Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 10 Minuten

Liebe Zippora

Dass du fehlst, ist mir zum ersten Mal in einem Bibelkommentar aufgefallen. Es war sogar ein feministischer. Als ich dich im Kapitel zum Exodus-Buch suchte, war da: Nichts. Du wurdest nicht einmal namentlich erwähnt.

Auch in einem Personen-Lexikon der Bibel hiess es: «Zippora, Ehefrau des Moses, siehe Moses». Dabei verdankt er dir sein Leben, verdankt die Bibel dir die Exodus-Geschichte, wie wir sie kennen.

Eine von sieben Töchtern

Vorgestellt wirst du als eine der sieben Töchter des Priesters von Midian, Reguel oder Jitro, wie er meistens genannt wird. Du tauchst auf, weil es um Moses geht, der auf seiner Flucht aus Ägypten an diesem Brunnen sitzt. Er hat einen Ägypter getötet und eine Konfliktsituation mit Gewalt gelöst.

Jetzt beobachtet er, wie du und deine Schwestern die Schafe eures Vaters an einem Brunnen tränken wollt. Hirten vertreiben euch. Er greift ein – dieses Mal nicht mit Gewalt – und hilft dir und deinen Schwestern, dass ihr die Schafe trotzdem tränken könnt.

Wortwörtlich steht da: «Er befreite sie», also euch.

Ähh, wie bitte?! Warum sollte es lediglich darum gehen, dass ein Mann konstruktivere Wege gefunden hat, mit Konflikten umzugehen und ihr als Anschaungsbeispiel verzweckt werdet, dass Moses ein gereifter Mann ist? Warum muss es schon wieder ein Mann sein, der Frauen hilft?

Aus meiner heutigen Perspektive ist das ein allzu typischer Blick, der sich auf Männer als Retter-Helden fokussiert. Es sind sieben Frauen, Himmel nochmal, die an einem Brunnen bedrängt werden! Das sagt doch mehr darüber aus, wie Frauen betrachtet und behandelt wurden!

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr körperlich schwach wart, wenn ihr Schafe tränken musstet. Ich bin wütend, dass ihr sieben Frauen wart und euch nicht wehren konntet!

Aber anscheinend ist es zu diesem Zeitpunkt nicht unüblich, dass Frauen Tiere tränkten und dabei in Kämpfe um Trinkwasser gerieten. Brunnen galten als Treffpunkte, an denen mann eine potenzielle Ehefrau treffen konnte.

Einen aggressiven Hirten zu heiraten erscheint mir jedoch nicht als besonders wünschenswerte Option. So gesehen war Moses keine allzu schlechte Wahl.

Zerbrechlich, rebellisch, gefährlich?

Ihr Schwestern kehrt zu eurem Vater zurück. Irritiert fragt er, weshalb ihr so früh zurück seid – anscheinend dauert es länger, wenn Frauen Wasser schleppen müssen – und findet heraus, dass ein Mann euch geholfen hat. Wer die eigenen Töchtern so ehrenhaft und tatkräftig unterstützt, könnte ein potenzieller Schwiegersohn werden.

Und so kommt es auch. Er gibt dich, Zippora, das «Vögelchen», Moses zur Ehefrau. In der Comic-Verfilmung von «Der Prinz von Ägypten» wirst du als freizügig bekleidete, langhaarige Wüstenprinzessin mit klimpernden Armreifen dargestellt, in die sich Moses augenblicklich verliebt und du dich in ihn.

Ich bezweifle das stark. Erstens wirst du verheiratet. Eine aktive Wahl deinerseits gibt es nicht und das Narrativ romantischer Liebe schon gar nicht. Zweitens frage ich mich, ob eine so machtvolle Figur wie der Priester einer Gemeinschaft einem fremden Ägypter seine Lieblingstochter anvertraut hätte. Ich kann es mir kaum vorstellen.

Warst du die Älteste? Diejenige, die am schnellsten verheiratet werden musste? Die angeblich Zerbrechlichste, wie dein Name suggeriert, die einen starken Mann nötig hatte? Oder warst du das Sorgenkind, die Rebellin der Familie, die ruhig gestellt werden musste?

Mir scheint, dass du diejenige warst, die er am leichtesten weggeben konnte.

Dass er sich bei dir vielleicht am wenigsten Hoffnung machte, eine ehrenvolle Partie zu finden. Dein Vater band dich an einen mittellosen Fremden und ihn wiederum an eine Gemeinschaft, in der dein Vater hierarchisch weit über ihm stand.

Er taktiert doppelt gut: Er hilft einem Fremden, sichert das Fortleben seiner Tochter und zugleich die eigene Machtposition.

