Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 7 Minuten

Bye bye Smartphone, hallo Bücher!

Vor drei Jahren habe ich hier mal einen Blogpost geschrieben unter dem Titel: «Ich wäre so gerne eine Leserin». Seit drei Monaten bin ich nun plötzlich eine.

Ja, wirklich «plötzlich», von 0 auf 100. In dieser Zeit habe ich 9 Bücher nicht nur angefangen, sondern tatsächlich – oh Wunder! – fertiggelesen.

Was ist passiert?

Angefangen hat es mit dem Buch «Verbunden» von Anna Miller, quasi auf der Meta-Ebene. Der Untertitel lautet: «Wie du in digitalen Zeiten wieder Platz schaffst für Dinge, die dir wirklich wichtig sind». Das bringt den Inhalt eigentlich auf den Punkt.

Das Buch hat mich zuerst angesprochen, dann schockiert, dann inspiriert. (Wobei ich die erste Hälfte verschlungen, die zweite mehr überflogen habe.)

Bei meinen Gewohnheiten verbringe ich Stunden, Tage, ja: Jahre mit sinnloser Bildschirmzeit. Während ich gleichzeitig das Gefühl habe, für Aktivitäten wie Bücher lesen zu wenig Zeit zu haben.

Das Problem ist aber im Kern nicht mal die verlorene Zeit.

Bildschirmzeit ist nicht per se negativ. Ich kann online etwas lernen, meinen Horizont erweitern, Kontakte pflegen.

Problematisch ist – für mich – die verlorene Souveränität darüber, wie ich meine Zeit wirklich verbringen will.

Echte Verbindung statt vermeintliche Erholung

Anna Miller fasst im ersten Teil des Buches viele Studien zusammen, etwa dazu

Mich hat das wachgerüttelt. Ich war (einmal mehr…) motiviert, etwas zu ändern.

Im Zentrum der eigenen Auseinandersetzung stand aber jetzt nicht zuerst die Umsetzung, also zum Beispiel die Einschränkung der App-Zeiten oder die Anweisung, bei Wartezeiten an der Bushaltestelle das Smartphone in der Tasche zu lassen.

Zuerst stellt Anna Miller in ihrem Buch nämlich die Frage: Wer willst du sein?

Dazu gehören auch unbequeme Fragen wie: Was vermeide oder suche ich eigentlich, wenn ich nachschaue, ob mir jemand eine Nachricht geschrieben hat? Diese Fragen ehrlich zu beantworten, sagt viel über meine (Un-)Zufriedenheit mit dem eigenen Leben aus. Erschreckend viel.

Durch diese Auseinandersetzung soll die intrinsische Motivation für eine Veränderung der eigenen Gewohnheiten herausgespürt werden. Und dann durch kleine, praktische Massnahmen unterstützt und umgesetzt werden.

Armbanduhr statt Smartphone

Ich habe mit dem Schreiben dieses Blogposts absichtlich einige Zeit gewartet, um zu schauen, ob die Veränderungen wirklich nachhaltig sind. Und tatsächlich: Auch drei Monate nach dem Lesen von «Verbunden» scrolle ich an Abenden auf dem Sofa nicht mehr am Smartphone durch Instagram, sondern lese Bücher. Tadah!

Und das Schöne ist: Es war plötzlich total einfach.

Nachdem ich jahrelang mühsam vergeblich versucht habe, mich selber zu disziplinieren (mit Limitierung der Bildschirmzeit für einzelne Apps zum Beispiel), hat nun ein simples Rezept Wirkung gezeigt: «Aus den Augen, aus dem Sinn.»

Ich muss mich nicht dazu zwingen, eine Bildschirmlimite einzuhalten oder mich von Instagram loszureissen. Tagsüber setze ich mir keine Einschränkung. Für mich reicht es momentan völlig, wenn ich den Abend und den frühen Morgen (weitgehend) smartphonefrei verbringe. Das funktioniert, weil ich ein paar kleine Dinge in meinem Alltag verändert habe:

  1. Smartphone-freier Abend: Sobald ich nach Hause komme, stecke ich mein Smartphone in meinem Büro ans Ladekabel und lasse es dort, bis ich am nächsten Morgen zur Arbeit gehe oder im Home Office mit der Arbeit beginne. Während dieser Zeit schaue ich ein, zweimal nach, ob Nachrichten gekommen sind.
  2. Der Blick auf die Uhr: Ich trage wieder eine Armbanduhr, um nicht regelmässig beim Blick auf die Uhrzeit eine Viertelstunde am Smartphone hängen zu bleiben (und schliesslich doch zu vergessen, wie spät ist).
  3. Verschiedene Geräte für unterschiedliche Zwecke: Um während dem Kochen das «Echo der Zeit» zu hören oder Netflix zu schauen, verwende ich mein iPad. Da ich darauf keine Nachrichten- und Social-Apps installiert habe, werde ich viel weniger zum sinnlosen Scrollen verleitet.
  4. Wecker statt Handy: Ich habe den digitalen Wecker im Schlafzimmer wieder in Betrieb genommen, statt das Smartphone neben dem Bett zu haben. Dies führte nämlich regelmässig dazu, dass ich am Abend oder am Morgen noch eine halbe Stunde auf Instagram verschwendet habe. Als ich das kürzlich wieder mal gemacht habe, konnte ich danach stundenlang nicht einschlafen.
  5. Papier statt App: Den Plan, nach dem ich bei meinem Morgenritual oft in der Bibel lese, habe ich ausgedruckt, statt die dazugehörige App zu verwenden.

