Wir haben uns gestritten als Kind, mein Bruder und ich, wer in den Skiferien mit Papi fahren durfte. Wir wollten so elegante Kurven fahren wie er. Papi war klar unser Held, wenn es um sportliche Aktivitäten ging.
Wir trauten ihm alles zu.
Er uns umgekehrt auch, was auch mal in absurden Situationen enden konnte. Wir machten etwa Ferien im Nationalpark und gingen wandern, ich war vielleicht acht Jahre alt. Aus der leichten Familienwanderung wurde eine vierzehnstündige Hochalpin-Wanderung.
Er war ein extremer Cheib, mein Vater. Sein Temperament war auch immer mal wieder schwierig zu handhaben und irgendwann weigerte ich mich, mit ihm Auto zu fahren.
Ja, entspannt war mein Vater nicht. Obwohl er sich glaubi sehr nach Ruhe und einfach Sein gesehnt hatte.
Eine neue Nähe
Auch seine letzten Monate spiegeln die Art und Weise, wie er gelebt hat, findi. Er wurde kurz vor Weihnachten mit einem echt grusigen Krebs diagnostiziert. Pfutterte noch relativ lange über dies und jenes.
Für mich war klar: So eine Diagnose muss überhaupt nichts heissen.
Ich war zuversichtlich. Dachte, das kann gut noch zehn Jahre ganz OK sein.
Meinen Vater so schwach und ja irgendwie klein zu sehen, hat es mir einfacher gemacht, mit ihm ganz liebevoll umzugehen. Die Distanz, die ich sonst amel wahrgenommen hatte, war weg. Sehr schön.
Als ich ihn mal im Spital besuchte, weinte er vor Freude. Jener Mann, der in seinem Leben nur wenig Emotionen ausdrücken konnte.
So grässlich ich es fand, dass er so krank war, so schön fand ich diese neue Nähe.
Von Angesicht zu Angesicht
Dann ging alles irgendwie ganz schnell. Ich sah ihn an einem Sonntag, als er nichts mehr essen konnte und auch keine künstliche Ernährung mehr bekam. Ich sah aber so viel Leben in meinem Vater, dass ich auch da noch – entgegen aller Fakten – überzeugt war: das chunnt scho. Ich war vom «Holy Embodied»- Wochenende ganz getränkt im unmittelbaren Sein.
Ich weiss nicht mehr, warum, aber Papi fragte mich: «Was meinst du denn, wenn du Gott sagst?» Und mehr als mit Worten beantwortete ich seine Frage auf energetischer Ebene – wir teilten einen Moment in purer Präsenz.
Wir teilten einen Moment Sehen von Angesicht zu Angesicht.
Am Dienstag darauf war klar: Seine letzten Stunden sind angebrochen.
Ich fuhr durch den frühen Abend aus dem Tessin in die Deutschschweiz. Fuhr durch das goldene Licht, gespiegelt im Vierwaldstättersee, milchig zwischen den Bergen. Als ich beim Spital ankam, ging die Sonne unter – spektakulär war das, mit glasklarer Sicht auf die Alpen. «Wenn er jetzt geht, hat er sich einen wunderschönen Moment dafür ausgesucht», dachte ich.
Ein riesen Geschenk
Ja und dann ist er gestorben, mit seiner Familie an seinem Bett. Und ich sah ihn, wie er aus Licht gewoben ist und sich aus seinem physischen Körper einfach ins Licht, das den ganzen Moment webt, entspannt.
Und ich war so stolz darauf, wie ring er gehen konnte. Dass sich das Angebot, sich anzulehnen, sich in die Präsenz zu legen, unabhängig davon, was war, immer wieder von neuem, in jedem Moment offeriert.
Ja, er war kein entspannter relaxed back Typ. Doch am Schluss, hat er die Einladung gespürt, hat verstanden, dass er gehalten ist.
Dass das Leben selbst ihn lebt. Dass er nicht der ist, der seinen Herzschlag macht oder seinen Atem in die Lungen bringt.
Diesen unglaublich intimen Moment miterleben zu dürfen, ist ein riesen Geschenk. Ich bin meinem Vater unendlich dankbar dafür.
Die Liebsten weiterziehen lassen
In den letzten Jahren sah ich, lernte ich in der Stille, dass nichts getrennt ist. Dass es letztlich keine Dualität gibt, kein entweder Licht oder Dunkelheit, kein Leben oder Tod. Doch den Übergang vom Leben zum Tod so ganz konkret in der Materie Schritt für Schritt mitzuerleben, ist nochmal etwas anderes.
Ich spürte, spüre so deutlich, dass nichts verloren gegangen ist. Licht zu Licht. Klar, der Körper ist nicht mehr. Klar, da ist viel Trauer. Doch die Liebe ist noch da, seine Seele oder sein Wesen, ist noch da. Ohne dass ich ihn festhalten müsste.
Es ist so sicher, die Liebsten weiterziehen zu lassen. Sie bleiben aufgehoben im Ganzen. Wir bleiben aufgehoben im Ganzen. Auch unsere Trauer gehört dazu.
Was für eine heilsame Erfahrung – danke Papi. Gute Reise und arrivederci!
Foto von Yoksel 🌿 Zok auf Unsplash
1 Gedanke zu „Wenn der Papi stirbt“
Liebe Leela, danke für diese Worte die du mit uns teilst, die wir mit dir spühren, leben…, die uns, mit dir berühren dürfen… 🌀 Romy