Auf der Suche nach Sommerlektüre? Was jedes Jahr neu auf den Buchmarkt kommt, lässt einen schwindeln, aber literarische Oldtimer halten da problemlos mit. Gastautorin Claudia Dahinden sinniert lustvoll, welche Bücher sie immer wieder lesen könnte und warum.
Nach der happigen Kost von letzter Woche zurück zu leichterer Lektüre. Zwar behandelt dieses Buch auch heikle Themen, aber es tut dies auf leichte Art: Fanny Flaggs «Grüne Tomaten» von 1987.
Vordergründig ist es die Geschichte zweier Frauen, die sich 1985 in einem Altersheim begegnen. Evelyne Couch, auf Besuch dort, leidet an ihren mittleren Jahren und am Leben als solches. Ninny Threadgoode, eine Residentin, schwelgt in ihren Erinnerungen an ihre Vergangenheit im Ort Whistle Stop in den 1920er Jahren.
Towanda! Feminismus unleashed
Ninny erzählt Evelyne von ihrer Schwägerin Imogen «Idgie» Threadgoode und von Ruth Jameson, die gemeinsam das «Whistle Stop Café» führten. Inspiriert durch die Geschichten fasst Evelyne Mut: Schritt für Schritt befreit sie sich aus ihrem inneren Gefängnis und von allen Vorstellungen, wie sie sein sollte und was sie tun müsste, und findet zu sich selbst.
Es ist herrlich, Evelynes Befreiung mitzuerleben.
Wer den Film kennt, erinnert sich sicher an diese Szene: Evelyne, verkörpert von der genialen Kathy Bates, verschrottet mit ihrem Wagen genüsslich das Auto zweier junger Damen, die ihr vor dem Supermarkt den Parkplatz weggeschnappt haben, auf den Lippen ihren Kampfruf «Towanda!», den sie sich von Idgie ausgeborgt hat.
(Hier kann man die Szene auf YouTube nachschauen.)
Der Charme des Südens
Das Buch besticht auch durch Flaggs Sprache, die einen in das leicht mystische Ambiente des Südens hineinzieht. Darin erinnert es mich an den Klassiker «Wer die Nachtigall stört»: Man taucht ein in diese Welt, badet in der wunderschönen Landschaft und fremden Kultur, und taucht nur widerwillig wieder auf.
Zu diesem Ambiente gehört auch das Essen, das im «Whistle Stop Café» serviert wird. Als Evelyne Ninny frisch zubereitete, frittierte grüne Tomaten ins Altersheim bringt, hat es mich gereizt, mich ebenfalls daran zu versuchen. Das ist auch anderen so ergangen: Inzwischen gibt es ein Kochbuch zum Roman.
Idgie und Ruth: Im Buch mehr als Freundinnen
Die Schattenseiten jener Zeit werden klar benannt. Das Buch thematisiert Rassismus, unter anderem mit einem Auftritt des Ku-Klux-Klan. Doch es zeigt auch Idgie und Ruth, die in ihrem Café alle Menschen bedienen und sich um Obdachlose kümmern.
Während der Film die Konturen bewusst verwischt, macht das Buch deutlich, dass die Geschichte von Idgie und Ruth eine Lovestory ist.
Idgie, der rebellische Wildfang, befreit die fromme Kirchgängerin Ruth aus der Ehe mit dem gewalttätigen Frank. Die beiden leben fortan zusammen, führen das Café und ziehen Ruths Sohn gemeinsam auf. Und keine Menschenseele nimmt Anstoss daran.
Das mutet anachronistisch an. Schliesslich spielt die Geschichte in einer Zeit, in der es «so etwas» vermeintlich gar nicht gab.
Aber wer weiss? Vielleicht schätzten die Menschen aus Whistle Stop es höher ein, dass zwei Menschen füreinander da waren, bis der Tod sie voneinander trennte.
Mehr davon!
Ich wünsche mir mehr solche Geschichten: Stories für Mainstream-Leser:innen, in der queere Menschen nicht auf ihre Queerness reduziert und als «Token Queer» (Quoten-Queere:r) lieblos in den Plot gedrückt werden, sondern in all ihren menschlichen Facetten glänzen dürfen.
Vielleicht würden Menschen, die sich in einer Hetero-Bubble bewegen, dadurch erkennen, dass queere Menschen keine bedrohliche «Agenda» haben, sondern die exakt gleichen Wünsche und Hoffnungen an das Leben wie sie selbst. Und das gleiche Recht, für die Erfüllung dieser Wünsche zu kämpfen.
Kennst du das Buch oder den Film – oder beides? Und wie hast du die Beziehung zwischen Idgie und Ruth interpretiert? Schreibs in die Kommentare.
Claudia Dahinden schreibt für RefLab eine Sommerserie über ihre Lieblingsbücher. Die Autorin (Saga «Die Uhrmacherin»), Musikerin und pastorale Mitarbeiterin lebt in Grenchen. Wenn sie nicht schreibt oder liest, konsumiert sie mit Hingabe nerdige Fernsehserien.
Mit der Frage nach einem «gerechten Krieg» haben wir uns im RefLab auch schon beschäftigt, zum Beispiel Manuel Schmid im Blogbeitrag «Der Preis des Friedens».
Illustration: Rodja Galli
4 Kommentare zu „Vintage-Sommerlektüre (5): Fanny Flagg, «Grüne Tomaten»“
Ich kannte bis jetzt nur den Film, habe ihn vor x-Jahren mal gesehen und kaum mehr in Erinnerung. Das Buch werde ich mir auf jeden Fall suchen und lesen und mal schauen, ob ich auch den Film noch irgendwo auftreiben kann um ihn nochmals zu schauen.
Danke für die Anregung!
Gern, liebe Ursula! Das Buch lohnt sich wirklich, und nach der Lektüre wird auch der Film noch etwas anders wirken :-).
Ich habe vor vielen Jahren den Film gesehen. Und – ja – die Szene vom Zurückerobern des gestohlenen Parkplatzes ist mir noch in lebhafter Erinnerung. Aber auch die Grillparty gegen Schluss des Films….
Oja, die hatte es auch in sich…! 🙂