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Woke me up (3): Weg mit dem christlichen Patriarchat

Dieses Bild von «Muscle Jesus» hat mir eine schlaflose Nacht beschert. Auf meine Kritik an der Illustration schrieb mir mein Co-Leiter Manu, dass er bei diesem Thema noch Redebedarf sehe. Wir verabredeten uns für den kommenden Morgen zum Telefonieren, und weil ich einen Streit befürchtete, lag ich nachts wach.

Dabei hielt ich meine Kritik an der geplanten Illustration zur Serie «Gods and Superheroes» eigentlich für ziemlich sachlich: In den USA hat sich genau um dieses Jesusbild herum eine Bewegung von religiösen Rechten gebildet. Mit einem patriarchalen, rassistischen Verständnis des Christentums wollen sie die Rechte von Frauen, von Nicht-Weissen-Menschen und von Menschen mit Beeinträchtigungen einschränken.

Dieses Jesus-Bild übernimmt 1:1 bestehende Bilder und ich halte es für brandgefährlich. Die Illustration von Rodja ist stark wie immer – aber inhaltlich vermisste ich die für ihn typische Ironie.

Doch das ist nur die eine Facette. Als ich dir, Manu, am Telefon den ganzen Kontext für meine Kritik am muskulösen, hypermaskulinen Jesusbild gab, kämpfte ich mit den Tränen. Du hast geduldig zugehört und ich merkte, dass du meine Erklärungen verstanden hast.

Ich fasse sie hier nochmals zusammen. Ich hoffe, dass spätestens mit dem Beispiel am Ende des Briefes ersichtlich wird, warum meine Kritik an der Jesus-Superman-Illustration keine Übersensibilität ist, wie du, Luca, schreibst, sondern für mich als Frau und Theologin existenziell ist.

Feminismus – oh mein Gott!

Die fehlende Wahrnehmung von nicht-männlichen (auch nicht-weissen, nicht-cis-hetero, nicht-westlichen etc.) Theolog:innen ist schon lange ein Thema für mich. Vor acht Jahren startete ich sogar eigens dazu einen Blog. Er hiess «Feminism – OMG!», und mein Anliegen war, darauf aufmerksam zu machen, wie ungleich die Geschlechterverteilung christlicher (v. a. evangelikaler) Events und Teams war, zum Beispiel hier. Und wie wichtig es wäre, daran etwas zu ändern.

Mittlerweile stehe ich selber auf Bühnen solcher Events. Denn zwei Jahre nach dem Start meines Blogs habe ich begonnen, Theologie zu studieren, und bin später beim RefLab gelandet.

Im Studium ist Feminismus kaum ein Thema, zumindest nicht an der theologischen Fakultät der Universität Zürich – geschätzte 95 % meiner Zeit, ohne Übertreibung, habe ich mit Texten von Männern verbracht.

Und es reicht mir. Ich habe die Nase gestrichen voll von dieser Einseitigkeit.

Gott ist kein Mann

Jesus war ein Mann, ja. Doch indem wir hypermaskuline Jesusbilder verwenden (auch wenn wir dies unserer Ansicht nach ironisch tun), kolportieren wir ganz viele Dinge, die theologisch nicht gegeben sind. Ein männliches Gottesbild zum Beispiel.

Es gibt in der Bibel auch weiblich konnotierte Gottesbilder oder solche, die gar nicht in dieses binäre Schema passen.

Feministische Theolog:innen haben darauf aufmerksam gemacht, dass wir nach zweitausend Jahren theologischer Tradition vieles in die Bibel hineinlesen, was eher unserem patriarchalen Weltbild entspricht als dem, was da steht.

Oder Orte, wo der Text eigentlich Spielräume liesse, maskulin vereindeutigt werden. Etwa wenn der unaussprechliche Gottesname «JHWH» immer noch mit «der HERR» wiedergegeben wird – in vielen Bibelausgaben sogar mit Grossschreibung.

Oder dass biblische Texte sogar bewusst anders überliefert wurden (wie im berühmten Fall der Junia, die zum «Junias» gemacht wurde, weil eine Apostelin nicht zum Verständnis der damaligen Kirchenmächtigen passte).

Und es gäbe sie auch, quer durch die Kirchengeschichte: die Theologinnen mit bedenkenswerten, eigenständigen Ansätzen. Warum wird nur von Leonhard Ragaz gesprochen, und nicht von der religiösen Sozialistin und christlichen Frauenrechtlerin Clara Ragaz? Warum wird zur Kirchengeschichte des Mittelalters Abaelard gelesen, aber nicht Hildegard von Bingen oder Margarete Porete? Warum erhält Jürgen Moltmann so viel mehr Aufmerksamkeit als seine Frau Elisabeth?

Viele blinde Flecken

Auch im RefLab tragen wir unbewusst diese patriarchalen Muster weiter. Etwa, wenn in der «Ausgeglaubt»-Staffel zu christlichen Bestsellern von 19 (!) besprochenen Büchern ein einziges (!) von einer Frau stammte.

