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 Lesedauer: 7 Minuten

Mind Uploading: Auferstehung in die Cloud

Nur diesmal ist nicht Gott im Spiel, sondern ein binärer Code und jede Menge Datensätze. Kann das gehen? Und wessen Geist spukt dann eigentlich durch den digitalen Himmel?

Athens König Theseus liebt sein Schiff. Es ist alt und brüchig, aber noch seetauglich. Also lässt er es Brett für Brett mit neuem Material austauschen. So ein legendäres Schiff aber möchte der Werftmeister nicht verkommen lassen. Er nimmt die alten Bretter, und baut das Original aus dem welken Holz identisch nach.

Welches der beiden, so fragt sich das Theseus-Paradox, ist nun eigentlich Theseus Schiff? Theseus nagelneues oder das wiederhergestellte Alte des Werftmeisters?

Sind sie beide Theseus Schiffe oder ist keines davon mehr das, was man Theseus Schiff nennen würde?

Digitale Unsterblichkeit für Techvisionäre

Technologische Fortschritte machen aus einem sophistischen Gedankenspiel für philosophische Proseminare eine viel diskutierte und sehnsüchtige Erwartung:

Den eigenen Geist kopieren, in eine Cloud hochladen (uploaden) und dort ein unendliches Leben simulieren lassen.

Der Clou: Das verderbliche Fleisch unseres Leibes, das alte Material also, lassen wir zurück, wir tauschen es nicht aus, sondern erfreuen uns einer unsterblichen digitalen Kopie unseres Geistes, die in einer Simulation ein massgeschneidertes Lotterleben führt. Freilich, nur solange der Strom reicht.

Eine andere Variante sagt, wir bauen uns eine synthetische Kopie unseres Gehirns. Auch hieran wird fleissig geforscht.

Dem Konzept des Mind Uploadings wird im Kontext transhumanistischer Zukunftsvisionen viel zugetraut.

Ein Grundgedanke der Ideologie, die man unter dem Namen Transhumanismus verhandelt, ist, dass die Art von Mensch, die wir im Spiegel sehen, nur eine Durchgangsstufe der Evolution ist.

Der grösste Makel

Einer der grössten Makel der menschlichen Spezies ist ihre Endlichkeit. Der Königsweg, dem zu entgehen, sei es, ein menschliches Gehirn künstlich zu simulieren oder mit Materialien nachzubauen, die nicht nur einen unabsehbar langen Lebenszyklus halten, sondern Jahrhunderte überdauern.

Wäre Theseus begeistert? Sein neues Schiff nicht aus Holz, Seil und Teer gebaut, sondern aus Carbon, Schrauben und Silicon. Oder als immersive Simulation: 5k-Resolution, Millionen von Seeschlachten nachspielen, Segelfarben in Sekundenschnelle geändert, grenzenloser Spass für den Halbgott.

Wie im Theseus-Paradox nur der König ein neues Schiff bekommt, steht auch in der Vision des Mind Uploadings nur den reichsten der Reichen die Tür zur digitalen Unsterblichkeit offen.

Das ist nicht nur aus sozialethischer Perspektive kritisch, es kann einem Angst machen. Immerhin stellt sich die Frage, wessen Gehirn eigentlich zuerst nachgebaut oder hochgeladen werden soll.

Heisse Kandidaten, ja hier muss man eher nicht gendern, sind Techmilliardäre wie Ray Kurzweil oder Elon Musk. Was diese beiden dazu prädestiniert, als erste die nächste Sprosse der Evolutionsleiter zu erklimmen? Ihr Geld und Einfluss.

Digitale Doppelgänger

Nicht ihre Tugenden oder ihre sonstige Eignung lassen sie als Blaupause für den unsterblichen Übermenschen geeignet erscheinen, sondern ihre Macht.

Hat Roman Mazurenko den Tod bereits überwunden?

Auch wenn Fortschritte in der Kartografierung des menschlichen Gehirns oder die Simulation einzelner Hirnareale bei Kleintieren beeindruckend sind: Die Singularität Elon Musk, der Unsterbliche, ist noch Zukunftsmusik.

Die kleine Schwester des Mind Uploadings, die digitale Duplizierung, ist bereits hier. Roman Mazurenko, mit 34 tödlich verunglückt, «lebt» als Chatbot fort. Da seine beste Freundin Eugenia Kuyda in ihrem KI-Startup neuronale Netzwerke entwickelte, sammelte sie tausende seiner Nachrichten und kann so mit seinem digitalen Doppelgänger chatten: Er nutzt den gleichen Schreibstil, teilt seine Überzeugungen, tröstet sie, wie einst ihr lebendiger Freund.

Ob sie heute noch mit ihm chattet, ist unbekannt. Klar aber ist, dass sich die Beziehung nicht weiterentwickelt. Roman hat keine neuen Erlebnisse.

So wie der Verstorbene war, so bleibt seine Kopie. Der Bot bleibt in der Zeit eingefroren.

Dieses Problem beschäftigte schon die religiösen Ewigkeitserwartungen. Auch die frühe Christenheit grübelte darüber nach, mit welchem Alter man auferstehen würde. Vielleicht 30?! Immerhin war dies das angenommene Alter ihres Herrn Jesus Christus bei seiner Auferstehung.

Überbleibsel paulinischer Auferstehungshoffnung?

Auch wenn die meisten Techies Atheist:innen sind, erinnern einige ihrer Gedanken doch stark an Paulus:

«Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt wird in Unvergänglichkeit.» (1. Kor 15)

Die  transhumanistische Hoffnung der Überwindung des endlichen Fleisches ist eben auch ein christliches Erbe. In Gänze haben sie Paulus aber nicht studiert, immerhin spricht er im selben Kapitel davon, dass unser Leib verwandelt wird, nicht aber reduziert auf unsere Gehirnaktivität, die man duplizieren könnte. Was das Mind Uploading dagegen möchte, ist den Leib loswerden.

