Es ist ein archaisches Ritual: das Herabbeschwören höherer Gewalten in Momenten politischer Machtübernahme. Bei der Inauguration Donald Trumps als 47. US-Präsident erfuhr dies eine eindrückliche Neuauflage: durch leidenschaftliche «Prayers» mehrerer Vertreter christlicher Kirchen und einen Rabbi.
Aber selbst ohne Gebete haben Einsetzungen in hohe politische Ämter einen besonderen Nimbus. Dies rührt davon her, dass zum physischen und sterblichen Körper ein zweiter Körper hinzutritt: der politische Körper.
Im Falle von König:innen oder Pharaonen hoben Akte der Inthronisierung Herrschende weit über Normalsterbliche hinaus; liessen sie gar gottgleich erscheinen.
Von Gott errettet?
Nach Eric L. Santner («Was vom König übrigblieb») sind die «zwei Körper des Königs» unter demokratischen Bedingungen keineswegs verschwunden. Nur sei der «politische Körper» auf den Volkskörper als Souverän übergegangen.
Bei Populisten wie Trump freilich, die sich als Inkarnationen des «Volkskörpers» betrachten, fallen beide Körper wieder in eins.
Trump vergass in seiner Antrittsrede nicht zu erwähnen, dass er sich als von Gott errettet und auserwählt betrachtet, um Amerika zu retten. Er erlitt bloss einen Ohrschuss beim Attentat auf ihn.
Interessant, dass der Begriff inauguration als Lehnwort ins Englische übernommen wurde. Und dass bis heute Amtseinsetzungen demokratisch gewählter US-Präsidenten so bezeichnet werden. Denn der Begriff stammt ursprünglich aus der Antike:
Eifrige Auguren
Im alten Rom waren für Inaugurationsrituale Auguren verantwortlich. Das waren römische Priester. Sie setzten Könige und Konsuln ein. Zugleich waren sie für die Deutung von Vorzeichen zuständig: die Auspizien. Dabei ging es darum, Zustimmung oder Ablehnung durch Götter zu ermitteln.
Donald Trumps abermalige Inauguration am 20. Januar 2025 wurde durch Gebete von Kirchenrepräsentanten gerahmt, die überwiegend christlich, unterschiedlich konfessionell und durchgängig männlich waren.
Man konnte unterschiedliche Predigt-Stile erleben: von patriarchalisch-streng über spontan-ekstatisch bis sanft in der Stimmlage, aber rhetorisch markig. Wenn etwa der neue Herrscher als ein «Wunder» gepriesen wurde, für das seinen «liebenden Eltern» gar nicht mit genügend Rührung gedankt werden könne.
Mary und Fred Trump sollten «vom Himmel herab» ihren Sohn beschirmen, wünschte etwa Father Frank Mann.
Trumps Church-Bubble
Kirchliche Repräsentanten scharwenzelten um den Präsidenten herum: Kardinal Timothy Dolan, Erzbischof in New York, und Franklin Graham, Sohn des bekannten Evangelikalen Billy Graham. Beides entschiedene Trump-Befürworter.
Rabbi Marvin Hier, der Gründer des Simon Wiesenthal Centers, sowie Reverend Lorenzo Sewell von der 180 Church. Sewell betete am Montag mit Blick auf den versuchten Mordanschlag im Juli, bei dem die Kugel um Haaresbreite Trumps Kopf verfehlte:
«Heavenly father, we are so grateful that you gave our 45th and now our 47th president a millimeter miracle.»
Den Schlusssegen durfte der pensionierter katholische Priester Frank Mann aus der Diözese Brooklyn erteilen. Er und Trump sind enge Freunde.
Mann übernahm sogar Trumps Wahlkampfslogan wortwörtlich: «Make America Great Again». Gott solle dem Präsidenten dabei helfen, das umzusetzen.
Kirchenmänner, die zuvor für Trumps Wiederwahl getrommelt hatten, waren genauso handverlesen wie die geladenen Regierungsvertreter:innen (Orban, Meloni, AfD usf.). Trump wurde bei der Inauguration von einer geistlichen Truppe aus seiner Bubble beweihräuchert, ohne dass bei diesen auch nur ein Hauch von Mut zu Kritik spürbar war.
Update: Nach Erscheinen dieses Artikels fand noch ein Inaugurations-Gottesdienst statt. Dort sprach Bischöfin Mariann Edgar Budde Trump direkt an und bat um Erbarmen für queere Menschen und Migrant:innen. Hier ein Video davon. Evelyne Baumberger hat einen Blogpost über Buddes «Anleitung zum Mutigsein» geschrieben.
Ins Kissen beissen
Je nachdem, wie man zum wiedergewählten US-Präsidenten steht, wird man geschwelgt oder aber das Gesicht ins Sofakissen gebohrt und gestöhnt haben.
Ein AfD-Repräsentant sagte noch am selben Abend in einer Talkshow («Hart aber fair»), derart «würdevolle Amtsantritts-Feiern» würde er sich auch für Deutschland wünschen.
Hier wurde ein US-Präsident am Inaugurationstag mit frommen Segenswünschen überhäuft, der vor vier Jahren eine demokratische Wahlniederlage nicht anerkannt und einen Mob auf das Capitol gehetzt hatte.
