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 Lesedauer: 3 Minuten

Die tröstende Kirche, oder: Domestizierte Religion

Die Kirchen haben viel Presse in diesen Corona-Zeiten. Und sie haben gute Presse! Wenn in den letzten Jahren in der weltlichen Presse von Kirchen die Rede war, dann doch fast nur, wenn – bei den Katholiken – ein Priester Knaben zu nahe gekommen war. Oder wenn – bei den Reformierten – über die Ehe für alle gestritten wurde. Und wenn über anderes berichtet wurde, dann ganz sicher mit dem obligaten Vorspann, dass den Kirchen die Schäflein davon laufen würden und die Kirchenbänke leer seien.

Das Interesse der Öffentlichkeit

Und nun plötzlich dies: Interviews mit ganz normalen Gemeindepfarrerinnen. Die Öffentlichkeit scheint sich zu interessieren für Seelsorge in Krisenzeiten. Oder die Art und Weise, wie mit dem Gottesdienstverbot umgegangen wird. Und der einzige Skandal ist, dass ein Weihbischof die Meinung vertritt, durch die Hostie könne kein Virus übertragen werden. Was ja in der Tat skandalöser Mumpitz ist.

Viel gute Presse.

Und doch werde ich mit dem, was zu hören und zu lesen ist, oft nicht recht froh. Etwas an der Tonalität stimmt bei allem Positiven nicht.

Immer wieder höre ich das Wort «Trost». Menschen wenden sich in dieser Corona-Zeit vermehrt an Seelsorgerinnen und Seelsorger. Weil sie, so wird man informiert, Trost suchen. Nicht, weil sie endlich mal wieder die Stimme der Pfarrerin hören möchten. Oder fragen, wo man sich melden könne, wenn man jemanden sucht, der einem die Einkäufe macht.

Ähnlich beim Gottesdienst: Gottesdienste am Fernsehen oder online werden vermehrt eingeschaltet oder angeklickt, weil Menschen Trost brauchen. Nicht, weil eine liebe Gewohnheit nicht mehr möglich ist. Oder weil man plötzlich mehr Zeit hat, wo sonntägliche Besuche und Ausflüge wegfallen. Oder weil man entdeckt hat, dass es im Leben noch anderes gibt als Erfolg, Geld und den letzten YB-Match.

Die Kategorisierung der Religion

Die ganze Vielfalt von möglichen Motiven schnurrt zusammen zu dem einen: Trost. Warum wohl? Die Antwort scheint mir klar:

Religion wird damit kategorisiert, handhabbar, harmlos.

Es ist das übliche Klischee, seit der klassischen neuzeitlichen Religionskritik von Feuerbach, Marx, Nietzsche und Freud x-fach variiert und mittlerweile zum common sense geworden: Religion gibt es für die, die Halt und Stütze brauchen. Denen etwas fehlt, denen geholfen werden muss. Und die, so der Folgegedanke der Religionskritik, nicht wissen, dass sie mit Gott, Engeln und Aposteln einer alten Scheinlösung aufsitzen, dem «Eiapopeia vom Himmelreich», wie Heinrich Heine dichtete.

Religionskritisch ist die Rede von der Religion als Trost wohl meist nicht gemeint. Aber das reflexartig bemühte Klischee sortiert Religion auf jeden Fall dort ein, wo man sie als säkulare Gesellschaft gerne hat. Als mehr oder weniger willkommene Nothelferin, als Einrichtung für die, die es nötig haben. Und nicht als prophetischer, unbequeme Fragen stellender Einspruch gegen unsere Art, zu leben. Eine derart domestizierte Religion stört niemanden. Denn sie sagt das nicht, was sie – in der Version des Neuen Testaments – ausmacht: «Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.»

Fazit: Die gute Presse, die der Kirche zurzeit zugedacht wird, ist mindestens ambivalent.

 

11 Kommentare zu „Die tröstende Kirche, oder: Domestizierte Religion“

  1. Ich spiele jetzt denke ich Teufels Advokat. Aber gerade in Europa wo wir viel Erfahrung mit zu mächtigen Religionsgemeinschaften gemacht haben, ist eine Religion die berechenbar und domestiziert sicher besser als eine Organisation die sich über weltlichen Angelegenheiten sieht. Die Kirche war seit der Neuzeit auch alles andere gemacht als die unbequemen Fragen zu stellen, sie war auch immer ein Produkt des vorherrschenden Zeitgeists, davon kommen denke ich auch die Misshandlungen in Einrichtungen der Kirche, nicht nur die Kirche war das Problem, sondern das Wegschauen der Anderen, weil die Kirche ja nicht weltlich, sondern was besseres war. Ich messe die Kirche gerne an den Ansprüchen die hier im Artikel gefordert werden und lasse mich gerne überraschen in Zukunft.

  2. Ich frage mich, ob sich nicht die Kirche selbst diese Rolle für sich eingenommen hat, da sie zuwenig Mut hatte, sich wirklich einzumischen. Eigentlich, so denke ich, bräuchte es eine Kirche, die eine christliche Ethik einfordert und sie verteidigt, dafür wirbt und streitet.

    1. Matthias Zeindler

      Sehr einverstanden. Die Kirche hat kräftig mitgewirkt daran, dass sie heute im Trostwinkel steht. Ein zweifelhafter Erfolg!

