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 Lesedauer: 5 Minuten

Woke me up (4): Der gekreuzigte Superman

Ein grossartiges Cover

Ich kann mir nicht helfen: Ich finde die Illustration, die unserer Superhero-Blogserie als Cover hätte dienen sollen, einfach grandios. Und auch wenn ich sicher nicht den Ruf habe, starrköpfig und unbelehrbar zu sein, so geht es mir doch auch nach vielen Diskussionen über das Bild noch immer so:

Der Jesus im Superman-Outfit, der an einem schematisierten Kreuz hängt und dabei seine superheldische Würde nicht verliert, wäre eine wunderbare Steilvorlage für unsere Blogserie gewesen.

Schon ganz oberflächlich gelesen verbindet die Darstellung auf augenzwinkernde Weise die beiden Welten, deren Schnittmenge wir mit unseren Beiträgen erhellen möchten: Die Welt der Superheld:innen von DC, Marvel und Co., und die Welt der Religion und des Glaubens, im Besonderen des christlichen.

Damit werden Fragen evoziert, die sich zu besprechen lohnen: Können die modernen Superhelden die Götter und Erlöserfiguren früherer Zeiten beerben? In welcher Hinsicht lässt sich Jesus Christus als Superheld lesen? Und warum geht dieses Bild so offensichtlich nicht auf – warum ist es irritierend, verstörend, widersprüchlich oder witzig, aber ganz sicher nicht angemessen?

Die Kraft der Satire

Denn natürlich wird sofort klar, dass es sich hier um ein ironisches, satirisches Werk handelt:

Niemand (noch nicht einmal der fundamentalistischste amerikanische Evangelikale) schaut auf dieses Bild und denkt sich: «Jawohl, genauso stelle ich mir den Jesus vor…».

Das Bild projiziert vielmehr die im 20. Jahrhundert geprägten Vorstellungen eines makellosen, gestählten, mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestatteten – und ja: eines weißen und männlichen Superhelden – zurück auf die Figur Jesu Christi.

Der Gekreuzigte wird damit bewusst verfremdet, verzerrt, verzeichnet. Man könnte auch sagen: Er wird entstellt, gerade indem ihm keine Entstellungen zugemutet werden. Denn so ist er sicher nicht gestorben, der geschundene, gegeißelte, verspottete und verängstigte Gottessohn.

So werden nicht nur die Grenzen der Übertragbarkeit von Superhelden-Motiven in christliche Vorstellungswelten aufgezeigt, sondern darüber hinaus auch problematische Ideen von Heldentum und Übermenschlichkeit entlarvt: Der (all)mächtige weiße Mann als Erlöser und als normative Verkörperung des wahren Menschseins wird gerade dadurch lächerlich gemacht und in seiner Unhaltbarkeit angeprangert, dass man seine Merkmale auf Jesus von Nazareth, einen gedemütigten Juden aus dem mittleren Osten überträgt.

Der toxisch-männliche Superheld wird buchstäblich an Kreuz geschlagen – die Wundmale an Händen und Füssen sind deutlich sichtbar. So gut ist Satire, wenn man sie nur lässt.

Kein schwarzer Jesus

Das ist dann auch der Grund, warum ich mit der Illustration keinerlei Probleme habe, wohl aber mit der Idee, die wahrgenommene «Problematik» des Bildes zu entschärfen, indem die Haut des Superhelden-Jesus dunkel eingefärbt wird.

Das geht nun wirklich gar nicht.

Denn mit einem schwarzen Superhelden-Jesus würde die ironische Brechung des Bildes aufgehoben. Das wäre nicht nur völlig humorlos, es wäre auch hochgradig rassistisch.

Eben weil ein solchermaßen angepasstes Bild dem Klischee des weißen Retters nicht mehr entspräche, könnte es dieses auch nicht mehr demaskieren. Vielmehr würde die Betrachterin zu einer wörtlichen Lesung gezwungen und ihre Aufmerksamkeit unwillkürlich auf die Hautfarbe des abgebildeten Superhelden gelenkt (ähnliches könnte von einer weiblichen Jesusfigur gesagt werden):

Warum wird hier ausgerechnet ein schwarzer Superheld ans Kreuz geschlagen? Wieso muss gerade ein Schwarzer dafür herhalten, die Absurdität eines makellosen, gestählten, übernatürlich befähigten Gekreuzigten zu illustrieren? Und warum sollte ich mich über einen dunkelhäutigen Jesus lächerlich machen?