Ein Mann wurde kirchlich beweihräuchert, der Schweigegeld an Prostituierte zahlt, seine Finanzunterlagen nicht an Steuerbehörden herausrückt und neuerdings Kanada und Grönland mit Annexion droht sowie Panama mit der Einforderung des Panamakanals.
Einem Politiker wurde gehuldigt, der noch am Tag eins seiner zweiten Präsidentschafts-Periode das Pariser Klimaabkommen in die Tonne trat, den Austritt aus der WHO (Weltgesundheits-Organisation) in die Wege leitete und den Austritt aus globalem Mindeststeuer-Abkommen verkündete.
Nicht besser als Putins Kyrill
Aus der Ferne ist schwer zu beurteilen, wie die fromme Rahmung bei Amerikaner:innen ankommt. Diese haben sich in einer demokratischen Wahl überwiegend für den früheren Immobilienmagnaten ausgesprochen, der sich mit Superreichen als Ministern und Beratern umgibt.
In Europa indes, wo immer mehr Menschen Kirchen den Rücken kehren, dürften sich viele von dem Schauspiel in ihrer Kirchenskepsis oder sogar im Agnostizismus bestätigt gefühlt haben. In den Momenten vor dem Fernseher konnte ich das sogar nachfühlen.
Derart ungebrochene Machtbeweihräucherung kennt man in unserer Zeit höchstens von Putins viel kritisiertem Patriarchen Kyrill, dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.
Unwillkürlich drängten sich ausserdem Vergleiche mit der dunklen Zeit der NS-Diktatur auf, wo Kirchen unterschiedlicher Konfessionen an der nötigen Abgrenzung scheiterten. Übertriebener Vergleich?
Musk übt Hitler-Gruss
Noch am Inaugurations-Abend schockierte allerdings der derzeit engste Trump-Vertraute, der Tech-Milliardär Elon Musk, mit einer scheinbar übermütigen Geste: einem Hitler-Gruss vor jubelnder Menge.
Der Hitler-Gruss machte Musk offenbar so viel Spass, dass er ihn sogar wiederholte.
Der Unternehmer entstammt der britischen Oberschicht Südafrikas. Seine Familie profitierte von dem Unrechtsregime. Wie erst jüngst publik wurde, kritisiert Musk nicht etwa die rassistische Apartheids-Phase seiner Heimat, sondern ganz im Gegenteil die Abschaffung der Rassentrennung.
Zumindest in spiritueller Hinsicht wird man die am Montag weltweit ausgestrahlte Trump-Inauguration für ungültig erklären müssen: Trump beging nämlich einen Formfehler. Er verabsäumte in dem Moment, als er auf die Bibel schwören sollte, dies auch zu tun.
Absicht oder Versehen? Trump vergass die Bibel
Seine Frau Melania stand im breitkrempigen Hut vergeblich mit der berühmten Lincoln-Bibel neben ihm. Auf diese hatten schon 1861 Lincoln und 2009 und 2013 Barack Obama geschworen.
Noch kurz zuvor hatte der Präsident behauptet: «I was saved by God to make America great again». Im entscheidenden Moment aber dachte er offenbar nicht an Gott und dessen Wort, sondern bloss an sich selbst.
Dabei gibt sich Trump sonst ausgesprochen bibelaffin. Er gibt ja sogar selber eine Bibel heraus und lässt sie für knapp drei Dollar in China drucken. Im Handel kostet die Trump-Bibel 60 Dollar.
Update: Nach Erscheinen dieses Artikels fand noch ein Inaugurations-Gottesdienst statt. Dort sprach Bischöfin Mariann Budde Trump direkt an und bat um Erbarmen für Migrant:innen und queere Menschen. Hier ein Video. Evelyne Baumberger hat einen Blogpost über Buddes Buch geschrieben, eine Anleitung zum Mutigsein.
RefLab-Beiträge zu den US-Wahlen:
Nach der Trump-Wiederwahl fragt Evelyne Baumberger: Sind wir auf halbem Weg nach «Handmaid’s Tale»?
Jonas Simmerlein findet biblische Parallelen im TV-Duell Harris/Trump
Warum unterstützen Christ:innen in den USA Trump? von Jonas Simmerlein
Zum ikonischen Bild des Trump-Attentats schreibt Kunstkritikerin Johanna Di Blasi
Und ebenfalls Johanna Di Blasi zu: Donald Trump und die Heldenreise: Ein politisches Märchen?
Foto: Brett Sayles auf Pexels
1 Gedanke zu „Religiöser Kniefall vor Trump“
Trump und seine Entourage wirken einerseits gefühlskalt, dumpf und andererseits durch irgendwelche Triggereffekte grenzenlos erregbar. Und sie neigen zu grenzenloser, blinder Aggression, ähnlich wie Vietnamveteranen, Überlebende von Konzentrationslagern oder Bombardierungen. Mit dem Unterschied, dass Menschen mit PTSD/PTBS sich von ihrem normalen Umfeld entfernen, wenn ein Flashback droht, um niemanden zu verletzen.
Appelle werden kaum wirksam sein, solange sie ihre Verletzungen nicht offenlegen können.