Für die einen ist er ein Held, für die anderen eher ein Antiheld: Donald Trump. Er kehrt nun als strahlender Sieger ins Weisse Haus zurück. Der Wiedergewählte werde vor Macht und Stolz kaum gehen können, sagte ein Kommentator am Morgen nach der Wahl im Radio. Alle Welt hält jetzt den Atem an und wartet ab, was als nächstes passiert.
Wie kann jemand, der ein Blutbad ankündigte («Blutbadrede»), sollte er nicht gewählt werden, und der im Januar 2021 einen Mob aufs Kapitol hetzte überhaupt als US-Präsident demokratisch wiedergewählt werden?
Diese Frage können wohl nur die Amerikaner:innen selbst beantworten. Das rhetorische Erfolgsrezept von Donald Trump aber lässt sich auch aus der Ferne benennen: «Heldenreise». Nach beharrlicher Selbststilisierung als alleiniger «Retter der Nation» und zahllosen Wiederholungen dieses Mantras bei öffentlichen Auftritten und in sozialen Medien sehen das offenbar viele ebenso.
Bei der «Heldenreise» handelt es sich um ein eingängiges, aus Mythen und Märchen bekanntes Erzählschema.
Der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell extrahierte es im vergangenen Jahrhundert aus der Untersuchung einer Vielzahl von Geschichten. Dabei floss auch C. G. Jungs Theorie der Archetypen ein, zu denen Figuren wie der Unschuldige, der Magier oder der Märtyrer gehören.
Rückkehr mit dem Elixier
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gehört die Struktur der «Heldenreise» (engl. «hero’s journey» oder «hero’s quest») auch zur Grundausstattung von Hollywood-Drehbuchschreibern. Sie liegt den Star-Wars-Filmen zugrunde oder dem «König der Löwen». Kein Wunder, dass das Schema bei vielen tief verinnerlicht ist.
Der heldenhafte Erzählbogen führt über Separation und Initiation zur Rückkehr der handelnden Figur.
Je nach Lehrmeinung werden zehn oder zwölf Stufen unterschieden: vom «Ruf zum Abenteuer» über «Prüfungen bestehen» bis zu «Rückkehr mit dem Elixier». Am Ende hat der Held in Drachenblut gebadet und ist unanfechtbar.
Das Modell wird heute auch von Therapeut:innen und Coaches als psychologische Trainingsmethode angewandt. Hier lassen sich widersprüchliche biografische Elemente in eine lineare Struktur ordnen und mit Sinn ausstatten.
Im Brand Marketing lassen sich mit der Helden-Rhetorik effektive Verkaufsstrategien basteln.
Das Modell der Heldenreise boomt gegenwärtig in Storytelling, Psychologie und Marketing. Aber keiner nutzt das Instrument geschickter als Donald Trump.
Arc of the Hero
Der amerikanische Marketingprofessor Ron Hill veröffentlichte bereits Anfang 2021 eine Analyse von 30 000 Trump-Tweets («Trump’s Twitter Feed Shows ‹Arc of the Hero,› from Savior to Showdown»). Hill gelangte zu dem Schluss, dass Trumps Self Branding als «Heldenreise» strukturiert ist.
In seinen Tweets habe sich Trump beharrlich als «Retter» stilisiert, der «die Amerikaner vor Einwanderern, Muslimen, Demokraten und sogar vor seinen republikanischen Mitstreitern» schütze.
Trump habe, so das Narrativ, seine bisherige Welt und sein bequemes Leben als milliardenschwerer Immobilienmagnat («Ruf zum Abenteuer», «Schwelle überschreiten») verlassen, sich in einen Politiker verwandelt («Transformation») und allerlei Prüfungen und Bewährungsproben bestanden.
Er habe diese überlebt und schliesslich den Sieg errungen.
Der Gewinn der Präsidentschaftswahl 2016 markierte den vorläufigen Höhepunkt. Trump verfolgte eine «America First»-Politik, setzte Steuersenkungen durch und berief konservative Richter an den Supreme Court.
Es gelang ihm, Politik für eine Elite zu machen und sich gleichzeitig als Kämpfer gegen das Establishment zu stilisieren, der sich für das Wohl der Bürger aufopfert.
