Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 5 Minuten

Adam, die Sehnsucht und ich

Begib dich an einen Ort, an dem du allein bist. 

Schalte dein Handy auf Flugmodus. Nimm dir eine Stunde Zeit, in der du nichts tust. Außer Buchrücken zählen oder die Knubbel der Raufasertapete untersuchen, vielleicht gibt es da ja doch ein Muster. Und der Sehnsucht nachspüren. Auf dem Unterarm ist dieser neue kleine Pigmentfleck, der aussieht wie Italien.

kein einfaches Gefühl

Ich sehne mich. Zuerst nach dem Sommer und wenn dann Sommer ist, dann nach einem Ventilator und einem Platz im Schatten. Oder nach dem Ort, an den man leider nicht fahren kann, weil es dieses Jahr einfach nicht drin ist. Und wenn es dann doch drin liegt, dann ist das Essen leider nicht so gut wie erwartet und zu Hause war es auch eigentlich ganz schön.

Aber so einfach ist es nicht mit der Sehnsucht. Wenn es nur immer um ein Urlaubsziel ginge. Und nicht auch um die tiefsten Geheimnisse, die Wünsche, die uns mehr quälen als antreiben.

Dieser Geruch, dieser Mensch, die Haut zwischen meinen Fingern, das Salz auf meinen Lippen. Sehnsucht ist heiß und brodelt, sie kribbelt in den Beinen und macht die Augen und Münder wässrig. Alles an mir drängt mich zu, sehnt sich nach, will… Und dann ist es still.

kein Paradies

Es war einmal ein Mann, der sich danach sehnte, nicht mehr allein zu sein. Sein ganzes Leben hatte er in Einsamkeit verbracht. Natürlich, da waren die Bäume und die Vögel und die anderen Tiere, aber sprechen konnte er mit niemandem.

Manchmal, wenn er durch den Garten spazieren ging, stellte er sich vor, wie es wäre, jemanden zu haben, mit dem er sprechen könnte. Er träumte von gemeinsamen Spaziergängen und wie er jemandem die Punkte zeigte, die oben zu leuchten begannen, wenn es dunkel wurde.

Adam hat sich eingelebt. In seinem Garten, in seinem Leben. Mit all den Dingen, die er so tut. Alles ganz schön, okay. Ich habe alles, was ich brauche. Mir geht es gut.

Aber es gibt diesen Moment im Leben, wenn eigentlich alles gut ist, dann kommt dieser Gedanke und setzt sich ganz tief in uns fest.

Und dann: Ich will nicht mehr allein mit mir sein. Als Einzeller, in meiner Allein-Wohnung, mit meinem Allein-Schreibtisch und meinen Allein-Hobbies. Allein mit meinem Körper. Allein mit meinen Gedanken. Besonders diese Gedanken machen mir zu schaffen. Es wäre doch schön. Ein bisschen Gemeinsamkeit, dann würde es perfekt sein.

kein Sündenfall

Adam hat sich die Frage gestellt, was das alles soll, die Bäume und die Spaziergänge, die ganzen Feste und die Urlaube, das Geld auf der Bank, die große Wohnung mit der Kochinsel, eine Umarmung und das schicke Rennrad, wenn es niemanden gibt, mit dem der Mensch es teilen kann.

Der Sündenfall, die Geschichte von Adam und Eva und der Sache mit dem Garten und dem Apfel, ist vielmehr eine Geschichte der Sehnsucht als eine des Falls. Das Sich-selbst-Genügen ist nicht genug für den Menschen. Nicht für Adam, nicht für mich.

Adam sehnte sich nach Gesellschaft, Eva sehnte sich nach Erkenntnis. Julia und Romeo sehnten sich nach Freiheit. Al Capone auch. Pippi Langstrumpf sehnte sich nach einer Familie, genauso wie Harry Potter. Und Frau Huber von oben drüber.

Wie viel Zeit brauchst du allein? Wie viel Zeit verbringst du in Gesellschaft? Und ist das genug?

keine Einsiedler

Diese Sehnsucht trifft alle. Die, die allein sind, und diejenigen, die sich allein fühlen. In ihrer Allein-Beziehung oder ihrer Allein-Familie. Dann fühlt sich die Sehnsucht doppelt schlimm an. Die Sehnsucht danach, mehr zu sein als eins.

Bei mir war es früher anders herum. Mich haben immer Menschen fasziniert, die lange Zeit allein verbracht haben, irgendwo fernab der Gesellschaft. Vermutlich, weil ich gerne so sein würde. Weil ich gerne lernen würde, mir selbst genug zu sein.

Ich war selten allein, weil ich mir nie selbst genügt habe.

Ich hatte immer Sehnsucht. Nicht nach einem Gegenüber, sondern zunächst danach, mir selbst genug zu sein. Ich wollte mich aushalten lernen. Mich lieben lernen, damit ich auch jemand anderes lieben kann. Damit ich auch diese tiefe Sehnsucht verspüre.

keine Sinnlosigkeit

Wer sich selbst genügt, kennt die Sehnsucht nicht. Wer sich selbst genügt, wünscht sich nicht nach außen, will nicht mehr sein als eins. Dabei entsteht Sinnhaftigkeit nicht aus uns selbst, entsteht nicht im Allein-Sein.

Sich sehnen bedeutet, nicht mehr für sich selbst, mit sich selbst sein zu müssen, sondern mit etwas anderem zusammen zu existieren. Für etwas anderes zu existieren.

Welche Tätigkeit ist zurzeit am sinnstiftendsten für dich?

Ich will mich ausstrecken und nach anderen Händen greifen. Nach dem Spielzeug in dem Automaten mit der Greifzange, bei der das Spielzeug immer wieder herausfällt. Nach einem Sinn, den ich nicht in mir selbst finden muss.

 

Der Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch “Ein gefühltes Jahr” von RefLab Autorin Janna Horstmann. Das Buch ist überall im Handel erhältlich.

Zu einem Sehnsuchtsort, den man noch nie bereist hat, liest du hier mehr.

 

Alle Beiträge zu «Ein gefühltes Jahr»

1 Gedanke zu „Adam, die Sehnsucht und ich“

  1. Was ich durch meine Ausserkörpererfahrung sagen kann ist: Adam war im Paradies/Himmel nie allein.

    Ich sehne mich seitdem nach dem was ich dort erfahren habe, weiß deshalb aber auch, daß Mensch einen Auftrag auf Erden hat, der dieser Sehnsucht entsprechend gestaltet werden und mit Verantwortungsbewusstsein die Vernunft des Geistes/Ursprungs erneuern/erweitern soll.

    Antworten

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