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 Lesedauer: 7 Minuten

Geistliche Maschinen: Taufen uns zukünftig die Roboter?

Schulter an Schulter gedrängt stehen wir in einer Kapelle in Bochum, ein Fernsehteam ist da, ein paar der Teilnehmenden werden interviewt. Die Spannung ist spürbar, immerhin steht vor uns die neuste Kreation von Gabriele Trovato, dem produktivsten Konstrukteur religiöser Roboter. Diesmal hat er einen Engel gebaut, der Segen spendet, christliche Weisheit verkündet und aus der Bibel zitiert.

Ich bin an der Reihe, lege meine Fingerkuppe auf ein Loch am Sockel der knienden Engelsstatue aus Plastik und werde nach meinem Anliegen gefragt. Gerne würde ich sagen, es hätte sich ein tiefgründiges Gespräch über Gott und die Welt der Engel entsponnen, doch der Roboter versteht mich nicht. Erst nach dreimaliger Wiederholung meiner Frage «Kannst Du mir etwas über die Liebe erzählen?» bekomme ich ein paar hölzerne und wenig passende Worte aus der Bibel vorgetragen und als Bonbon ein paar Worte des umstrittenen Theologen und Papstes Benedikt XVI.

Roboterengel CelesTE – digitale Heiligkeit oder schnöder Plastikkitsch

Die Reaktion der anwesenden Wissenschaftler*innen ist im Grunde einhellig, was sonst so gut wie nie passiert: Es wird leise gekichert, verstohlene Blicke werden getauscht und es herrscht betretenes Schweigen, als der Roboter anfängt, unzusammenhängenden Code vor sich hin zu plappern. Aus Höflichkeit lächeln alle, doch wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern denke ich insgeheim:

Sieht denn niemand, dass das nur ein Plastikpüppchen ist?

Meine kleine Schwester hatte mal so eine Puppe: Man drückte ihr die Hand und sie weinte, man drückte den Bauch und sie gluckste. Der Roboterengel macht wenig anderes:

Ein Mikrofon filtert aus den Geräuschen ein paar Schlüsselbegriffe heraus, und der Raspberry Pi – ein Einplatinencomputer im Inneren des Gehäuses – durchsucht seine Datenbank nach einem verwandten Textschnipsel. Prompt hören wir Paulus oder den Papst vage assoziativ aus dem Mund des Roboters fabulieren. Ähnlich wie bei der Puppe sind nur ein paar wenige Wörter für den Roboter verwertbar.

Legen wir die Religion bald in die Hände der Maschinen? Mindestens nicht in solche, wie sie Trovato baut.

Der Markt religiöser Roboter wächst

Die meisten Menschen dürften überrascht sein, wie viele Roboter dennoch bereits religiöse Praktiken übernehmen. Im Longquan-Tempel bei Peking residiert ein süsser, kleiner Robotermönch namens Xian’er, der buddhistische Lehren zu unterrichten weiss und Besucher*innen bei der Meditation begleitet. Von überall auf der Welt kann man mit dem Robotermönch chatten. Er macht sich dabei ausgesprochen gut und selbstständig aus, berichten begeisterte Besucher*innen.

Auch Zürich durfte sich 2022 des Segens eines prominenten religiösen Roboters erfreuen, der seit ein paar Jahren segnend durch die Lande zieht: BlessU2. Ein umgebauter früherer Geldautomat, der lichterblinkend, mit erhobenen Armen Segenssprüche intoniert und ausdruckt.

Die Reaktionen auf diese Maschine sind ähnlich wohlwollend wie die, die wir von Xian’er kennen. Studien zeigen hohe Werte in Akzeptanz und Sympathie in den Reaktionen auf Segensroboter [1]. Wir Menschen mögen sie also, die religiösen Roboter, finden Xian’er süss und BlessU2 freundlich [2]. Eine gesunde Portion Überraschung über den technischen Fortschritt, ein klein wenig Bewunderung für die Entwickler*innen und dann noch ein amüsantes bis süsses Äusseres und wir akzeptieren die Maschinen.