Kein neuer Leib, sondern am besten gar kein Leib mehr. So eine fleischliche Hülle müsste als ein Makel betrachtet werden.

Der jüdische Gedanke einer autonomen Schöpfergottheit, die schöpft, wie sie will, und der Hybris des Menschen einen Riegel vorschiebt, liegt den Transhumanist:innen genauso fern. Paulus glaubt noch, dass Gott Verantwortung trägt für die Schöpfung des neuen Leibes. Das erste Testament deutet Ähnliches an, wenn es schildert, wie tote Gebeine durch Gottes Odem mit neuem Fleisch überzogen werden (Ez 37).

Die Frankensteins des Silicon Valleys trauen sich das ganz ohne göttliche Hilfe selbst zu.

Sie selbst sind die Götter einer neuen unsterblichen Schöpfung.

Das Identitätsproblem: Wessen Geist eigentlich?

Plutarch, Schöpfer des Theseus-Paradoxes, war bekennender Anhänger von Platons Lehre einer unsterblichen Seele, die den Körper bewohnt. Nimmt man an, dass so etwas wie eine unsterbliche Seele als Personenkern den Tod überdauert und dann mit einem neuen Körper ausgestattet wird, lässt sich das mit der Überwindung des Todes noch recht gut plausibel machen.

Transhumanist:innen sprechen eigentlich nie von einer Seele. Strikt materialistisch gedacht, sind wir Menschen in ihrem Weltbild nichts als Materie und unser Geist lediglich Datenströme unseres Gehirns, die auf bestimmte Art und Weise durch diese Materie hervorgebracht werden. Kurzum glaubt der Transhumanismus, was Neurobiolg:innen gerne postulieren:

Der Mensch ist sein Gehirn.

Und wenn man das Atom für Atom nachbauen oder simulieren würde, dann müsste doch die gleiche Person rauskommen wie das Original, oder?

Es gibt noch eine modifizierte Version vom Theseus-Paradox. Hier nimmt der Werftmeister nicht die alten Planken, sondern neues Holz und baut eine exakte Kopie von Theseus Schiff. Ist das aber noch Theseus Schiff?  Stellen wir uns Phereklos vor, Theseus Steuermann, wie er dieses neue Schiff steuert. Wird er das Gefühl haben, auf Theseus Schiff zu stehen? Wird er sagen, das ist Theseus Schiff? Vermutlich nicht.

Wahrscheinlich würde er sagen, dass ihn das Schiff ungemein an Theseus Schiff erinnere, mehr nicht. Denn egal wie gut eine Kopie ist, sie wird nicht auf magische Weise plötzlich irgendwie zum Original.

Das Versprechen des Mind Uploadings ist keines von unendlichem Leben für uns, sondern für eine synthetische Kopie von uns.

Kein Leib – kein Leben

Und was heisst hier überhaupt Leben? Wer eine Person für ein Bündel von Informationen hält, das sich auf jedes beliebige Medium übertragen liesse und bei uns Menschen ärgerlicherweise in verweslichem Fleisch gespeichert ist, hat vom Leben noch nicht viel verstanden. Es gibt kein Leben ohne Leiblichkeit: Wie soll die Simulation so etwas wie Verliebtheit spüren, die sich in Gänsehaut, Herzrasen und einem Ziehen im Unterleib manifestieren möchte? Wie soll ein Kunststoffgehirn den Affekt von freudiger Erschöpfung spüren oder das erschütternde Gefühl, endlich zu sein, das uns ganz plötzlich den Magen ein paar Zentimeter nach unten stürzen lässt?

Das lateinische Wort simulare bedeutet «nachahmen» oder «vortäuschen». Gehirnsimulationen sind Nachbauten. Sie simulieren Leben, täuschen vor Leben zu sein, und bleiben doch nichts anderes als ein totes Imitat.

Mag Elon Musk sich wichtig genug finden, uns mit einer exakten Kopie von sich behelligen zu müssen. Sterben wird er trotzdem.

Wir können der Welt täuschend echte Nachahmungen unserer selbst hinterlassen. Aber wir Sterblichen haben hier keine bleibende Stadt. Unser subjektives Erleben ist gebunden an einen verwesenden Leib und keine Technik wird uns abnehmen, dass wir mit ihm zugrunde gehen.

Wenn mir jemand eine künstliche Kopie meines Gehirns als unendliches Leben andrehen möchte, passe ich gerne. Ich glaube kaum, dass meine Nachwelt dringend einen unsterblichen Doppelgänger von mir bräuchte. Und was mich selbst angeht, braucht es dann, glaube ich, ohnehin höhere Mächte, um den Tod zu überwinden.

Foto von Milad Fakurian auf Unsplash.

3 Kommentare zu „Mind Uploading: Auferstehung in die Cloud“

  1. Manfred Reichelt

    Man sieht, dass auch materialistisch gesinnte Menschen den Gedanken an die Unsterblichkeit nicht aufgeben können, weil er in jeder Seele (die sie verläugnen) verankert ist.
    Ein Gedanke, in den hier gemachten Ausführungen, ist jedoch falsch: Die menschliche Seele kann durchaus ohne Körper weiterleben (sonst würde sie ja tatsächlich nur ein Produkt von diesem sein). Das sehen wir auch an den Nahtoderlebnissen. Aber zur Weiterentwicklung benötigt sie auch einen Körper, das wir widerum an den Reinkarnationserlebnissen demonstriert bekommen.
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