Es macht mich wütend, wie ein Mann und Vater über das Leben und die Körper seiner Töchter verfügen konnte. Wie bist du dir vorgekommen? Warst du einverstanden damit? Hättest du dir das selbst ausgesucht? Wobei:

Wahrscheinlich könntest du meine Fragen gar nicht beantworten. So etwas wie das Gefühl von Individualität und Eigenständigkeit hast du vermutlich gar nicht gekannt.

Dein Leben diente dazu, das Überleben der Gemeinschaft zu sichern.

Zuerst funktioniert der Plan: Dein Leben verläuft so, wie sich dein Vater das vorgestellt hat. Schneller als schnell wirst du Mutter und dein Ehemann weidet die Schafe deines Vaters. Er, der Fremde integriert sich in die Gemeinschaft und führt ein fleissiges, anständiges Leben.

Dein Leben verläuft geordnet und berechenbar. Vielleicht bringst du, bringt ihr mit euren Söhnen deiner Familie unerwartet viel Ehre. Bis dein Ehemann von einem brennenden Dornbusch erzählt, durch den ihm sein Stammesgott mitteilt, er solle nach Ägypten zurückkehren und sein Volk retten.

Eine Wahl hast du offenbar nicht. Du wirst aus deiner gewohnten Umgebung gerissen und sitzt plötzlich auf einem Esel nach Ägypten. Warst du wütend, dass er alles auf den Kopf stellte? Oder erleichtert, weil dir die Enge deiner Gemeinschaft nicht behagte?

Verstörende Gotteserfahrungen

Doch der Gott, den du selbst kaum kennst, will eines Nachts, noch bevor ihr in Ägypten ankommt, deinen Ehemann töten. Mitten im Nirgendwo. Widersprüchlicher geht es kaum. Gott beauftragt Moses und sabotiert sein eigenes Vorhaben.

Die Rettung in diesem Fall bist du: Du schneidest die Vorhaut von einem deiner Söhne mit einem Stein ab und berührst damit die Beine – eine symbolische Umschreibung des Tenachs für die Geschlechtsorgane – deines Ehemanns. Anders als Abraham, der seinen Sohn hätte töten sollen, reicht hier eine Vorhaut, um Moses zu retten.

Mir sind das etwas zu viele männliche Geschlechtsorgane. Soll das die männliche Stärke, die «Manneskraft» symbolisieren, die auf die Probe gestellt wird? Du als Frau wirst zurückgedrängt. Dabei bist du diejenige, ohne die Moses nicht überlebt hätte. Du handelst. Du rettest.

Dieser Moment der Geschichte, an dem sich das Leben von Moses und seines Volkes entscheidet, wird ausgeblendet. So viele, denen ich von dir erzähle, wissen nicht einmal, wer du bist.

Du gehst komplett vergessen! Ich finde das verrückt.

Woher wusstest du, was zu tun war? Hatte Moses dir von den Bräuchen seiner Familie erzählt? Hattest du diesen Brauch beim Vollzug eurer Ehe wortlos zur Kenntnis genommen? Weisst du, wissen wir Bibel lesende Personen, dass die ganze Befreiungsgeschichte des Volks Israel nicht stattgefunden hätte, wenn du nicht gewesen wärst? Eine Nicht-Jüdin, eine Fremde?

Dabei sollte doch nicht (oder nicht nur) der «Blutsbräutigam» wahrgenommen werden, sondern ebenso die Frau, die diese verwirrenden Ereignisse durchstehen musste. Ich finde es selbstlos und grosszügig von dir, dass du das Leben deines Ehemanns beschützt hast. Für dich hat sich das wohl am wenigsten gelohnt.

Weshalb hast du deinen Ehemann vor einem Gott geschützt, der so widersprüchlich sein konnte? Der deinen Mann so sehr beanspruchte, dass daneben kein Platz für etwas anderes war? Können wir vielleicht zur Abwechslung darüber reden und nicht nur über den Schlangenstab deines Ehemanns und seine Machtspielchen mit dem Pharao?

Ohne dich, Zippora, hätte es keinen Moses gegeben, der den Pharao mit den zehn Plagen in die Knie zwang.

Der israelitische Stammesgott hätte das Meer nicht zu teilen brauchen. Das Volk Israel hätte den ägyptisch-israelitischen Prinzen, der zu ihnen gehörte, nie kennengelernt und wäre in Ägypten geblieben. Und du hättest aufgrund der Entscheidung dieses Manns und seines Gotts als einsame Witwe in der Wüste geendet. Ich finde das grausam.

Eine der ersten Scheidungen

Dass dein Ehemann noch grausamer, noch skrupelloser sein kann, zeigt sich im weiteren Verlauf der Geschichte: Als «Dank» für deine lebensrettenden Sofortmassnahmen schickt er dich und die beiden gemeinsamen Söhne nach der geglückten Befreiung seines Volks zurück zu deinem Vater. Das wird explizit so erwähnt.

Es handelt sich um eine der ersten erwähnten Scheidungen der Bibel.

