Less noise – more conversation.

 Lesedauer: 6 Minuten

Ich wäre so gerne eine Leserin!

Auf Twitter geht momentan die #6books6people-Challenge rum: Man fotografiert die sechs Bücher, die man gerade liest, und markiert im Tweet sechs Leute, die ebenfalls ihre aktuelle Lektüre fotografieren sollen. Vor einer Woche (eine Twitter-Ewigkeit) wurde ich nominiert, ich habe die Challenge aber immer noch nicht gemacht. Das einzige Buch, das ich momentan  regelmässig in der Hand habe, ist (neben verschiedenen Bibelausgaben) „Methoden der neutestamentlichen Exegese“. Ansonsten fällt mir kein einziges Buch ein, das ich gerade lese. Geschweige denn sechs! Und ich schäme mich dafür ein bisschen.

An der Nomination für die Challenge bin ich aber wohl selber schuld, immerhin steht in meinem Twitter-Profil „Reader“ in der Selbstbeschreibung. Sieht halt gut aus, ich muss aber leider zugeben, dass das mehr für Blogs und Artikel gilt als für Bücher. Für mein Theologiestudium lese ich ziemlich viel, leider selten ein komplettes Oeuvre, sondern meistens 20-50 Seiten Scans in schlechter Qualität. Wenn ich mir abends vornehme, noch etwas zu lesen, schlafe ich meistens ziemlich bald ein. Und müsste ich mich am Wochenende entscheiden zwischen einem Tag in den Bergen und einem Buch, würde ich jederzeit die Berge wählen. Ausser, es regnet. Dann denke ich: „Perfekter Tag zum Lesen!“ Und man weiss ja, wie es mit solchen Ideen läuft.

Dabei wäre ich so gerne eine „Leserin“! Ich bewundere Menschen, die viele Bücher lesen. Umso mehr, wenn sie mit Zitaten um sich werfen können wie die Pfarrerin Elisabeth Studer im „Holy Embodied“-Podcast. Lesen bildet, bin ich überzeugt. Und es ist gut für die Persönlichkeit: Der Theologe Gerhard Ebeling schrieb einmal, die „Schrift“ lege mich aus und nicht umgekehrt. Und natürlich meinte er damit die Bibel, aber eigentlich gilt das für sehr viele Texte, sofern ich mich dazu in ein Verhältnis setze.

Steckengeblieben bei Kapitel 1, Seite 19

Auf Reisen liebe ich es, in Secondhand-Bücherladen zu schmökern und mich dann mit einem Buch in ein Café zu setzen. (Zuletzt, in Tel Aviv, „Sarah’s Key“ von Tatiana de Rosnay. Das habe ich verschlungen.) Zu Hause gebe ich regelmässig selber Bücher ins Second-Hand, trotzdem habe ich drei volle Bücherregale, und würde ich nicht in einer WG mit begrenztem Platz leben, wären es einige mehr.

Das Problem: Schätzungsweise die Hälfte meiner Bücher ist ungelesen. Was bei anderen die ewigen fünf Kilos zuviel auf den Hüften sind, sind bei mir die ungelesenen oder angefangenen Bücher.

Beim Klassiker „On the Road“ von Jack Kerouac steckt mein Buchzeichen etwa in der Mitte (nachdem ich in mindestens drei Sommerferien wieder von vorn angefangen habe zu lesen). Ungelesen im Regal stehen die (notabene alle ziemlich schmalen) Bücher „Gott“ von Manfred Lütz, „Athetistisch an Gott glauben“ von Dorothee Sölle, „Erlösung“ von Anselm Grün und „Ethik ist wichtiger als Religion“ vom Dalai Lama. Bei Karl Barths Römerbriefkommentar bin ich gerade mal bis Vers 16 von Kapitel 1 gekommen, in der Barth-Biografie von Christiane Tietz habe ich die ersten zwei Kapitel sowie das über Barths jahrzehntelange aussereheliche Beziehung mit Charlotte von Kirschbaum gelesen.

