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 Lesedauer: 3 Minuten

Das freche Seelenfünklein

Wenn ich selbst Seele bin und Seele von Gott kommt, hätte ich etwas Heiliges, ja Göttliches in mir. Und wäre bis zu einem gewissen Grad selbst göttlich.

Für Meister Eckhart, den christlichen Mystiker und spirituellen Lehrer des Mittelalters, war der «Seelenfunken» das Höchste und Göttliche in der Seele. Er sah ihn als Bindeglied des Menschen zu Gott an, als unsere mystische Potenz und als moralisches Gewissen.

Vom Seelenfünklein reden war riskant.

Die Empfindung, etwas Göttliches in sich zu tragen, formulierten auch andere Mystiker:innen. Die Idee, dass in einem etwas Göttliches steckt, konnte einem von religiösen Autoritäten als Häresie und Hybris ausgelegt werden, als Selbstvergottung.

Wenn ich Seele als etwas Unsterbliches und gleichzeitig als Besitz denke, als Gottesteilchen in meinem Inneren, könnte ich auf die Idee kommen: Ich bin als Mensch qua unsterblicher Seele gegenüber anderen Geschöpfen privilegiert.

Wenn ich als Mensch über anderen Geschöpfen zu stehen meine, sollte das freilich in meinem Leben auch sichtbar werden, beispielsweise durch herausragende moralische Taten.

Dietrich Bonhoeffer lässt sich als Beispiel anführen für eine Persönlichkeit, die den Glauben und moralische Überzeugungen über das eigene Wohlergehen und sogar Überleben stellte – und über sich hinauswuchs. So etwas gibt es also durchaus bei manchen Menschen, kaum aber bei der Menschheit als solches.

Die Seelen absprechen

Die «unsterbliche Seele» wurde vielfach als Legitimationsrahmen für die Abwertung und Ausbeutung anderer hergenommen. Kolonisatoren haben sogar einem erheblichen Teil der Menschheit die Seele abgesprochen und eine Dehumanisierung betrieben. Sie hielten Indigene für eine Art von Tieren und missbrauchten sie vielfach als Sklaven.

Auch Indigene zweifelten daran, ob weisse Eroberer Menschen sind. Allerdings dachten sie nicht an Tiere, sondern an Götter. Der französische Anthropologie Claude Levi-Strauss hat diese Anekdote überliefert:

Auf den Antillen unterzogen Einheimische weisse Gefangene einem wissenschaftlichen Experiment. Sie gruben ihre Körper ein, um zu sehen, ob sie unverweslich sind. Unverweslichkeit hätte für ihre Göttlichkeit gesprochen.

Warum sind eure Leute so dumm?

Dass der Gedanke, eine unsterbliche Seele einfach so «zu besitzen», ziemlich töricht ist, erkennen die angeblich seelenlosen Nixen in Heinrich Heines Gedicht «Waldeinsamkeit»: Die Nixen …

… unterbrachen manchmal das Gesinge [des jungen Dichters] / Lautlachend, und frugen bedenkliche Dinge, / Zum Beispiel: »Sag uns, zu welchem Behuf / Der liebe Gott den Menschen schuf? / «Hat eine unsterbliche Seele ein jeder / Von euch? Ist diese Seele von Leder / Oder von steifer Leinwand? Warum / Sind eure Leute meistens so dumm?»

Die Nixen der Märchenwelt sind seelenlos, aber unsterblich. Wenn sie sich in Menschen verlieben und selbst Menschen werden wollen, müssen sie ihre Unsterblichkeit opfern.

Was ist Seele? Etwas, das unsterblich oder sterblich macht? Etwas, das man besitzen kann oder dass nur im Dazwischen, in Beziehungen existiert? Ein Etwas oder ein Nichts, ohne das alles nichts ist? Eine Idee, eine tiefe Metapher, ein Hohlraum, ein Archetyp, ein Kraftfeld, ein Resonanzkörper, eine soziale Konstruktion, ein Ereignis, ein Prozess?

Eines immerhin lässt sich mit Sicherheit sagen: Seele ist und bleibt ein grosses Geheimnis.

