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 Lesedauer: 4 Minuten

Was wirklich zählt

Kobe Bryant ist tot. Er ist am letzten Sonntag bei einem Hubschrauberabsturz zusammen mit einer seiner Töchter gestorben. Sein Name ist mit den Los Angeles Lakers verbunden, wie Michael Jordan mit den Chigago Bulls und beides sind Köpfe, die zu meinen Teenagerjahren zählen. Giganten der Lässigkeit, zu denen ich aufgeblickt habe.

Kein Nachruf

Aber das wird kein Nachruf. Das können andere besser, die dem Basketball treu geblieben sind und die mit mehr mit ihm verbindet als mich. Es geht mir um die Schwierigkeit um jemanden oder um etwas zu trauern in einem allgemeineren Sinn. Innerhalb meiner Social-Bubble hat sich unter den sozialkritischeren Zeitgenoss*innen Skepsis um das öffentliche Trauern breit gemacht. Nicht um jedes Trauern. Also nicht bei Tsunamis, Erdbebenkatastrophen oder anderen grossen Unglücken. Sondern vor allem bei der Trauer um jemand bestimmtes oder etwas einzelnes.

Ein kleiner Schaden, oder?

Bestimmt hätte ich das schon längst bemerken können. Aber zum ersten Mal ist es mir letztes Jahr im April aufgefallen, als die Notre Dame brannte. Noch während sie in Feuer stand und wankte, versprach Emmanuel Macron den vollständigen Wiederaufbau binnen fünf Jahren und Menschen sammelten Millionen für Rettung und Erhalt der Kathedrale. Mich hat das gerührt. Es war als ob sich ein grosser Teil unserer Gesellschaft um etwas herum versammelt, das uns – egal wie wir zu Kirchen, Religionen oder Architektur sonst stehen – etwas wert ist.

Auf Facebook und Twitter gingen gleichzeitig Memes viral, die brennende Wälder, verhungernde Menschen oder Slums zeigten, um die sich keiner kümmert, während alle entsetzt auf die Notre Dame blicken. Die Logik dahinter ist bestechend: Wir töten jeden Tag industriell unzählige Tiere, lassen Menschen zuhauf an Krankheiten sterben, die man medizinisch behandeln könnte, holzen Wälder ab, brandroden ganze Waldteile, die grösser sind, als die Schweiz. Verglichen damit ist doch die Notre Dame ein kleiner Schaden, oder?

Der Tod eines Menschen

Und jetzt wieder: „Kobe Bryant. Warum soll uns das interessieren?

Ein Mensch stirbt. Na schön. In anderen Ländern herrscht Bürgerkrieg und keinen interessiert es.

Im Mittelmeer ertrinken Menschen, die sich keine Helikopterflüge leisten können. Die sollen mal das in den Nachrichten bringen. Interessiert einfach keinen.“ Ja, stimmt. Klingt alles ganz logisch.

Aber voll falsch!

Es stimmt, dass unsere Aufmerksamkeitsökonomie nicht fair ist. Nicht immer die ärmsten Opfer erhalten die meiste Beachtung und nicht immer die grössten Sieger*innen den meisten Applaus. Aber: Kobe Bryant, Prinzessin Diana, Johannes Paul II. oder Amy Winehouse sind eben nicht einfach Personen, um die wir trauern. Sie sind symbolisch aufgeladen. Verkörperungen von Jugenderinnerungen, von Sehnsüchten, Erinnerungen an tröstende Musik, Institutionen.

Würde ist unbedingt.

Man kann sie nicht einfach utilitaristisch verrechnen. Die Gleichung „Eine Amy Winehouse ist doch nicht wichtiger als tausend Flüchtlinge!“ klingt zwar logisch, ist aber falsch. Hier wird Bedeutung mit Würde gleichgesetzt. Das ist doppelt schief:

  1. Würde kann man nicht aufrechnen. Auch tausend Amy Winehouses haben nicht mehr Würde als ein Flüchtling. Würde hat kein quantitatives Mass. Würde ist unbedingt.
  2. Bedeutung und Würde korrelieren gar nicht. Würde hat jeder Mensch. Sie ist unverbrüchlich. Würde hast du – das ist die Pointe – egal was du tust. Wert hingegen haben wir immer in den Augen anderer. Sie mögen uns unter- oder überschätzen. Das liegt an ihnen.

Symbole sind wertvoll – wenn du willst

Kobe Bryant und Amy Winehouse sind für die meisten von uns keine Mitmenschen, sondern symbolische Verdichtungen unserer Welterfahrung und Lebensdeutung. Als solche bedeuten sie uns mehr, als das andere Menschen tun. Weil wir sie gemeinsam mit Bedeutung aufgeladen haben. Das gilt auch für Gebäude, Tiere oder Orte. Um sie zu trauern und sie zu feiern hilft uns als Gesellschaft gegen Vereinzelung. Als Lebende und mit ihrem Tod, in ihrer Pracht und im Zusammensturz vermögen sie Menschen zu verbinden und das Gemeinschaftliche in der Gesellschaft zu beflügeln. Und das sollten wir uns nicht von buchhalterischen Zweckrationalisten wegrechnen lassen. Weil es wirklich zählt. Traurig, dass Kobe Bryant so jung sterben musste.

 

2 Kommentare zu „Was wirklich zählt“

  1. Brigitte Schlatter

    Das ist ein wunderbarer Text und spricht mir aus Herz und Seele…Danke Stephan Juette, da ist viel Tiefgang und Liebe. Für mich gehören Liebe, Tiefe und Würde zusammen..

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