Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 5 Minuten

Weites Land in einer engen Flasche [»Whisky-Spirituality« Teil 1]

Nüchtern und geistesgegenwärtig

Kurze Statusanzeige: Ich schreibdas hier nüchtern! Überhaupt, so richtig betrunken oder „abgeschossen“, wie das manche nennen, habe ich mich noch nie. Scheinbar ist genau das aber für etliche Menschen derzeit ein verlockender Weg. Das Leben ist an allen Ecken und Enden spürbar enger geworden. Sich mit ein paar Gläschen zuviel in die Weite spülen lassen? Ich kann das verstehen. Aber ich brauche echte, wohltuende Weitung. Wenn mir der Kragen zu platzen droht. In Zeiten, in denen ich mich an die Leine gelegt fühle. Machbar ist das nicht, schon gar nicht durch irgendeinen spiritus. Aber manchmal fliegt es zu mir, überraschend, obwohl ersehnt. Weil plötzlich alles stimmig ist. Statt „hau weg das Zeug“ ein langsamer Schluck alle vier Minuten. Einfach mal so auf den Balkon gesetzt, ohne sagen zu können, warum. Und dann riecht und schmeckt es … plopp! Im Geist stehe ich in den lieblich-rauen, schottischen Highlands.

Ein 18-jähriger Highland Park

Die Kunst des Whiskytrinkens – also ich bin wahrlich kein Experte hier – muss man einüben. Es hat gedauert, bis mir langsam bewusst wurde, dass mich der Geist des Lebens hier berührt – wenn er will.

Zu verdanken habe ich das Matt. Die Abende bei ihm in St. Andrews mit anderen Doktoranden, prasselndem Feuer und erlesensten Whiskys – legendär. Es wurde eine besondere Freundschaft draus. Und dann sein Geschenk zum Abschied: Ein 18-jähriger Highland Park. Nördlichste Destillerie der Welt. Orkney Inseln. Ich war nie da. Die Flasche steht jetzt vor mir (leider leer). Auch die Karte mit Worten, die in Englisch noch viel schöner und liebevoller klingen:

„Wenn es möglich wäre, die weite und offene Landschaft der Orkneys in einer Flasche einzufangen, dann wäre das hier das Ergebnis. Wann immer Du einen Schluck daraus trinkst, erinnere Dich an das weite und offene Land des Heils Gottes und an Deine Berufung, frei darin zu laufen als sein Kind.“

Viel weiter, als ich es von aussen zu hoffen wagte

Ich habe die Süsse von Heidehonig im Mund. Null Kratzen, der Whisky schmeichelt meiner Speiseröhre wie Öl. Ist das jetzt dunkle Schokolade, dann aber mit Citrusfrüchten? Oder doch eher was wie Nuss, Karamell und Toffee? Wie tief geht der runter und wärmt mich! Und dann fächert er mir minutenlang einen süssen Rauch in das langsame Ausatmen.

Wie geht so was? Wasser, Gerste, Feuer mit Torfrauch, Holzfass, viel mehr nicht. Ach ja, ganz viel Liebe, Hingabe, Handwerk und … Zeit.

Den spirituos Unmusikalischen erspare ich weiteres Schwärmen. Ich glaube, jeder Mensch kann ergriffen werden von einem Ausschnitt an Schöpfung, egal ob in der Natur, beim Spiel, durch ein Handwerk und ein Kunstwerk. Als man drauf zuging, davorstand, dran schnupperte, hätte man es nicht für möglich gehalten, welch grandiose Wirklichkeit sich hier öffnet. Wie das schäbige, kleine Zelt der Familie Weasley in den Harry Potter Geschichten. Wer den Schritt rein wagt, findet sich in zauberhaft grosszügigen Räumen wieder.

Weiter glauben

Whisky trinken muss nicht, aber kann zu einem spirituellen Akt werden. Ich schmecke eine verborgene Fülle der Schöpfung, bei der man bis heute nicht ganz genau erklären kann, wie sie in die Flasche kommt. Für mich eine Manifestation jenes Geistes, den die Bibel als schöpferische Kraft Gottes sieht, die ihren Geschöpfen unauslotbare Potenzialität und verblüffende Kreativität einhaucht.