„Tsundoku“ – Bücher kaufen, aber nicht lesen

Eine Wortschöpfung würde sich für diese Gewohnheit anbieten: das Verb „seitern“, von „scheitern“ und „Seite“. Naja, klingt etwas unappetitlich. Die Japaner sagen es schöner: „Tsundoku“ beschreibt die Angewohnheit, mehr Bücher zu kaufen, als man liest. Das Oxford Dictionary schreibt dazu: „The act of leaving a book unread after buying it, typically piling it up together with other such unread books.“

„Nehmen Sie sich doch einfach mal einen Tag Zeit, machen Sie sich eine gute Kanne Tee und dann lesen Sie es durch“, sagte die Bibliothekarin, als ich kürzlich „Das Missverständnis der Kirche“ von Emil Brunner (119 Seiten, davon gelesen: 23) nach einem halben Jahr Ausleihe nochmals verlängerte. Es klingt so einfach.

Vorsätze: Die besten sterben früh

Ich würde das Problem einfach gerne mal in den Griff kriegen. Es muss ja nicht gleich Heidegger sein. Für 2020 hatte ich mir bewusst vorgenommen, mehr zu lesen. Um mich zusätzlich zu motivieren, wollte ich in einem schönen, rosé-glitzernden Notizbuch zu jedem Buch, das ich gelesen habe, eine Seite schreiben. Es sind bisher 9 Einträge. Klingt nach viel, ausser im akademischen Kontext, da sind 9 Bücher gerade mal eine Wochenration. Wenn man aber genau hinschaut, sind da einige Lücken. Das sind meine ehrlichen Einträge:

1. Hope and other Superpowers, John Pavlovitz (Habe ich in den Weihnachtsferien während dem Zusammensetzen eines Puzzles als Audiobook gehört – check.)

2. The Year: Living while preparing to die, Mark Moser (Am 1. Januar als E-Book gelesen, während der Zugfahrt aus dem hartnäckigen Nebel raus, hoch an die Sonne. Als man noch zum Vergnügen zugfahren durfte.)

3. Die drei Leben der Hannah Arendt, Ken Krimstein (Von einem zu Weihnachten erhaltenen Büchergutschein gekauft, gelesen am 5. Januar. Graphic Novel, genialer Trick, um ein dickes Buch schnell durch zu haben, dachte ich. Und dann erst noch so ein intellektuelles. Es blieb leider bei dem einen.)

Erste Januarwoche, und das wars schon mit den Erfolgsgeschichten. Die nächsten Einträge im Glitzerbuch sind leider nur halb ehrlich.

4. This. Becoming Free, Michael Gungor (Hörbuch zu etwa zwei Dritteln durch, dient mir mittlerweile in Schlummer-Portionen von 15 Minuten als Einschlafhilfe.)

5. Humanität, Volker Gerhardt (Nicht aus eigenem Antrieb, sondern für eine Lektüregruppe gelesen, die eigentlich 2019 stattfand, also auch gemogelt. Der Titel sieht übrigens im Regal super intellektuell aus, ich finde das Buch aber weder innovativ noch gut.)

6. Hild, Nicola Griffith (Historischer Roman, dauert dummerweise als Hörbuch über 23 Stunden und enthält gefühlte 42 Hauptfiguren mit schwierig zu merkenden Namen wie „Aethelburh“ und „Breguswip“, also keine Chance.)

7. GRM, Sibylle Berg (NATÜRLICH habe ich dieses Buch angefangen zu lesen. Musste es aber nach 100 Seiten weglegen, weil es mir zu brutal war. Immerhin 100 Seiten – es ist süffig geschrieben.)

8. Greti Caprez: Die illegale Pfarrerin, Christina Caprez (Yess!! Das habe ich fertig gelesen! Gut, die letzten 20 Seiten überflog ich, nachdem das Buch monatelang fast-fertig-gelesen auf meinem Schreibtisch lag und mich dort inzwischen nur noch störte. Blogpost zum Buch übrigens hier.)

9. Liebe dich selbst, und es ist egal, wen du heiratest, Eva-Maria Zurhorst (Als Hörbuch etwa zu einem Drittel gehört, erst sehr hilfreich gefunden, dann aber das Interesse verloren, weil die Autorin in Geschlechterklischees verfiel.)