Stephan und Manu haben sich bei der Auswahl an Verkaufszahlen orientiert. Doch dazu müsste man beachten, dass sich das Marketing von christlichen Verlagen bei Büchern von Autorinnen oft völlig unabhängig vom Thema an Frauen richtet, was etwa die Gestaltung des Covers angeht. Dies reduziert das potenzielle Publikum schon einmal um die Hälfte, und so spiegeln auch die Verkaufszahlen eine strukturelle Diskriminierung.

Bücher von Männern sind für alle, Bücher von Frauen erst mal nur für Frauen.

In diesem zugrundeliegenden Verständnis wird die theologische Auffassung kolportiert, dass nur Männer vor einer gemischtgeschlechtlichen Zuhörer:innenschaft lehren und predigen dürfen.

Als Frau darfst du nicht predigen

Diese Überzeugung wurde in der reformierten Kirche der Schweiz vor gut 100 Jahren mit den ersten Frauenordinationen langsam abgesägt. In vielen Freikirchen gilt sie noch heute.

Ich erhielt selber einmal auf eine Übungspredigt an einer freikirchlichen theologischen Ausbildungsstätte, wo ich einen Kurs machte, folgendes Feedback:

«Der Begriff ‹Predigt› in der Aufgabenstellung soll nicht als eine Empfehlung der Verkündigung von Frauen vor gemischtem Publikum verstanden werden. Darum brauche ich hier in der Auswertung bewusst den Begriff ‹Bibelarbeit›, obwohl ‹Predigt› an sich unproblematisch ist, denn Predigten von Frauen für Frauen oder Kinder werden natürlich von allen bejaht!»

Noch heute trifft es mich, wenn ich das lese. Ist das verständlich?

(Ich habe mich natürlich gewehrt, und das Mandat des Gastdozenten wurde u. a. wegen dieses Feedbacks von der betreffenden Schule nicht verlängert.)

Context matters

Ich bin in vielen Bereichen meines Lebens privilegiert. Aber als Theologin bewege ich mich nach wie vor in einer Männerdomäne, was Wissenschaft, Macht und Repräsentation angeht. Und die Auswirkungen des christlichen Patriarchats erfahre ich oder höre es von Kolleginnen beinahe jeden Tag.

Feminismus ist deswegen für mich keine abstrakte politische Kampfbewegung und keine Nebensächlichkeit. Sondern er kommt aus tagtäglichen Erfahrungen, die Frauen (bzw. weiblich gelesene Personen) machen.

All diese Diskriminierung, die Verletzungen, das Unsichtbarmachen werden in betont männlichen Gottesbildern weitergetragen – und es bräuchte deutlich mehr Ironie als im Entwurf der Jesus-Illustration, um diesen Effekt zu brechen.

Mich für mehr Diversität einzusetzen, gehört deswegen zu meinem Verständnis meiner Berufung. Auch im RefLab.

Wir hatten bereits mehrfach Diskussionen deswegen und wir werden diese vermutlich auch in Zukunft wieder führen. Dass wir die aktuelle mit diesem Briefwechsel reflektieren und transparent machen können, finde ich toll. Und vielleicht führt es dazu, dass ich nächstes Mal deswegen weniger lang wach liege.

 

Alle Beiträge zu «Woke me up»

9 Kommentare zu „Woke me up (3): Weg mit dem christlichen Patriarchat“

  1. Solche ähnlichen Gedanken hatte ich auch zum Bild. Ja, auch mir ist es zu wenig klar „Karikatur“. Zusätzlich bin ich noch der Meinung dass Jesus eher ein Anti-Held war. Er rettete die Juden nicht von den Römern und gab sich mit „Randgruppen“ ab. Der Superheldenjesus zeigt ein Bild, das viele gerne hätten/gehabt hätten. Auch für mich ist auch ein Abbild eines patriotischen, sexistischen, homophoben, tendenziell rechten „Christentums“,wie es vorallem aus den USA bekannt ist, das es aber auch bei uns gibt. Neulich sah ich ein Auto mit „christlichen“ Aufklebern und einem L(liberty)G(guns)B(beer)T(trump) Sticker, für mich ein Bild dieses Glaubens, mit dem ich so gar nichts zu tun haben möchte. Zu der Sichtbarkeit der Frauen: Ein Blick in die Leitungsteams von v.a. evangelikalen Kirchen zeigen die traurige Realität. Zu sehr ist der Complementarianismus (Rollen nach Geschlecht statt nach Gaben) in den Köpfen verwurzelt…

  2. Hallo Evelyne

    Ich weiss gar nicht, ob ich auf deinen Beitrag reagieren darf, vor allem wenn ich nicht alles ganz gleich sehe, wie du.
    Mir ist es relativ egal, ob die Theologie weiblich oder männlich ist. Ich höre mir Joyce Meyer und Paula White aus dem gleichen Grund nicht an, wie bei Benny Hinn und Joseph Prince: Ich kann mit ihrer Theologie null anfangen. Ob Frau oder Mann spielt null Rolle. Bei einer Lektüre auf das Geschlecht der Autoren zu schauen, ist für mich echt ein neues Auswahlkriterium.
    Zu deinem Erlebnis mit deiner Übungspredigt an der freikirchlichen theologischen Ausbildungsstätte kommen mir zwei Gedanken:
    Ist wahrscheinlich recht arrogant und nicht sehr nachhaltig, wenn diese Ausbildungsstätte das Gefühl haben, schon einfach mal im Vornherein auf 50% der Talente und Ressourcen verzichten zu können. Die Zukunft wird zeigen, ob das überlebensfähig ist. Aus meiner Sicht eher nicht.
    Das du dieses Unrecht, dass dir da wiederfahren ist, immer noch mit dir herumträgst, das schadet aber eigentlich nur dir. Das wäre wahrscheinlich nicht ganz falsch, wenn du das eher begraben anstatt kultivieren würdest.
    Okay, das wären meine eher konträren Gedanken zu diesem Thema.

