Dein digitales Lagerfeuer
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 Lesedauer: 6 Minuten

Trumps Wahnsinn und ich. Eine Selbstbeobachtung

Der alltägliche Wahnsinn

Am 4. Februar verkündigt Präsident Trump in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, er werde den Gazastreifen räumen lassen, notfalls mit militärischer Gewalt. «Wir werden das Gebiet in Besitz nehmen, […] und wir werden es zur Riviera des Nahen Ostens umgestalten», meinte er.

Der Hotelmagnat träumt von Luxusressorts im umkämpftesten Streifen Land auf diesem Globus. Die knapp zwei Millionen Palästinenser, die dort zu Hause sind, fast die Hälfte von ihnen Kinder, sollen offenbar dorthin verschwinden, wo der Pfeffer wächst.

Das ist nur eine unter den Absurditäten, welche Trump seit seinem erneutem Amtsantritt eifrig anhäuft. Längst werden umfangreiche Listen geführt mit den blödesten oder gefährlichsten Zitaten des zweifachen US-Präsidenten, oder Zusammenstellungen seiner niederträchtigsten Bemerkungen über Frauen oder Immigranten (so hat er Vizepräsidentin Kamala Harris einen «behinderten», «geistig gestörten», «erbärmlichen», «bösartigen» «Dummkopf» genannt, und illegale Einwanderer als «Vergewaltiger», «Abschaum» und «Tiere» bezeichnet: «The Democrats say, ‹Please don’t call them animals. They’re humans.› I said, ‹No, they’re not humans, they’re not humans, they’re animals›»).

Emotionales Gruselkabinett

Aber ich will mich jetzt gar nicht in diesem Hasenbau verlieren. Es geht mir in diesem Beitrag vielmehr um eine kritische Selbstbetrachtung.

Ich merke zunächst, dass Trumps verbale Ausfälligkeiten und rhetorische Knallfrösche, seine haltlosen Behauptungen und wahnwitzigen Ideen bei mir eine ganze Palette negativer Emotionen hervorrufen.

Wut über jemanden, der mit einer solchen Unverfrorenheit Lügen verbreitet, Vorurteile verfestigt und Hass sät. Angst vor den Folgen seiner politischen Provokationen und narzisstischen Reizbarkeiten. Ohnmacht mit Blick auf die Tatsache, dass gegen einen notorischen Lügner und Egomanen offenbar kein Kraut gewachsen ist, ja dass er sogar eine Mehrheit der amerikanischen Wähler und Wählerinnen (und nicht wenige Menschen aus meiner Social-Media-Sphäre) für sich einnehmen konnte.

Und dann ist da irgendwie noch mehr. Die Erschütterung über Trumps Worte und Taten reicht tiefer. Da wird etwas ganz Fundamentales in mir angerührt.

Es ist nicht dasselbe Gefühl wie zu Zeiten von George W. Bush: Auch dieser Präsident war nicht das hellste Kerzchen auf der Torte, und mit seinen verbalen Fehltritten (den sogenannten «Bushismen») wurden ganze Satire-Bücher gefüllt («Die meisten Menschen missunterschätzen mich…»).

Es ging damals aber vor allem um harmlose Versprecher, Aussetzer und andere Peinlichkeiten. Und die Republikaner liebten ihn nicht wegen, sondern trotz seiner Ausrutscher.

«Kulturelle Verluste»

Das ist heute anders. Und es wühlt mich in einer Art und Weise auf, die mich selbst erstaunt.

Woran das liegen könnte, ist mir bei der Lektüre des neusten Buches des Soziologen Andreas Reckwitz aufgegangen. In dieser faszinierenden Studie beschreibt Reckwitz die westlichen Gesellschaften in ihrem ambivalenten Verhältnis zur Erfahrung von Verlust: Einerseits stören Verlusterfahrungen das Fortschrittsparadigma der Moderne ganz empfindlich, weshalb sie unbedingt verdrängt oder integriert werden müssen. Andererseits trägt gerade die Moderne mit ihren Volatilitäten und ständigen Veränderungen zu immer neuen Verlusterfahrungen bei.