Im Rückgriff auf die von James Cone prominent vertretenen Einsichten einer black liberation theology wird man sagen müssen:

Gerade weil (!) Jesus als Fürsprecher und Vertreter der Unterdrückten und Vergessenen, der Übervorteilten und Randständigen im übertragenen Sinne sehr wohl als «schwarz» verstanden werden kann, darf man den Superhelden in einer solchen Darstellung nicht entsprechend kolorieren.

Dass das für unser Team nicht völlig unstrittig war, hat mich dann wiederum ratlos zurückgelassen.

Unterschiedliche Wahrnehmungen

Sicher könnte man (ich!) an diesem Punkt auch einmal auf die Bremse gehen, etwas Distanz gewinnen und zugestehen: Hallo? Es geht nur um ein Coverbild! Das ist kein Streit und keine Frontenbildung im Team wert.

Aber irgendwie ging es dann doch allen um mehr.

Evelyne hat im letzten Beitrag erzählt, wie sehr ihr die Diskussion um den toxischen Superman-Jesus nachgegangen ist und welche Befürchtungen sie mit der Idee verbindet, eine Blogserie unter den Vorzeichen dieser Illustration auf RefLab zu veröffentlichen. Den biografischen Hintergrund ihrer Wahrnehmungen hat sie sehr offen dargelegt, und um ihre Erfahrungen mit männerdominierten und frauendiskriminierenden Submilieus des Evangelikalismus ist sie sicher nicht zu beneiden.

Der ehrliche Austausch über diesen Wahrnehmungskontext hat mir sehr geholfen und mir ermöglicht, Dinge einzuordnen oder auch stehen zu lassen, wenn ich sie nicht verstehe – denn in der Einschätzung des Coverbildes werden wir uns auf dieser Seite der Ewigkeit wohl nicht mehr einig werden.

Ich selbst war von den Diskussionen aber auch eigenartig angefasst. Zunächst, weil ich mich plötzlich genötigt fühlte, mich für das Vorhaben zu rechtfertigen, mit einem (damals) ausschließlich männlichen Autorenteam eine Blogserie über Superheld:innen zu schreiben. Die Befürchtung lag meiner Wahrnehmung nach in der Luft, dass unter solchen Voraussetzungen unweigerlich toxische Männerbilder repristiniert würden und der Testosteronspiegel ungebührlich ansteigen könnte.

Das habe ich als Misstrauensvotum meinen männlichen Teamkollegen (und mir!) gegenüber aufgefasst. Kennen wir uns nicht lange genug, sind wir nicht freundschaftlich und einvernehmlich genug unterwegs, dass von Anfang an klar sein darf, dass auch ein rein männliches Schreiberteam die Fähigkeit und den Willen hat, Männerbilder in Superheldengeschichten kritisch und sensibel für den gegenwärtigen Diskurs zu interpretieren? Haben wir uns dieses Vertrauen nicht redlich verdient?

Sofort wurde mir daraufhin versichert, dass es nicht um einen grundsätzlichen Argwohn mir oder unseren männlichen Teamkollegen gegenüber geht, sondern nur um die Wahrnehmung des Covers – und ich will das auch glauben.

Die Auseinandersetzungen um das geplante Superhelden-Cover machen mir aber klar, wie sensibel gerade solche geschlechterbezogenen Wahrnehmungsdifferenzen und Erfahrungskontexte sind – und dass es ohne ehrlichen Austausch, persönliche Begegnung und Entgegenkommen nicht geht. Darum haben wir das umstrittene Bild dann auch durch die Spiderman-Alternative ersetzt.

Alle Beiträge zu «Woke me up»

1 Kommentar zu „Woke me up (4): Der gekreuzigte Superman“

  1. … völlig unbiblisch (!) die ganze Sache um Superhero-Jesus: „Denn sie waren starr vor Angst und Entsetzen. Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich“ (Mk 16,8), heißt es von den ersten Zeugen des gekreuzigten Auferweckten, die wirklich und wahrhaftig Zeuginnen waren. Ein bisschen weniger viel Lärm um Nichts, wäre mehr, finde ich.

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