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 Lesedauer: 7 Minuten

Spielerisch leben – allen Ernstes

 
Überblick über diese Blogserie
  1. Der Untergang naht – Zeit für freigespielte Hoffnung
  2. Rückspiel: Der Untergang naht – Zeit für freigespielte Hoffnung
  3. Selig sind die Sehnsüchtigen
  4. Rückspiel: Selig sind die Sehnsüchtigen
  5. Spielerisch leben – allen Ernstes
  6. Rückspiel: Spielerisch leben – allen Ernstes
  7. Die kreative Trinität – Heiliger Geist, Zeitgeist und ich
  8. Rückspiel: Die kreative Trinität – Heiliger Geist, Zeitgeist und ich
  9. Begeistert sein – Die Freude am Wandel

 

Als wir uns die Sterne vom Himmel spielten

Ein tosendes Meer aus Legosteinen, und mittendrin das unwiderstehliche Gesicht meines Kindes: »Papa, spielst Du mit mir?« Eigentlich bin ich gerade eher im Kampf gegen die Uhr. Aber das Rauschen der Steine polt mich um auf Spielmodus. Wir starten ein Auto. Aber irgendwie funzt es nicht recht. »Das ist ein blöder Jeep.« Ich schau hellwach rüber. »Weisst Du was, das ist ja auch gar kein Auto, sondern ein Boot… und es fährt sogar unter Wasser!« Wir bauen anders weiter und stossen wieder an die Grenzen. Ein Boot will es auch nicht werden. Jetzt sehe ich es: »Wenn wir das hier grösser machen und hier noch zwei Motoren rechts und links, dann ist es ein Raumschiff.« Wer will schon abtauchen, wenn man zu den Sternen fliegen kann. Und die spielen wir uns dann auch vom Himmel. Als ich auf die Uhr schaue, lache ich über die absurde Idee, dass ich heute noch mal ins Büro wollte.

Mehr als verspieltes Kopfkino

Hat Ihr Gehirn aus den gerade gelesenen 156 Wörtern mal eben einen Film gedreht? Juhu, das ist der spielerische Clou. Der Spielzimmergeist ruft wach, wie lebendig Sie sich in ähnlichen Erlebnissen auch schon mal gefühlt haben. Woher kommt es aber, dass unser Leben im Spiel derart aufblüht? Behalten wir den inneren Spiel-Film noch ein wenig vor Augen.

Hinreissend frei und ganz da

Das Spiel lockt mich verführerisch in die Freiheit. Ich muss nicht länger systemrelevant funktionieren noch zweckmässig kalkulieren, weder effektiv produzieren noch gewinnmaximierend profitieren.

Im zweckfreien Spiel bin ich einfach da, bei mir und in meinem Element. Und das geht kurioserweise nur, weil ich zugleich tief mit den Mitspielerinnen, den Spielzeugen und dem Spielfeld verbunden bin.

Eine Gegenwärtigkeit in der Zeit, die nicht langweilig ist, obwohl die Uhr stillzustehen scheint. Eine Gegenwärtigkeit im Raum, die nicht einengt, sondern galaktische Weiten aufmacht.

Das Leben probieren mit offenem Ausgang

Diese Offenheit des Spiels heisst auch: Nichts muss, aber alles ist möglich.

Spielen ist leben im Probiermodus.

»Sinn und Geschmack fürs Endliche« (Michael Roth). Das pralle Leben verkosten und dabei so tun, als ob. Was daraus wird, ist nicht kontrollierbar. Aber die inspirierenden und kreativmachenden Kräfte, die wir einander schenken, tragen uns, bis sich ein Auto in einen Sternenkreuzer verwandelt.

Lebendiger geht’s nicht

Habe ich je besser ins Leben gepasst und das Leben zu mir? Was könnte aus mir wohl noch werden? Was könnte ich der Welt eines Tages schenken? Welch ein beglückendes Zuspiel von Lebenssinn. Spielen ist menschlich und macht menschlich:

»Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« (Friedrich Schiller).

Der Letzte macht die Tür zu

Wenn jetzt Lust am Spiel aufkommt und wir uns danach sehnen, dem Spiel noch viel mehr Raum zu geben, dann flüstert es schnell so: »Das Spiel ist lediglich ein unverbindlicher Unterbruch des Lebens, das eigentlich geprägt ist vom Ernst der Schule, der Arbeit und des Existenzkampfes. Sei also weder naiv noch verspielt und zieh die Tür beim Verlassen des Spielraums zu.« Zugegeben, es gibt einen schmerzhaften und erdrückenden Ernst des Lebens, für viele bis zum bitteren Ende. Es ist ein Kurzschluss zu behaupten, das Leben sei ein Spiel.

Aber wer legt denn fest, dass wir dem Ernst des Lebens zu begegnen haben, indem wir es uns diszipliniert, verbissen oder gar aggressiv verfügbar machen?

Ich probiere es mal andersherum: Wir halten die Spielräume offen und lassen sie weiter werden, gerade wenn es ernst wird. Aber wie soll das gehen?

Der Geist des Lebens ist eine Gespielin

Der Mut zu spielen wächst, wenn wir gewahr werden, dass es an allen Ecken und Enden spielt: Die unberechenbaren Teilchen im Beschleuniger, die Ventile eines Viertakters, die problemlösenden Gedanken, die verschmelzenden Körper der Liebenden, die gewitzten Worte und wohlgeratenen Klänge, die tüftelnden Forscher, die tanzenden Schneeflocken und die Gläubigen im Gottesdienst. Die natürliche und kulturelle Fülle unseres Lebens kam und kommt spielerisch zustande.

Mit »Spiel« beschreiben wir die Matrix, die vibrierende Webstruktur, die alles Lebendige miteinander verbindet.

Und wenn ich nun die Unverfügbarkeit des Spiels zu schätzen weiss, dann liegt der Gedanke nahe, dass sich jedes Spiel dem göttlichen Schöpfergeist verdankt. Die christliche Mystik schaut in der göttlichen Weisheit eine lustvolle Spielerin. Als die Welt geschaffen wurde, sagt Sophia,

»war ich beständig bei ihm [Gott]; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern« (Sprüche 8,30-31).

Für Basilius von Caesarea ist der Heilige Geist der »Chorleiter des Lebens«, der die Menschen tanzen und spielen lässt. Mechthild von Magdeburg weiss um die »spielende Flut, die in der Dreifaltigkeit schwebt und wovon allein die Seele lebt«. Tatsächlich wagt es die christliche Trinitätslehre und stellt sich Gott als einen ewigen, dreipersonalen Tanz (spil) der Liebe vor. Womit das Bild komplett wäre:

Die ewige Gespielin entfaltet die göttliche Pracht im Spielraum der Schöpfung. Sie spielt uns das Leben zu und will uns als Spielgefährtinnen.

Leicht und heiter leben

Wenn es stimmt, dass ich göttlich umspielt bin, dann weicht damit der Druck, nun auch das Spiel machen und beherrschen zu müssen als Optimierungstechnik für ein schönes Leben. Das ist die heitere Leichtigkeit des Spiels. Es ist immer schon da und kommt mir liebevoll und einladend zuvor. Ich finde es sehr reizvoll, wenn jemand darauf verzichtet, seine Spielchen zu spielen. Denn die verkommen schnell zu Machtspielchen, in denen wir dazu verdonnert sind, uns das Leben mühsam zu erkämpfen. Adieu Verbissenheit, bon jour Heiterkeit. Wenn ich so im Strassenverkehr unterwegs bin, geht es mir einfach besser.

Sich selbst als Einsatz wagen

Sich dem Leben spielerisch hinzuhalten und hinzugeben ist ein echtes Risiko. Ohne Hoffnung komme ich da nicht aus. Und auch nicht ohne Vertrauen in die Mitspieler, auf die ich mich bar jeder Kontrolle einlasse. Man sollte sich überlegen, mit wem man spielt. Und selbst wenn alles zusammenspielt, bleibt offen, ob und was dabei herauskommt.

Es steht hier wirklich was auf dem Spiel, nämlich ich selbst. Und doch ist es kein Zocken. Denn ich rechne mit den inspirierenden und kreativen Kräften, welche die göttliche Sophia im Spiel entbinden kann – nicht umsonst ist sie weiblich.

Die Alternative wäre ein Leben im abgesicherten Modus.

Ernsthaft spielen, lachen und vergeben

Wer nicht mit Ernst dabei ist, wird zum Spielverderber. Ich rede von denen, die – aus welchen Gründen auch immer – die Spielregeln und -grenzen überschreiten. Wenn uns das passiert, braucht es eine fantasievolle Anstrengung, um das verunglückte Spiel zu retten: Wir stecken die Köpfe zusammen und das Leben neu ab. Aus Konspiration wird Inspiration, so dass wir die Regeln anpassen. Vielleicht müssen wir auch noch mal üben, wie alle Künstler. Schön, wenn wir dabei über uns selbst lachen können. Und wenn uns das Spiel des Lebens heilig ist, dann geben wir zu, was meine Mitspielerin Kirstine Fratz neuerdings als »Entwicklungsgrosszügigkeit« beschreibt: »Wir sind keine Experten im Richtigmachen«.

Ernstheiter zu spielen lebt von der gegenseitigen Vergebung, und zum Glück kommt uns auch hier der Geist Gottes gnädig zuvor.

Spielrelevant leben

Gerade wenn das Spiel verunglückt, haben wir allen Grund, dem Ernst des Lebens spielerisch zu begegnen. Denn mit dem Spielgeist würden alle sozialen Energien verpuffen, die uns beieinander halten und aus der Krise ziehen. Stattdessen neigen wir dazu, unsere Gesellschaft als funktionierenden Mechanismus mit systemrelevanten Menschen zu deuten, während die öffentlichen Spielräume geschlossen werden.

Wir Menschen sind mehr als systemrelevant, wir sind spielrelevant!

Und die Spielmeister unserer Zeit mögen uns bald wieder geistvoll daran erinnern:

»Man befreit sich im Spiel und wohl immer zuerst spielend vom Zwang des gegenwärtigen Lebenssystems und erkennt lachend, dass es gar nicht so sein muss, wie es ist und sein zu müssen behauptet wird« (Jürgen Moltmann).

Let’s play!

 

Photo by Kelly Sikkema on Unsplash

3 Kommentare zu „Spielerisch leben – allen Ernstes“

  1. Berührend….sehr berührend.

    Du berührst mich…

    In meinen Nöten vor Zeiten habe ich mich sagen hören:

    Dein Leben ist ein wirk-liches Spiel. Spiel mit.

  2. LIGHT is the
    LUST of the
    LAMP for the
    LIFE which
    is DARK
    till the DAWN
    of the DAY
    when we DIE

    (von unbekannt)

    „Spielerisches Leben in der Wirklichkeit“ findet statt vor noch nicht existierender Zukunft, aber nach abgeschlossener Vergangenheit, also in der Zeit-losen „verbalen“ Schnittstelle von beiden. Ob gespielt oder erduldet, erlitten oder ignoriert, wer Augen hat zu sehen, erkennt Dank ES WERDE LICHT den Zugang zur Transzendenz. Das aber ist ein anderes Wort für „das Reich Gottes“.

  3. Rollenspiele, Sandkastenspiele, Geländespiele, Kartenspiele.
    Bei allem was in heiterem Ernst spielend gelingen oder daneben gehen kann – sind wir eher Mit- oder Gegenspieler*innen oder sogar Gespiel*innen des göttlich versuchenden, lebendig Leben suchenden Spielgeistes?

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