 

Seelenflunkern mit Johanna Haberer: Um das Thema Seele geht es auch in diesem Podcast: eine TheoLounge mit Johanna Haberer («Unter Pfarrerstöchtern»), Andy Loos und mir, aufgenommen beim Podcastfestival des RefLab «Expedition Wirklichkeit» Anfang März 2024 in Zürich.

Foto von Mark Rz auf Pexels

5 Kommentare zu „Das freche Seelenfünklein“

  1. Durch den herrschenden Materialismus ist die (westliche) Menschheit immer mehr über das Wesentliche in Unwissenheit und Irrtum geraten (s. z.B. Denken als Gehirnfunktion). Theologie muss sich anstrengen endlich wieder Verstand in diesen naturalistischen Unsinn zu bringen.
    Das Lebendige ist und kann nicht aus dem Materiellen entstehen: https://www.academia.edu/47776276/Ursprung_und_Ziel_Wie_die_Evolution_weitergeht_ Das hat auch Kant klar herausgestellt: “ „Weil nun alle Materie leblos ist (denn das ist der Begriff von der Materie, den wir davon haben, indem wir sie nicht anders kennen); so kann alles, was zum Leben gehört, nicht von der Materie herkommen. …Denn weil der Körper Materie ist, alle Materie aber leblos ist; so ist der Körper kein Grund des Lebens, sondern vielmehr ein Hindernis des Lebens, das dem Prinzip des Lebens widersteht. Der Grund des Lebens muss vielmehr in einer andern Substanz liegen, nämlich in der Seele; ein Grund, der aber nicht auf der Verbindung mit dem Körper, sondern auf dem innern Prinzip ihrer Spontaneität beruht. Demnach wird weder der Anfang des Lebens der Seele, noch die Fortdauer des Lebens derselben vom Körper herrühren.“ https://www.amazon.com/unbekannte-Kant-Vorlesungen-Psychologie-German-ebook/dp/B0CVTZDBM7
    Das wird ja heute durch die Nahtod- und Reinkarnations-forschung bestätigt.
    Gott ist das Leben an sich. Dieses ist ewig. Eine Seele ist mittels des Körpers ein individueller Brennpunkt des Lebens. Also ist die Seele wesensmäßig mit Gott Eins. Beide sind ewig. Aber der Mensch hat noch nicht das Bewusstsein, dass er ewig und damit grundsätzlich leidlos sein könnte. Dahin will ihn aber der christl. Glaube führen. https://manfredreichelt.wordpress.com/2023/01/23/ich-bin-eine-eisscholle/

    1. Jürgen Friedrich

      Jetzt ist es soweit.
      Das Ende der Zeit
      – die sogenannte Zeitenwende –
      ist in Wahrheit von der Zeit das Ende.

      Kontinuum aus Zeit und Raum
      heißt Albert Einsteins Welt,
      und sie sei – man glaubt es kaum –
      von Schwerkraft eingedellt.

      Vielen taugt das schnell
      als Inbegriff der Welt,
      doch wird Dunkelheit nur hell,
      wenn es dem Geist gefällt.

      Konkret bedeutet dieser Schritt
      noch ein bisschen mehr,
      bringt er doch die Einsicht mit,
      aus Geist kommt alles her.

      Noch besser stimmt es umgekehrt,
      indem es also heißt,
      dass jeder Raum- und Zeitenwert
      hervorgeht nur aus Geist.

  2. Jürgen Friedrich

    …noch’n Gedicht
    OFFENE FRAGE ?
    Für konkrete Realität
    ist es niemals zu spät.

    Sie existiert an jedem Ort
    und zeigt sich in nur diesem Wort :

    GEGENWART ist Zwischen-Zeit
    von Zukunft und Vergangenheit.

    Hier allein l e b t Wirklichkeit
    für Liebe, Glück und Seligkeit.

    Darum ist „Ende der Zeit“
    auch Ende von Leid.

    Zumal Zukunft + Vergangenheit
    nichts weiter sind als ZEIT-Vertreib.

    Gedanken-Gekröse hoch-illusionär
    lockte mit Urknall-Getöse das Weltall her.

    Übrig bleibt – schockschwerenot –
    am Ende sind wir jetzt noch tot…. ?

    Oder schon tot . . . fällt mir gerade ein,
    und komme so flott in den Himmel rein !

    Ist das nicht fein ? ( = offene Frage)

    FREEWARE, Jürgen Friedrich, 12.4.24

  3. Sandra Langenauer

    Ich beziehe mich auf den letzten Satz: „Eines immerhin lässt sich mit Sicherheit sagen: Seele ist und bleibt ein grosses Geheimnis.“

    Dem stimme ich nicht zu. Die Seele ist für mich das grossartigste Wesen auf Erden. Eine jede Seele ist das Bindeglied zum Göttlichen, denn für mich ist alles göttliche Liebe. Auf Erden wie im Himmel. Lasst es mich bitte auf meine eigene Art und Weise erklären.

    Liebe ist, sagt die Liebe, und ging durch die Hölle. Diese Hölle war mein Leben, als ich Kind war. Es waren die familiären Verhältnisse, wo Gewalt, sexuelle Übergriffe und Selbsttötung die Oberhand hatte über sechs Menschen. Der Auslöser war mein Vater, der alle behandelte, als gehörten sie ihm. Als ich ihn fragte, warum er mich schlägt und ungerecht zu mir ist, gab er mir eine Antwort, die ich nie vergessen werde. Er sagte, ich könne ihm dankbar sein, denn niemals würde mich jemand schlechter behandeln, als er.

    Ich überlebte in dieser Dunkelheit und blieb ein liebenswertes Kind. Das hatte seinen Grund. Irgendetwas in mir sagte, dass das Leben einfach ist. Auch ein Segen war, zu spüren, dass ich nicht zu dieser Familie gehörte. Und als meine Seele ein Fensterchen für mich öffnete, sah ich, dass mein Vater nicht glücklich war in seiner Rolle. Damals begriff ich gerade soviel, wie ich ihm zu verzeihen begann.

    Als unsere Mutter mit 39 Jahren die Erde verliess, bemerkte ich, dass ich mein Leben verändern musste. Ich wollte die Angst abschütteln und mich der Sonnenseite zuwenden. Das war ebenfalls nicht leicht. Ich lernte auf meine Weise und erkannte, dass ich hellsichtig war. Ich arbeitete als Medium und entdeckte unglaubliche Dinge.

    Hilfe bekam ich von meiner Seele, die mir das Leben erklärte. Auch von meinem Mann, der mit 47 Jahren die Erde verliess, und mir anschliessend zur Seite stand. Liebe geht über den Tod hinaus. Dies zu erfahren war mein Seelenwunsch – und ich handelte entsprechend.

    Die Liebe liess mich wissen, wie die Verhältnisse auf der Erde und im Himmel sind. Meine Seele steuerte mich und führte mich zu ihr, in ihr Reich. Da wusste ich, dass ich erst die dunkle Seite in meinem Leben durchlaufen musste, um dort zu sein, wo ich jetzt bin. Denn Licht und Schatten sind eins, es gibt nur das Eine. Sie nennt sich Liebe.

    Noch eine Anmerkung: Ein jeder kann die Seele spüren und den Zugang zu ihr haben. Leichter ist, wenn man Körper, Verstand und Ego kennt und weiss, wie sie sich verhalten. Ich erwähne mein Buch „Seelen lüften ihr Geheimnis“, weil ein Geburtsrecht ist, der eigenen Seele nah sein zu dürfen.

  4. Danke für die berührende Schilderung. Jeder kann es mitfühlen, der als Kind Gewalt erfahren hat. Ich auch. Ich höre aus ihrem Lebenszeugnis viel Stärke heraus. Sie haben offenbar einen Weg gefunden, das Dunkle, Verletzende, Schmerzende zu überwinden. Die Seele: kein Rätsel, wenn sie das so empfinden, glaube ich das. Für mich bleibt Seele rätselhaft – und ich glaube, ich möchte es auch nicht anders. Rätselhaft ist für mich nicht per se negativ, vielleicht trifft es geheimnisvoll noch besser.

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