    2. Susanna Meyer Kunz

      Als Seelsorgerin, die sich in Covid-19 Zeiten täglich mehrere Stunden bei Betroffenen aufgehalten hat und gemeinsam mit Angehörigen an Sterbebetten gestanden ist muss ich einfach sagen. Ja, die Kirche ist auch da um zu trösten, nicht mehr und nicht weniger. Denn wer kann es sonst tun, wenn alle anderen ausgesperrt sind? Die Kirche ist auch da um ihr Wächteramt wahrzunehmen. Sie hat sich mit ihren Spezialseelsorgenden vehement für die Umsetzung der WHO Richtlinien eingesetzt: Nämlich, dass es möglich sein muss, Abschied zu nehmen von Sterbenden und Verstorbenen. Da hat sie sich zum Teil sehr weit aus dem Fenster gelehnt in den Institutionen. Ich werde den Verdacht nicht los, dass diese Debatte vom öden Homeoffice aus in grosser Unkenntnis geführt wird.

      1. Matthias Zeindler

        Liebe Susanna
        Ich hoffe nichts gegen die Seelsorge gesagt zu haben. Deren Arbeit in dieser anspruchsvollen Zeit erfüllt mich mit grosser Hochachtung. Als problematisch empfinde ich lediglich die einseitige Aussenwahrnehmung dessen, was die Kirche tut.
        A propos Unkenntnis: Meine Frau ist Heimseelsorgerin und verbringt täglich mehrere Stunden bei Betroffenen. Ich weiss also bestens, wovon Du sprichst.

  3. Wohl wahr, Religion darf nicht kategorisierbar, handhabbar und harmlos sein. So verliert sie ihre Würze und die Kraft zur Veränderung. Soweit bin ich ganz bei Ihnen. Doch zeigt sich nicht gerade im Trost spenden gerade auch die Würze der Religion? Ich würde eben diese klassische neuzeitliche Religionskritik auf den Kopf kehren. Es stimmt, die Religion hat die Kraft, Trost zu spenden. Ich bin stolz darauf. Da mögen die Gelehrten und Klugen spotten und sich mächtig erhaben fühlen, sollen sie doch. Ich will nicht sitzen wo die Spötter sitzen. Denn ist es nicht der Trost, der dazu führt, dass niedergeschlagene Menschen und ganze Völker mit erhobenem Haupt und gutem Gewissen aufstehen können und zum Handeln motiviert werden? Aus der Bibel klingt doch eine mächtige Trostbotschaft, gerade auch an die Schwachen und Unterdrückten. Man denke an die Exodus-Geschichte, welche bis in die Neuzeit hinein ihren Niederschlag in die Weltgeschichte gefunden hat. Durch die ganze Bibel hindurch wird der Mensch als ein Wesen dargestellt, welches Trost nötig hat. Der Trost macht stark. Die Verachtung der Schwachheit, welche in der Verachtung der trostspendenden Religion zum Ausdruck kommt, ist doch selber das Opium des Gelehrten, dank dem er sich dem allgemeinen Volk gegenüber erhaben und überlegen fühlen kann.

  4. „Wer jetzt keinen Trost braucht, ist wohl nicht ganz bei Trost.“ Dieses Wortspiel kam mir in letzter Zeit manchmal in den Sinn, denn es ich brauchte Trost, wenn ich die Situation vieler Menschen bei uns und in der Welt betrachtete – und brauche ihn auch jetzt noch. Das Gefühl von Sinnlosigkeit, Trauer, Angst, Einsamkeit und Verzweiflung vieler Menschen wahrzunehmen und ernstzunehmen ist doch gerade jetzt eine wichtige Aufgabe der Kirche. Wer sollte dies tun, wenn nicht wir? Und ich kann nachvollziehen, dass theologische Laien und Nicht-Kirchgänger, wie es viele Journalisten nun mal sind, unsere seelsorgerliche Aufgabe auf den Begriff „Trost“ reduzieren. Das muss ja keine billige Vertröstung bedeuten. Vielmehr geht es jetzt darum, den Menschen zu helfen, die Sinnlosigkeit der Situation auszuhalten, sie zu ermächtigen und zu stärken. Das ist eine zutiefst spirituelle Aufgabe, die mit dem Begriff „Trost“ vielleicht unzureichend, aber sicher nicht falsch wiedergegeben wird.

  5. Ich freue mich über die Berichte und Interviews in den Medien über und mit seelsorgenden Pfarrpersonen und ihren Begegnungen mit Menschen auf Augenhöhe, zum Beispiel in der letzten Coopzeitung mit einem katholischen Seelsorger aus dem Kantonsspital Aarau. Ich sehe nicht, dass damit die Kirche/Religion in die Ecke des billigen Trosts gedrängt wird.

  6. PS: Zudem liegt halt in einer Krise der Fokus mehr auf der um einen Tick systemrelevanteren Seelsorge und nicht auf der Dogmatik.

    1. Matthias Zeindler

      Ou ja, Dogmatik auf keinen Fall. Wer will denn sowas? Wer braucht Theologie, um zu trösten?
      All das kommt zwar im Blog nicht vor, aber es ist gut, wird es mal wieder gesagt!

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