    Herzlicher Gruss
    Christoph

    1. Evelyne Baumberger

      Lieber Christoph, danke für den Kommentar, natürlich darfst du reagieren 🙂

      Es ist eben komplexer, als „einfach auf das Geschlecht zu schauen“. Das wollte ich eigentlich mit dem Buchbeispiel aufzeigen. Dass das Problem genau dort beginnt, wo man (hier: Verleger:innen, Marketingfachleute) auf das Geschlecht schauen, um zu entscheiden, ob das Buch an ein allgemeines Zielpublikum geht oder „ein Frauenbuch“ ist. Analog dazu z. B. Predigten, in denen es um Maria oder Sarah geht, die als „Frauenpredigten“ gelabelt werden – wem würde bei Petrus oder Abraham einfallen, das eine „Männerpredigt“ zu nennen? Ich bin also mit dir einverstanden: Idealerweise würde man das Gender nicht beachten müssen, aber solange die Startbedingungen so ungleich sind, müssen diese und somit die Ungleichbehandlung in den Fokus gerückt werden.

      Zum Vorfall mit der Predigtarbeit: Nein, das belastet mich nicht bis heute. Es ist nur so, dass ich auf Instagram oder Twitter oder offline von Bekannten wöchentlich solche aktuellen Beispiele höre. Der Einzelfall wäre irrelevant, aber wie bei allen Formen von Diskriminierung wird in der Häufung von solchen konkreten Beispielen erst ersichtlich, dass es um systemische Probleme geht. Deswegen ist es wichtig, diese öffentlich zu machen. (Buchtipp dazu: Franziska Schutzbach, Die Erschöpfung der Frauen; sie zeigt auf, wie man von „das passiert nur mir“ zur Erkenntnis systemischer Ungerechtigkeit kommt.)
      Ich glaube auch nicht, dass dieser „Verzicht auf 50% der Ressourcen“ sich tatsächlich selbst regelt bzw. rächt. Damit war die Kirche und die Gesellschaft nämlich die letzten Jahrhunderte relativ erfolgreich… Die „Ressourcen“, wenn wir sie mal so nennen wollen, werden anderweitig gebraucht (nämlich im Hintergrund).

      Liebe Grüsse, Evelyne

  3. Gerade habe ich von Catherine Keller „Über das Geheimnis“ gelesen und kann mir nicht erklären, warum bisher nur wenige ihrer Schriften auf deutsch übersetzt wurden.
    Sie wäre für mich so etwas wie die Verkörperung einer sprachgewaltigen bewegenden und kraftvollen Antipodin zum Muskel-SuperJesus.

    1. Evelyne Baumberger

      Ich habe leider noch nichts von ihr gelesen, aber im Zusammenhang mit Process Theology viel von ihr gehört. Das gibt mir gleich wieder einen Anstoss. Danke für den Kommentar!

  4. Ich habe soeben das Buch „Die illegale Pfarrerin Das Leben von Gretu Caprez-Roffler 1906-1994“ von Christina Caprez, erschienen im Limmat Verlag, gelesen. Es führt den Kampf der Theologinnen in der Schweiz des 20. Jahrhunderts exemplarisch auf. Sehr lesenswert!

  5. Liebe Evelyne
    Amen und preach it, sister!
    Das ist ein Überbleibsel meiner Pfingst-Vergangenheit, aber dem Inhalt nach mein ich es genau so. Amen! Preach it!
    Es braucht die Stimmen, die auch mal nerven, und immer wieder drauf hinweisen (Danke auch an Veronika an dieser Stelle) . Ja, auch mir sind kaum Frauen im Studium begegnet (also textlich mein ich – in persona natürlich schon). Die Sölle hab ich mir immer rausgesucht, wo’s ging (z.B. bei Manu im Seminar über Sünde ;)).
    Wir versuchen in meiner Redaktion diesen Blinden Fleck im Rahmen unserer Möglichkeiten immer wieder sichtbar zu machen – also auch die Geschichte der Frauen zu erzählen. Hier zwei Beispiele von meiner Kollegin Léa Burger:
    Clara Ragaz: https://www.srf.ch/audio/perspektiven/clara-ragaz-nadigs-kampf-fuer-frauenrechte-und-frieden?id=11921212
    Margarete Susman: https://www.srf.ch/audio/perspektiven/feminismus-revolution-judentum-margarete-susman-weiterdenken?id=12265972
    Herzlicher Gruss aus Basel

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