Es bist nicht du, die nach all diesen Erfahrungen genug hat, was ich mehr als erstaunlich finde. Es ist Moses, der sich der Familie entledigt, die sein Überleben in der Wüste gesichert hatte und der Frau, der er sein Leben verdankt. Warum Moses dich wegschickt, wird nicht gesagt.

Hat es etwas damit zu tun, dass du eine Fremde warst? Dass in einer Gemeinschaft, die sich klarer zu definieren begann, kein Platz für Aussenstehende blieb? Das wäre ironisch, weil Moses auf seiner Flucht Asyl bei deiner Gemeinschaft gefunden hatte und später nochmals eine Fremde, eine Kuschiterin heiratete. War eine Heirat zwischen verschiedenen Gemeinschaften und die Parallelexistenz verschiedener Gottheiten in einer Ehe wirklich derart problematisch? Was war da los?

Ich verstehe es nicht. Ich glaube denjenigen nicht, die darin eine temporäre, wohlmeinende Massnahme sehen.

Ein zweites Mal heisst es für dich: auf einen Esel sitzen, quer durch die Wüste wandern, alles Aufgebaute niederreissen. Unfreiwillig. Wie Hagar in der Abrahamsgeschichte wirst du, nachdem du der Geschichte als Nebendarstellerin gedient hast, in die Wüste, in eine Grenzexistenz verbannt. Dass du, dass Frauen zwischen Männern mit hohen Eigeninteressen aufgerieben werden, tut mir unglaublich leid.

Sind Frauen für diesen Gott und seine Männer lediglich einkalkulierte Verschleissware?

Kein Happy End für Zippora

Dein Vater bringt dich und deine Söhne später noch einmal mit, als er deinen Exmann bei der Organisation des Wüstenvolks Israel berät. Danach verschwinden eure Namen aus der Geschichte. Versuchte dein Vater, Moses an seine Pflicht als Ehemann und Vater zu erinnern?

Das wäre nett gedacht, aber mal ehrlich: Wolltest du überhaupt zu diesem Mann zurück, der seinen göttlichen Auftrag ernster nahm als jeden Menschen in seinem Leben und für unbestimmte Zeit auf Berge verschwinden konnte, ohne Rücksicht auf die Menschen, die ihm anvertraut waren?

Moses wird als hingebungsvoller Gottesdiener bewundert, aber sehen die Leute, welche Auswirkungen das auf seine zwischenmenschlichen Beziehungen hatte?

Ich denke mir, dass du ein besseres Leben hattest ohne ihn, weil du nicht jahrelang in der Wüste herumirren musstest, mitten unter traumatisierten Fremden.

Dass es deswegen leichter war, in deine gewohnte Umgebung zurückzukehren, glaube ich nicht. Ich kann mir nur vorstellen, wie es war, als Tochter des Priesters in die Gemeinschaft zurückzukehren. Als eine, die einen Fremden geheiratet hatte und von ihm verlassen worden war.

Ich weiss nicht, ob ich ein Leben wie deins hätte leben können. Ich finde, das ist viel verlangt. Aber ich möchte dir sagen, dass ich dich nicht vergessen habe. Dass ich dich sehe.

All die Bibelkommentare, die ständig über die Männer dieser Geschichte nachdenken, vergessen, dass du es warst, Zippora, die diese Geschichte getragen hat. Ich würde so gerne mit dir reden.

Alles Liebe

Fabienne

 

Wer die Geschichte von Zippora nachlesen möchte: Sie steht im Buch Exodus (2. Buch Mose), v. a. in den Kapiteln 2–4.

In dieser Serie schreiben wir Briefe an Frauen aus der Bibel, der erste ging an die Königin Vashti. Inspiriert ist dieser Blick von afroamerikanischer Bibelauslegung: Dort wird die sogenannte «geheiligte Vorstellung» («sacred imagination») praktiziert. In einer geheiligten Vorstellung erarbeitet eine Person, wie eine biblische Geschichte hätte beginnen können, wie sie möglicherweise weiterging oder macht sich Gedanken zum Kontext, in dem diese Geschichte stattfand. Afroamerikanische und insbesondere womanistische (schwarzfeministische) Bibelexegese, wie sie beispielsweise die Judaistik-Professorin Wilda Gafney praktiziert, ist dabei intersektional angelegt und von den spezifischen Lebensbedingungen von BIPOCs geprägt. Es wird ein besonderes Augenmerk auf unterschiedliche Handlungsfähigkeiten, soziale Ungleichbehandlungen, Unterdrückungsformen, Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen gelegt. Diesen Aspekten können wir weissen Autorinnen natürlich nicht genügend Rechnung tragen. Wir geben jedoch unser Möglichstes, die feinen Nuancen eines biblischen Textes herauszuarbeiten und den Lebensumständen und -bedingungen der jeweiligen Frauen gerecht zu werden.

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1 Gedanke zu „Liebe Zippora“

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