„Da bildete Gott, der HERR, den Menschen, aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens; so wurde der Mensch eine lebendige Seele.“ 1Mo 2,7

Was mir im spontanen Augenblick an Sinn und Glück widerfährt, hat die Kraft, sich auf den gesamten Zusammenhang meines Lebens auszudehnen als Glaube, Liebe und Hoffnung. Eine Art intuitive Evidenz, die mich gegen alle Lebensenge und -ängste weiterglauben lässt, auch wenn die verifizierbare Evidenz noch auf sich warten lässt.

„Der Geist Gottes hat mich gemacht, und der Atem des Allmächtigen belebt mich.“ Hiob 33,4

Es ist, als würde ich mich durch die engen Zeiten und Räume meines Lebens glauben. Weil mir eine Imaginationskraft vors innere Auge gespielt wird, die mich sehen lässt: Ich nehme im Geist Gottes (hebr. ruach) teil an der Weite des Lebens (hebr. rewah).

Diese Befreiung aus der eigenen, eingeschnürten Befindlichkeit ist nicht zu unterschätzen. Ein verkorkster Tag, ein gescheitertes Projekt wird durch das Rausziehen des Flaschenkorkens mutig ad acta gelegt, vor allem wenn die Freunde mit dabei sind. Die disruptiven Noten des Whiskys klingen dann so: „War nichts – kann passieren – abhaken – noch mal!“ Oder: „Reicht jetzt aber auch – gebe ich mir nicht länger – Neustart drücken!“ Der Zauber des Anfangs liegt dann gar nicht mehr weit um die nächste Ecke. Und wenn ich mir dann bewusst mache, dass dieser Whisky vor mehr als 18 Jahren ins Fass ging, dann kann ich der trotzigen und heiteren Hoffnung manchmal nicht widerstehen:

„Ich werde das hier aushalten, mit Hilfe des Geistes, und dann sehen wir, was passiert, wenn ich alle Leinen losmache und der Heilige Geist in meine Segel greift!“

Alle Beiträge zu «Whisky-Spirituality»

16 Gedanken zu „Weites Land in einer engen Flasche [»Whisky-Spirituality« Teil 1]“

  1. Danke, Andreas, für diesen Text! Darauf habe ich einfach mal im Schrank nachgesehen und ja, da war noch ein irischer Whisky… Wir werden das hier aushalten, mit Hilfe des Geistes, und was immer wir an Gutem in dieser Schöpfung finden werden.

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  2. Interessant. Habe gerade vorgestern auf nächste Woche unseren Pastor zu einem “Pfeife- und Whiskey-Abend” eingeladen, nur wir zwei, bei uns auf dem Balkon, mit drei Zutaten: 1. Gründlicher persönlicher Austausch und natürlich ein wenig ekklesiologische und theologische Fachsimpelei 2. Drei Sorten Whiskey (Mehr habe ich leider nicht) 3. Pfeife schmauchen mit neu zu probierenden Tabaken. Reaktion: “Ich freue mich ausserordentlich über diese Einladung…”

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    • Wer will bei einem solchen Abend in solch einem Geist nicht dabei sein? Es wird Euch gut tun und beflügelt mich in meinem Wagnis, den Heiligen Geist an solchen Abenden zu schmecken.

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  3. Danke, Andreas, für deine Zeilen, die Erinnerungen weckten an den wunderbaren gemeinsamen Abend bei uns in Walddorfhäslach. Und ja, es gibt ihn noch, den 18 Jahre alten Bowmore, den wir damals geöffnet haben. Also herzlich willkommen, das angefangene Werk zu Ende zu bringen und ein neues Kapitel aufzuschlagen.