Zumindest für den Augenblick der ersten Begegnung. Denn Langzeitstudien sind mir genauso wenig bekannt wie laute Rufe aus den Gemeinden, endlich flächendeckend Segens- und Meditationsroboter aufzustellen.

Mir scheint, sie sind eine nette Attraktion, die für ein paar Wochen und Monate für theologische Diskussionen sorgt, aber mehr auch nicht.

Aus meiner eigenen Forschung zum KI-Gottesdienst auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag weiss ich allerdings, dass man vorsichtig sein muss, die Technologie gänzlich abzuschreiben, denn es gibt diese einzelnen Stimmen. Von hundert Menschen werden ein oder zwei sagen: «Ich habe eine spirituelle Erfahrung mit dieser Technik gemacht.» Auch Gabriele Trovato erzählt uns von einem alten Herrn der CelesTE vor dem Einschlafen zum gemeinsamen Gebet einschaltet.

Es gibt sie also, diese Einhörner, die mit Maschinen religiöse Erfahrungen machen.

Ob so etwas geschieht, mag auch dadurch bedingt sein, wie selbstverständlich Roboter in einer Gesellschaft sind. In Japan, wo man ohnehin eine spirituellere Verbindung zu Gegenständen hat [3], gibt es mittlerweile Aussegnungen für ausrangierte Roboterhunde. Werden für diese keine Ersatzteile mehr produziert, muss man sie irgendwann abschalten.

Besitzer*innen, für die diese niedlichen Roboterbegleiter ein wichtiger Teil ihres Alltags geworden sind, wollen ihre robotischen Vierbeiner verabschieden, wie hierzulande Menschen ihre Haustiere bestatten lassen. Noch aufsehenerregender ist daran, dass Teilnehmer*innen neue Roboterhunde zu diesen Beerdigungen mitbringen und diese sich an den rituellen Gesängen beteiligen [4].

Es fällt schwer zu behaupten, dass hier nicht etwas Spirituelles passiert.

Aber es ist und bleibt statistisch gesehen zumindest in Mitteleuropa wohl erstmal eine Randerscheinung.

Lachen, Gleichgültigkeit und Langeweile

Meine Erfahrung mit religiösen Robotern aus erster Hand wie aus Gesprächen ist meist ähnlich: Wohlwollende Überraschung trifft Amüsement und schlägt zuletzt in Gleichgültigkeit und Langeweile um.

Schnell sind wir mit theologischen Argumenten zur Hand, warum Maschinen in religiösen Praktiken nichts verloren haben: Sie haben keine Seele [5], sie sind nicht im Ebenbild Gottes geschaffen [6] oder sie sind nicht erlösungsbedürftig [7].

Mich aber treibt etwas Grundlegenderes um: Ich fühle einfach nichts, wenn sie religiöse Praktiken durchführen.

Wo immer Maschinen in religiösen Praktiken im Vordergrund stehen, saugen sie mir förmlich die Spiritualität aus dem Herzen. Mich befällt eine Schwere der Belanglosigkeit.

Die gleichen Plastikgreifer, die für Amazon Pakete eintüten, Schrauben in Felgen drehen und an der Hausecke ein paar Scheine für den Ausgang ausspucken, schwenken jetzt eben noch Kerzen vor einer Ganesha-Statue [8]. Warum?

Roboter und Algorithmen sind Werkzeuge, die Probleme lösen. Ist denn religiöse Praxis ein Problem, das gelöst werden möchte? Für welches Problem ist der Segen eine Lösung? Für welches das Abendmahl?

Religion hat in meinen Augen etwas mit einem Lebensgefühl zu tun. Bestenfalls fällt uns im Gebet ein Gewicht von den Schultern, werden unsere Schritte leichter, wenn wir gesegnet in den Tag gehen und fühlen wir uns lebendig, wenn die Pfarrerin uns in die Augen schaut und uns den Weinkelch an die Lippen hebt. William James schrieb mal, dass für den religiösen Menschen die ganze Welt in neuen Farbtönen erstrahlt [9].

BlessU2 kann leuchten und blinken, wie er mag, strahlen tut da nichts.