Tipps?

Nun ist die Frage: Gibt es eine Möglichkeit, Lesen irgendwie in den Alltag zu integrieren? Das RefLab-Publikum kann mir sicher Tipps liefern. Und vielleicht entsteht sogar mal ein RefLab-Lesezirkel? – Oder eine Selbsthilfegruppe.

Photo by Lysander Yuen on Unsplash

7 Kommentare zu „Ich wäre so gerne eine Leserin!“

    1. Evelyne Baumberger

      Lieber Andreas, danke dir für das schöne Feedback, auch das per Mail. Herzliche Grüsse und ganz ein schönes Wochenende!

    2. Ich bin begeistert von deiner Ehrlichkeit und dem offenen Umgang mit dieser Schwäche. Als ich den Beitrag gelesen habe, konnte ich es kaum glauben, dass es noch so jemanden gibt – leider habe ich exakt dasselbe Problem -.-

  1. Jessica Freiburghaus

    Liebe Evelyne

    Als ich sah, dass du einen Eintrag an meinem Geburtstag geschrieben hast, musste ich ihn sofort…LESEN…! 😉

    Mein Tipp: Kinderbilderbücher! Da kannst du
    a.) in Kindheitserinnerungen schwelgen (zB Rägebogefisch)
    b.) die Bilder geniessen (und dir falls du nicht lesen magst deine eigene Geschichte dazu erfinden)
    c.) vorlesen. Geteilte Freude ist ja doppelte Freude. Und falls es wirklich so schrecklich zu lesen ist: geteiltes Leid ist nur halbes Leid 😉
    d.) das Buch in einer Fremdsprache nehmen. zB der Kleine Prinz auf Japanisch. So hast du eine gute Ausrede, weshalb du das Buch nicht fertiglesen konntest…

    Spass bei Seite, es war eine Freude, dich zu lesen! 🙂

  2. Rainer Kirmse , Altenburg

    LESELUST GEGEN CORONAFRUST

    Goethe und Schiller, die Klassik,
    Damals war das Lesen noch Glück.
    Heute ist der Mensch digital,
    Vielen ist das Lesen nur Qual.

    Computer, Smartphone, Internet;
    Verwaist ist manches Bücherbrett.
    So woll’n wir unverzagt werben,
    Das Kulturgut darf nicht sterben.

    Es sollte das geschrieb’ne Wort
    Wieder begeistern die Jugend.
    Die Bibliothek ist guter Ort,
    Zu stärken die Lesetugend.

    Halten wir Bücher in Ehren,
    Bewahren uns die Leselust.
    Hier in des Pegasus Sphären
    Vergessen wir den Alltagsfrust.

    DAS BUCH 📖

    Vom Papyrus über
    Gutenberg zum E-Book

    Größte Erfindung der Menschheit,
    Auf Papier gespeichertes Wissen.
    Dieses Mittel gegen Dummheit
    Sollten wir tunlichst nicht missen.

    Bücher sind ein herrlicher Schatz,
    Für manche auch ein rotes Tuch.
    Spannend erzählt Satz um Satz,
    Sind doch einige auch ein Fluch.

    Der Mensch braucht die Literatur,
    Er hat immer schon geschrieben.
    Ohne Bücher wäre arm die Kultur,
    Nichts von klugen Ideen geblieben.

    Die großen Dichter und Denker,
    Ihre epochalen Werke;
    Dem Leben fehlte ein Lenker,
    Im Geiste wären wir Zwerge.

    Goethe und Schiller nicht bekannt,
    Wohl ein schmerzlicher Gedanke.
    Shakespeare und Tolstoi unbenannt,
    Marx und Bibel nicht im Schranke.

    Trotz aller Untergangsthesen,
    Menschen werden weiter lesen.
    Sie werden dichten und schreiben,
    Die Literatur wird bleiben. 📚

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

RefLab regelmässig in deiner Mailbox

RefLab-Newsletter
Podcasts, Blogs und Videos, alle 2 Wochen
Blog-Updates
nur Blogartikel, alle 2 bis 3 Tage