Die Kirche ist offen. Draußen bellt ein Hund. Und in einer Zweizimmerwohnung deckt eine Mutter gerade den Tisch fürs Mittagsessen. Kartoffelpüree mit Butter. Es ist viel zu heiß, auch im Schatten. Drinnen gibt es keine Hunde, kein Kartoffelpüree, keine Steuererklärung, keine Einkaufsliste, keine Mittagshitze, keine Kündigungen.
Draußen diskutiere ich über die gesamtpolitische Großwetterlage, mache mir Sorgen um meine Eltern und hoffe, dass die Frauenrechte in Amerika nicht weiter eingeschränkt werden. Drinnen lege ich mich ab, meine Sorgen und Ängste. Und erzähle dir von meinen Hoffnungen und Träumen. Von dem, wonach ich mich sehne.
Ich bete, weil ich beten will
In einer Umfrage der Zeit von 2020 wurden Menschen gefragt: Hilft beten? Die Antworten changieren und sind so vielfältig wie die Menschen, die befragt wurden, ganz gleich ob religiös oder nicht.
«Unser Kind redet ab und zu mit Gott, das hat ihm sein Vater so beigebracht. Wenn es mir davon erzählt, höre ich genau zu und hoffe, dass es das auch noch tun wird, wenn es eines Tages kein Kind mehr ist.»
Das antwortet Jana Hensel, 43, Mutter eines zwölfjährigen Sohnes.
Im Sommer sind die meisten Kirchen angenehm kühl. Wenn ich durch den Mittelgang nach vorne gehe, gleiten meine Hände im Vorbeigehen über den abgeplatzten Lack der Holzbänke. Ich streife gerne altes Holz.
Vater unser im Himmel. Es sind jedes Mal dieselben Worte, die ich spreche. Ich bete, weil ich beten will, nicht weil mich jemand dazu zwingt, nicht weil es andere tun, nicht weil es sich so gehört, wenn ich im Urlaub eine Kirche besuche.
Ich wende mich dir zu
Alles, was draußen passiert, lasse ich dort liegen. Was ich mit hineinnehme, will ich dir erzählen, dir zuflüstern, in deinen weiten Himmel. Wie im Himmel, so auf Erden.
Ein Gebet entsteht nicht einfach. Jedes Gebet ist eine Entscheidung, eine bewusste Zuwendung. Ich veräußere mich. Erzähle mir mein Leben, erzähle Dir mein Leben, von den Freundinnen, die ich vermisse, und von dem Gefühl, nicht ganz zu sein.
Beten heisst, ein du zu denken, ein Gegenüber, das ich anspreche, das mich hört. Für mich ist das Gott. Ich bin nicht mehr allein.
Zwei Reihen vor mir setzt sich ein junger Mann auf die dünnen Sitzpolster. Er legt seine Hand auf die Lehne vor ihm und richtet den Blick nach vorne.
Ich zeige mich
«Ich denke, Beten hilft. Ob das Gebet aber tatsächlich ein fremdes Bewusstsein, ein göttliches Du erreicht oder eher dem eigenen Bewusstsein aufhilft und Zuversicht einflößt, das lasse ich dahingestellt. Vielleicht kommt es darauf ja auch gar nicht an.»
Das sagt Sabine Rückert, 59. Sie verantwortet den Bibel-Podcast Unter Pfarrerstöchtern.
Das Gebet bringt Abstand zwischen den Betenden und seine Gedanken und Gefühle, die Trauer und Sorgen. Die innere Haltung wird eine andere. Im Gebet kann der Mensch sich mit der Wahrnehmung der eigenen Unzulänglichkeit auseinandersetzen.
Ich darf angewiesen sein, ich darf das Bedürfnis haben, gehalten zu werden.
Und vergib uns unsere Schuld. Meine Therapeutin hat mir mal gesagt, als ich mich verteufelt habe, weil ich zu spät war, dass ich mir vorstellen solle, wie eine liebevolle Mutter reagiert hätte. Und dann solle ich versuchen, diesen Umgang mit mir selbst zu pflegen.
Ich versuche es nach wie vor. Denn ich sehne mich nach diesem liebevollen Umgang mit mir selbst. Ich suche ihn in Freundschaften und Beziehungen, weil es mir so unglaublich schwerfällt, ihn selbst zu finden.
Manchmal erzähle ich Gott im Gebet, wie sehr ich mich danach sehne. Sondern erlöse uns von dem Bösen. Manchmal begegnet mir Gott dann mit diesem Blick auf mich.
Du siehst mich
Gebete sind Sehnsuchtsräume. Wie Kirchen im Sommer. Ich blicke auf das Kreuz. Und sehe den Mann, zwei Reihen vor mir, und die anderen Menschen, die vor mir hier waren. Die vor mir vor Dir standen. Die Betenden.
Ihre Gebete erfüllen den Raum. Ich höre ihre Geschichten, ihre Hoffnungen und Träume. Ihre Gebete. Die Hoffnung auf die Rückkehr der verschwundenen Tochter, den Wunsch nach Erlösung von der Krankheit, die Vorstellung von einem Menschen, der nicht erreichbar ist. Oder meine Sehnsucht nach dem Meer.
Die Zitate stammen aus dem Artikel “Hilft beten” abrufbar über ZEIT online.
Eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Vater Unser findest du in der gleichnamigen Blogserie von Evelyne hier.
Andreas Loos hat für unsere Zeit ein Gebetsbarometer entworfen. WIe das funktioniert liest du hier.




1 Gedanke zu „Mein Gebet ist ein Ort“
Wer wissen möchte wie richtig beten wahrhaftig und einzig sinnvoll wirkt, sollte Matthäus 21,18-22 lesen und richtig glauben lernen (denn die herkömmlich-gewohnte Interpretation der biblischen Philosophie im Sinne von “Gottes Wege sind unergründlich” ist so falsch wie das “Zusammenleben” von Mensch konfus)!
Die Philosophie der Bibel spricht nie den “einzelnen”/individualbewussten” Menschen an, denn der Sinn des Lebens ist Bewusstseinsentwicklung des ganzheitlich-ebenbildlichen Wesens Mensch, ganzheitlich wie Gott die Vernunft des Geistes/Zentralbewusstseins der Schöpfung ist.