Beim Meditieren verschmilzt das Innere mit dem Äußeren, alles wird luftig und durchscheinend – wie Licht, das durch die Flügel eines Nachtfalters oder bunte Laternen scheint. Die Farben der Empfindung: intensiv, paradiesisch, manchmal dunkel und doch schillernd wie Kirchenfenster.
Genau diesen Empfindungen bin ich in Alexej von Jawlenskys Bildern begegnet. Jedesmal haben sie mich aufs Neue angezogen und gebannt. Dabei drängen sie sich nicht auf. Es sind meist kleine Formate und häufig Köpfe, oft Frauendarstellungen.
Auffallend sind die intensiven Farben, irgendwie paradiesisch.
Alexej von Jawlensky gehört zu den «Klassikern der Moderne». So werden die Grossen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Rückblick genannt. Aber der aus Russland emigrierte Künstler ist weniger im Fokus als andere Expressionisten, z.B. Emil Nolde, Marc Chagall oder Franz Marc. Er lebte in Deutschland und in der Schweiz.
Religiöse Anker
Für den RefLab-Kunstscout ist mein Augenmerk auf eine Serie des Spätwerks gefallen: «Meditationen». Der Künstler setzt hier bei meditativen Empfindungen an.
Erst beim Recherchieren wurde mir klar, wie stark christlich verwurzelt Jawlenskys Kunst ist.
Das Bild Nummer 30 aus der Serie der «Meditationen» hat es mir besonders angetan. Die vertikalen Pinselstriche verleihen dem schematischen Gesicht eine Art Federkleid. Inneres und Äusseres sind durchscheinend.
Abstraktion bedeutet: Konzentration auf das Wesentliche. Das Prinzip der Kunst der Avantgarde herrscht auch in der Meditations- und Gebetspraxis vieler Religionen und Kulturen vor.
Transzendieren von Leiden
Jawlenksy schuf transzendente Bilder. Auch weil er in seinen «Meditationen» Symptome einer beginnenden schweren Erkrankung zumindest zeitweise «transzendieren» konnte. Er litt unter schmerzhafter Arthritis. Mit dem Voranschreiten der Symptome wurde deutlich, dass er bald nicht mehr den Pinsel halten und malen wird können.
Die «Meditationen» entstanden im Bewusstsein, dass es seine letzten Bilder sein könnten.
Dies wird häufig hervorgehoben. Man merkt den Werken die Schmerzen der Entstehung aber kaum an. Abgesehen davon, dass die Farben dunkler sind als bei früheren Bildern, wirken sie dennoch schillernd. Man wird an die Farben von Kirchenfenstern erinnert.
Moderne Ikonen
Der Künstler orientierte sich explizit an der Ikonenmalerei, die er als Kind kennenlernte. «Dann war mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, dass die grosse Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen», sagte Jawlensky.
Der Künstler betrachtete seine «Meditationen» als Vollendung seines malerischen Lebenswerks:
«Meine letzte Periode meiner Arbeiten hat ganz kleine Formate, aber die Bilder sind noch tiefer und geistiger, nur mit der Farbe gesprochen», notierte er in seinen Lebenserinnerungen.
Der «Kopf-Maler» Jawlensky schuf u.a. auch Serien mit mystischen Köpfen, Heilands- und Christusköpfen. Alexej von Jawlenskys Kunst ragt über das rein Visuelle hinaus.
Sie ist eine Art Gebet.
Meditation bedeutet für mich: im Hier und Jetzt sein, das Wesentliche spüren, inneren Frieden finden – und manchmal sogar Leiden transzendieren.
Meditierst auch du? Welche Empfindungen sind damit verbunden?
Abbildung: Alexej von Jawlensky, Meditation N. 30 (1934), in: Kunstmuseum Basel, Sammlung Online