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  4. Hallo Andreas,
    danke für deinen Text! Ich habe zwar gerade keinen Whisky da, war aber im letzten Sommer in Schottland und ahne, was du meinst! Werde deinen Text nochmal in aller Ruhe lesen und genießen, bevor ich morgen in die TO-DO-Listen zur Schulöffnung eintauche… Hier im Westerwald gibt es übrigens auch eine sehr gute Brennerei!
    LG

    Dorothee

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    • Zum Glück verbindet uns der Geist Gottes, auch ohne die Flasche in der Hand. Ob die es wohl auch schaffen, den Westerwald in eine Flasche zu füllen?

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  5. Destillate statt Verwässertes
    Echtes statt Fake
    Erprobtes statt nur vom Hörensagen
    Belastbares statt nur Theoretisches
    Offenheit statt Intoleranz
    Körperlichkeit statt einseitiger Vergeistigung
    Denken statt blindem Fundamentalismus
    Über und in allem Liebe – immer

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  6. Hallo Andreas, obwohl ich es mit dem Whisky nicht so habe, darfst du mir deine Gedanken gerne weiterhin schicken. Sie inspirieren mich und lassen sich auf andere Bereiche des Lebens und Glaubens übertragen. Was mich bei dir immer wieder beeindruckt: Du tust alles mit grosser Leidenschaft. Dieser Spirit gefällt mir. Gut, dass es dich gibt! REiner

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  7. Es könnte sein, dass das Entkorken der Flasche ein Akt der Verzweiflung ist, weil die Enge das Maß des Erträglichen übersteigt. Ob der Geist sich dann entfaltet, bleibt fraglich, weil er sich ja nicht provozieren lässt. Wer entscheidet also, wann die Leinen los gemacht werden und der Wind in die Segel greift? Wenn Teilhaben an der Weite durch den Geist geschieht, könnte es sein, dass mein Entkorken effektlos bleibt… oder ich gegen alle Befürchtungen überrascht werde.
    Danke für deine Inspiration, Andi!

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    • Danke für die vielversprechenden Impulse zum Weiterdenken. Ein “Genie in a Bottle” ist es zum Glück nicht, aber auch nicht der Geist aus Pandoras Büchse. Ich frag mich gerade, ob nicht manche Versuche, die Weite des Lebens verfügbar zu machen, letztlich in verzweifelten Ersatzhandlungen ertrinken. Die Gegenwart des Heiligen Geistes wäre dann vielleicht als Seufzen hörbar.

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  8. Hallo lieber Bruder, ich schreibe jetzt hier doch einmal. Ist das erste Kommentar meines Lebens, das ich im Net auf diese Weise hinterlasse. Aber es ist mir wert es mal hier so zu tun.
    Ich danke für diese Worte, die tief gehen, gerade in dieser Situation, und die anderen guten Worte in den vielen anderen Lebenslagen, die das Leben (bzw. unser Vater im Himmel) für uns bereitgehalten hat, seit wir das gemeinsame Nest in der “Zieremerich” hinter uns gelassen haben.
    Praise the Lord.
    Dein Bruder Henning
    P.S. Zitat: ‘Always carry a flagon of whiskey in case of snakebite, and furthermore, always carry a small snake.

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    • Ich kann da nur ganz gerührt “danke” sagen und freue mich dermaßen, dass mein Beitrag unsere gemeinsame Glut unter der Asche hervorbringt.
      Und was für ein Zitat! So über Whisky schreiben ist für mich ja schon waghalsig, aber jetzt bringst Du auch noch die Schlange ins Spiel … eine wohltuende Heiterkeit mit grosszügigster Weite.

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  9. Lieber Andreas, Du formst Gedanken in Worte, die ich auch schon ähnlich gedacht habe, so aber nie hätte ausdrücken können – und denkst sie noch einmal deutlich weiter.
    Danke für die schönen Minuten des Lesens, die Du mir und offenbar auch anderen beschert hast und ich bin gespannt, was da womöglich noch folgt! Und, ja, ich konnte nicht anders: Ich musste den Schlüssel herauskramen, den abgeschlossenen Schrank in meinem Büro hier in der Kanzlei öffnen und mir ein Dram Single Malt gönnen. Vielen Dank auch an Wieland, der mir den Link weitergeleitet hat, weil er wusste, dass wir in mindestens zweifacher Hinsicht Brüder im Geiste sind.

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