Früher warf der Roboter Geldscheine aus, heute sind es eben Segenszettel.

Von tanzenden Robotern und malenden Maschinen

Belanglos erscheinen mir die Maschinen auch, weil sie selten Neues wagen. Die Maxime scheint zu lauten: «Lasst uns Maschinen machen als unser Bild, uns ähnlich.» Ich halte das für kurzsichtig und uninspiriert. Denn so wird erst richtig spürbar, was ihnen fehlt.

Ich schlage daher eine neue Maxime vor:

«Lasst uns Maschinen machen ohne unser Bild, uns unähnlich.»

Warum nicht einen Roboteresel, der das Weihnachtsoratorium tanzt? Oder ein maschineller Sprühkopf, der Gebetsanliegen an die Kirchenmauern sprayt? Wie wäre es mit einem Drucker, der die Tageslosung in Bilder verwandelt und als Abziehtattoos auf die Arme der Gottesdienstbesucher*innen zaubert?

Denn wenn Roboter mit der gleichen Einfallslosigkeit und Unlust für das Neue gebaut werden, wie die Kirchen ihr Schrumpfen verwalten, brauchen wir uns auch nicht wundern, wenn am Ende nur noch tote Roboter durch leere Kirchen schlurfen und vor den Füssen der Segensroboter ungehörte Segenswünsche Staub ansetzen.

 

Jonas Simmerlein, Theologe und KI-Künstler, ist Wissenschaftlicher Mitabeiter der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Mitbegründer des Research Forum Religion and AI. Von ihm erschien bei RefLab: «Wer hat Angst vor der Superintelligenz?»

Ein Interview mit Jonas findet ihr hier und das Thema religiöse Roboter behandelt auch dieser Podcast der Reihe TheoLounge.

[1] https://www.researchgate.net/publication/333303572_Blessing_Robot_BlessU2_A_Discursive_Design_Study_to_Understand_the_Implications_of_Social_Robots_in_Religious_Contexts

[2] https://www.reflab.ch/menschenrechte-fuer-roboter/

[3] https://nirc.nanzan-u.ac.jp/journal/6/issue/179/article/1275

[4] https://www.nationalgeographic.com/travel/article/in-japan–a-buddhist-funeral-service-for-robot-dogs

[5] https://digitalcommons.csbsju.edu/forum_lectures/216

[6] https://dl.acm.org/doi/10.1145/2466816.2466846

[7] https://www.proquest.com/openview/eb6880d35f04515a851d84200d1137b2/1?pq-origsite=gscholar&cbl=18750.

[8] https://www.robolab.in/ganapati-bappachi-robotic-aarti/

[9] https://csrs.nd.edu/assets/59930/williams_1902.pdf

 

Foto: Foto von Andy Kelly auf Unsplash

1 Kommentar zu „Geistliche Maschinen: Taufen uns zukünftig die Roboter?“

  1. Ich glaube, Gott legt in seinem Wesen, seinem Willen zur Interaktion mit Menschen Wert auf Beziehung und auf die richtige Beziehungsebene. Deswegen heisst es „… Und das Wort ward Fleisch“, und „… Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“, nicht Buch und auch nicht sprechende oder druckende Blechbüchse. Wenn ich ein hilfreiches, tröstendes, weises Wort in der Bibel lese ist das wohltuend für den Moment, doch wenn das nicht durch ein lebendiges Wesen zugesprochen wird, wird es wohl auch nicht zu einem lebendigem Wort werden, welches die Beziehung von Gott zum Menschen und umgekehrt lebendig macht. Ein wahres Wort im Sinne von Joh 8 allein wird nicht frei/lebendig machen, es ist dort verknüpft mit Jesus selbst, der von Gott gewählten Beziehungsebene. Aus einem Gegenstand, sei es Maschine oder Buch kann nicht der im Kolosserbrief erwähnte „Christus in dir“ sprechen. Wird es zum festgeschriebenen Wort, zur toten Materie, und nicht durch einen lebendigen Geist lebendig, wird der Buchstabe töten. Der Geist Christi in uns muss hinzukommen damit das Wort lebendig wird (2.Kor 3,6). Glaube ich.

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