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 Lesedauer: 4 Minuten

In grossen Fussstapfen

Kürzlich hielt ich meine erste Predigt. Es war der bisher wichtigste Meilenstein in meinem Theologiestudium. Ich hatte wochenlang daran gearbeitet, die Predigt mehrmals geübt, den Text ausgedruckt, mein Outfit geplant. Alles lief nach Plan. Doch dann geschah etwas Überraschendes: Etwas ganz kleines, Unscheinbares, was mir aber auch zwei Monate später noch nachgeht.

Etwa zwei Stunden vor dem Gottesdienst schlich sich nämlich ein Gedanke in meinen Kopf: Ich würde gleich in einer Kirche vor einer Gemeinde stehen. Als Frau. Etwas, was manche gerne würden, ihnen aber auch heute noch verwehrt wird.

Ich stutzte. Nie hatte ich während der Predigtvorbereitung an sowas gedacht. Es erschien mir einfach völlig selbstverständlich!

Es stimmt nicht, dass die Zeit für uns Frauen gespielt hat

Man könnte solche Gedanken auch als überkommen abtun: Die Frage nach dem Geschlecht stellt sich in „meiner“ Kirche gar nicht mehr, Frauen sind gleichberechtigt. Warum gebe ich als reformierte Theologiestudentin ihnen dann also Raum?

„Nicht mehr“ – das ist der Punkt. Die Zeit hat für uns gespielt, könnte man sagen. Aber das stimmt nicht: Es ist viel zu kurz gegriffen. Frauen (und Männer) haben darum gekämpft, dass Frauen endlich Pfarrerin werden können. Haben in und mit Kirchenbehörden gestritten, Protest und böse Worte von Gemeindemitgliedern ertragen, auf Unterstützung aus ihrem eigenen Umfeld verzichten müssen.

Illegal Pfarrerin sein

Gerade habe ich die Biografie von Greti Caprez-Roffler gelesen: „Die illegale Pfarrerin“ (Christina Caprez, Limmat Verlag 2019). Das Buch erzählt die Geschichte einer Bündnerin und ihres jahrezehntelangen Kampfs, das zu tun, was Männer ganz einfach wählen konnten.

Einmal schrieb ihr ein Pfarrer aus dem Nachbardorf, sie solle doch „diese Liebe zum Pfarramt als Opfergabe vor Gott“ ablegen. Die Berufung bereitwillig aufgeben, „opfern“ – wer hat das je von einem Mann verlangt? Erst 1963 wurde Greti Caprez zusammen mit elf anderen Frauen offiziell zur Pfarrerin ordiniert – nachdem sie schon mehr als 30 Jahre lang, teilweise „illegal“, als Pfarrerin gearbeitet hatte.

Die Biografie von Greti Caprez inspiriert mich. Auch in meiner eigenen Geschichte gibt es eine solche: Meine Mutter setzte sich innerhalb eines Freikirchenverbandes dafür ein, dass Frauen Leitungspositionen übernehmen und predigen dürfen. Sie tat dies theologisch wie auch praktisch – unterstützt von meinem Vater, der in dieser Freikirche Pastor war. Ich habe diesen Kampf als Kind nur ansatzweise mitbekommen. Aber ich habe meine Mutter immer als Feministin wahrgenommen und bin stolz auf sie.

Immer noch kämpfen die Frauen

Nun wird mir wirklich bewusst, wie kurz es her ist, dass Frauen Theologie studieren und Pfarrerinen werden können. Erst 1980 schaffte die Zürcher Landeskirche einen Artikel ab, der besagte, dass Frauen nur in Gemeinden mit einem männlichen Pfarrkollegen gewählt werden dürfen.

Dazu kommen die Schwestern aus der römisch-katholischen und aus vielen Freikirchen, die heute noch kämpfen: Die einen gegen ein übermächtiges patriarchales System, wie Jacqueline Straub, Priorin Irene Gassmann und all die unbekannteren Katholikinnen. Die anderen gegen Unverständnis aus den eigenen, konservativen Reihen.

Vor meiner ersten Predigt wischte ich deswegen den Gedanken, der mir so überraschend kam, nicht einfach beiseite. Ich hielt kurz inne und widmete den Gottesdienst innerlich all den Frauen, welche in Kirchen am Predigen gehindert wurden und immer noch werden.

Die Kanzel als Symbol

Kürzlich fragte ich eine Pfarrerin, ob sie manchmal von der Kanzel predige. Die hölzerne Kanzel in ihrer Kirche, rund drei Meter über dem Boden und über eine enge Wendeltreppe zugänglich, wirkte auf mich autoritär: Ich assoziierte damit, dass die Person, die daraus spricht, es besser zu wissen meint als die anderen, Sendungsbewusstsein hat, Macht geniesst. Die banale Antwort der Pfarrerin: Man werde von der Kanzel einfach besser gehört und gesehen. Dann schob sie aber nach: „Gerade als Frau ist es gut, manchmal ganz bewusst von der Kanzel zu predigen. Das sendet ein Zeichen.“ Sie brauchte nicht mehr dazu zu sagen.

Und so tragen wir Theologiestudentinnen und Pfarrerinnen sie alle mit: Die Frauen, die gekämpft haben. Die Männer, die sich für sie einsetzten. Die Frauen, die am Predigen gehindert wurden, und – bis Ende des 19. Jahrhunderts – sogar am Studieren. Die Frauen, die heute in anderen Kirchen für gleiche Rechte kämpfen. Frauen, die ihren Beruf nicht ausüben durften, nicht gewählt wurden, vor deren Predigten Menschen die Kirche wieder verliessen. Wir tragen sie mit.

Das mag unnötig klingen, in unserer Kirche und im 21. Jahrhundert. Aber es ist wichtig. Immer noch.

Bild: Nachlass Greti Caprez-Roffler

Publikation: 100 Jahre Frauenordination in Zürich (PDF-Download)

2 Kommentare zu „In grossen Fussstapfen“

  1. Andreas Schweizer

    Oh wie schön Du das sagst, wie tief, und in so „normaler“, verständlicher Alltagssprache. Schön, dass Du auf dem Weg zur Pfarrerin bist, Du bist ein Gewinn für die Kirche. Danke. Ich wünsche Dir von Herzen Gottes Segen dazu.
    Andreas

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