Vielleicht war das Gespräch symptomatisch für den (digitalen) Zeitgeist. Wir sind bei Nebensächlichkeiten übersensibel geworden, unterstellen uns gegenseitig Überheblichkeit (im schlimmsten Fall: Böswilligkeit), um uns zu empören.
Mir scheint, wir sind heutzutage insbesondere in den Sozialen Medien mit der Lupe unterwegs und machen Lappalien wichtig und gross.
Ursprünglich wollten wir Licht ins Dunkel bringen. Jetzt wird das Sonnenlicht mit der Lupe gebündelt und das Papier fängt Feuer. Übrig bleibt ein Häufchen Asche.
So übertrieben wie Superhelden
Die Bestrebungen der Woke-Kultur, obwohl ursprünglich vollkommen berechtigt, haben in jüngerer Zeit übertriebene Ausmasse angenommen. Verfechter der Gerechtigkeit streifen auf der Suche nach dem nächsten Skandal durch virtuelle Welten, um als Gerichtsvollstrecker zu agieren: Weisse dürfen keine Dreadlocks mehr tragen, deutsche Musiker dürfen sich nicht bei ausländischer Musikkultur bedienen (selbst dann, wenn sie als solche deklariert wird), Statuen müssen entfernt werden, anstatt sie zu kontextualisieren und mit den notwendigen Ergänzungen als Mahnmal zu belassen.
Jeder richtet über jeden und übt Selbstjustiz. Zuerst kommt die Empörung, dann der Diskurs.
Jesus als Superman
Ich werde es anhand der Illustration darstellen, die wir bereits in Teil 1 dieser Briefserie thematisiert haben. Als ich Rodja Galli damit beauftragt habe, bestand die Aufgabe einzig und allein darin, die theologische Perspektive von Superhelden-Geschichten zu thematisieren.
Die Verbindung zwischen der Superhelden-Figur «Superman» und Jesus lag auf der Hand: Das RefLab ist ein christliches Projekt, Jesus ist darin die wichtigste Ikone und «Superman» bot verschiedene Parallelen an, um Verbindungen zu schaffen: Superman hat übermenschliche Fähigkeiten, die er aber nur bei Bedarf einsetzt, er wird auf die Erde geschickt, um die Menschheit zu retten. In Richard Donners «Superman» (1978) werden sogar Parallelen zur Dreifaltigkeit gezogen: So erklärt Jor-El seinem Sohn, dass sie für immer eine Einheit sein werden und der eine das Leben des anderen durch dessen Augen sehen wird: «Der Sohn wird der Vater und der Vater wird der Sohn werden.»
Es ist eine Karikatur!
Superhelden sind Karikaturen und als solche übertrieben. Wir müssen das aushalten können. Das englische Wort Cartoon stammt etymologisch von Karikatur (von lateinisch carrus‚ «Karren», also: Überladung, und italienisch caricare «überladen» bzw. «übertreiben»).
Superhelden haben definitorisch übermenschliche Fähigkeiten und sehen üblicherweise nicht wie ein Durchschnittsmensch aus.
Ich argumentierte, die Karikatur sei für unsere Zwecke passend (siehe weiter unten), hatte mit meiner Aussage aber nicht die Absicht, jemanden zu beleidigen oder anzugreifen.
Aber schauen wir uns mögliche grafische Anpassungen konkret an:
- Ja, Jesus wird in der Illustration als weisser Superheld dargestellt. Wir hätten ihn mit einem dunkleren Hautton illustrieren können. Die Frage hätte dann vielmehr gelautet: Welche Hautfarbe müssen wir wählen, damit wir sämtliche Ethnien berücksichtigen und keine diskriminieren?
- Jesus ist muskulös und zementiert ein falsches männliches Bild: Wir hätten ihm einen kleinen Bierbauch verpassen können, der aber (mit wenigen Ausnahmen) nicht zur Stärke von Superhelden gehört.
- Jesus sieht eine Spur zu machoid und hetero aus: Wir hätten ihn queerer darstellen können. Er ist aber auf alle Fälle historisch gesehen ein Mann. Aber was für ein Mann?
