Dein digitales Lagerfeuer
Dein digitales Lagerfeuer
 Lesedauer: 4 Minuten

Vintage-Sommerlektüre (1): Stephen King, «Das letzte Gefecht»

Auf der Suche nach Sommerlektüre? Was jedes Jahr neu auf den Buchmarkt kommt, lässt einen schwindeln, aber literarische Oldtimer halten da problemlos mit. Gastautorin Claudia Dahinden sinniert lustvoll, welche Bücher sie immer wieder lesen könnte und warum.

Als ich mir die Frage stellte, welche Bücher ich als meine «All time favorites» bezeichnen würde, ging es mir wie Rob Gordon im Film «High Fidelity». Herrje, die Fülle!

Im Feuilleton finde ich meine Bücher selten; meine Liebe gilt packenden Geschichten in eher trockenem Stil und Humor, mindestens einer Prise Tiefgang, und da gibt’s viele. Welchen gebührt ein Platz auf der ewigen Bestenliste?

Pandemie lässt grüssen

Irgendwo muss ich anfangen, und in memoriam Covid wähle ich für den ersten Artikel dieser Sommerserie Stephen Kings Wälzer «Das letzte Gefecht».

Der Plot in Kürze: Der Armee entfleucht ein verändertes Grippevirus, an dem 99.4 Prozent der Bevölkerung sterben. Die Zivilisation bricht zusammen. Die Überlebenden bilden zwei Gemeinschaften und liefern sich einen Kampf zwischen Gut und Böse, den das Gute – halleluja, praise the Lord! – gewinnt.

Ein epischer Plot, doch vor allem vereint dieses Buch alles, was ich an Kings Romanen schätze.

In den Schuhen anderer stehen

King schreibt seine Geschichten oft aus mehreren Perspektiven und hat die Gabe, sich in die verschiedensten Menschen hineinzuversetzen. Er erzählt die Geschichte aus ihren Augen, Herzen und Hirnen.

Damit öffnet er uns für ihr Empfinden und ermöglicht uns eine Empathie, wie wir sie auch im Alltag dringend bräuchten.

Wenn mir daran liegt, dass Menschen zu einer anderen Sichtweise durchdringen, muss ich auf ihre Ängste und Ressentiments antworten. Aber das kann ich erst, wenn ich mich wie King in ihre Schuhe stelle und versuche, damit herumzulaufen.

Ein realistischer Blick auf die Gesellschaft

Kings Story zeichnet sich gleichzeitig durch einen nüchternen Blick auf den Menschen aus: Die Überlebenden gehen sich in der neuen, aber eben nicht wirklich erneuerten Gemeinschaft bald wieder auf die Nerven.

Wie es der pensionierte Soziologieprofessor Glen Bateman im Roman irgendwann ausdrückt: «Christus hätte sagen sollen: Ja wahrlich, wo zwei oder drei von euch beisammen sind, wird irgendein anderer Typ fürchterlich eins auf die Rübe kriegen.»

Ich habe immer noch Hoffnung für das menschliche Miteinander, aber angesichts der Weltlage scheint es, dass King einen realistischen Blick auf uns geworfen hat.

Gut UND böse – und fähig zur Veränderung

Realistisch, aber nie einseitig sind auch Kings Held:innen und Gegenspieler:innen. Jeder Gutmensch hat Schattenseiten, jede Feindfigur etwas Liebenswertes.

Larry Underwood, ein von sich eingenommener, egoistischer Musiker, wird zu einem Pfeiler der neuen Gemeinschaft und wagt die Reise nach Las Vegas in die «Höhle des Löwen». Harold Lauder, ein gemobbter Teenager, erfährt plötzlich Respekt und Gemeinschaft und steht vor der Wahl, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Aber kann er sich dazu durchringen?

Stephen King, Gott und der Glaube im Guten und Schlechten

Kings Bücher sind nichts für allzu empfindsame Geister. Überraschend ist, dass Gott in vielen eine Rolle spielt.

Hier nimmt er uns mit in die Lebenswelt der uralten Abigail Freemantle, der Führerin der «Guten», und in ihr mit Humor gewürztes Gottvertrauen. Einmal macht sie sich auf, um in einem entfernten Hühnerhaus ein Huhn zu holen, sinniert darüber, ob der Herr ihr einen Adler oder alternativ Elia in seinem Feuerwagen senden wird, und meint dann zu sich selbst: «Blasphemie – der Herr schickt Kraft, kein Taxi!»

Doch King gibt auch kritischen Stimmen zum Thema Glauben Raum.

Einmal meint Glen Bateman: «Die Schönheit des religiösen Wahns liegt darin, dass er die Macht hat, alles zu erklären. Sobald Gott (oder Satan) als erste Ursache für alles akzeptiert wird, was in der sterblichen Welt geschieht, ist nichts mehr dem Zufall überlassen, und die Logik fliegt aus dem Fenster.» Worte, die leider auch heute noch Gültigkeit haben.

Inhalt: viel Wahrheit

Fazit: King ist für mich ein Grossmeister des Erzählens, in dessen Geschichten viel Wahres steckt.

Und das liebe ich auch selbst am Schreiben: Wir können fiktive Menschen in Plots verwickeln, die so surreal sind, wie man es sich nur ausdenken kann, und dabei strahlende und nicht so strahlende Wahrheiten vermitteln.

 

Was ist deine liebste Sommerlektüre? Was hältst du von den Romanen von Stephen King? Schreib gerne in die Kommentare!

Claudia Dahinden schreibt für RefLab eine Sommerserie über ihre Lieblingsbücher. Die Autorin (Saga «Die Uhrmacherin»), Musikerin und pastorale Mitarbeiterin lebt in Grenchen. Wenn sie nicht schreibt oder liest, konsumiert sie mit Hingabe nerdige Fernsehserien. 

Illustration: Rodja Galli

Alle Beiträge zu «Vintage-Sommerlektüre»

2 Gedanken zu „Vintage-Sommerlektüre (1): Stephen King, «Das letzte Gefecht»“

  1. Um Stephen King habe ich bis jetzt eine grossen Bogen gemacht – sein Genre ist nicht so meins… aber deine Empfehlung hier, Claudia, spricht mich an. Mal schauen, ob das im Büchergestell unserer Tochter vorhanden ist 😉
    Danke für die Ermutigung!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox