Es ist ausserhalb Washingtons wenig bekannt, aber schon 2020 redete Bischöfin Mariann Edgar Budde Donald Trump ins Gewissen: Und zwar, nachdem er während der «Black Lives Matter»-Proteste Demonstrierende mit Tränengas vertreiben liess, um vor einer Kirche in Washington D. C. öffentlichkeitswirksam eine Bibel in die Kamera zu halten.
«Auf keinen Fall» unterstütze ihre Kirche die provozierende Aktion des Präsidenten, liess die episkopale Diözese von Washington in Buddes Namen auf Facebook verlauten. Auch in TV-Interviews stellte Budde klar, dass Trumps Auftritt ein Missbrauch der Kirche gewesen war.
Wer hätte das damals geahnt
Gleich auf den ersten Seiten ihres 2023 erschienenen Buchs «How We Learn To Be Brave» («Wie wir lernen, mutig zu sein» – 10 Lektionen daraus am Ende dieses Artikels!) schildert sie die Ereignisse von damals. Sie brachten ihr Popularität, aber auch Widerspruch ein.
Sie hat sie als «decisive moment», als entscheidenden Moment in ihrem Leben, in Erinnerung.
Man muss fast ein wenig schmunzeln. Beim Schreiben dieses Buchkapitels hätte Budde wohl niemals vermutet, dass sie Trump noch einmal an die christliche Botschaft von Nächstenliebe erinnern würde. Und das in einer Situation, die an Öffentlichkeit fast nicht zu überbieten ist: Die Bischöfin predigte beim Amtseinsetzungs-Gottesdienst des erneut gewählten Präsidenten.
Ihr Aufruf zu Barmherzigkeit, den sie am Ende ihrer Predigt direkt an Trump richtete, ging viral. Auch Medien wie SRF oder die Zeit schrieben über die zwei Minuten, die um die Welt gingen.
Mit zarter Stimme und freundlicher Klarheit stand sie vor dem mächtigsten Mann der Welt – der sofort über Social Media eine Entschuldigung verlangte. Für sie sei es «a pretty mild sermon» gewesen, wie sie dem TIME Magazine erklärte; eine ziemlich «milde» Predigt. [1]
Wie man lernt, mutig zu sein
«Wie wir lernen, mutig zu sein» – Budde stellte unter Beweis, dass der Titel ihres Buches kein leeres Gerede ists. Und gleichzeitig wird darin deutlich, dass sie sich nicht für jemand Besonderen hält.
Sie ist fest davon überzeugt, dass jede:r im Leben an Situationen herangeführt wird, die solchen Mut erfordern – und diesen auch aufbringen kann. Und so ist das Buch auch geschrieben: Leichtfüssig zu lesen und mit klaren Take-Aways, im Stil etwa an Glennon Doyles Bestseller «Untamed» («Ungezähmt») erinnernd.
Mariann Edgar Budde erklärt, wie man im Alltag charakterliche Haltungen entwickeln und pflegen kann, die sich in entscheidenden Situationen bewähren. Egal, ob man sich diesen Situationen gewappnet fühlt oder nicht.
«How We Learn to Be Brave» ist ein leicht lesbares Buch mit vielen biografischen Elementen. Budde erzählt, wie sie als Jugendliche in einen anderen Bundesstaat zu ihrer getrennt lebenden Mutter zog. Aber auch, wie es kam, dass sie Bischöfin in Washington D. C. wurde, oder wie sie lernte, mit chronischen Schmerzen zu leben.
Das Buch ist als Reaktion darauf zu verstehen, dass ihr nach ihrem Protest gegenüber Trump Menschen attestierten, besonders mutig zu sein. Sie versucht, das Gegenteil deutlich zu machen: Dass man keine besonderen Voraussetzungen mitbringen muss, um in entscheidenden Momenten aufzustehen und etwas Tapferes zu tun.
Ganz normale Menschen mit einem Gespür für das Richtige
Sie erzählt aus ihrem eigenen, vor allem aber auch aus dem Leben ganz verschiedener Menschen aus der Geschichte. Dabei legt sie einen besonderer Fokus auf die US-amerikanischen Geschichte und Bürgerrechts-Bewegungen.
Budde erzählt von bekannten und unbekannteren Menschen – von Königin Esther bis Martin Luther King.
Menschen, die einen Schritt nach dem anderen taten, ihren Überzeugungen treu blieben, ihrer Angst trotzten und bei Widerständen durchhielten. Und die so dazu beitrugen, dass die Welt für andere Menschen zu einem besseren, gerechteren Ort wird.
Diese Menschen hätten aus einem Gefühl der Berufung heraus gehandelt, so Budde. Aus einem tiefen Empfinden dafür, dass der vor ihnen liegende Weg sich wenn auch manchmal nicht logisch, jedoch auf geheimnisvolle Weise richtig anfühlt.
Ist es ein «christliches Buch»?
«Angenehmerweise kommt Gott bei Budde nur als innere Kraft vor», schätzt der ZEIT-Rezensent die religiöse Komponente des Buches ein. Oberflächlich mag dies so wirken, doch Budde nimmt immer wieder Bezug auf ihren Glauben und ihre theologischen Überzeugungen.
So macht sie deutlich, dass viele der von ihr erwähnten Menschen nicht nur Kraft aus ihrem christlichen Glauben schöpften, sondern dass dieser auch die Quelle ihres politischen und sozialen Engagements bildete.
Sie räumt dem Leiden für andere grosse Bedeutung ein, einem im Christentum zentralen Prinzip.
Sie erwähnt das Momentum in gewissen Situationen, das sie selbst als «Wirken des Heiligen Geistes» interpretiert. Die Wahrnehmung, im Dienste von etwas zu stehen, das viel grösser ist als die eigene Person.
Gerade im letzten Kapitel des Buches geht sie auf die Bedeutung des Gebets ein und eine christliche Definition von Hoffnung: die Fähigkeit, in den schwierigsten Situationen noch Gutes anzustreben.
Und sie erzählt nochmals ganz kurz nach, wie Jesus von Nazareth nicht nur für die Menschen starb, sondern vor allem auch für sie lebte, indem er in seinem Wirken auf Gottes Wesen hinwies.
Gleichzeitig stimmt: Budde signalisiert – wie auch in ihrer Inaugurations-Predigt – eine grosse Offenheit für verschiedene religiöse, agnostische und atheistische Haltungen. Sie lässt sich nicht vereinnahmen und erzählt auch immer wieder, wie sie von Menschen anderer Traditionen lernt. Und sie nennt die Gefahren von religiösem – auch christlichem – Fanatismus.
Zusammenfassung: 10 Erkenntnisse
Zum Schluss zehn persönliche Lektionen aus Mariann Edgar Buddes Buch «How We Learn To Be Brave»:
- Einen Schritt nach dem anderen zu tun, ist genug.
- Wenn man gut hinhört, lernt man zu unterscheiden, ob es Zeit ist, zu gehen oder zu bleiben.
- Mut bedeutet, dem nachzugehen, von dem man längst weiss, dass es richtig ist. Ungeachtet der Folgen.
- Es ist normal, nach einem «entscheidenden Moment» in ein Loch zu fallen.
- Manchmal sind es die ganz kleinen, unscheinbaren Entscheidungen in Treue zur eigenen Überzeugung, die zu etwas viel Grösserem hinführen.
- Unzählige Situationen der Geschichte schienen aussichtslos, wurden jedoch durch Menschen, die innerhalb ihrer Möglichkeiten aufstanden, massgeblich verändert.
- Ganz gewöhnliche Menschen können zu wichtigen Leitungspersonen werden.
- Sich mit anderen zusammenzutun, ist essenziell. Niemand bewirkt alleine Grosses.
- Veränderung kann eher erreicht werden, wenn man versteht, an welchem Punkt das Gegenüber steht. (Hier nimmt Budde Bezug auf die sogenannte «Diffusionstheorie», die beschreibt, wie Innovationen oder Ideen sich verbreiten.)
- Gebet um Veränderung in der Welt verändert vor allem eines: das eigene Herz.
Mariann Edgar Budde: «How We Learn To Be Brave» (Avery, 2023). Auch als Hörbuch bei Audible erhältlich.
[1] Buddes sehr hörenswerte Predigt behandelte die Frage, wie die Bevölkerung eines gespaltenes Landes trotz aller Verschiedenheiten Einheit erlangen könnte, um trotz politischer Uneinigkeit ein gutes Zusammenleben für alle zu sichern. Sie dauert 15 Minuten und ist hier in voller Länge als Video zu sehen. (Über die Video-Einstellungen können automatisch generierte deutsche Untertitel eingeblendet werden.)
1 Gedanke zu „Anleitung zum Mutigsein: 10 Lektionen aus Mariann Edgar Buddes Buch“
Danke für den Artikel! Ihre 10 Erkenntnisse sind ja nicht bahnbrechend neu, aber (wie ich glaube) noch längst nicht verankert genug im kollektiven wie im individuellen (meinem) Denken.