Dazu gehören entscheidend auch jene Erfahrungen, die Reckwitz als «kulturelle Verluste» bezeichnet. Dabei handelt es sich seiner Beschreibung nach «um ein Schwinden bisheriger, für die Lebenspraxis grundlegender Interpretationssysteme, das selbst als schmerzhaft erlebt wird» (72).

In kulturellen Verlusterfahrungen «büßen kulturell tradierte Interpretationssysteme und Erfahrungsweisen in ihrer inneren Logik an Überzeugungskraft ein» – klassischerweise geschieht das, wenn Menschen ihren Glauben verlieren und damit die erlebte Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens schwindet.

Reckwitz betont, dass dieser Glaubensverlust nicht nur den religiösen, sondern auch einen politischen Glauben betreffen kann: Auch hier kann es zu einer «Sinnwelterosion» kommen, die als «Entleerung der bisher vertrauten Weltdeutung erlebt» wird, «so dass sich im Extrem das Gefühl einer ‹transzendentalen Obdachlosigkeit› (Lukács) ergibt» (73).

Lebe ich auf dem falschen Planeten?

An dieser Stelle hat es bei mir Klick gemacht.

Was mich am aktuellen politischen und gesellschaftlichen Wahnsinn um die Trump-Präsidentschaft in der Bauchgegend trifft, sind nicht einfach einige hirnlose Aussagen oder brandgefährliche Aktionen.

Die Tatsache, dass jemand vor laufender Kamera behaupten kann, die Immigranten in Springfield würden die Katzen und Hunde der Bewohner essen; dass ein Präsident die Bevölkerung ermutigen kann, Bleichmittel zu trinken, um Covid zu heilen; dass er mit sexuellen Übergriffen angeben oder sich beim Verteidigungsminister erkundigen kann, ob nicht das Militär mit Schusswaffen gegen Protestierende vorgehen könne: dass all dies möglich ist, und die Mehrheit eines demokratischen Volkes noch findet: «Jawohl, das soll unser Präsident werden!» – das rührt an fundamentale und sinnstiftende Überzeugungen von mir.

Funktioniert diese Welt wirklich so, wie ich es immer dachte? Oder kann es sein, dass die ganze Idee, eine Gesellschaft könne durch einen geteilten Wirklichkeitsbezug und engagierte Auseinandersetzungen einen gemeinsamen Weg finden, vor meinen Augen evaporiert?

Angesichts aktueller Entwicklungen erscheint die von Immanuel Kant hochgehaltene kritische Rationalität und die von Habermas beschworene deliberative Demokratie jedenfalls wie ein intellektuelles Hirngespinst.

Der «zwanglose Zwang des besseren Arguments» (Habermas)? My ass.

Nicht Vernunft und Argumente, sondern Gefühl und Macht geben den Ton an. Und natürlich spielt das Anfragen an mich zurück: Gehe ich von anthropologischen und soziologischen Voraussetzungen aus, die von der Realität gar nicht gedeckt sind?

Leben nicht die anderen, sondern lebe ich auf dem falschen Planeten?

Obdachlos

Diese und viele daran anschliessende Fragen sind aufgebrochen, als ich meine Gefühlslage mit Hilfe der Verlustanalyse von Reckwitz in den Blick genommen habe.

Die völlige Abwesenheit vernünftiger (geschweige denn empathischer) Auseinandersetzung mit anderen Positionen, die sich auch hierzulande v.a. sozial-medial beobachten lässt. Das Fehlen eines geteilten ethischen Kompasses oder eines rationalen Koordinatensystems. Der nicht nur in den USA eskalierende Kulturkampf, der die ganze Welt in Freunde und Feinde einteilt. Die verlorengegangene Bereitschaft und Fähigkeit, ernsthaft aufeinander zu hören, andere Perspektiven zuzulassen, das Gegenüber zu verstehen, bevor man es abschiesst… (und das gilt durchaus für alle Seiten!):

Was in mir aufsteigt angesichts dieses alltäglichen Wahnsinns, ist eine Angst vor dem Verlust des Sinnhorizontes, ein schwelendes Gefühl der «transzendentalen Obdachlosigkeit» in einer Welt, die nicht mehr die meine zu sein scheint.

Und ich halte keine Lösung für diese Probleme bereit. Höchstens eine ebenso trotzige wie angefochtene Selbstverpflichtung:

Ich will mich nicht vom Strudel des Hasses mitreissen lassen.

Ich will mich nicht zum erbitterten Kulturkämpfer formen lassen, der taub wird für alle Zwischentöne und blind für alle Schattierungen. Ich weigere mich, dem nietzscheanischen Impuls nachzugeben und das «Recht des Stärkeren» anzuerkennen.

Und ich will alles daransetzen, dem in mir ohnehin angelegten Zynismus nicht Oberhand zu gewähren.

 

Weitere RefLab-Beiträge zu Donald Trump:

Nach der Trump-Wiederwahl fragt Evelyne Baumberger: Sind wir auf halbem Weg nach «Handmaid’s Tale»?

Wie der Theologe Dietrich Bonhoeffer von fundamentalistischen Christ:innen zu Trumps Unterstützung instrumentalisiert wurde, analysiert Thorsten Dietz.

Jonas Simmerlein findet biblische Parallelen im TV-Duell Harris/Trump

Warum unterstützen Christ:innen in den USA Trump? von Jonas Simmerlein

Biden vs. Trump, ganz früh im Wahlkampf: «Chronologie eines Wahlkampfs im freien Fall» von Jonas Simmerlein

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Und ebenfalls Johanna Di Blasi zu: Donald Trump und die Heldenreise: Ein politisches Märchen?

 

Das Beitragsbild wurde mit dem KI-Tool «midjourney» erstellt.

11 Gedanken zu „Trumps Wahnsinn und ich. Eine Selbstbeobachtung“

  1. Was in schwindelerregendem Tempo im Gefüge der Weltordnung abläuft macht mir ganz tief Angst. All die verunsicherten und leicht beeinflussbaren Menschen weltweit. Ich brauche Mitmenschen, die ihre Aengste formulieren, die sich nicht überrollen lassen wollen, die kämpfen wollen für unsere wohl mangelhaften, aber trotzdem notwendigen Kulturinstitutionen Rechtsstaat und Demokratie. Danke für Ihren Beitrag Manuel Schmid.

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  2. Danke, lieber Manuel, danke. Toll und auf den Punkt formuliert.
    Du sprichst mir aus der Seele.
    Mir hilft da der Ansatz von Jesus, eine alternative Realität neben der bestehenden zu bauen. Er nannte diese Vision übersetzt “Reich Gottes”.
    Vielleicht kann diese alte Metanarrative Hoffnung fürs Heute geben?!
    Liebe Grüße von Markus 💛

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    • Markus! Wie schön von dir zu hören – danke für dein Feedback und den Ausblick auf die alternative und subversive Realität des Reiches Gottes…!