We hear you
Mit der Wahlniederlage 2021 schien die Heldenreise an ein jähes Ende gekommen. Aber der «Held» kündigte an, dies nicht zu akzeptieren, sondern stattdessen «wild» zu werden. Kurz vor der Kapitol-Stürmung durch aufgehetzte Anhänger:innen prophezeite Trump via Twitter:
«Washington wird von Menschen überschwemmt, die nicht wollen, dass ein Wahlsieg von aufgestachelten linksradikalen Demokraten gestohlen wird. Unser Land hat genug, sie werden es nicht mehr hinnehmen! Wir hören Sie (und lieben Sie) aus dem Oval Office.»
Hier sind laut dem Branding-Spezialisten gleich mehrere Heldenreisemerkmale in einem einzigen Tweet verpackt: Der Feind ist ausgemacht («Radikale linke Demokraten»), ihre bösen Taten werden erkannt («Wahlsieg gestohlen»), der Ruf zu den Waffen ertönt («Unser Land hat genug») und seine besondere Verbundenheit mit seiner Basis und deren Unterstützung wird bekräftigt («Wir hören euch und lieben euch»).
Von der Wahl zur Erwählung
Spätestens seit dem überstandenen Schussattentat diesen Sommer umgibt den Milliardär und ehemaligen Reality-TV-Star zudem ein Nimbus des wundersam geretteten Retters.
Rechtsgerichtete evangelikale Pastoren haben den heldenhaften Erzählfaden aufgegriffen und ihn zur Wundergeschichte weitergesponnen: Trump sei das «Instrument Gottes», der «Messias» oder auch «der Gesalbte Gottes».
Tatsächlich ist Donald Trump der erste US-Präsident, dem das Attribut des «Gesalbten» zuteilwurde.
Man kennt es aus der Bibel vom Perserkönig Kyros. Dieser war, wie Trump, beileibe kein Heiliger. Aber er wurde als «Instrument Gottes» angesehen, da er im Sinne der «Kinder Israels» handelte.
Im Falle Trumps schien es nicht mehr nur um eine Wahl zu gehen, sondern um «Erwählung».
Man merkt: Heroes-Mythen neigen zu grober Simplifizierung. Im Kern wird immer die gleiche Geschichte erzählt. Auf Social Media gerät das Ganze noch um einiges holzschnittartiger. Aber das Publikum kennt die Story und kann sie anhand von Stichworten intuitiv vervollständigen.
Weltende vs. Golden Age
Im Wahlendspurt diese Woche verlautete Trump auf X im Stakkatoton:
«With your VOTE we are going to Fire Kamala, and we are going to SAVE AMERICA!»
«Kamla is low energy.»
«End Kamala’s war on crypto & Bitcoin.
«HARRIS WILL BAN ALL FRAKING»
«WARS ARE REAGING – THE WORLD IS SPINNING OUT OF CONTRUL WITH KAMALA IN CHARGE …»
Und speziell für christlichen Fans, die ihn schliesslich mit ins Oval Office hievten:
«Wishing everyone a Blessed and Happy All Saint’s Day!»
Und nach vielfachen Beschwörungen des Weltendes das Befreiende:
«Your vote will unleash a new GOLDEN AGE!»
Verbale Grenzüberschreitung
In die Wahlkampfrhetorik mischte sich zuletzt Nazi-Jargon. Seine Gegner diffamierte Trump als «Ungeziefer» und Migrant:innen sprach er unverhohlen rassistisch das Menschsein ab («no people»).
Gleichwohl schien ihn jede neuerliche Entgleisung und jeder überstandene Skandal nur noch immuner zu machen.
Wie können sich Menschen mit einem derartigen Idol massenhaft identifizieren? Selbst solche, die von seiner Politik nicht profitiert haben – und dies wohl auch in Zukunft nicht tun werden: verarmte, bildungsferne Weisse in ländlichen Regionen zum Beispiel?
Das Stolz-Paradox
Die Soziologin Arlie Russell Hochschild, bekannt geworden mit Feldforschung in der amerikanischen Provinz, hat eine Erklärung parat. (Ein aktuelles Interview mit ihr veröffentlichte DIE ZEIT). Die Forscherin hat herausgefunden, dass Menschen in Regionen, die wirtschaftlich am stärksten angeschlagen sind, am meisten dazu neigen, die Schuld bei sich zu suchen. Sie spricht vom «Schuld-Paradox».
Trump instrumentalisiert genau dieses mit Scham verbundene Gefühl. Er bietet den Leuten an, durch ihn Teil einer alternativen Geschichte zu sein, einer Heldengeschichte, in einem Amerika, dass endlich wieder «great» ist.
Stolz und Scham bezeichnet Hochschild als «Haut des Selbst».
Dünnhäutiges Selbst
Den Prozess der Identifikation mit dem Helden unterteilt sie in vier Phasen. In einer ersten Phase sagt Trump etwas Grenzüberschreitendes; beispielsweise: «Einwanderer essen unsere Haustiere» oder «Sie vergiften amerikanisches Blut». In der zweiten Phase kritisieren Meinungsmacher Donald Trump für seine grenzüberschreitende Äusserung. In der dritten Phase wird Trump zum Opfer der Kritiker.
Jene, die sich selbst als Opfer fühlen, identifizieren sich nun mit ihm.
In der vierten Phase schliesslich kommt das grosse Aufbäumen: gegen «die Linken», «die Regierung», «den deep state», «die Einwanderer», «Schwarze», «Frauen».
Der demokratische Teil Amerikas hört nur die ersten beiden Stufen, die republikanische Seite hört die Stufen drei und vier. Donald Trump wird zum Empfänger und Opfer der Scham, kann sich charismatisch mit Menschen verbinden und zum Träger ihrer Gefühle und Opferrolle werden.
Empathie-Brücke überqueren
An dieser Stelle können man tatsächlich sinnvoll mit dem Modell der «Heldenreise» ansetzten, nicht als Marketing-Tool freilich, sondern als ernst gemeinte Seelenbildung.
Man könnte ergründen, ob man vielleicht selbst in Opferrollen feststeckt und die Wirklichkeit leugnet. Oder ob man den inneren «Krieger» einseitig ausgebildet hat und zerstörerisch statt versöhnend wirkt.
Und man könnte herausfinden, ob man im Aussen «Feinde» bekämpft, die sich in Wahrheit im eigenen Inneren befinden.
Die Herausforderung im Umgang mit politisch Andersdenkenden besteht laut der Soziologin Arlie Russell Hochschild darin, die gefühlte Wahrheit («Tiefengeschichte») des Gegenübers herauszuspüren und die «Stolz-Ökonomie» zu verstehen.
So könnte es gelingen, die Empathie-Brücke zu überqueren – anstatt Gräben zu vertiefen, wie Trump es vormacht.
RefLab-Beiträge zu den US-Wahlen:
Nach der Trump-Wiederwahl fragt Evelyne Baumberger: Sind wir auf halbem Weg nach «Handmaid’s Tale»?
Jonas Simmerlein findet biblische Parallelen im TV-Duell Harris/Trump
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Foto von Rock’n Roll Monkey auf Unsplash
2 Gedanken zu „Donald Trump und die Heldenreise: Ein politisches Märchen?“
Danke, liebe Johanna di Blasi. Der Artikel und Titel sprach mich wegen der Verwendung der Heldenreise an. Ich durchlief eine eigene Heldenreise beim Zuhören und danke für diese stilistisch und handwerklich gekonnt formulierten Text. Er zeigt, dass der Haltungsmix und die Reife der Personen, die die Heldenreise anwenden, bedeutend ist und der Tauchgang in die Tiefe unter Umständen lange geht, wenn die inneren Schatten oder Dämonen nicht berührt werden (wollen). In den USA gibt es zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Heldenreise im ursprünglichen und tieferen Sinne für solchgelagerte, innere Reifeprozesse einsetzen. Wie lange die beiden Parteien das Land noch in der „dualistischen Geiselhaft“ halten wollen bis sie den Weg frei machen für eine politische Vielfalt ist für mich die strukturell tieferliegende Frage, die auch (nicht nur) vom breiteren und tieferen Einsatz und Interpretation der Heldenreise abhängt.
Danke für den freundlichen Kommentar!