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 Lesedauer: 3 Minuten

Das Leben, aber bitte pur und ungefiltert! [»Whisky-Spirituality« Teil 2]

Reif für die Insel

Es sollte einer dieser magischen Abende werden. „Whisky, Chocolate and Stories” hatten wir die schlichte Degustation genannt. Die live Musik meiner Studenten war sowas von entspannt. Feinste Schweizer Schokolade … noch Fragen? Authentische Geschichten, die mit den aufgetischten Whiskies zu tun hatten. Wir verkosteten den 14-jährigen Glenmorangie Quinta Ruban, mein Einstieg damals in das weite Land des Whiskygenusses. Der Nikka Coffey Malt war selbst für eingefleischte Scotch-Fans eine japanische Offenbarung. Und nach dem 18-jährigen Highland Park signalisierten manche ein «Besser geht nicht mehr». Jetzt waren wir reif für die Insel. Ihr Name ist Islay.

«Wie beim Trennschleifen!»

Am Tisch links vor mir sitzen mehrere Frauen. «Anfängerinnen», sagen sie selbst. «Geschmacksbegabte», sage ich. Denn sie landen einen Volltreffer nach dem anderen, wenn sie beschreiben, was die jeweiligen Whiskies mit ihnen machen. Ich bin so gespannt, wie sie auf den 12-jähren Caol Ila reagieren. Sie tuscheln, werden sich nicht einig, ob sie den jetzt gut finden sollen. Und dann sagt eine voll Begeisterung:

«Der schmeckt ja wie beim Trennschleifen!» Der Mythos von den echten Männer-Whiskies war damit endgültig runtergenehmigt.

Das Wasser des widerborstigen Lebens

Islay Malts gestatten es mir nicht, dass ich mich flauschig und behaglich aus dem Leben spüle. Ich mag einen Caol Ila daher auch nicht immer trinken. Er mutet mir das ungeschönte Leben zu: Stechendes Salz, schwerer Rauch, kalter Aschenbecher, muffige Bettwäsche, abgehangenes Fleisch, verschwitztes Leder, heisser Teer, verrostetes Blech, verbranntes Gummi, ätzender Toilettenreiniger und – wie ehrlich ist das! – kreischender Trennschleifer. In manchen Geschmacksrädern läuft das unter der Rubrik «Fehlnoten».

Das Wort «Whisky» stammt aus dem gälischen «uisge beatha» und heisst «Wasser des Lebens».

Die Islay Malts sind für mich das Wasser des widerborstigen Lebens. Und wenn ich einen davon aufmache, passiert es oft, dass sich ein ganz bestimmter Geist in mir breit macht.

Christliche Spiritualität – offen und nie ganz dicht

Ich meine den Geist Christi. Ich sehne mich nach ihm. Ein Geist, der den Sohn Gottes mitten hinein führt in das nackte, ungeschminkte Leben.

Anstössiger als Paulus kann man das kaum sagen: „Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches.“ (Römer 8,3)

Wenn sich einer das Leben nicht schön geglaubt hat, dann dieser einzigartige Geistgesalbte. Nicht vor sich selbst flüchten, die widerborstigen, ja, widerwärtigen „Fehlnoten“ der anderen und des Lebens nicht ausblenden, sondern aushalten und gerade so liebbehalten.

In diesem Christus-Geist zu leben birgt leider die Versuchung, selbst den Messias zu spielen. Das ungefilterte Leben flutet mich dann mit einer Überdosis, die mich erschöpft, verletzt und bitter irgendwo an Land spült. Und doch gehe ich dieses Risiko lieber ein, als mir mit spirituellen Mitteln ein „abgepuffertes Selbst“ anzugewöhnen, das sich gegen die Einflüsse von aussen unempfindlich gemacht hat. Ich will die wohltuenden und heilsamen Gaben von Stille, Rückzug, Kontemplation und Meditation nicht dazu missbrauchen, die Härten des Lebens abzufedern und selbsttherapeutisch schönzubeten. Daran erinnert mich der Islay-Geist eines Caol Ila, wenn er mir mit seinen Fehlnoten die Geschmacks- und Hautporen öffnet. Daran, dass es möglich ist, geistgeleitet als „poröses Selbst“ (Charles Taylor) in dieser Welt zu leben. Bleibt zu fragen:

Wer so offen ist, kann der oder die noch ganz dicht sein? Vermutlich nicht, aber wäre diese Frage nicht ein wundervolles Kompliment an den Geist Christi in uns?

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