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  3. Lieber Manuel, ein kluger, nachdenklicher Text, den ich jetzt endlich lesen wollte. Ich würde es momentan schlicht als eine grosse Ratlosigkeit in mir beschreiben. Aber Deine Worte beschreiben es differenzierter. Und die grosse Frage: Was wird aus dem allem? Und in dieser Frage schwingt viel Passivität mit – „was wird“ – weil ich das Gefühl habe, da momentan nicht ‚mitspielen‘ zu können, mit meinen Vorstellungen und Idealen bei all dem überhaupt keine ‚Rolle mehr zu spielen’. Insofern: ein kultureller und partizipativer Verlust…

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    • Lieber Luzius, danke für deine Reaktion und entschuldige die verspätete Rückmeldung: Ja, es ist irgendwie die Zeit der Verluste, zumindest für sozialdemokratisch, gemeinschaftlich, rational-argumentativ Gesinnte… aber es bleibt die Hoffnung, dass sich Lügen, Ungerechtigkeiten und Kurzsichtigkeiten auf lange Dauer nicht durchsetzen…

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  4. Lieber Manuel
    Danke für deine dichte und hilfreiche Selbstbeobachtung. Sie spricht genau dieses Gefühl des Verlusts eines Gesellschaft- und Weltbildes an. Unvernunft und die Abwesenheit von Empathie scheinen immer grössere Kreise von Politik und Medien (in den sozialen Medien sowieso) – auch hier in Europa – zu beherrschen. Das macht Angst und wütend und niedergeschlagen. Und da sind wir dann bei der von dir bzw. Reckwitz beschriebenen Verlusterfahrung – und der zu leistenden Trauerarbeit.
    Was bleibt?
    „In a time like this, joy is a an act of resistance. Resist. Resist. Resist.” (Loryn Brantz)

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  5. Da ich seit 2019 nicht mehr bei Facebook & Co bin (https://uli.popps.org/2019/05/22/und-tschuess-facebook/), kriege ich nicht mehr mit, was in den Antisozialen Medien vor sich geht. Dieser Begriff ist von Dr. Michael Blume, der 2023 von Twitter/X ins Fediverse “geflüchtet” ist. Ich kann sagen, daß es im Fediverse anders zugeht als bei den geldgetriebenen Manipulationsmaschinen, denn genau das ist Facebook & Co für mich: Man kann sich Meinungen und Wahlen kaufen, seit Trump 1 und dem Brexit its das eigentlich klar.
    In dem Kontext sehe ich auch die Meinungen, die Strömungen: Sie wurden halt gekauft, Menschen manipuliert, auch Christen, die sich in den USA haben sich zu Trump hinreißen lassen. Natürlich ist das nicht der einzige Grund, ich sehe es aber doch als wichtige Ergänzung zu deinem Post.
    Genau so gehe ich aber auch damit um: Ich nenne es Verblendung, nur nicht in Deutschland mit dem Volksempfänger, sondern in den USA mit “Social” Media, X ist da für mich längst zu Musks Volksempfänger 2.0 geworden. Was “Meinungsfreiheit” angeht, sehe ich, wie in Facebook Linux-Diskussionen GESPERRT werden und Linux selbst als “Malware” gebranntmarkt. Im Fediverse kriegt man das mit. 🙂
    Also “Meinungsfreiheit” gilt nur für Meinungen des Betreibers. Also ist es Faschismus und jegliches Gelaber von Vance ist mehr als nur lächerlich – aber ich glaube schon, daß er glaubt, was er sagt.
    Was dabei “Haß” angeht: Ich hasse nicht, ich bete sogar für Trump. Das ist eh die einzige “Waffe”, die ich dabei habe. Und eines ist ganz tief in mir drin: Es gibt in vielen Punkten nur eine Wahrheit: Menschen sind Menschen, keine Tiere, auch im Gaza-Streifen, 1+1=2, undsoweiter.
    Wer faschistoid die Wahrheit ausblendet, macht exakt denselben Fehler wie die Wehrmacht vor Stalingrad. Ging schief. Und genau so wird auch dieser Geist scheitern.
    Was man darüberhinaus tun kann: #unplugtrump (https://pekrieger.de/unplugtrump/) – mit allen Konsequenzen. Aber als SailfishOS-Benutzer, der hauptsächlich XMPP auf eigenem Server als Messenger benutzt, als Linux-User mit allen Softwarekonsequenzen habe ich da sicher gut lachen.

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