Auf der Suche nach Sommerlektüre? Was jedes Jahr neu auf den Buchmarkt kommt, lässt einen schwindeln, aber literarische Oldtimer können da problemlos mithalten. Gastautorin Claudia Dahinden sinniert lustvoll, welche Bücher sie immer wieder lesen könnte und warum.
Nach meinem Einstieg mit der Kingschen Version der Apokalypse verspüre ich den Drang zu beweisen, dass ich nicht nur Genre-Bücher lese. Daher Vorhang auf für Jane Austens «Stolz und Vorurteil»!
Der Plot: Eine übereifrige Mutter versucht, ihre fünf Töchter trotz Mangels an reichen Junggesellen an die Männer zu bringen.
Zutaten: Schöne Landschaften, Ballszenen und der leidenschaftlichste, romantisch-sexuell aufgeladenste Streit der literarischen Geschichte. What’s not to love?
Mister Darcy: mein Held!
Am meisten «to love» ist für mich zweifelsohne Mister Darcy, der Hauptprotagonist. Ich habe den Film sicher hundert Mal gesehen, und der Anblick von Matthew Macfadyen, der durch den Morgennebel auf die schöne Lizzie (Keira Knightley) zuwandert, hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt.
Vor allem erkenne ich mich in seinen Schwächen, auch wenn ich sie (mit wieviel Erfolg, müssen andere beurteilen) zu verbergen versuche.
Die soziale Unbeholfenheit! Der Gesichtsausdruck, wenn er in einer Menschenmenge steht, die sich im Pulk köstlich amüsiert! Wie er zum Leben erwacht, wenn er zu jemandem Zugang findet und sich gesehen und verstanden fühlt! Da schmilzt mein Herz für den klassischen INTJ* der Myers Briggs Schule, der ich auch bin.
Zwar habe ich meine Social Skills in den letzten Jahren verbessert, aber sobald es um lockere Konversation mit Leuten geht, die ich nicht gut kenne, bricht mir der Hirnschweiss aus. Was sage ich bloss? Welches Thema interessiert normale Leute? (Notabene: Es ist nicht die letzte Staffel von «Doctor Who»).
Exzellentes Plotwriting, trockene Schreibe
Jane Austen versteht ihr Handwerk, und ein Grossteil dessen, was ich an diesem Buch mag (erschienen 1813), hat damit zu tun. Ein konziser, knackiger Plot, ein lakonischer Stil, bei dem schon in der ersten Zeile eine Menge Humor durchschimmert:
«Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens sich nichts mehr wünschen muss als eine Frau.»
Dieser Stil war jedoch einer der Gründe, warum ihre Kollegin der Feder, Charlotte Brontë, das Werk kritisierte. Ihr war es zu wenig leidenschaftlich, zu wenig gefühlsintensiv.
Jane Austen: Scharfe Beobachtungsgabe, gewürzt mit Sozialkritik
Austens trockener Stil passt zu ihrem klaren Blick auf die Gesellschaft ihrer Zeit. In all ihren Romanen zeichnet sie ein realistisches Bild der Möglichkeiten einer Frau aus der Schicht der Bennets: Sie musste sich verheiraten, sonst lag sie ihrer Familie auf der Tasche.
Austen selbst hat die Erwartungen durchbrochen. Obwohl sie zwei Anträge erhielt, hat sie sich entschieden, nicht zu heiraten, und hat mit ihrer Schreibtätigkeit auch für ihre Mutter und Schwester gesorgt.
Sie betrachtete die Gesellschaft von aussen, und auch darin erkenne ich mich wieder.
Oft stört mich, wie die meisten Menschen gesellschaftliche Regeln, Schönheitsideale und Ziele ihrer Zeit ohne Rückfrage übernehmen oder bekämpfen, anstatt ihre Qualität an festen Werten zu messen.
Je nach Charakter wird dann auf den «liberalen Zeitgeist» eingeschlagen oder auf die «Ewiggestrigen» hinabgesehen. Dabei ist es keinen Deut origineller, prinzipiell in Opposition zur Gesellschaft zu stehen, als ihren Regeln devot zu gehorchen.
Demut und Erkenntnis
Doch um das zu erkennen, wäre wohl eine Portion Demut vonnöten; auch eine Eigenschaft, die dem Menschen seit Urbeginn der Zeit gern abhandenkommt. Und das ist ein letzter Punkt, der mir an Austens Buch gefällt und der auch in Kings Buch von letzter Woche aufscheint:
Die Demut zu erkennen, wenn man sich geirrt hat, und den Willen zur Veränderung aufbringen.
Heldin und Held sind bereit, neue Fakten und Erlebnisse in ihre Welt aufzunehmen und zuzugeben, dass sie falsch lagen.
Auch daran wir uns in einer Zeit der verhärteten Fronten und Vorurteile ein Vorbild nehmen, und ich wünsche mir diese Demut jeden Tag neu. Schliesslich kann auch ein INTJ* – selten, versteht sich! – mal irren.
* Der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) teilt Menschen nach 4 Kriterien (Introversion/Extroversion, intuitive oder sensorische Verarbeitung von Sinneseindrücken, Entscheidungsfindung durch Denken (Think) oder Fühlen, Wahrnehmer (Perceiving) oder Urteiler (Judging) in 16 verschiedene Persönlichkeitstypen.
Was hältst du von Persönlichkeitstests wie dem MBTI? Und falls du den kennst: Verrätst du, welcher Typ du bist?
Claudia Dahinden schreibt für RefLab eine Sommerserie über ihre Lieblingsbücher. Die Autorin (Saga «Die Uhrmacherin»), Musikerin und pastorale Mitarbeiterin lebt in Grenchen. Wenn sie nicht schreibt oder liest, konsumiert sie mit Hingabe nerdige Fernsehserien.
Noch mehr Romantik gefällig? Hier geht’s zu einer Bildmeditation zu Caspar David Friedrich.
4 Gedanken zu „Sommerlektüre (2): Jane Austen, «Stolz und Vorurteil»“
Stolz und Vorurteil gehört auch bei mir zu den Büchern, die ich immer mal wieder lese. War wohl Jane Austen selbst auch ein INTJ? Ich finde Persönlichkeitstests interessant, aber auch wichtig, dass wir dann in der ‚Schachtel‘ in welcher jemand zu liegen kommt, genügend Platz lassen…
Selbst habe ich keinen MBTI gemacht, würde ich aber eigentlich gerne mal.
Ich habe zumindest schon gelesen, dass Austen auch als INTJ “gehandelt” wird. MBTI-Foren, in denen alle über den Typus von echten und fiktiven Persönlichkeiten diskutieren, finde ich höchst unterhaltsam 🙂 Tests gibt’s übrigens online recht gute, falls du es mal versuchen willst. Aber was du sagst finde ich auch wichtig: Solche Einteilungen sind immer nur Annäherungen und sollten auch nicht zu ernst genommen werden. Mir hat es geholfen, mich selbst besser zu verstehen, was ich immer als Gewinn betrachte.
Ich habe den Artikel gelesen. Dann am Abend den Film geschaut und mir jetzt das Buch bestellt 😉
Liebe Laila, das freut mich aber! 😊 Dann fandest du den Film wohl auch nicht so schlecht – ich bin gespannt, wie dir das Buch gefallen wird! Du kannst es mich ja dann wissen lassen 😉