Die Frage, ob die Schöpfung gut ist, speist sich aus zwei Quellen. Die eine Quelle ist der Schluss des ersten Schöpfungsberichts. Dort heisst es: «Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und sieh, es war sehr gut.» (1. Mose 1.31) Die zweite Quelle sind die Nachrichten, die uns täglich die aktuellen Kriege, Katastrophen und Krisen in die Ohren hämmern. Was soll daran gut sein? Was hat die Weltlage mit der Schöpfung zu tun? Oder kann man angesichts der Flut von Katastrophen überhaupt noch von einer guten Schöpfung reden, ohne zynisch zu sein? Manche Menschen verordnen sich einen Nachrichtenstopp, damit sie nicht depressiv werden. Das verstehe ich gut. Denn wer depressiv, unglücklich oder niedergeschlagen ist, nimmt die Welt überhaupt nicht mehr wahr. Er wird unempfänglich für die Welt, oder die Welt bleibt stumm. Das ist kein guter Zustand.
Die Welt als Spiegel der Menschen, und die Menschen als Spiegel der Welt
Wirklich lebendig fühlen wir uns, wenn die Welt zu uns redet und wir für sie empfänglich sind. Wenn wir uns in der Welt, und die Welt sich in uns spiegelt. Dazu gehört, dass wir auf die Kriege, Katastrophen und Krisen reagieren: mitleidend, traurig, wütend, hoffend, handelnd. Dazu gehört aber auch, dass wir empfänglich sind für die Schönheit der Natur, für den medizinischen Fortschritt, technologische Höchstleistungen, die Vielfalt der Kultur, gesellschaftliche Ordnung, Solidarität und Freundschaft unter Menschen und eine funktionierende Wirtschaft. Wer für die Welt empfänglich ist, antwortet auf sie mit der ganzen Palette möglicher Gefühle, weil die Welt vielfältig ist. Sie ist nicht einfach gut und sie ist nicht einfach schlecht. Es gibt in ihr Gutes und Schlechtes. Für die Empfänglichen ist die Welterfahrung ambivalent.
Die Welt als Schöpfung
Wer von der Welt als Schöpfung redet, deutet sie im Rahmen des christlich-jüdischen Denkens. Schon die beiden Schöpfungsberichte am Anfang der Bibel deuten die Welt und gehen dabei von einer ambivalenten Welterfahrung aus. Ihre Entstehungszeit wird als nachexilisch angegeben. Sie bearbeiten also die Frage, wie die Erfahrung des Untergangs von Israel und Juda mit der Erfahrung der Welt als Gottes guter Schöpfung zusammengedacht werden kann. Und dahinter steht die bange Frage: Sind wir schuld an der Katastrophe?
Der erste Schöpfungsbericht beschreibt die Phänomene der Natur als nacheinander von Gott geschaffen. Am Schluss dieser geordneten Schöpfung erschafft Gott den Menschen nach seinem Bilde als Mann und Frau. Sie bekommen den Auftrag, über die Erde zu herrschen, also der göttlichen Ordnung Sorge zu tragen, damit das Vertrauen in die Welt Bestand hat.
Der zweite Schöpfungsbericht spielt im Garten Eden und beginnt mit der Erschaffung des Menschen. Er liest sich wie die Vorbereitung zur darauffolgenden Sündenfallgeschichte, die erklärt, warum die Mühsal des Ackerbaus und die Schmerzen bei der Geburt nicht als zum Leben gehörend, sondern als Strafe verstanden werden. Adam und Eva haben sich um das Paradies gebracht, weil sie das göttliche Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, missachtet haben.
Warum ist die gute Schöpfung nicht einfach gut?
Wenn es um die Welt als Schöpfung geht, geht es immer um die Frage, warum die gute Schöpfung nicht einfach als gut, sondern als ambivalent erfahren wird. Und es geht immer um die Frage, welchen Anteil der Mensch an dieser Ambivalenz-Erfahrung hat. Im Blick auf die Schöpfungsberichte sind zwei Haltungen möglich; ein optimistische und eine pessimistische. Die optimistische sagt, dass alles gut wird, wenn sich die Menschen an die göttliche Schöpfungsordnung halten. Allerdings ist hier Vorsicht geboten. Denn schon immer haben Menschen ihre Vorstellungen einer wohlgeordneten Welt in die göttliche Schöpfungsordnung eingetragen, um sie für sakrosankt zu erklären. Die pessimistische sagt, dass der Mensch nicht in der Lage ist, sich in die göttliche Schöpfungsordnung einzureihen, geschweige denn, für sie Verantwortung zu übernehmen. Auch hier ist Vorsicht geboten. Denn diese Sicht wurde immer wieder dazu benutzt, Menschen klein zu machen und ihnen jede Handlungsmöglichkeit abzusprechen.
Bei der Rede von der Schöpfung geht es nicht darum, Welt oder Mensch festzuschreiben. Vielmehr werden Dimensionen aufgezogen, innerhalb derer die Welterfahrung reflektiert werden kann. Und zwar als ambivalente: mit Glück und Leid, Gelingen und Scheitern, Verantwortung und Verantwortungslosigkeit, Dankbarkeit und Enttäuschung. Damit wir für die Welt empfänglich bleiben. Damit wir sinnvoll handeln können.
Wer sich für dieses Thema interessiert und mitdiskutieren will: Am nächsten Donnerstag findet dazu eine Veranstaltung statt: