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Den Tod überleben

An Bildern des Leibes Jesu wird seit vielen Jahrhunderten verhandelt, was wir unter leiblicher oder fleischlicher Auferstehung verstehen. Rund um Bilder bildet sich christliche Gemeinschaft (Kirche als «Auferstehungsleib») immer wieder neu – und entzünden sich Ausschlüsse. Bis heute.

In Wien sorgt ein «Ostertuch» des renommierten Künstlers Gottfried Helnwein für Streit: Es zeigt ein Kind mit den Wundmalen Christi. Ein Knabe, bis auf einen Lendenschurz nackt, der, vielleicht hilfesuchend, nach oben blickt. Das verwundete Kind liess mich sofort an den vielfachen Kindesmissbrauch im kirchlichen Kontext denken.

Das Domkapitel des Wiener Stephansdoms machte nach Protesten konservativer Christ:innen einen Rückzieher. Es zeigt das verwundete Kind nun doch nicht.

Liebe zu totem Leib

Der italienische Künstler Andrea Saltini wurde am Gründonnerstag mit einem Messer verletzt. Wegen einer ambivalenten Darstellung des Gekreuzigten. Das Bild behandelt das Motiv des römischen Centurio Longinus. Dieser soll mit seiner Lanze in Jesu Seite gestochen haben. Andrea Saltini hat die Szene in die Nähe eines homosexuellen Aktes gerückt. Mit einem Toten.

Beide Künstler spielen mit Assoziationen, die in den Köpfen von Betrachter:innen entstehen können. Beide Male steht der Blasphemieverdacht im Raum. Aber ist nicht eher der Missbrauch von Kindern in der Kirche das, wogegen Christ:innen demonstrieren sollten? Und betreiben nicht gerade jene eine Art Blasphemie, die die Leiche Jesus zum Gott überhöhen? Vielleicht kann man noch weiter gehen und sagen:

Ohne Auferstehung bliebe jeglicher liebende Bezug auf die Figur Jesu eine Form von Nekrophilie.

Folgt man dem Apostel Paulus, hängt alles am Auferstehungsglauben.

«Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube» (1. Kor 15,14).

Und Auferstehung, so die christliche Kernbotschaft, ist fleischlich oder leiblich gemeint.

Resurrectio in Carnis

Kein Geist also, keine blosse Lichtgestalt. Sondern greifbarer Körper. Allerdings transformiert.

Nach einer gnostischen Legende steht Christus neben dem Kreuz, an das er genagelt ist – und lacht. Als Geistwesen kann ihm Körperfolter nichts anhaben.

Diese Idee einer rein-geistigen Auferstehung ist schon früh zurückgewiesen worden.

Liegt uns heute die Vorstellung einer Auferstehung näher, die im  ewigen oder zumindest verlängerten Fortbestehen des Körpers dank Technologien besteht? Hier geht es um die individuelle Sorge um ein Weiterexistieren des lieb gewonnenen Ichs.

Die Auflösung des Ichs ist meistens keine schöne Vorstellung.

Ausdruck dieser Sorge ist der obsessive Körperkult unserer Zeit, der Boom von Self-enhancement, Bodyshaping, sportlichem Wetteifern.

Biotechnologische transhumanistische Vorstellungen bilden den Horizont solcher Bestrebungen.

Mit einer leiblichen Auferstehung hat aber auch dies nicht viel zu tun.

Christlich wird Auferstehung als ein individuelles und universelles Ereignis gleichzeitig gedacht.

Auferstehung Reloaded

Vorstellungen von Auferstehung sind bis heute stark geprägt von Bildern aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit.

Aus den ersten christlichen Jahrhunderten gibt es so gut wie keine Verbildlichungen von Glaubensinhalten. Bilder und Statuen galten als «heidnisch». Sie wurden aus frommer Motivation heraus so gründlich vernichtet, dass die antike Bilderkultur abriss.

Nicht erst die Reformation, sondern schon das frühe Christentum war bilderstürmerisch.

Mittelalterliche Körper

Was für ein Bild von leiblicher Auferstehung vermitteln vorreformatorische Bilder? In der kurz vor Ostern eröffneten, umfangreichen kulturhistorischen Ausstellung «begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter» im Landesmuseums Zürich ist ein Kapitel genau dieser Frage gewidmet.

Ein zentrales Motiv der biblischen Auferstehungserzählung ist das leere Grab. In der christlichen Kunst wurde es unzählige Male dargestellt.

In der in Zürich gezeigten Version des Maestro del Codice di San Giorgio aus dem 14. Jahrhundert hat das Beweisstück die Form eines antiken Sarkophags. Über den Rand hängt als Hinweis auf den verschwundenen Leichnam ein weisser Schleier, fein wie die Haut einer Qualle.

Das Bild des leeren Grabes besitzt den Stellenwert eines Beweisstücks. Und erweckt fast notwendig Zweifel: War das Grab wirklich leer? Haben Jesus-Anhänger den Leichnam beiseitegeschafft? Lügen sich Christ:innen die Welt mit einem «Wunder» schön?

Unberührbare Körper

Ein Engel in edlem Messgewand zeigt bedeutungsvoll aufs leere Grab. Maria Magdalena bemerkt Jesus – dies gilt als weiterer Beleg für seine leibliche Auferstehung.

Allerdings erkennt sie ihn zunächst nicht. Sie denkt, es sei der Gärtner. Die Wächter am Grab schlafen und bekommen das Wunder sowieso nicht mit.

Die grosse Liebende kann ihr Glück nicht fassen. Buchstäblich. Maria Magdalenas Hände zieht es wie durch Magnete in Richtung Christus. Aber Christus warnt, beinahe erschrocken:

«Noli me tangere». Doch nur ein Gespenst? Ein Wunschbild im Trauerprozess?

Jesus ist also erfolgreich auferstanden und hält die Siegesfahne als Zeichen des Sieges über den Tod in der Hand. Aber man darf den wundersamen Leib rätselhafterweise (noch) nicht berühren.

Später, beim «ungläubigen Thomas», wird Berührung möglich sein, sogar der sonderbar erotisch aufgeladenen Wunden des Erlösers.

Hoc est corpus meum

Von Papst Gregor aus dem 6. Jahrhundert berichtet die Legende, er habe das «Messopfer» so gründlich zelebriert, dass sich die Hostie auf dem Altar in den echten, gemarterten, gestorbenen und von den Toten auferstandenen Leib Christi verwandelt hat («Gregormesse»).

Auf dieser Darstellung von 1460 begegnet Jesus wie frisch vom Kreuz herabgeschwebt. Mit Dornenkrone und bis auf den Lendenschurz nackt. Sein Blick ist traurig gesenkt. Ein kirchliches Propagandabild? So sieht es aus.

Priesterliche Autoritäten verwalten Mysterien, religiöse Laien werden eingeübt in Staunen und Anbeten.

Die bildliche Darstellung selbst aber ist ambivalent: Den Altar mit dem frischen Tischtuch tippt der Gemarterte nur mit Zehenspitzen an, fast als fühle er sich fehl am Platz.

Die Distanz zwischen dem nackten gütigen Menschensohn und dem kirchlichen Amts- und Würdenträger ist immens. Der Kirchenmann wirkt eher verdutzt als heilig. Und so, als hätte er des fast schon plump-sinnlichen Beweises bedurft, um zu glauben.

Blutende Bilder

Gräbern Leichenteile zu entnehmen, war der Antike und auch dem frühen Christentum fremd. Es war schon aus rein hygienischen Gründen ein Tabu. Dies ändert sich mit der Heiligenverehrung.

Körperliche Reste Heiliger waren nun «Juwelen des Himmels» und «heilige Mobilien» (Aleida Assmann), um die herum sich ein Pilgertourismus entspann.

Aus Heiligengräbern, berichten fromme Legenden, entwich überirdischer Duft. Reliquien galten als wundertätig, heilkräftig – und sie wurden im Mittelalter als «lebendig» klassifiziert.

Etwas von dieser Lebendigkeit ist diesem österlich lächelnden Reliquienschrein anzusehen.

Sogar gewisse sakrale Statuen und Bilder fielen nun in die Kategorie lebendig. Von frommen Bildwerken wird berichtet, sie hätten geblutet oder geweint.

Lebendiges Kreuz

Bei Hans Fries im frühen 16. Jahrhundert ist es das Kreuz, das lebt – und das Arme und Hände besitzt.

Superkörper

Der Maler packt in «Das lebende Kreuz» die ganze Kompliziertheit der Kreuzes- und Auferstehungstheologie in ein einziges Bild: die Verzahnung von Tod am Kreuz und österlicher Auferstehung, Auferweckung der Toten und Vorbereitung des endzeitlichen Gerichts.

In einem atemberaubenden Simultangeschehen, das an Kung-Fu-Filme denken lässt, hängt hier Jesus gleichzeitig am Kreuz, ist in der Hostie am Altartisch körperlich anwesend, macht die Segensgeste, zeigt in den Himmel, vernichtet das Böse mit dem Schwert und zerschlägt mit einem Hammer das Höllentor.

In dem Bild sind hierfür gleich mehrere Arme von Christus im Einsatz.

Der Auferstandene ist nicht an Raum und Zeit gebunden und verfügt offenbar über eine Vielzahl an Gliedmassen.

Endzeitkörper

In der berühmten «Vision des Jüngsten Gerichts» von Hans Memling fusionieren in der Christusfigur der Auferstehungsleib und der Verklärungsleib mit dem endzeitlichen Weltenrichter, dessen Thron ein Regenbogen ist.

Die Toten steigen alle im Alter von Anfang 30 – dem angeblichen Todesalter Jesu – aus den Gräbern. Sie sind nackt, hübsch und haben, egal wie und woran sie starben, unversehrte Körper.

Kaum den Gruften entstiegen, greifen sich Engel oder Teufel die wiedererwachten Toten aller Zeiten. Gleichzeitig rufen Posaunenengel zum Jüngsten Gericht.

Die Gräber leeren und Himmel und Hölle füllen sich.

In der von Memling dargestellten Kosmologie als Gesamtbild von Auferstehung, Erlösung und Verdammung wird unübersehbar: Auferstehung und Endzeit sind untrennbar verbunden. Das eine läutet das andere ein.

Nicht nur die Auferstehung, sondern auch die Verdammnis wird als eminent körperliches Ereignis gedacht und dargestellt.

Die Geretteten werden himmlisch eingekleidet. Die verdammten Seelen schmoren mit postmortalen Leibern nackt im Höllenfeuer und frieren gleichzeitig entsetzlich.

Lebende Tote

Immerhin im Tod sind alle Stände gleich. So suggerieren es jedenfalls mittelalterliche Totentanzbilder. Die Ironie in diesen Darstellungen ist: Der Allerlebendigste bei diesen Tänzen ist der Tod.

Am Ende also Gerechtigkeit?

Nicht ganz: Gevatter Hein holte im von Armut, Seuchen und Kriegen geplagten Mittelalter Männer mit durchschnittlich 42/43 Jahren, Frauen (hohe Müttersterblichkeit) mit 38/39 Jahren. Viele Adelige dagegen wurden über 60 Jahre alt.

Licht und Schatten, Himmel und Hölle, Engel und Teufel stehen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bildwerken holzschnittartig in Kontrast. Austragungsort für metaphysische Kämpfe ist die Seele des Einzelnen.

Begabt mit Freiheit, trägt der Mensch die Verantwortung, wenn es mit ihm ab in die Hölle geht. Man kann aber auch sagen: Schuld wird hier individualisiert bzw. privatisiert.

Gut-Böse versus Gut-Schlecht

Eine sozialkritische Lesart kann in der Darstellung des Gerangels zwischen Gut und Böse die Verschiebung eines Kampfes ins Metaphysische und Moralische sehen, der auf Erden ungelöst bleibt: die soziale Ungerechtigkeit.

Die einen haben gute Startbedingungen, die anderen schlechte. Die einen leben wie im Himmel, die anderen haben es höllisch schwer.

Wenn aber das Problem die einzelnen «Sünder» und «Sünderinnen» sind und Kirchen dazu ihren Segen geben, braucht das System nicht überdacht werden.

Ähnlich wie heute beim «Carbon Footprint», der mir meine Klimaschuld ins Gewissen ruft und von den Gross-Sündern und einer destruktiven Wirtschaftsweise ablenkt. Bezeichnenderweise ist der «ökologische Fussabdruck» keine Erfindung von Greenpeace, sondern der Mineralölindustrie.

Utopische Körper

Für den reformierten Theologen Karl Barth ist die Erkenntnis, dass Jesus wahrhaftig und wirklich auferstanden ist, für Menschen nicht zu erlangen – aber durch Gottes Offenbarung und Gnade im Glauben annehmbar.

Auferstehung des Fleischs verstand der Schweizer Theologe auch materialistisch: als Erinnerung an den biblischen Auftrag, das körperliche Elend der Geknechteten in den Blick zu nehmen und:

«… die Sache der Armen und Entrechteten gemäss dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.»

Arme Körper

Mit Verweis auf den eschatologischen Hoffnungshorizont stand Barth in den 1950er-Jahren auch gegen eine Politik auf, die auf vernichtende Feindbilder und Drohungen mit Massenvernichtungswaffen setzte, darunter atomare Schläge.

Gegenüber der Bewegung «Kein anderes Evangelium», deren pietistische Vertreter:innen ein Bekenntnis zur leiblichen Auferstehung Jesu zwingend forderten, brachte Karl Barth 1966 vor:

«Würden sie selbst wirklich daran glauben, müssten sie heute ein Bekenntnis gegen den Vietnamkrieg der USA und gegen wieder aufflammenden Antisemitismus in Westdeutschland ablegen.»

Leben in Gnade

Leibliche Auferstehung bedeutet also auch: die Hoffnung auf Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden nicht begraben. Und selbst zum Medium – zur Verkörperung oder Inkarnation – der von Jesus vorgelebten Liebe werden.

Mit Haut und Haar. Offen und verletzlich. In jedem Moment.

Und so zum Leben vor dem Tod gelangen. Frei werden. Die Angst besiegen, auch die Angst vor dem eigenen Tod. Und merken: Ewigkeit ist jetzt.

 

Die Ausstellung «begehrt. umsorgt. gemartert. Körper im Mittelalter» im Landesmuseum Zürich ist bis 14. Juli 2024 zu sehen.

 

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Podcast Unter freiem Himmel: «Ostern als Mythos», Evelyne Baumberger, März, 2024

Podcast Unter freiem Himmel: «Was passiert nach dem Tod», Evelyne Baumberger, März 2024

Podcast Unter freiem Himmel: «Ist Jesus wirklich auferstanden?», Evelyne Baumberger, März 2023

Podcast Ausgeglaubt: «Auferstehung. Ja, tatsächlich!», Oktober 2021

Podcast Ausgeglaubt: «Ich glaube nicht, dass das Grab von Jesus leer war», April 2020

Blogbeitrag «Auferstehung vom Tod», Friederike Osthoff, April 20219

 

Titelbild: Ausschnitt aus «Die Vision des Jüngsten Gerichts», Hans Memling, 1467-1473, National Museum in Danzig; hier: Still aus einer Animation des Triptychon von Atelier Schubert, Stuttgart © Landesmuseum Zürich

«Noli me tangere», Maestro del Codice di San Giorgio, 1826-1335, Florenz © Landesmuseum Zürich

«Messwunder Papst Gregors des Grossen», Meister der Gregormesse, Bern, um 1500, aus dem Oberwallis, Altargemälde © Landesmuseum Zürich

Reliquienbüste einer unbekannten Heiligen, wohl Konstanz, 1350-1400, angeblich aus dem Dominikanerkloster St. Peter und Paul in Cazis, Schweizer Nationalmuseum © Landesmuseum Zürich

Reproduktion «Das lebende Kreuz», Hans Fries, 1510-1520 © Landesmuseum Zürich

Totengerippe: Ausstellungsansicht © Landesmuseum Zürich

 

1 Kommentar zu „Den Tod überleben“

  1. Danke für diese exakte und anschauliche Beschreibung der Ausstellung. Ich habe noch zwei Anmerkungen: Die Schreine für die Reliquien waren derart teuer, mit Gold und Edelsteinen hergestellt, weil der Knochen eines Heiligen dessen tatsächliche Präsenz bedeutete. Zum anderen habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Beziehung zu Ostern und zum Auferstandenen eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der «Geschichte» bzw. Mit den Evangelien bedeutet hat. Umso spannender, die Darstellung von Kreuzigung und Auferstehen historisch betrachten und studieren zu können. Ich werde mir die Ausstellung ganz bestimmt anschauen. Danke für den tollen Tipp!

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