Es fühlt sich an, als hätte ich plötzlich sehr viel mehr Zeit. Ich schlafe ruhiger ein und wache oft vor dem Wecker auf.

Ich erweitere meinen Horizont: Die literarische Sprache von Kim de l’Horizon oder fremde Realitäten wie in den Erinnerungen von Usama al Shahmani – sowas begegnet mir nicht im Alltag. Ich habe Bildungslücken gefüllt (Hermann Hesse: Der Steppenwolf) und lasse mich von Etty Hillesum durchs Leben begleiten.

Alles bestens also.

Aber nun ist das ja nur die eine Seite: Ich als Konsumentin.

Und ich als «Influencerin»?

Ich bin Redaktorin, Content Creatorin – mein Beruf ist es, zusammen mit dem RefLab-Team Blogposts, Videos und Podcasts zu produzieren und zu veröffentlichen. Manchmal mehrere am Tag.

Bei RefLab möchten wir unseren Content so vielen Menschen wie möglich zugänglich machen. Damit der Algorithmus uns favorisiert, müssen unsere Videos und Posts möglichst schnell möglichst viele Likes haben.

Das bedeutet, dass wir die Spielregeln der sozialen Plattformen mitspielen müssen. Dass es gut für uns ist, wenn Menschen mehr Zeit bei einem Post von uns verbringen, weil er dann mit höherer Wahrscheinlichkeit auch anderen Usern angezeigt wird.

Dass der Begriff «User» ursprünglich für Drogensüchtige verwendet wurde (worauf Anna Miller in «Verbunden» ebenfalls aufmerksam macht), zeigt die Zweischneidigkeit der digitalen Welt.

Wir stellen an uns selber die Erwartung, mit unseren Posts nicht zum Lärm beizutragen, sondern zum Dialog und indirekt zu einer erfüllten Spiritualität. Unser Slogan lautet: «Less Noise, More Conversation».

Wir möchten nicht nur Klicks und Views generieren, sondern Menschen helfen, ihren eigenen Weg zu gehen. «Wir lernen, diskutieren, zweifeln und hoffen zusammen, als Community», heisst es in unserem Mission Statement.

Gleichzeitig haben wir schon mehrmals die Rückmeldung erhalten, dass es fast too much ist, was man von uns hören, sehen und lesen könnte, und dass das FOMO auslöst («Fear of missing out» – die Angst, etwas zu verpassen).

Deswegen waren wir letztes Jahr in der Fastenzeit sechs Wochen fast durchgehend offline. Und auch dieses Jahr legen wir bei unseren Podcasts eine Sommerpause ein. Damit erhalten sowohl wir als auch unsere Hörer:innen eine Verschnaufpause, in der wir alle uns anderen Dingen widmen können.

Rhythm is it

Denn ich glaube, das ist der Schlüssel, egal ob Nutzer:in oder Creator:in: Ein gesundes Leben braucht einen Rhythmus, braucht Balance.

Digital verbrachte Zeit mögen wir zwar unter «Erholung» verbuchen. Doch es kommt sehr darauf an, wie diese Erholung aussieht – ob wir bei einem Spaziergang Podcasts hören, oder ob wir abends stundenlang TikTok-Videos schauen. Eine Flut an Bildern und Informationen nimmt unser Gehirn als Anstrengung wahr. Wir können dabei nicht entspannen.

Wir brauchen Pausen – Schlaf, Wochenende, Ferien. Das kann ein smartphone-freier Abend sein oder eine Woche Digital Detox.

Die Entwickler:innen von Apps und Sozialen Netzwerken machen es uns unheimlich schwer, solche Pausen einzulegen.

Algorithmen sind darauf angelegt, die User:innen so lange wie möglich bei der Stange zu halten. Völlig egal, wie sehr uns das langfristig schadet.

Es ist deshalb fast unmöglich, den eigenen Handy-Konsum in den Griff zu kriegen, wenn man mal angefixt ist. Aufforderungen zu Self Care und Achtsamkeit, die nur auf Selbstdisziplin beruhen, sind wirkunglos.

Es ist wie beim Joggen: Man muss sich alle Hürden aus dem Weg schaffen, möglichst wenig Zeit haben zum Nachdenken. Einige sagen sogar, in den Joggingkleidern schlafen, um am Morgen keine Ausrede mehr zu haben, direkt mal eine Runde laufen zu gehen.

Deshalb hilft gegen Smartphone-Sucht auch ein so schlichtes wie wirkungsvolles Rezept wie «Aus den Augen, aus dem Sinn» am besten, um sich wieder mehr Freiheit zu verschaffen.

Hast du bis hierher gelesen?

Dann leg das Smartphone doch jetzt weit weg oder steh vom Laptop auf. Geh für eine Viertelstunde an die frische Luft oder lies das Buch, das schon so lange rumliegt.

 

Anna Miller: Verbunden, Ullstein 2023.

Beitragsbild: S O C I A L . C U T auf Unsplash

3 Kommentare zu „Bye bye Smartphone, hallo Bücher!“

  1. Sehr spannender Beitrag. Denke schon länger darüber nach mir einen Wecker statt Smartphone zu holen, vielleicht ist das ja der nötige Anstoss 🙂

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