- Wir hätten für die Illustration eine Frau heranziehen können. Das haben wir auch diskutiert. Vielleicht Marta oder die Jungfrau Maria. Superheld:innen sind aber tendenziell leicht bekleidet: Eine halbnackte Maria wäre geschmacklos gewesen. Wir hätten aber woker sein können und ihr die ikonischen Kleider verpassen können, die sie in Marienbildern trägt. Oder Jeans. Dann wäre sie aber als Superheldin nicht erkennbar gewesen, sondern im besten Fall als Jungfrau Maria (die, wie viele Mütter wahre Superheldinnen sind). Wir hätten unter die Illustration schreiben können: «Falls Sie es nicht erkannt haben, dies ist die Jungfrau Maria, die hier als Superheldin dargestellt wird.»
Kein Profil
Liebe alle, anhand dieser kleinen praktischen Übung könnt ihr feststellen, wie wir uns aus lauter Übersensibilität und Überinterpretation in eine Sackgasse begeben haben.
Dass man sich für etwas entscheidet, heisst nicht automatisch, dass man gegen die Alternativen ist.
Im woken Einheitsbrei laufen wir Gefahr, allen gerecht werden zu wollen und am Schluss kein Profil zu haben. Und versteht mich bitte nicht falsch: Profil zu haben, heisst partout nicht, rassistisch, dumm, diskriminierend, entwertend oder sexistisch zu sein. Die Haltung und der respektvolle Umgang sind mitentscheidend. Wir können es aber auch übertreiben und Reggae nur den Jamaikanern überlassen, Pizza nur den Italienern und überall einen persönlichen Angriff auf unsere Identität und unsere Werte sehen. Ist das wirklich liberal?
In diesem Diskurs gibt es keine Gewinner:innen. Ich habe mich ebenfalls schreibend über die Empörung empört und fühle mich am Ende dieser Zeilen zynischer als zuvor.
Ich bin auf alle Fälle kein Superheld.
Illustration: Rodja Galli
5 Gedanken zu „Woke me up (2): Please, Keep Calm!“
Diese “Erklärungen” zum “Superjesus” sind ein gutes Beispiel dafür, wie auch in anderen Fällen begründet wird, warum es ein weisser Macho-Mann sein muss… Mit viel Blabla und ohne echte Argumente: Einfach mal einen weissen Mann zu nehmen, weil man sonst ja eine andere Ethnie diskriminieren könnte, keine Frau zu nehmen, weil man sie nur sexistisch darzustellen weiss, … Ansich habe nichts gegen das Bild, aber gegen die “Argumente”, die mir in anderen Situationen etwas abgeändert bekannt vorkommen.. und die dazu führen dass es dann halt doch der weisse männliche Machotyp wird….
Lieber Jo, wir haben uns am Schluss gegen diese Illustration entschieden. Spannend sind die persönlichen Konnotationen mit dem Bild. Ciao, Luca
😃
„So machte dieses Untier mich beklommen,
Von ihm gedrängt, musst’ ich mich rueckwärts zieh’n
Dorthin, wo nimmer noch der Tag entkommen.“
„Manchmal wünschen wir uns Dinge zu tun, jemand zu sein, der wir einfach nicht sein können.“
Vaiana (Disney)
Ich denke, dass die Jesus-Geschichte genügend Elemente enthält, durch die sich die verschiedensten Menschen darin wiederfinden können.
Von daher wäre es sicher auch nicht schlimm gewesen, einen etwas dunkleren und damit, für das Heilige Land, passenderen Hautton zu geben. Dann muss es nicht der weiße Jesus sein.
Nächstes Problem: Wie hätte der queere Jesus ausgesehen? Vielen Queers sieht man nicht an, dass sie sich als queer identifizieren. Wie wäre das also geworden? Klischee von einem geschminkten Mann oder abgeknickten Handgelenk? Mittlerweile gibt es auch Heteros, die sich schminken oder die Nägel lackieren.
Das einzige wäre da vielleicht gewesen, Jesus und Johannes als Batman und Robin.
Ich denke es gibt genügend Darstellungen an denen man sich hätte orientieren können, ohne dass es wieder ein weißer Jesus wurde.