inspirieren und sogar leiten zu lassen, wächst. Ob nun Big Magic, Yoga oder Zen, das Thema Geisterfahrung steht ganz oben auf der Zeitgeist-Agenda des Staunens. Kann es sein, dass sich hier gerade wieder etwas verbindet, was lange getrennt war? Ganz im Sinne der göttlichen Weisheit mit der ihr eigenen Ausrichtung auf Ganzheit?

Vom Zeitgeist be-geistert sein

Was wäre, wenn es der gegenwärtige Zeitgeist tatsächlich vermag, dass wir uns zunehmend nicht nur als Geist begabte, sondern sogar auch als neuartig geistgeleitete Menschen begreifen und erfahren?

Könnten wir dann auch unsere Verbindung zum Geist der Zeit erneuern? Könnten wir bewusster werden für die heilsamen Impulse in der Zeitgeist-Dynamik? Würden wir uns zunehmend in der Kunst üben, die Sehnsucht nach Ganzheit zu bestaunen, die durch die Zeitgeist-Phänomene hindurch weht, wie sie will?

Was wäre, wenn es uns selbstverständlich werden würde, die spirituelle Dimension im Zeitgeist anzuerkennen, um zu erkennen, wo und wie die göttliche Weisheit heilsame Veränderung in Richtung Ganzheit anbietet.

Dann können wir unmöglich zufrieden sein mit den einstigen Weisheiten von Trennung. Jede Institution, jede Regel, jede Wahrheit müsste sich dann die Frage stellen, worin ihre Gabe des Verbindens besteht und welche Predigten über Trennung das Zeitliche gesegnet haben. Wer versteht, dass wir individuell und kollektiv immer wieder aufs Neue der Ganzheit entgegenstreben, versteht auch besser, warum Institutionen zunehmend ihre Sogkraft verlieren.

Wenn sie ihre Vorstellungen von richtig und falsch, gelingen und scheitern, gut und böse nicht daraufhin überprüfen, ob sie noch dem Leben dienen, dann bestimmen sie vielleicht noch, werden aber nicht mehr bestaunt. Sie verspielen dann ihr Versprechen von Ganzheit, und die Sehnsucht zieht weiter. Sie zieht weiter mit dem Zeitgeist zu neuen Visionen, neuem Glauben, fernen Epochen und damit zu neuen Welten der göttlichen Weisheit.

Wäre uns der Geist der Zeit in diesem Sinne bewusst, würde er endlich sein limitierendes Image als Sündenbock der bösen Veränderung verlieren. Wir würden uns von seinem Geist be-geistern lassen, in göttliches Staunen geraten und zuversichtlich Zukunft gestalten.

Das Zeitalter der neuen Mystiker

Jeder Geist hat seine Geistlichen – und der Zeitgeist hat seine Spirit Maker. Spirit Maker verkörpern den gleichsam mystischen Geist einer Gruppe, eines Unternehmens oder einer Familie. Geistgeleitet heben sie in den unterschiedlichsten Situationen überlieferte Trennungen auf und verbinden, was im Sinne der Ganzheit wieder zueinanderstrebt.

Solchen Mystiker*innen wird gerade im Bereich der Unternehmenskultur gerne nachgesagt, sie hätten ein besonderes Bauchgefühl, eine Art unerklärliche Verbindung zum Zeitgeist. Ihre Fähigkeit lässt sich nur schwer in Excel Tabellen und Big Data festhalten, und doch lauscht man ihnen andächtig, wenn sie von ihrer Wahrnehmung neuer Sehnsüchte, der Veränderung der Welt und hochschwingenden Umsetzungsideen erzählen. Jenseits von Statistiken oder Controlling gehen sie in Resonanz mit den noch zarten Anfangsschwingungen des Zeitgeistes und halten sich offen für den Moment, sich be-geistern zu lassen. So sehen sie die Zukunft aufblitzen und machen sich auf den Weg, sie in die Welt zu bringen.

Die mystische Gabe der Spirit Maker zeichnet sich durch eine besondere Empathie aus, die erkennt, welche kulturellen Formen sich erschöpft haben und was Heilsames im Werden ist.

Diese Empathie lässt sie auch die Sehnsucht bestaunen, die hinter allem steht. Spirit Maker haben keine Angst vor dem Wandel des Lebens, auch nicht dann, wenn der neue Geist noch unvorstellbar oder gar schockierend daherkommt. Sie gehen wachsam mit ihrem besonderen Zeitgeist-Bewusstsein um. Wissend, dass niemand Gottes Meinung kennt, achten sie darauf, sich be-geistern zu lassen, vom Geist der Lebendigkeit, der Liebe und der Heilung.

Durch ihr besonderes Gespür, ihr Begeistertsein für uns, den Geist und die Zeit, nehmen sie Einfluss auf eine Zukunftsgestaltung im Sinne der göttlichen Weisheit der Ganzheit. Solche Spirit Maker auszubilden, ist mein Beitrag zu einer lebendigen Theologie des Zeitgeistes.

 

Photo by Anthony Fomin on Unsplash

4 Kommentare zu „Begeistert sein – die neue Zukunftskompetenz“

  1. nameless commentar

    Begeisterung kann auch extrem befremden. Der grosse Jubel der marschierenden Massen ennet der Grenze, die Fackelmärsche. Publikum das jubelt. Begeisterung zäntumen. 12 Jahre später nur noch ein Jammertal, Trümmerfeld, kalter Wind weht durch die Gassen.

    1. Oh ja, diese Form der Begeisterung ein Thema voller Leid und Schmerz. Daher auch mein Appell, in der Begeisterung wachsam zu sein, für die Entfaltung von Liebe, Lebendigkeit und Ganzheit.

  2. In der Frei-, Kirchen Geschichte waren es die Propheten die diese Kunst schon seit Jahrtausende beherrschten. Doch sie wurden „weg behirtet“, „weg institutionalisiert“ und „rationalisiert“. Doch ohne Propheten keine Vision und Kraft. Es ist offensichtlich es kommt die Zeit der Propheten. Doch wer leitet Sie?

  3. Da kann man schön sehen, wie das Wort „Be-Geisterung“ je nach Kontext seiner Verwendung eine lebensfördernde oder lebenschädigende Konotation erhalten kann. Kirstine, Du hast entdeckt und zeigst uns Lesenden – spür- und nachvollziehbar begeistert von Deiner eigenen Entdeckung – auf, wie ein „heiliger“, sprich heilender, heil und ganz machender, also ein heilsamer Geist in der Zeit weht, wirkt und durch „Spirit Maker“ in der Welt konkret wirksam werden kann. Und es ist Dir in all Deinen Kolumnen immer wieder grossartig gelungen, Deine Begeisterung mit wunderschönen Worten auf uns Lesende zu übertragen.

    Leider können Menschen aber auch von „Un-Geistern“ begeistert, ja sogar fürchterlich fanatisiert werden. Sie sind dann zu noch schlimmeren Un-Taten fähig als ganz nüchterne, begeisterungslose, knochentrockene Zeitgenossen ihrer jeweiligen Zeit. Ich frage mich: Wie müssen Menschen, egal wann und wo, innerlich verfasst sein, damit virenartige Ungeister, gleich ob religiöser oder politscher Provenienz, ihr zerstörerisches Feuer oft sogar in Massen von Menschen zum „begeisterten“ Lodern bringen können? Welche innere Verfasstheit, gleich einem starken Immunsystem, können wir womit und wie kultivieren, damit Ungeister keinerlei Chancen haben, sich in menschlichen Wohnstätten häuslich niederzlassen und dort ihr Unwesen zu treiben?

    Diese Fragen beschäftigen mich zur Zeit sehr. Offenbar gehört ein feiner „Geist der Unterscheidung“ auch zur inneren Verfasstheit eines Spirit Maker. Und wer weiss, vielleicht ist der „Heilige“ Geist im Zeitgeist gerade jetzt dabei, uns zeitgemässe Antworten auf meine Fragen zuzufülstern und Spirit Maker zu finden, die solche Antworten in heilsame Taten zum Wohle ihrer Zeitgenossen umsetzen.

    Kirstine, gerade durch Deine „unorthodoxe“ – im religiösen ebenso wie im herkömmlich wissenschaftlichen Sinne! – Zeitgeist-Forschung und Deine darin gewonnenen Erkenntnisse bist Du für mich die erste Spirit Makerin für das bewusste Erkennen und spielerische Entwickeln von hoffentlich ganz vielen, ebenfalls bewussten und spielerischen Spirit Makern in unserer Zeit!
    Und dafür danke ich Dir von ganzem Herzen!

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